Henrike von Scheliha Familienrecht Licensed under CC-BY-4.0

1 Familie und Familienrecht

Zur Einführung: Röthel, Standort und Gegenstand des Familienrechts, JURA 2017, 279 ff.

Regelungsstandort und Gegenstand

Das BGB hat dem Familienrecht mit dem Vierten Buch ein eigenes Buch gewidmet. Das mag auf den ersten Blick selbstverständlich erscheinen, doch liegt schon darin eine Weichenstellung.

Zur Erläuterung: Denn die „Klammer“, die die §§ 12971921 BGB zusammenhält, ist nicht eine bestimmte rechtliche Handlungsform, wie im Zweiten Buch mit dem Recht der vertraglichen Schuldverhältnisse oder ein bestimmtes Rechtsinstitut, wie im Dritten Buch mit dem Sachenrecht (Eigentum), sondern „die Familie“ als ein gesellschaftlicher Lebensbereich. Darin kommt zum Ausdruck, dass es dem BGB bei der Regelung des Familienrechts darum ging, die Rechte und Ansprüche, die sich aus familiären Beziehungen ergeben, nicht aufzugliedern und jeweils isoliert in den ersten drei Büchern zu behandeln. Ein solcher, das Individuum in den Vordergrund rückende Ausgangspunkt, wird dem Institutionensystem des römischen Rechts zugeschrieben. Dem BGB ging es vielmehr darum, die familiär geprägten Beziehungen zusammenhängend zu regeln. Diese Grundentscheidung wird heute als Ausdruck des im 19. Jahrhundert in der deutschen Rechtswissenschaft entwickelten Pandektensystems gesehen.

Die herkömmliche Bezeichnung „Familienrecht“ meint im Übrigen auch mehr als das „Recht der Familie“. Dies lässt sich schon an den Inhalten des vierten Buchs des BGB („Familienrecht §§ 12971921 BGB“) ablesen. Gegenstand des Familienrechts i. S. des BGB sind insbesondere

Familienrecht umfasst das Verhältnis von Eltern und Kindern, das Eherecht sowie den Schutz von fürsorgebedürftigen Minderjährigen und Erwachsenen durch Vormundschaft, Betreuung und Pflegschaft. Eigentlich geht es also um Personenrecht. Außerhalb des BGB-Familienrechts finden sich familienrechtliche Regelungen u.a. im LPartG (Lebenspartnerschaft), VAusglG (Versorgungsausgleich), GewSchG (Gewaltschutz) sowie im FamFG (§§ 111 ff. FamFG).

Vereinzelt finden sich Regelungen mit familienrechtlichem Bezug auch im Schuldrecht: siehe insbesondere die Nachfolge in ein Mietverhältnis (§ 563 BGB – Eintrittsrecht des Ehegatten, Lebenspartners und Kindes) und die Haftung wegen Verletzung oder Tötung eines Unterhaltspflichtigen (§§ 844 Abs. 2, 843 BGB).

Schließlich gibt es im öffentlichen Recht Regelungen, die auf die Familie bezogen sind. Der Staat wirkt im Steuer-, Sozialversicherungs- und Sozialleistungsrecht auf die Familie ein (Ehegattensplitting, Kindergeld, Erziehungsgeld, Betreuungsgeld, Kinder- und Jugendhilfe etc.). Dieses öffentliche Familienrecht ist in jüngerer Zeit bedeutungsvoller geworden. Der Staat hat das Familienrecht aus bevölkerungs- und arbeitsmarktpolitischen Gründen in den Jahren seit der Wiedervereinigung wiederentdeckt (näher Röthel AcP 2014, 610, 658 ff.).

Kennzeichen

Das vierte Buch des BGB ist anders gegliedert als die ersten drei Bücher zum BGB: Es ist weniger an Rechtsfolgen und Rechtswirkungen (Herausgabe, Schadensersatz, Beseitigung) orientiert, sondern knüpft an besondere „Tatsachen“ (Geburt) oder Verhältnisse (Paarbeziehung) an und prägt diese zu Rechtsinstituten (z.B. Ehe/Lebenspartnerschaft, Abstammung) aus.

Familienrecht ist in weiten Bereichen Schutz- und Fürsorgerecht: Schutz des enttäuschten Vertrauens, wenn ein Verlöbnis gelöst wird (§§ 1298 ff. BGB), Schutz des bedürftigen Ehegatten im Falle einer Scheidung (§§ 1569 ff. BGB – Unterhalt), Fürsorge für den betreuungsbedürftigen Erwachsenen (§§ 1896 ff. BGB – Betreuung). Daraus ist teilweise gefolgert worden, dass das Familienrecht eigentlich mehr öffentliches Recht als Privatrecht sei (Lehmann, Bosch). Dagegen spricht, dass im Mittelpunkt des Familienrechts immer noch in erster Linie die rechtliche Beziehung von Privatrechtssubjekten steht.

Stellenwert und Reichweite der Privatautonomie sind im Familienrecht anders als im Schuldrecht ausgeprägt. Zwar können sich Eltern, Kinder, Ehegatten/Lebenspartner wie fremde Dritte begegnen und miteinander Verträge schließen.

Beispiele: Mutter M möchte ihrer Tochter T ein Grundstück übertragen. Frau F schenkt ihrem Mann eine Reise nach Sizilien. Eheleute E gründen eine Anwaltssozietät etc.

Die familienrechtlichen Beziehungen sind aber nur begrenzt gestaltbar. Manche Rechtsgeschäfte mit familienrechtlichem Bezug sind schon ihrem Inhalt nach ganz ausgeschlossen. So ist es beispielsweise nicht möglich, auf manche familienrechtlichen Ansprüche, etwa den Anspruch auf Kindesunterhalt, für die Zukunft zu verzichtet:

Beispiel: M kann nicht mit ihrem gerade volljährig gewordenen Sohn S einen „Unterhaltsvertrag“ schließen, in dem M sich verpflichtet, dem S künftig nur noch dann Unterhalt zu zahlen, wenn S sich dafür im Gegenzug um die demente Mutter der M kümmert.

Dieser Vertrag ist gemäß § 1614 Abs. 1 BGB wirkungslos: Für die Zukunft kann nicht auf den Verwandtenunterhalt (§ 1601 BGB) verzichtet werden.

Dazu im Überblick Röthel, Der Verzicht im Familien- und Erbrecht, JURA 2015, 1056 ff.

Auch hängt es nicht allein am Willen der Ehegatten/Lebenspartner, ob ihre Ehe/Lebenspartnerschaft aufgelöst werden kann: Es genügt nicht ein schlichter Vertrag, sondern es bedarf einer richterlichen Entscheidung, und vor allem bedarf es eines Scheidungs- bzw. Aufhebungsgrundes, der nicht völlig in der Hand der Beteiligten steht (lies §§ 1564 ff. BGB, § 15 LPartG). Außerdem gelten für familienrechtliche Rechtsgeschäfte zumeist besondere Regeln: Erklärungen, die ein familienrechtliches Verhältnis betreffen,

Beispiele: Eheschließung (§§ 1303 ff. BGB), Anerkennung einer Vaterschaft (§§ 1594 ff. BGB), Sorgeerklärungen (§§ 1626a ff. BGB), Einwilligung in die Adoption (§§ 1746 ff. BGB)

unterliegen zumeist besonderer Förmlichkeit.

Beispiel: Sorgeerklärungen sind öffentlich zu beurkunden (§ 1626d Abs. 1 BGB).

Außerdem müssen sie höchstpersönlich abgegeben werden,

Beispiel: Die Eheschließenden müssen ihre Erklärungen „persönlich abgeben“ (§ 1311 S. 1 BGB).

und sind regelmäßig bedingungs- und befristungsfeindlich

Beispiel: Die Erklärungen der Eheschließenden „können nicht unter einer Bedingung oder Zeitbestimmung abgegeben werden“ (§ 1311 S. 2 BGB).

Schließlich gelten besondere Regeln für Willensmängel.

Beispiel: Wenn ein Ehegatte über seine Vermögensverhältnisse getäuscht hat, kann der getäuschte Ehegatte die Eheschließung nicht „normal“ nach § 123 BGB anfechten. Vielmehr muss die Ehe geschieden (§§ 1564 ff. BGB) oder aufgehoben werden (§§ 1313 ff. BGB). Zwar berechtigt eine arglistige Täuschung grundsätzlich zur Aufhebung der Ehe, doch gehört die Täuschung über Vermögensverhältnisse gerade nicht dazu (§ 1314 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Ausgeschlossen ist auch die „normale“ Anfechtung der Eheschließung wegen Erklärungs-, Inhalts- oder Eigenschaftsirrtums (§ 119 BGB), möglich ist nur die Aufhebung wegen Irrtums darüber, dass es sich um eine Eheschließung handelte (§ 1314 Abs. 2 Nr. 2 BGB).

Zur Vertiefung: Röthel, Familienrechtliche Rechtsgeschäfte, JURA 2017, 641 ff. (Teil I: Förmlichkeit, Höchstpersönlichkeit, Bedingungsfeindlichkeit); JURA 2017, 1042 ff. (Teil II: Zu den Auswirkungen von Irrtum, Täuschung, Drohung); JURA 2017, 1380 ff. (Teil III: Zu den Auswirkungen von sog. Scheingeschäften).