BVerfG 1. Senat 3. Kammer 1 BvR 2150/14
ECLI:DE:BVerfG:2016:rk20160517.1bvr215014
1. Zum Einfluss des Grundrechts der Meinungsfreiheit bei Auslegung und Anwendung von dieses Grundrecht beschränkenden Strafvorschriften vgl BVerfG, 19.04.1990, 1 BvR 40/86, BVerfGE 82, 43 <50 ff>.
2a. Eine herabsetzende Äußerung, die weder bestimmte Personen benennt noch erkennbar auf bestimmte Personen bezogen ist, sondern ohne individuelle Aufschlüsselung ein Kollektiv erfasst, kann unter bestimmten Umständen auch ein Angriff auf die persönliche Ehre der Mitglieder des Kollektivs sein (vgl BVerfG, 10.10.1995, 1 BvR 1476/91, BVerfGE 93, 266 <299>).
2b. Es ist verfassungsrechtlich nicht zulässig, eine auf Angehörige einer Gruppe im Allgemeinen bezogene Äußerung allein deswegen als auf eine hinreichend überschaubare Personengruppe bezogen zu behandeln, weil eine solche Gruppe eine Teilgruppe des nach der allgemeineren Gattung bezeichneten Personenkreises bildet (vgl BVerfG, aaO <302 f>).(Rn.16)
3. Hier:
3a. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen eine strafrechtliche Verurteilung wegen Beleidigung durch Kundgabe der Buchstabenkombination „ACAB“ während eines Fußballspiels.
2b. Bei dem sanktionierten Verhalten handelt es sich um eine Meinungsäußerung iSd Art 5 Abs 1 GG, ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird (vgl BVerfG, 04.11.2009, 1 BvR 2150/08, BVerfGE 124, 300 <320>).(Rn.11)
2c.Vorliegend fehlt es in den angegriffenen Gerichtsentscheidungen an hinreichenden Feststellungen zu den Umständen, die die Beurteilung tragen könnten, dass sich die Äußerungen jeweils auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe beziehen. Nach den dargelegten Maßstäben reicht es nicht aus, dass die Polizeikräfte, die die Parole „ACAB“ wahrnehmen, eine Teilgruppe aller Polizistinnen und Polizisten bilden. Vielmehr bedarf es einer personalisierenden Adressierung dieser Parole, für die hier nichts ersichtlich ist. Das Wissen der Beschwerdeführer, dass Polizei im Stadion ist und die Parole wahrnehmen würde, reicht hierfür nach verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht.(Rn.17)
4. Festsetzung des Gegenstandswertes auf 25.000 Euro.
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