Jens Gerlach Kommunalrecht (Hessen): Übungsfälle Licensed under CC-BY-4.0

Übungsfall 3: Schwierigkeiten in der Stadtverordnetenversammlung

Klage einer Gemeinde gegen eine Maßnahme der Kommunalaufsicht, Beanstandung eines Beschlusses der Gemeindevertretung nach öffentlicher Bekanntmachung einer Satzungsänderung, formelle Rechtsfehler eines Beschlusses der Gemeindevertretung (Einberufung, Öffentlichkeit, Ausschluss wegen vermeintlicher Befangenheit, Beschlussfähigkeit, Verhandlung unter “Verschiedenes”, Stimmenmehrheit), Ermächtigungsgrundlage für Satzungsbeschlüsse

Sachverhalt

Die von S am 7. November 2022 erhobene Klage auf Zulassung zum Weihnachtsmarkt (siehe dazu Übungsfall 2: Weihnachtsmarkt) wird dem Magistrat der Stadt Gießen am nächsten Tag zugestellt. Davon aufgeschreckt bringt der Magistrat das Thema auf der am 9. November 2022 stattfindenden Sitzung der Stadtverordnetenversammlung unter dem letzten Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ ein. Infolgedessen nimmt die Sitzung einen turbulenten Verlauf. Aber der Reihe nach.

Die Stadtverordnetenvorsteherin V hat die Stadtverordneten mit E-Mail vom 2. November 2022 zur Sitzung am 9. November 2022 eingeladen und in der Einladung die Gegenstände der Verhandlung vermerkt. Dem Stadtverordneten G hat V bewusst keine E-Mail gesandt, weil sie von dessen Urlaub wusste. G hatte den Urlaub nach einem Streit mit seiner Ehefrau allerdings vorzeitig abgebrochen. Da V die Zeit, den Ort und die Tagesordnung der Sitzung wie üblich öffentlich bekannt gemacht hat, hat G noch rechtzeitig von der Sitzung erfahren und ist gut gelaunt erschienen, gemeinsam mit V, 28 weiteren Stadtverordneten und den Mitgliedern des Magistrats.

Für die Sitzung hat sich die Stadtverordnetenversammlung etwas Besonderes einfallen lassen: Da es während der Corona-Pandemie im Zuschauerbereich des Sitzungssaals sehr wenige Plätze gegeben hatte, hat man die Zuschauerplätze für die Sitzung am 9. November 2022 nach Fraktionsstärke aufgeteilt und für Parteimitglieder reserviert, um sich für deren Durchhaltevermögen und Unterstützung in der Pandemie zu bedanken. Die Parteimitglieder haben diese Einladung gerne angenommen und füllen den Zuschauerbereich bis auf den letzten Platz.

Nachdem die Sitzung zunächst ohne besondere Zwischenfälle verlaufen ist, kommt es unter dem letzten Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ nun zu einer lebhaften Diskussion über die Klage des S und die Kriterien für die Vergabe von Ständen auf dem Gießener Weihnachtsmarkt. V ist der Meinung, dass G nicht an der weiteren Beratung teilnehmen dürfe, da er selbst – was zutrifft – eine Gaststätte in Gießen betreibe und daher befangen sei. G ist anderer Meinung: Er habe in der Vergangenheit keinen Stand auf dem Weihnachtsmarkt betrieben und auch zukünftig nicht die Absicht dazu. Trotzdem legt V dem G nachdrücklich nahe, den Sitzungsraum zu verlassen. Dem kommt G unter Protest nach. Der Stadtverordnete A stellt daraufhin den Antrag, die Beschlussunfähigkeit der Stadtverordnetenversammlung festzustellen. V zählt durch und stellt fest, dass die Stadtverordnetenversammlung weiterhin beschlussfähig sei. Nach weiterer Diskussion erhält der Antrag, die Satzung für den Weihnachtsmarkt dahingehend zu ändern, dass einer der fünf Glühweinstandplätze jedes Jahr nach dem Losverfahren zu vergeben ist, 11 Ja-Stimmen, 8 Enthaltungen und 10 Nein-Stimmen. Der Magistrat fertigt die Satzungsänderung aus und macht sie am 10. November 2022 öffentlich bekannt.

G ärgert sich nachhaltig über den Verlauf der Sitzung und beschwert sich am 10. November 2022 beim Regierungspräsidenten des Regierungsbezirks Gießen: Schon mit der fehlenden Einladung habe man versucht, ihn von der Sitzung fernzuhalten; jedenfalls sei G dann hinsichtlich der Satzungsänderung um seine Mitwirkungsrechte gebracht worden. Der Regierungspräsident reagiert schnell und erkundigt sich noch am selben Tag beim Magistrat der Stadt Gießen nach den Umständen der Sitzung. Dabei kündigt er dem Magistrat an, den Beschluss über die Satzungsänderung aufzuheben.

Am Freitag, den 11. November 2022, erreicht den Magistrat der Stadt Gießen per Eilkurier ein Schreiben des Regierungspräsidenten, in dem der Regierungspräsident den am 9. November 2022 gefassten Beschluss über die Änderung der Satzung für den Weihnachtsmarkt „beanstandet“. Das Schreiben verweist auf die Umstände der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung und die sich daraus nach Einschätzung des Regierungspräsidenten ergebenden Rechtsfehler. In der Rechtsbehelfsbelehrung weist der Regierungspräsident unter Angabe der Adresse des Regierungspräsidiums darauf hin, dass gegen diese Entscheidung innerhalb eines Monats Widerspruch beim Regierungspräsidenten erhoben werden könne.

Nach gemeinsamer Beratung von Stadtverordnetenversammlung und Magistrat entschließt sich die Stadt Gießen dazu, gegen die Entscheidung des Regierungspräsidenten Klage zu erheben. Der Magistrat reicht die Klage gegen das Land Hessen beim Verwaltungsgericht Gießen am Mittwoch, den 14. Dezember 2022 ein.

Hat die Klage der Stadt Gießen Aussicht auf Erfolg?

Bearbeitungshinweis:

Es ist davon aus, dass die Stadt Gießen ca. 90.000 Einwohnerinnen und Einwohner hat.

Lösungsvorschlag

Zulässigkeit

Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Mangels aufdrängender Sonderzuweisung richtet sich die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Der Streit um die Beanstandung richtet sich nach Normen des Kommunalrechts, insbesondere § 138 HGO. Diese berechtigen und verpflichten ausschließlich einen Träger öffentlicher Gewalt als solchen und gehören damit nach der Sonderrechtslehre dem öffentlichen Recht an. Es handelt sich daher um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Da nicht Verfassungsorgane um Verfassungsrecht streiten, ist die Streitigkeit auch nichtverfassungsrechtlicher Natur. Eine abdrängende Sonderzuweisung ist nicht ersichtlich. Somit ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

Statthafte Rechtsschutzform

Die statthafte Rechtsschutzform richtet sich nach dem Begehren des Rechtsschutzsuchenden (vgl. §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO). Die Stadt Gießen möchte die Beanstandung „aus der Welt schaffen“. § 142 HGO bestimmt zwar, dass gegen Anordnungen der Aufsichtsbehörde nach Maßgabe der VwGO die Anfechtungsklage statthaft ist. Allerdings ist das gerichtliche Verfahren Teil der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) und der Bund hat davon in der VwGO sehr weitgehend Gebrauch gemacht. Die Länder können nicht ohne weiteres in das in der VwGO geregelte maßnahmenbezogene Rechtsschutzsystem eingreifen. Dementsprechend ist § 142 HGO allenfalls klarstellend zu verstehen:So Gornig, in: Gornig/Horn/Will (Hrsg.), Öffentliches Recht in Hessen, 2. Aufl. 2022, 1. Teil Kommunalrecht § 10 Rn. 619; Lange/Schöndorf-Haubold, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 4 Rn. 153. Die Anfechtungsklage ist „nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung“ statthaft, das heißt, wenn es sich bei der angegriffenen Maßnahme um einen Verwaltungsakt handelt (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO). Mit Blick auf die Beanstandung durch den Regierungspräsidenten sind hier einzig die Merkmale der Regelungswirkung und der unmittelbaren Rechtswirkung nach außen in § 35 S. 1 HVwVfG zweifelhaft.

Regelungswirkung entfaltet eine Maßnahme, wenn sie darauf gerichtet ist, Rechtsfolgen zu setzen.Ruffert, in: Ehlers/Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl. 2022, § 21 Rn. 24. Bei der mit Beanstandung bezeichneten Maßnahme handelt es sich nicht etwa nur um die Missbilligung des Satzungsbeschlusses der Stadt Gießen oder – wie in den Gemeindeordnungen anderer Länder – um das Verlangen, die Stadt solle einen von der Aufsichtsbehörde für rechtswidrig gehaltenen Beschluss aufheben. Vielmehr hebt die als Beanstandung bezeichnete Maßnahme den beanstandeten Beschluss nach § 138 HGO selbst auf.VGH Kassel, KommJur 2015, 410 (Rn. 12); Lange/Schöndorf-Haubold, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 4 Rn. 148. Diese Aufhebung bewirkt, dass der Satzungsbeschluss unwirksam wird. Mit der Aufhebung werden also Rechtsfolgen gesetzt. Die Beanstandung entfaltet demnach Regelungswirkung.

Auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen ist eine Maßnahme gerichtet, wenn sie nicht nur darauf abzielt, im Innenbereich des Staates Wirkungen auszulösen, sondern unmittelbar die Rechtsposition einer natürlichen oder juristischen Person gestaltet oder festgestellt werden soll.Ruffert, in: Ehlers/Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl. 2022, § 21 Rn. 44. Daran könnte man bei der Beanstandung insofern zweifeln, als sie von einem Verwaltungsträger herrührt – dem Land Hessen als Rechtsträger des Regierungspräsidenten (§ 1 RegPräsBezG) – und mit der Stadt Gießen einen anderen Verwaltungsträger adressiert (Art. 137 Abs. 1 HV, § 2 S. 1 HGO). Die Außenwirkung erfordert indessen nicht, dass die Maßnahme gerade ein privates Rechtssubjekt anspricht, sondern nur, dass sie nicht innerhalb derselben Gebietskörperschaft wirkt, das bedeutet Rechte oder Kompetenzen eines anderen Rechtssubjekts betrifft.Vgl. Ruffert, in: Ehlers/Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl. 2022, § 21 Rn. 49. Bei der Stadt Gießen handelt es sich um eine vom Land Hessen rechtlich unabhängige Gebietskörperschaft (§ 1 Abs. 2 HGO). Der aufgehobene Beschluss rührt auch nicht von einem durch das Land Hessen „geliehenen“ Organ her und wäre damit dem Land Hessen zuzurechnen, sondern gründet auf der eigenen gemeindlichen Verwaltungskompetenz (Art. 137 Abs. 1 HV, § 2 S. 1 HGO). Damit entfaltet die Beanstandung dieses Beschlusses unmittelbare Rechtswirkung nach außen.

Nach alledem handelt es sich bei der Beanstandung um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 35 S. 1 HVwVfG.Gornig, in: Gornig/Horn/Will (Hrsg.), Öffentliches Recht in Hessen, 2. Aufl. 2022, 1. Teil Kommunalrecht § 10 Rn. 616; Lange/Schöndorf-Haubold, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 4 Rn. 153. Statthaft ist die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO.

Klagebefugnis

Da gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, muss die Stadt Gießen nach § 42 Abs. 2 VwGO geltend machen, durch die Beanstandung in ihren Rechten verletzt zu sein. Eine solche Rechtsverletzung muss zumindest möglich, das heißt nicht offenkundig ausgeschlossen sein. Die Verwaltungsakte betreffen die Stadt Gießen in ihrem Recht der Selbstverwaltung aus Art. 137 Abs. 1, Abs. 3 HV. Es ist nicht von vornherein offenkundig ausgeschlossen und damit möglich, dass die Beanstandung rechtswidrig ist und die Stadt Gießen daher in diesem Recht verletzt. Somit ist die Stadt Gießen klagebefugt.

Ordnungsgemäß und erfolglos durchgeführtes Vorverfahren

Die Stadt Gießen hat vor Erhebung der Klage kein Vorverfahren angestrengt. Da der Regierungspräsident den Verwaltungsakt erlassen hat, war das Vorverfahren hier aber nach § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO i.V.m. § 16a Abs. 2 S. 1 HessAGVwGO nicht erforderlich.

Klagefrist

§ 74 Abs. 1 S. 2 VwGO bestimmt, dass die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben ist, wenn nach § 68 VwGO ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich ist. Hier war ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich. Der Verwaltungsakt wurde der G am Freitag, den 11. November 2022 bekannt gegeben. Eine einmonatige Klagefrist wäre damit am Montag, den 12. Dezember 2022 abgelaufen (§§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB). Damit wäre die am 14. Dezember 2022 erhobene Klage verfristet.

Allerdings beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist (§ 58 Abs. 1 VwGO). Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung eines Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig (§ 58 Abs. 2 S. 1 VwGO). Der Regierungspräsident hat in dem Schreiben vom 11. November 2022 unrichtig darüber belehrt, dass gegen seine Entscheidung der Widerspruch statthaft sei. Damit hat die einmonatige Klagefrist nach § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO nicht begonnen, zu laufen. Die Stadt Gießen hat die Klagen innerhalb der nach § 58 Abs. 2 VwGO geltenden Jahresfrist erhoben.

Die Anfechtungsklage ist daher nicht verfristet.

Richtiger Klagegegner

Nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist das Land Hessen als Rechtsträger des Regierungspräsidenten (§ 1 RegPräsBezG), der die angefochtene Beanstandung erlassen hat, der richtige Klagegegner.

Beteiligungsfähigkeit und Prozessfähigkeit

Die Stadt Gießen (§ 1 Abs. 2 HGO) und das Land Hessen sind als juristische Personen nach § 61 Nr. 1 Var. 2 VwGO beteiligungsfähig. Beide lassen sich im Prozess nach § 62 Abs. 3 VwGO vertreten, die Stadt Gießen durch den Magistrat (§ 71 Abs. 1 S. 1 HGO), das Land Hessen durch den Ministerpräsidenten, der die Vertretungsbefugnis auf nachgeordnete Stellen übertragen kann (Art. 103 Abs. 1 HV).

Zuständigkeit des Gerichts

Das Verwaltungsgericht Gießen ist gemäß §§ 45, 52 Nr. 3 S. 2 VwGO i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 3 HessAGVwGO zuständig.

Zwischenergebnis

Die Klage der Stadt Gießen ist zulässig.

Begründetheit

Die Anfechtungsklage ist begründet, soweit die Beanstandung rechtswidrig und die Stadt Gießen dadurch in ihren Rechten verletzt ist (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Ermächtigungsgrundlage für die Beanstandung

Nach dem aus dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 2 GG) abzuleitenden Vorbehalt des Gesetzes sind wesentliche Entscheidungen vom Gesetzgeber zu treffen. Entscheidungen der Verwaltung bedürfen insoweit einer gesetzlichen Grundlage auch dann, wenn sie nicht in Grundrechte von Grundrechtsträgern eingreifen. Inhalt und Grenzen des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden zu bestimmen, ist eine wesentliche Entscheidung. Der Landesgesetzgeber hat mit § 138 HGO aber eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage dafür geschaffen, dass die Aufsichtsbehörde Beschlüsse der Gemeindevertretung unter bestimmten Voraussetzungen aufheben kann.

Formelle Rechtswidrigkeit der Beanstandung

Zuständigkeit

Zuständig für die Aufhebung eines Beschlusses der Gemeindevertretung in Form der Beanstandung ist nach § 138 HGO die Aufsichtsbehörde. Wer die Aufsichtsbehörde ist, bestimmt § 136 HGO. Für Sonderstatus-Städte ist das nach § 136 Abs. 2 S. 1 HGO der Regierungspräsident. Gießen ist eine Sonderstatus-Stadt (§ 4a Abs. 2 S. 2 HGO). Die Stadt Gießen liegt im Landkreis Gießen und dieser gehört zum Regierungsbezirk Gießen (§ 2 Abs. 3 S. 1 RegPräsBezG). Damit ist der Regierungspräsident des Regierungsbezirks Gießen sachlich und örtlich für die Aufhebung des Beschlusses der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Gießen zuständig.

Verfahren

§ 138 HGO stellt keine besonderen Verfahrensanforderungen. Da es sich aber bei der Aufhebung des Beschlusses der Stadtverordnetenversammlung um einen Verwaltungsakt handelt, der in Rechte der Stadt Gießen eingreift, war der Stadt Gießen vor dem Erlass Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (§ 28 Abs. 1 HVwVfG). Vor der Aufhebung des Beschlusses hat der Regierungspräsident dem Magistrat der Stadt Gießen als vertretungsberechtigtem Organ (§ 71 Abs. 1 S. 1 HGO) Gelegenheit gegeben, sich zu den Umständen der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung zu äußern. Damit wurde die Stadt Gießen im Einklang mit § 28 Abs. 1 HVwVfG angehört.

Form

Der schriftliche Verwaltungsakt wurde im Einklang mit § 39 Abs. 1 S. 1 HVwVfG ordnungsgemäß begründet.

Zwischenergebnis

Die Beanstandung ist nicht formell rechtswidrig.

Materielle Rechtswidrigkeit der Beanstandung

Nach § 138 HGO kann die Aufsichtsbehörde unter anderem Beschlüsse und Anordnungen der Gemeindevertretung, ihrer Ausschüsse, des Gemeindevorstands und des Ortsbeirats, die das Recht verletzen, innerhalb von sechs Monaten nach der Beschlussfassung aufheben.

Beschluss der Gemeindevertretung

Gegenstand der Beanstandung muss damit ein Beschluss der Gemeindevertretung sein. Bei der Stadtverordnetenversammlung handelt es sich in Städten um die Gemeindevertretung (§ 9 Abs. 1 S. 3 HGO). Beschlüsse sind die rechtserheblichen Äußerungen der Willensentschließung eines solchen Kollegialorgans.Gornig, in: Gornig/Horn/Will (Hrsg.), Öffentliches Recht in Hessen, 2. Aufl. 2022, 1. Teil Kommunalrecht § 10 Rn. 611. Die Aufhebung muss sich auf den Beschluss als solchen beschränken – aufheben kann die Aufsichtsbehörde daher nicht die Satzung bzw. Satzungsänderung als Akte des Außenrechts, sondern nur den zur Satzung bzw. Satzungsänderung führenden internen Beschluss.VGH Kassel, KommJur 2015, 410 (Rn. 12); Ogorek, in: BeckOK Kommunalrecht Hessen, 21. Edition, 1.11.2022, § 138 HGO Rn. 14. Da der Regierungspräsident hier den zur Satzungsänderung führenden Beschluss der Stadtverordnetenversammlung aufgehoben hat, bezieht sich die Beanstandung auf einen tauglichen Gegenstand.

Verletzung des Rechts

Zu prüfen ist, ob der Beschluss der Satzungsänderung durch die Stadtverordnetenversammlung im Sinne von § 138 HGO das Recht verletzt, also rechtswidrig ist. Zu prüfen sind formelle und materielle Rechtsfehler.

Vertiefungshinweis: Umfang der Staatsaufsicht

§ 138 HGO macht mit dem Erfordernis, dass der Beschluss oder die Anordnung das Recht verletzt, deutlich, dass sich die Aufsicht nach dieser Vorschrift auf eine reine Rechtsaufsicht beschränkt. Ähnlich formuliert ist § 139 HGO. Grundlage dafür ist Art. 137 Abs. 3 S. 2 HV, wonach sich die Aufsicht des Staates darauf beschränkt, dass ihre Verwaltung „im Einklang mit den Gesetzen“ geführt wird. Aufsicht ist also Rechtsaufsicht – in die Zweckmäßigkeit der Entscheidung hat sich der Staat (das heißt das Land Hessen) grundsätzlich nicht einzumischen. Das ist Wesen der von Art. 137 Abs. 3 S. 1 HV gewährleisteten Eigenverantwortlichkeit der Kommunen bei der Aufgabenerledigung.

Darüber hinausgehend bestimmt Art. 137 Abs. 4 HV, dass den Kommunen oder ihren Vorständen durch Gesetz oder Verordnung staatliche Aufgaben zur Erfüllung nach Anweisungen übertragen werden können. Mit Blick auf Gemeinden ist damit gemeint, dass bestimmte, ihnen ohnehin als Aufgabe der örtlichen öffentlichen Verwaltung zustehende Aufgaben (Art. 137 Abs. 1 HV) gesetzlich zu Pflichtaufgaben gemacht werden (Eingriff in die Eigenverantwortlichkeit) und das Gesetz zusätzlich in bestimmtem Umfang Weisungsrechte vorsieht, damit der Staat die Art und Weise der Aufgabenerledigung beeinflussen kann (weiterer Eingriff in die Eigenverantwortlichkeit):Lange/Schöndorf-Haubold, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 4 Rn. 110 f. Weisungen beziehen sich (auch) auf die Zweckmäßigkeit der Aufgabenerledigung. Konkretisiert und begrenzt wird diese Möglichkeit in § 4 Abs. 1 HGO.

Das Gesetz ordnet die Weisungsbefugnis nicht als Staatsaufsicht ein.Vgl. Gornig, in: Gornig/Horn/Will (Hrsg.), Öffentliches Recht in Hessen, 2. Aufl. 2022, 1. Teil Kommunalrecht § 10 Rn. 672. § 135 S. 1 HGO bestimmt zwar, dass die Aufsicht des Staates auch sicherstellen soll, dass die im Rahmen der Gesetze erteilten Weisungen befolgt werden. Damit meint die Vorschrift aber nicht, dass die Weisungserteilung selbst Teil der Staatsaufsicht wäre.Anders und damit zumindest ungenau Burgi, Kommunalrecht, 6. Aufl. 2019, § 8 Rn. 24. Gemeint ist vielmehr, dass die Aufsichtsbehörde mit den Mitteln der auf die Rechtsaufsicht beschränkten Staatsaufsicht in den §§ 136 ff. HGO die Befolgung von Weisungen durchsetzen kann, da sich die Gemeinde rechtswidrig verhält, wenn sie eine Weisung nicht befolgt.Gornig, in: Gornig/Horn/Will (Hrsg.), Öffentliches Recht in Hessen, 2. Aufl. 2022, 1. Teil Kommunalrecht § 10 Rn. 677; insofern zutreffend Burgi, Kommunalrecht, 6. Aufl. 2019, § 8 Rn. 38. Die Weisungsbefugnis sollte daher begrifflich unterschieden werden vom Begriff der „Fachaufsicht“.Anders Gornig, in: Gornig/Horn/Will (Hrsg.), Öffentliches Recht in Hessen, 2. Aufl. 2022, 1. Teil Kommunalrecht § 10 Rn. 672; Lange/Schöndorf-Haubold, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 4 Rn. 154. Die Fachaufsicht ermöglicht zwar ebenfalls Eingriffe in die Art und Weise der Aufgabenerledigung. Sie bedarf aber nicht – wie die Weisungsbefugnis nach Art. 137 Abs. 4 HV und § 4 Abs. 1 HGO – einer gesetzlichen Normierung im jeweiligen, die Pflichtaufgabe regelnden Gesetz. Stattdessen geht sie damit einher, dass der Staat (das Land) ihm obliegende Aufgaben auf die Gemeinde überträgt.Burgi, Kommunalrecht, 6. Aufl. 2019, § 8 Rn. 21. Eine solche Konstellation ist aber im sog. monistischen Aufgabenmodell, in dem Art. 137 Abs. 1 HV (anders als Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG) nicht nur Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, sondern grundsätzlich alle Angelegenheiten der öffentlichen Verwaltung von vornherein regelhaft bei den Gemeinden ansiedelt, grundsätzlich nicht vorgesehen.Zur Unterscheidung von monistischem und dualistischem Aufgabenmodell Lange/Schöndorf-Haubold, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 4 Rn. 109. Noch ausführlicher Burgi, Kommunalrecht, 6. Aufl. 2019, § 8 Rn. 12 ff. Daher gibt es in Hessen grundsätzlich keine Fachaufsicht über die Gemeinden. Einzelne Durchbrechungen dieses SystemsLange/Schöndorf-Haubold, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 4 Rn. 112. finden sich in § 4 Abs. 2–4 HGO.

Formelle Rechtsfehler des Beschlusses

Formelle Rechtsfehler des Beschlusses kommen unter dem Gesichtspunkt der Zuständigkeit und des Verfahrens in Betracht.

Zuständigkeit für die Beschlussfassung

Die Verbandszuständigkeit der Stadt Gießen, das heißt ihre Kompetenz im Verhältnis zu anderen Trägern öffentlicher Gewalt, bestimmt sich nach Art. 137 Abs. 1 HV und § 2 S. 1 HGO. Demnach ist die Gemeinde ausschließliche Trägerin der öffentlichen Verwaltung, soweit die Gesetze nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmen. Da die Entscheidung über die Vergabekriterien mit Blick auf den gemeindeeigenen Weihnachtsmarkt nicht gesetzlich einem anderen Rechtsträger zugewiesen ist, fehlt es der Stadt Gießen nicht an der Verbandszuständigkeit. Die Stadtverordnetenversammlung hat darüber hinaus für die Änderung von Satzungen nach § 51 Nr. 6 HGO die ausschließliche Organzuständigkeit im Verhältnis zu den anderen Organen der Gemeinde inne.

Verfahren der Beschlussfassung

(1) Einberufung zur Sitzung

Möglicherweise hat die Stadtverordnetenvorsteherin V die Stadtverordnetenversammlung nicht ordnungsgemäß zur Sitzung einberufen. Jedenfalls im Einklang mit § 58 Abs. 1 S. 1 HGO hat die V die Einladung per E-Mail, das heißt elektronisch versandt und darin die Gegenstände der Verhandlung vermerkt. Sie hat mit der E-Mail vom 2. November 2022 auch die dreitägige Ladungsfrist (§ 58 Abs. 1 S. 2 HGO) vor der Sitzung am 9. November 2022 eingehalten.

Möglicherweise hat V aber dadurch gegen § 58 Abs. 1 S. 1 HGO verstoßen, dass sie nicht auch G geladen hat. Nach dieser Bestimmung beruft die Vorsitzende „die Gemeindevertreter“ zu den Sitzungen der Gemeindevertretung ein. Der Wortlaut lässt keine Beschränkung des Adressatenkreises der Ladung erkennen. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen für eine Pflicht der Vorsitzenden, auch solche Gemeindevertreter einzuberufen, deren Anwesenheit wegen Krankheit oder Urlaubs nicht zu erwarten ist:So auch Engels, in: BeckOK Kommunalrecht Hessen, 21. Edition, 1.11.2022, § 58 HGO Rn. 4. Es muss der Entscheidung des jeweiligen Mitglieds der Gemeindevertretung überlassen bleiben, auch im Krankheitsfall an der Sitzung teilzunehmen oder einen Urlaub zu unterbrechen oder abzubrechen, wenn es angesichts der in der Ladung vermerkten Gegenstände der anstehenden Verhandlung von seinen Mitwirkungsrechten (§ 35 Abs. 1 HGO) Gebrauch machen will. Von der Einladung eines Mitglieds der Gemeindevertretung abzusehen, kommt daher allenfalls in Betracht, wenn das Mitglied aus rechtlichen Gründen ohnehin nicht an der Sitzung teilnehmen darf, etwa weil es nach § 60 Abs. 1 S. 3 oder Abs. 2 S. 1 HGO von der Sitzung ausgeschlossen ist. Demnach hat die V dadurch, dass sie den mutmaßlich im Urlaub befindlichen G nicht geladen hat, gegen ihre Pflicht zur ordnungsgemäßen Einberufung aus § 58 Abs. 1 S. 1 HGO verstoßen.

Möglicherweise wurde dieser Rechtsfehler aber dadurch geheilt, dass G zur Sitzung erschienen ist und nicht die Vertagung der Sitzung beantragt hat. Eine solche, der rügelosen Verhandlung nach § 39 S. 1 und § 295 Abs. 1 ZPO vergleichbare Heilungsmöglichkeit ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus der HGO. Allerdings bestimmt § 58 Abs. 1 HGO auch nicht ausdrücklich, wie sich ein Rechtsfehler auf die Wirksamkeit getroffener Beschlüsse auswirkt. Die Rechtsfolge eines Rechtsfehlers ist daher aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift abzuleiten. § 58 Abs. 1 HGO soll den Mitgliedern der Gemeindevertretung ermöglichen, sich terminlich auf eine Sitzung der Gemeindevertretung einzustellen und sich mit genügend Vorlaufzeit inhaltlich darauf vorzubereiten. Erfährt ein fehlerhaft nicht geladenes Mitglied auf andere Weise von der Sitzung und erscheint dazu, ist zumindest der Zweck gewahrt, die Sitzung terminlich wahrnehmen zu können. Im Übrigen muss das fehlerhaft nicht geladene Mitglied die Möglichkeit haben, eine Vertagung der Sitzung zu beantragen und zu erwirken, um sich wie alle anderen Mitglieder auch hinreichend auf die Sitzung vorbereiten zu können. Verzichtet das Mitglied aber auf einen solchen Antrag, weil es auf andere Weise früh genug von der Sitzung erfahren hat oder freiwillig auf seine Vorbereitungszeit verzichtet, erfordert der Zweck des § 58 Abs. 1 HGO nicht die Unwirksamkeit der in der Sitzung getroffenen Beschlüsse.Vgl. Engels, in: BeckOK Kommunalrecht Hessen, 21. Edition, 1.11.2022, § 58 HGO Rn. 4. Hier hat G auf andere Weise, nämlich durch die öffentliche Bekanntmachung von Zeit, Ort und Tagesordnung der Sitzung im Sinne von § 58 Abs. 6 HGO von der Sitzung erfahren, ist zur Sitzung erschienen und hat keine Vertagung beantragt. Dadurch wurde der Rechtsfehler seiner fehlenden Ladung geheilt.

Im Ergebnis hat die Stadtverordnetenvorsteherin V die Stadtverordnetenversammlung damit ordnungsgemäß einberufen.

(2) Öffentlichkeit der Sitzung

Möglicherweise hat die Gemeindevertretung die Vorschriften über die Öffentlichkeit der Sitzungen verletzt. Gemäß § 52 Abs. 1 S. 1 HGO fasst die Gemeindevertretung ihre Beschlüsse in öffentlichen Sitzungen. Die Anforderungen an die Öffentlichkeit der Sitzungen lassen sich durch teleologische Auslegung des § 52 Abs. 1 S. 1 HGO bestimmen, wenn man einem Blick auf die Bedeutung des Öffentlichkeitsgrundsatzes wirft: § 52 Abs. 1 S. 1 HGO konkretisiert Anforderungen des verfassungsrechtlichen Demokratieprinzips, das auch für das kommunale Organisationsrecht gilt (Art. 28 Abs. 1 GG). Die Öffentlichkeit des Staatshandelns soll Interesse, Verständnis, Vertrauen und Kontrollmöglichkeiten der Bürger fördern und gewährleisten. Auf diese Weise bleibt die Volksvertretung gegenüber dem Wahlvolk politisch verantwortlich und behält das Wahlvolk seinerseits effektiven Einfluss auf die Ausübung der Staatsgewalt (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG).Zu alledem BVerwG, NVwZ 2022, 1067 (Rn. 17).

Davon ausgehend setzt die Öffentlichkeit der Sitzungen voraus, dass die Gemeindevertretung grundsätzlich jedermann ohne Ansehen der Person jederzeit freien Zugang zum Verhandlungsraum gewährt (sog. Saalöffentlichkeit).Gornig, in: Gornig/Horn/Will (Hrsg.), Öffentliches Recht in Hessen, 2. Aufl. 2022, 1. Teil Kommunalrecht § 4 Rn. 252. Zur entsprechenden Vorschrift in Nordrhein-Westfalen OVG Münster, BeckRS 2020, 27709 (Rn. 46). Die Öffentlichkeit ist damit jedenfalls dann nicht mehr gewährleistet, wenn die Gemeindevertretung die Öffentlichkeit mittels Beschlusses ausschließt (§ 52 Abs. 1 S. 2 und S. 3 HGO) oder die Öffentlichkeit der Sitzung aus anderen Gründen nicht beiwohnen kann, etwa weil Zeit, Ort und Tagesordnung der Sitzung nicht im Einklang mit § 58 Abs. 6 HGO öffentlich bekannt gemacht worden sind oder die Türen zum Gebäude oder zum Sitzungssaal verschlossen sind.Engels, in: BeckOK Kommunalrecht Hessen, 21. Edition, 1.11.2022, § 52 HGO Rn. 4. Neben diesen Extrembeispielen ist eine Sitzung aber auch dann nicht öffentlich, wenn die Öffentlichkeit – konkret verstanden als hinreichende Vielzahl zufällig zusammengesetzter Repräsentantinnen und Repräsentanten des Volks – nicht ausreichend Platz findet. Das bedeutet nicht, dass die Gemeindevertretung allen Interessierten Zugang gewähren oder gar erschöpfte Kapazitäten erweitern müsste.Engels, in: BeckOK Kommunalrecht Hessen, 21. Edition, 1.11.2022, § 52 HGO Rn. 4. Zur entsprechenden Vorschrift in Nordrhein-Westfalen OVG Münster, BeckRS 2020, 27709 (Rn. 48). Der Raum muss aber groß genug sein, um überhaupt eine hinreichende Breite an Öffentlichkeit aufzunehmen, und darf auch nicht – in Abkehr von der üblichen Platzbereitstellung oder Raumverteilung – gezielt zur Verringerung der Zuhörerplätze gegen einen kleineren Raum eingetauscht werden.Zur entsprechenden Vorschrift in Nordrhein-Westfalen OVG Münster, BeckRS 2020, 27709 (Rn. 49 f.).

Im Fall der Kapazitätserschöpfung setzt der Grundsatz der Öffentlichkeit voraus, dass jedermann ohne Ansehen der Person zumindest chancengleiche Zugangsmöglichkeiten hat, dass also die Gemeindevertretung die Zusammensetzung des Publikums grundsätzlich nicht beeinflusst. Dieser Grundsatz gilt zwar nicht grenzenlos. Da die Gemeindevertretung die Öffentlichkeit für einzelne Angelegenheiten mit sachlichem Grund ausnahmsweise ausschließen darf (§ 52 Abs. 1 S. 2 und S. 3 HGO),Dazu VGH Kassel, NVwZ-RR 2019, 875; Gornig, in: Gornig/Horn/Will (Hrsg.), Öffentliches Recht in Hessen, 2. Aufl. 2022, 1. Teil Kommunalrecht § 4 Rn. 254; Lange/Schöndorf-Haubold, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 4 Rn. 59. kann sie bei sachlicher Rechtfertigung auch einen Teil der knappen Zuhörerplätze bevorzugt vergeben. Erforderlich ist aber auch dann, dass eine bedeutsame Anzahl an allgemein zugänglichen Plätzen verbleibt und die Zuhörerschaft damit insgesamt nicht das Gepräge eines von den politischen Akteuren gezielt zusammengestellten Publikums hat.BVerwG, NVwZ 2022, 1067 (Rn. 17, 21). Nur dann kann der Grundsatz der Öffentlichkeit seine oben dargestellte demokratische Funktion noch ausreichend erfüllen.BVerwG, NVwZ 2022, 1067 (Rn. 24).

Vertiefungshinweis: Sachliche Rechtfertigung für bevorzugte Vergabe

Eine sachliche Rechtfertigung für eine bevorzugte Vergabe eines Teils der Plätze zugunsten der Presse liegt in deren in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG verankerten demokratischen Kontroll- und Mittlerfunktion.Zur entsprechenden Vorschrift in Nordrhein-Westfalen OVG Münster, BeckRS 2020, 27709 (Rn. 52). Außerdem ist es möglich, einen Teil der Plätze Personen oder Gruppen vorzubehalten, die an einem Verhandlungsgegenstand ein besonderes dienstliches oder berufliches Interesse haben oder die Verhandlungsgegenstand in besonderer Weise betrifft,Zur entsprechenden Vorschrift in Nordrhein-Westfalen OVG Münster, BeckRS 2020, 27709 (Rn. 53). etwa die Bewohner eines Gebiets, für das ein Bebauungsplan beschlossen werden soll.

Die Stadtverordnetenversammlung hat alle Zuschauerplätze für die Sitzung am 9. November 2022 nach Fraktionsstärke aufgeteilt und für Parteimitglieder reserviert, um sich für deren Durchhaltevermögen und Unterstützung in der Pandemie zu bedanken. So nachvollziehbar der Wunsch ist, nahestehenden Funktionsträgerinnen und Funktionsträger Anerkennung auszudrücken, so wenig ist dieser Gesichtspunkt doch mit Blick auf die verschiedenen Inhalte der Sitzung sachlich. Hinzu kommt, dass kein einziger Platz allgemein zugänglich war und die Stadtverordnetenversammlung das Publikum damit vollständig gezielt zusammengestellt hat.

Die Stadtverordnetenversammlung hat damit die Vorschriften über die Öffentlichkeit verletzt.

(3) Unterbliebene Mitwirkung des G

Möglicherweise ist der Beschluss unter Verletzung des Mitwirkungsrechts des G zustande gekommen, das aus dessen freiem Mandat aus § 35 Abs. 1 HGO folgt. Das kommt hier mit Blick darauf in Betracht, dass G wegen eines angenommenen Widerstreits der Interessen nicht an der weiteren Beratung und Entscheidung über die Satzungsänderung mitgewirkt hat. Während die Mitwirkung eines eigentlich ausgeschlossenen Mitglieds der Gemeindevertretung gegen das Mitwirkungsverbot in § 25 Abs. 1 HGO verstößt, verletzt die umgekehrte Situation – der Ausschluss eines Mitglieds, das keinem Mitwirkungsverbot nach § 25 Abs. 1 HGO unterliegt – das Mitwirkungsrecht des Mitglieds der Gemeindevertretung aus § 35 Abs. 1 HGO.

Eine Verletzung ist jedenfalls dann nicht anzunehmen, wenn G dem Mitwirkungsverbot aus § 25 Abs. 1 HGO unterlag. Nach § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HGO darf niemand in haupt- oder ehrenamtlicher Tätigkeit in einer Angelegenheit beratend oder entscheidend mitwirken, wenn er durch die Entscheidung in der Angelegenheit einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil erlangen kann. G ist als Stadtverordneter Gemeindevertreter (§ 49 S. 2 HGO) und damit nach § 35 Abs. 2 S. 1 HGO ehrenamtlich Tätiger im Sinne des § 25 HGO. Vorteile im Sinne des § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HGO können insbesondere rechtlicher oder wirtschaftlicher Art sein.Lange/Schöndorf-Haubold, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 4 Rn. 72. G betreibt ein Gaststättengewerbe und kommt damit prinzipiell dafür in Betracht, einen Glühweinstand auf dem Weihnachtsmarkt zu betreiben. Auf Grundlage der geänderten Satzung größere Zulassungschancen zu haben, kann – im Fall der Zulassung – zu einem wirtschaftlichen Vorteil im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HGO führen.

Allerdings muss dieser Vorteil auch unmittelbar auf der Entscheidung in der Angelegenheit beruhen. Der Begriff der Unmittelbarkeit ist vage. Denkbar wäre, Begriff der „Unmittelbarkeit“ mit Blick auf den Wortlaut formal zu verstehen und zu fordern, dass kein weiteres Ereignis hinzutreten muss, um den Vorteil herbeizuführen. Hier müsste G erst einmal die Absicht haben, überhaupt einen Stand auf dem Weihnachtsmarkt zu betreiben, und dann auch noch durch den Magistrat auf Grundlage der neuen, nicht konkret auf G zugeschnittenen Vergabekriterien zugelassen werden. Es müssen also weitere Ereignisse hinzutreten, damit sich ein wirtschaftlicher Vorteil verwirklicht. Formal gesehen beruht der Vorteil also nicht unmittelbar auf der Entscheidung in der Angelegenheit. Der Zweck von § 25 Abs. 1 HGO liegt darin, sicherzustellen, dass die öffentliche Verwaltung auf kommunaler Ebene unparteiisch und uneigennützig handelt. Das rechtfertigt ein anderes, teleologisch begründetes Verständnis der Unmittelbarkeit, nämlich dahingehend, dass der Gemeindevertreter auf Grund besonderer persönlicher Beziehungen zu dem Gegenstand der Beschlussfassung ein individuelles Sonderinteresse an der Entscheidung hat, das zu einer Interessenkollision führen kann und die Besorgnis einer beeinflussten Stimmabgabe rechtfertigt.So VGH Kassel, NVwZ-RR 2014, 563 (564). Dieses Begriffsverständnis wird weiter gestützt durch einen systematischen Blick auf § 25 Abs. 1 S. 2 HGO, wonach § 25 Abs. 1 S. 1 HGO nicht gilt, wenn jemand an der Entscheidung lediglich als Angehöriger einer Berufs- oder Bevölkerungsgruppe beteiligt ist, deren gemeinsame Interessen durch die Angelegenheit berührt werden.Dazu näher VGH Kassel, NVwZ-RR 2014, 563 (565); Lange/Schöndorf-Haubold, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 4 Rn. 74. Da G gegenwärtig nicht konkret beabsichtigt, einen Stand auf dem Weihnachtsmarkt zu betreiben, ist ein individuelles Sonderinteresse – das über das allgemeine Interesse aller Gaststättengewerbetreibenden hinausgeht, potenziell irgendwann chancengleichen Zugang zu einem Glühweinstand auf dem Weihnachtsmarkt zu erhalten – nicht erkennbar. Damit beruht der Vorteil auch bei dem teleologischen Begriffsverständnis nicht unmittelbar auf der Entscheidung in der Angelegenheit. G unterlag nach alledem keinem Mitwirkungsverbot nach § 25 Abs. 1 HGO.

Das Mitwirkungsrecht des G wurde aber auch dann nicht verletzt, wenn die unterbliebene Mitwirkung des G der Stadtverordnetenversammlung bzw. der V nicht zurechenbar ist. Nach § 25 Abs. 3 HGO entscheidet das betreffende Organ darüber, ob ein Widerstreit der Interessen vorliegt, hier also namentlich die Stadtverordnetenversammlung. Zwar ist ein Beschluss nach § 25 Abs. 6 S. 1 HGO auch dann unwirksam, wenn das Mitwirkungsverbot verletzt worden ist, die Gemeindevertretung darüber aber – etwa, weil sie keine Kenntnis vom Widerstreit der Interessen hatte – nicht entschieden hat. Im umgekehrten, hier vorliegenden Fall, in dem das Mitwirkungsverbot nicht verletzt ist, dafür aber das betreffende Mitglied der Gemeindevertretung nicht mitgewirkt hat, lässt sich die unterbliebene Mitwirkung der Gemeindevertretung nur zurechnen, wenn sie den Gemeindevertreter rechtswidrig ausschließt und sich der Gemeindevertreter somit aufgrund rechtlicher Verpflichtung und nicht aus freien Stücken entfernt. Andernfalls hätte es der Gemeindevertreter in der Hand, dem Beschluss der Gemeindevertretung über den Widerstreit der Interessen zuvorzukommen und auf diese Weise die Rechtswidrigkeit des ohne ihn gefassten Beschlusses zu erwirken.Dazu ausführlich VG Kassel, BeckRS 2022, 8131 (Rn. 28 ff.). Einen Beschluss, den G wegen Widerstreits der Interessen auszuschließen, hat die Stadtverordnetenversammlung nicht getroffen. Auch die V hat den G nicht (kompetenzwidrig) von der weiteren Beratung und Entscheidung ausgeschlossen, sondern ihm nur nachdrücklich nahegelegt, den Sitzungsraum zu verlassen. Dass G dem – wenn auch unter Protest – nachgekommen ist, beruht nicht auf einer (rechtswidrig begründeten) rechtlichen Verpflichtung, sondern letztlich auf seiner eigenen Entscheidung, einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung nicht abzuwarten.

Der Beschluss ist damit nicht unter Verletzung des Mitwirkungsrechts des G aus § 35 Abs. 1 HGO zustande gekommen.

(4) Beschlussfähigkeit

Möglicherweise verletzt der Beschluss die Vorschriften über die Beschlussfähigkeit in § 53 HGO. Nach § 53 Abs. 1 S. 1 HGO ist die Gemeindevertretung beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte der gesetzlichen Zahl der Gemeindevertreter anwesend ist. Die gesetzliche Zahl der Gemeindevertreter ergibt sich aus § 38 Abs. 1 HGO. Bein einer anzunehmenden Zahl von Einwohnerinnen und Einwohnern in Höhe von ca. 90.000 beträgt die Zahl der Gemeindevertreter 59. Zu Beginn der Sitzung waren neben G und V – die als Stadtverordnetenvorsteherin ihrerseits Stadtverordnete ist (§ 57 Abs. 1 S. 1 HGO) – 28 weitere Stadtverordnete anwesend. Der Magistrat nimmt zwar nach § 59 S. 1 HGO an den Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung teil. Seine Mitglieder sind aber nicht zugleich Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung. Damit waren zu Beginn der Sitzung 30 Stadtverordnete anwesend, was mehr als der Hälfte (29,5) der gesetzlichen Zahl der Stadtverordneten entspricht. In dem Moment, in dem G die Sitzung verlassen hat, waren indessen nur noch 29 Stadtverordnete und damit weniger als die Hälfte der gesetzlichen Zahl der Stadtverordneten anwesend. Damit war die Stadtverordnetenversammlung ab diesem Zeitpunkt – und somit auch für den Beschluss über die Änderung der Satzung für den Weihnachtsmarkt – nicht mehr im Sinne von § 53 Abs. 1 S. 1 HGO beschlussfähig.

Vertiefungshinweis zum Begriff der Anwesenheit

Der Begriff der Anwesenheit setzt die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit der Anwesenden voraus, sich an einer Wahl oder einer Abstimmung zu beteiligen. Rechtlich dazu nicht in der Lage und damit nicht mitzuzählen sind solche Gemeindevertreter, die sich zwar im Sitzungsraum aufhalten, die aber an der Entscheidung nicht mitwirken dürfen (etwa nach § 25 Abs. 1 HGO).Engels, in: BeckOK Kommunalrecht Hessen, 21. Edition, 1.11.2022, § 53 HGO Rn. 2. Betreffen rechtliche Hinderungsgründe allerdings mehr als die Hälfte der gesetzlichen Zahl der Gemeindevertreter, ist die Gemeindevertretung ohne Rücksicht auf die Zahl der anwesenden Zahl der Gemeindevertreter beschlussfähig (§ 53 Abs. 3 HGO). Tatsächlich zur Beteiligung nicht in der Lage sind solche Gemeindevertreter, die sich außerhalb des eigentlichen Sitzungsbereiches (etwa im Zuhörerraum) aufhalten oder körperlich (etwa wegen starker Betrunkenheit oder Schlafs) nicht beteiligen können.

Allerdings gilt die Beschlussfähigkeit nach § 53 Abs. 1 S. 2 a.E. HGO so lange als vorhanden, bis das Gegenteil auf Antrag festgestellt wird. Aus der systematischen Beziehung zum ersten Halbsatz ergibt sich, dass dafür der Vorsitzenden der Gemeindevertretung die Beschlussfähigkeit bei Beginn der Sitzung festgestellt haben muss.Engels, in: BeckOK Kommunalrecht Hessen, 21. Edition, 1.11.2022, § 53 HGO Rn. 4. Da die Sitzung nach dem Sachverhalt zunächst ohne besondere Zwischenfälle verlaufen ist, lässt sich davon ausgehen, dass V zu Beginn der Sitzung die Beschlussfähigkeit festgestellt hat. Nachdem G den Sitzungsraum verlassen hatte, hat der Stadtverordnete A sodann den Antrag gestellt, die Beschlussunfähigkeit der Stadtverordnetenversammlung festzustellen. V hat darauf allerdings, nachdem sie die Stadtverordneten gezählt hatte, (rechtsirrig) eine weiter vorhandene Beschlussfähigkeit angenommen und festgestellt. Es fehlt also an einer Feststellung des Gegenteils, wie es § 53 Abs. 1 S. 2 a.E. HGO jedenfalls nach dem Wortlaut erfordert.

Damit stellt sich die Frage, ob § 53 Abs. 1 S. 2 a.E. HGO in der Weise teleologisch zu reduzieren ist, dass die Beschlussfähigkeit dann nicht mehr als vorhanden gilt, wenn die Beschlussunfähigkeit trotz Antrags rechtswidrig nicht festgestellt wird. Eine teleologische Reduktion setzt voraus, dass der Wortlaut Fälle erfasst, deren Einbeziehung nicht Sinn und Zweck der Regelung entspricht und die sich wertungsmäßig von anderen, bewusst erfassten Fällen unterscheiden. § 53 Abs. 1 S. 2 a.E. HGO soll Rechtssicherheit dadurch gewährleisten, dass ein Kommen und Gehen der Gemeindevertreter während der Sitzung nach einer erstmaligen Feststellung der Beschlussfähigkeit die Wirksamkeit eines Beschlusses nur dann berühren kann, wenn die Beschlussfähigkeit ausdrücklich angezweifelt worden ist und nicht nur nachträglich anhand des Protokolls infrage gestellt wird.VGH Kassel, NVwZ 1988, 1155. Die Gemeindevertretung soll also handlungsfähig bleiben. Diese Handlungsfähigkeit geht allerdings auf Kosten des Prinzips der repräsentativen Demokratie,Vgl. VGH Kassel, NVwZ 1988, 1155. das idealtypisch davon ausgeht, dass alle Volksvertreter die ihnen übertragene Staatsgewalt gemeinsam ausüben. In Situationen wie diese, in denen die Beschlussfähigkeit ausdrücklich mittels eines Antrags aus der Mitte der Gemeindevertretung heraus angezweifelt worden ist, bedarf es nicht der mit der Rechtsfolge von § 53 Abs. 1 S. 2 a.E. HGO gewährleisteten Rechtssicherheit. Wäre V zu dem einzig rechtmäßigen Schluss gekommen, dass die Stadtverordnetenversammlung nicht mehr beschlussfähig war, wäre dieses Ergebnis hinzunehmen gewesen, auch wenn es den verbliebenden Anwesenden unliebsam gewesen wäre. Es gibt kein hinreichendes Bedürfnis dafür, die Handlungsfähigkeit der Gemeindevertretung auch dann zu schützen, wenn der Vorsitzende der Gemeindevertretung sich verzählt oder einem Rechtsirrtum unterliegt. § 53 Abs. 1 S. 2 a.E. HGO ist damit teleologisch zu reduzieren.Im Ergebnis ebenso VGH Kassel, NVwZ 1988, 1155 f., der aber methodisch nicht von einer teleologischen Reduktion spricht, sondern das Ergebnis mit der Erwägung begründet, dass es sich bei § 53 Abs. 1 S. 2 a.E. HGO nicht um eine gesetzliche Fiktion, sondern eine bloße widerlegliche Vermutung handelt. Im Ergebnis auch Gornig, in: Gornig/Horn/Will (Hrsg.), Öffentliches Recht in Hessen, 2. Aufl. 2022, 1. Teil Kommunalrecht § 4 Rn. 269; Engels, in: BeckOK Kommunalrecht Hessen, 21. Edition, 1.11.2022, § 53 HGO Rn. 8.

Nach diesen Maßgaben galt die Stadtverordnetenversammlung ungeachtet der rechtswidrigen Feststellung der Beschlussfähigkeit durch V nach dem Weggang des G und dem Antrag des A auf Feststellung der Beschlussunfähigkeit nicht mehr nach § 53 Abs. 1 S. 2 a.E. HGO als beschlussfähig. Damit verletzt der Beschluss die Vorschriften über die Beschlussfähigkeit in § 53 HGO.

(5) Verhandlung des Antrags unter „Verschiedenes“

Möglicherweise leidet der Beschluss auch dadurch an einem formellen Rechtsfehler, dass über ihn unter dem letzten Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ verhandelt und beschlossen wurde. Nach § 58 Abs. 2 HGO kann über Angelegenheiten, die nicht auf der Einladung zu der Sitzung verzeichnet sind, nur verhandelt und beschlossen werden, wenn zwei Drittel der gesetzlichen Zahl der Gemeindevertreter dem zustimmen.

Dass die Angelegenheit der Kriterien für die Vergabe von Standplätzen auf dem Weihnachtsmarkt nicht schon in der Einladung verzeichnet war, lässt sich daraus schließen, dass der Magistrat dieses Thema unter dem letzten Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ in die Sitzung eingebracht hat. Die Angelegenheit wurde also nicht unter einem eigenen, aus der Einladung ersichtlichen Tagesordnungspunkt verhandelt. Zwar lässt sich die Abstimmung der anwesenden Stadtverordneten über die Änderung der Satzung so verstehen, dass sie damit zugleich stillschweigend im Sinne von § 58 Abs. 2 HGO ihre Zustimmung zur Verhandlung und zum Beschluss über diese Angelegenheit zum Ausdruck gebracht haben.Zu dieser Möglichkeit VGH Kassel, NJW 1978, 557. Allerdings war schon nicht mehr die Hälfte der gesetzlichen Zahl der Stadtverordneten anwesend, sodass erst recht nicht – wie es § 58 Abs. 2 HGO verlangt – zwei Drittel der gesetzlichen Zahl der Gemeindevertreter ihre Zustimmung geäußert haben.

§ 58 Abs. 2 HGO wäre danach allenfalls dann nicht verletzt, wenn die Vorschrift erlaubt, über die Angelegenheit immerhin unter dem Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ zu verhandeln und zu beschließen. Die Tagesordnung ist zwar zum einen ein politisches Gestaltungsmittel der Stadtverordnetenvorsteherin. Sie soll aber zum anderen die Mitglieder der Gemeindevertretung schützen: Die Gemeindevertreter sollen anhand der Einladung über ihre Teilnahme an der Sitzung entscheiden und sich auf die jeweilige Angelegenheit inhaltlich vorbereiten könnenEngels, in: BeckOK Kommunalrecht Hessen, 21. Edition, 1.11.2022, § 58 HGO Rn. 25. und außerdem in der Sitzung nicht überrumpelt werden. Dieser Zweck, die Gemeindevertreter zu schützen, lässt sich nur verfolgen, wenn die einzelnen Tagesordnungspunkte hinreichend bestimmt sind. Das ist mit Blick auf den Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ nicht der Fall. Daher verletzen eine Verhandlung und ein Beschluss über eine Angelegenheit unter dem Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ § 58 Abs. 2 HGO.

Der Beschluss leidet somit auch dadurch an einem formellen Rechtsfehler, dass über ihn unter dem letzten Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ verhandelt und beschlossen wurde.

(6) Erreichen der erforderlichen Stimmenmehrheit

Nach § 54 Abs. 1 S. 1 HGO werden Beschlüsse, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst. Bei Stimmengleichheit ist ein Antrag abgelehnt (§ 54 Abs. 1 S. 2 HGO). Stimmenthaltungen und ungültige Stimmen zählen zur Berechnung der Mehrheit nicht mit (§ 54 Abs. 1 S. 3 HGO). Eine andere gesetzliche Bestimmung findet sich unter anderem in § 6 Abs. 2 S. 1 HGO, wonach die Beschlussfassung über die Hauptsatzung und ihre Änderung der Mehrheit der gesetzlichen Zahl der Gemeindevertreter bedarf. Mit Blick auf andere Satzung, namentlich auch einer Satzung über öffentliche Einrichtungen (vgl. § 19 Abs. 2 HGO) ist eine andere gesetzliche Bestimmung nicht ersichtlich. Damit bleibt es bei den Bestimmungen in § 54 Abs. 1 HGO.

Der Antrag, die Satzung für den Weihnachtsmarkt zu ändern, hat 11 Ja-Stimmen, 8 Enthaltungen und 10 Nein-Stimmen erhalten. Da die Enthaltungen nicht mitzählen, ist nur die Zahl der Ja- und der Nein-Stimmen zu vergleichen. Da die Zahl der Ja-Stimmen hier höher ist als die Zahl der Nein-Stimmen, hat der Antrag die erforderliche Stimmenmehrheit erreicht.

Zwischenergebnis

Formelle Rechtsfehler liegen in der fehlenden Öffentlichkeit, der fehlenden Beschlussfähigkeit und der Verhandlung und des Beschlusses über den Antrag unter dem Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“.

Materielle Rechtsfehler des Beschlusses

Der Beschluss leidet an materiellen Rechtsfehlern, wenn die Stadtverordnetenversammlung die Satzung inhaltlich nicht auf diese Weise ändern durfte. Zu prüfen ist zum einen, ob die Satzungsänderung auf einer hinreichenden Ermächtigungsgrundlage beruht, und zum anderen, ob der Inhalt der Änderung – die geänderten Vergabekriterien – auch im Übrigen mit höherrangigem Recht vereinbar ist.

Ermächtigungsgrundlage für die Satzungsänderung

Das Recht, Satzungen zu erlassen, können Gemeinden schon aus der verfassungsrechtlichen Garantie der kommunalen Selbstverwaltung in Art. 137 Abs. 3 HV ableiten. Einfachgesetzlich bestimmt § 5 Abs. 1 S. 1 HGO, dass die Gemeinden die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft durch Satzung regeln können, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Ob die Beschränkung der Satzungsbefugnis auf Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft ein Redaktionsversehen ist und § 5 Abs. 1 S. 1 HGO im Gleichlauf mit Art. 137 Abs. 1 HV und § 2 S. 1 HGO dahingehend auszulegen ist, dass Gemeinden sämtliche, ihnen nicht gesetzlich entzogene Aufgaben durch Satzung regeln dürfen,So Lange/Schöndorf-Haubold, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 4 Rn. 114; a.A. Gornig, in: Gornig/Horn/Will (Hrsg.), Öffentliches Recht in Hessen, 2. Aufl. 2022, 1. Teil Kommunalrecht § 6 Rn. 466. kann offenbleiben, da es sich bei der Regelung der Zulassung zu einer öffentlichen Einrichtung der Gemeinde um eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft im Sinne von § 5 Abs. 1 S. 1 HGO handelt (siehe dazu Übungsfall 1: Kreisschwimmbäder).

Der Vorbehalt des Gesetzes, der sich aus dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 2 GG) und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ableiten lässt und im Bereich der Grundrechtsausübung durch grundrechtliche Gesetzesvorbehalte konkretisiert wird, erfordert jedenfalls für belastendes Handeln der Verwaltung eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage. Wesentliche Entscheidungen sind dem Gesetzgeber vorbehalten. Die allgemeine Befugnis zum Satzungserlass in § 5 Abs. 1 S. 1 HGO kennzeichnet nicht hinreichend bestimmt, in welchen Fällen und in welchem Umfang die Gemeinde in Grundrechte der Einwohner eingreifen darf. Daher bedarf es für Grundrechtseingriffe einer besonderen Ermächtigungsgrundlage.BVerwG, NVwZ 2014, 527 (Rn. 26 ff.); Lange/Schöndorf-Haubold, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 4 Rn. 114.

Vorliegend ändert die Satzungsänderung die Kriterien, anhand deren im Fall einer Erschöpfung der Platzkapazitäten auf dem Weihnachtsmarkt die Stände zu vergeben sind. Die Ablehnung eines Bewerbers um einen Standplatz enthält dem Bewerber vielmehr staatliche eine Leistung – die Zuteilung eines knappen Guts – vor. Insofern ist eine solche Entscheidung zwar mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG und gegebenenfalls auch die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG grundrechtlich relevant. Da der Leistungsanspruch aber von vornherein unter dem Vorbehalt steht, dass Kapazitäten vorhanden sind, und somit den Inhalt eines bloßen Teilhabeanspruchs einnimmt, geht eine echte Eingriffswirkung mit der Ablehnung nicht einher. Hinzu kommt, dass sich das Erfordernis und auch die Befugnis, einzelne Bewerber im Fall einer Kapazitätserschöpfung nicht zuzulassen, schon aus § 70 Abs. 3 GewO analog und damit aus einer einfachgesetzlichen Bestimmung ergibt. Die Regelung der Vergabekriterien in der Satzung füllt nur den sich öffnenden Spielraum bei der Entscheidung aus, welchen Bewerbern der Vorzug gegeben wird, und trägt zur Vorhersehbarkeit der Entscheidung für die Bewerber bei. Um eine wesentliche Entscheidung handelt es sich dabei nicht. Einer besonderen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für die Festlegung der Vergabekriterien in Satzungsform bedurfte es damit nicht.

Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht

Die geänderten Vergabekriterien sehen vor, dass einer der fünf Glühweinstandplätze jedes Jahr nach dem Losverfahren zu vergeben ist. Diese Regelung eröffnet nunmehr jedem Bewerber um einen Glühweinstand eine reale, wenn auch kleine Chance darauf, als Betreiber eines Glühweinstands zum Weihnachtsmarkt zugelassen zu werden. Damit werden die neuen Vergabekriterien dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 GG und der Analogie zu § 70 Abs. 3 GewO gerecht. Auch im Übrigen hält die Satzungsänderung inhaltlich die räumlichen, sachlichen, personellen und zeitlichen Grenzen ein.Zu diesen Grenzen Gornig, in: Gornig/Horn/Will (Hrsg.), Öffentliches Recht in Hessen, 2. Aufl. 2022, 1. Teil Kommunalrecht § 6 Rn. 466; Dünchheim, in: BeckOK Kommunalrecht Hessen, 21. Edition, 1.11.2022, § 5 HGO Rn. 30 ff. Sie ist daher mit höherrangigem Recht vereinbar.

Zwischenergebnis

Der Beschluss über die Satzungsänderung leidet nicht an materiellen Rechtsfehlern.

Zwischenergebnis

Der Beschluss der Satzungsänderung durch die Stadtverordnetenversammlung verletzt das Recht.

Innerhalb von sechs Monaten nach Beschlussfassung

Der Regierungspräsident hat den Beschluss hier schon am 11. November 2022, damit zwei Tage nach der betreffenden Sitzung der Stadtverordnetenversammlung und somit innerhalb von sechs Monaten nach der Beschlussfassung aufgehoben. Weitere zeitliche Grenzen gelten nicht. Insbesondere betrifft die – ebenfalls sechsmonatige – Frist zur Geltendmachung der Verletzung bestimmter Vorschriften mit Blick auf Satzungen in § 5 Abs. 4 S. 1 HGO nicht die Befugnis der Aufsichtsbehörde, einen dem Satzungserlass oder der Satzungsänderung zugrunde liegenden Beschluss der Stadtverordnetenversammlung zu beanstanden (§ 5 Abs. 4 S. 2 HGO).

Vertiefungshinweis zur Heilungsvorschrift in § 5 Abs. 4 S. 1 HGO

Nach § 5 Abs. 4 S. 1 HGO ist für die Rechtswirksamkeit der Satzungen eine Verletzung der Vorschriften der §§ 53, 56, 58, 82 Abs. 3 und des § 88 Abs. 2 HGO unbeachtlich, wenn sie nicht innerhalb von sechs Monaten nach der öffentlichen Bekanntmachung der Satzung schriftlich unter Bezeichnung der Tatsachen, die eine solche Rechtsverletzung begründen können, gegenüber der Gemeinde geltend gemacht worden ist. Diese Vorschrift ist dann zu prüfen, wenn jemand die Satzung selbst angreift, sei es im Wege der prinzipalen Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 VwGO, sei es im Wege der inzidenten Normenkontrolle im Rahmen eines anderen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Im hier vorliegenden Fall wird die Frage, ob die Satzungsänderung unwirksam ist, aber gar nicht aufgeworfen – die Aufsichtsbehörde hebt nach § 138 HGO nicht die Satzungsänderung (den Außenrechtsakt) auf (und darf das auch gar nicht),VGH Kassel, KommJur 2015, 410 (Rn. 12). sondern den der Satzungsänderung zugrunde liegenden internen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung. Am Beispiel: Im Rahmen der Normenkontrolle wäre die fehlende Beschlussfähigkeit unbeachtlich, wenn niemand sie innerhalb von sechs Monaten geltend gemacht hat (§ 5 Abs. 4 S. 1 HGO). Eine Verletzung des Rechts bei der Beschlussfassung im Sinne von § 138 HGO bleibt sie aber natürlich trotzdem. Die Aufsichtsbehörde kann daher den Beschluss zur Satzungsänderung aufheben. Da nun § 138 HGO seinerseits eine Sechsmonatsfrist normiert, laufen beide Fristen gleich und tritt nach den sechs Monaten in jedem Fall Rechtssicherheit ein.

Kein Ausschluss durch öffentliche Bekanntmachung der Satzungsänderung

Da die Gemeinde die Satzungsänderung schon am 10. November 2022 und damit zeitlich vor der Beanstandung im Sinne von § 5 Abs. 3 S. 1 HGO ausgefertigt und öffentlich bekannt gemacht hat, stellt sich die Frage, ob eine Beanstandung des der Satzungsänderung zugrunde liegenden Beschlusses der Stadtverordnetenversammlung ausgeschlossen war. Immerhin ist die öffentlich bekannte gemachte Satzungsänderung als Außenrechtsakt in der Welt. Systematisch zeigt § 139 HGO, dass die Aufsichtsbehörde auch die Möglichkeit hat, bei die Gemeinde im Fall eines rechtswidrigen Unterlassens zu einem rechtmäßigen Tätigwerden innerhalb einer bestimmten Frist anzuweisen – die Aufsichtsbehörde könnte die Gemeinde also auch anweisen, den Beschluss auf rechtmäßige Weise zu wiederholen.So VG Darmstadt, Urt. v. 15.5.1997 – 3 E 1006/95, juris.

Allerdings zeigt § 138 HGO bei einer weiteren systematischen Betrachtung, dass der Gesetzgeber die Situation eines schon vor Beanstandung des Innenrechtsakts (Beschluss) nach außen vollzogenen Außenrechtsakts (Satzung, Verwaltungsakt oder ähnliches) im Blick hatte: Nach § 138 HGO kann die Aufsichtsbehörde gemeinsam mit einer Beanstandung verlangen, dass Maßnahmen, die aufgrund aufzuhebender Beschlüsse getroffen worden sind, rückgängig gemacht werden. Die Aufsichtsbehörde hat damit zwar nicht die Möglichkeit, die auf dem beanstandeten Beschluss beruhende Satzung oder Satzungsänderung selbst aus der Welt zu schaffen oder für ungültig zu erklären (wie es der VGH nach § 47 Abs. 5 S. 2 VwGO kann). Sie kann aber von der Gemeinde verlangen, dass die Gemeinde die infolge der Beanstandung des Beschluss eingetretene Unwirksamkeit der Satzung in derselben Weise öffentlich bekanntmacht wie die Satzung selbst und damit den Rechtsschein einer wirksamen Satzung aus der Welt schafft.VGH Kassel, KommJur 2015, 410 (Rn. 12, 14); Lange/Schöndorf-Haubold, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 4 Rn. 150; Ogorek, in: BeckOK Kommunalrecht Hessen, 21. Edition, 1.11.2022, § 138 HGO Rn. 14, 28. Damit war die Beanstandung nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Gemeinde die Satzungsänderung schon öffentlich bekanntgemacht hatte.

Fehlerfreie Ermessensausübung

Angesichts des Wortlauts „kann“ steht die Beanstandung im Ermessen (§ 40 HVwVfG) der Aufsichtsbehörde, das gerichtlich auf Ermessensfehler hin zu überprüfen ist (§ 114 S. 1 VwGO). Denkbar ist allein, dass die Aufsichtsbehörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens dadurch überschritten hat, dass sie unverhältnismäßig gehandelt hat. Namentlich stellt sich die Frage, ob die Beanstandung erforderlich und angemessen war. Als alternative Maßnahme wäre denkbar gewesen, die Gemeinde zunächst dazu aufzufordern, den betreffenden Beschluss selbst aufzuheben.Dafür Ogorek, in: BeckOK Kommunalrecht Hessen, 21. Edition, 1.11.2022, § 138 HGO Rn. 37. Systematisch spricht für dieses Vorgehen, dass die Aufsicht nach § 135 S. 2 HGO so gehandhabt werden soll, dass die Entschlusskraft und die Verantwortungsfreudigkeit der Gemeinden nicht beeinträchtigt werden. Allerdings sieht § 138 HGO – obwohl mit „Beanstandung“ überschrieben – anders als Parallelvorschriften in anderen Bundesländern gerade kein mehrstufiges Verfahren vor, in dem die Gemeinde zunächst zur eigenständigen Prüfung aufzufordern ist.VGH Kassel, KommJur 2015, 410 (Rn. 12); Lange/Schöndorf-Haubold, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 4 Rn. 148; Gornig, in: Gornig/Horn/Will (Hrsg.), Öffentliches Recht in Hessen, 2. Aufl. 2022, 1. Teil Kommunalrecht § 10 Rn. 609. § 139 HGO bietet zwar eine Ermächtigungsgrundlage dafür, die Gemeinde im Fall eines rechtswidrigen Unterlassens zu einem rechtmäßigen aktiven Tun aufzufordern. § 138 HGO ist aber hinsichtlich des rechtswidrigen aktiven Tuns spezieller. Im Übrigen wird die Gemeinde jedenfalls aufgrund des Anhörungserfordernisses nach § 28 Abs. 1 HVwVfG vorgewarnt und hat grundsätzlich die Möglichkeit, in Kenntnis der Einschätzung der Aufsichtsbehörde aus freien Stücken rechtmäßige Zustände herzustellen.Lange/Schöndorf-Haubold, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 4 Rn. 148. Nach alledem ist es nicht als unverhältnismäßig und damit ermessensfehlerhaft anzusehen, dass die Aufsichtsbehörde den Beschluss nach der Anhörung unmittelbar beanstandet hat.

Zwischenergebnis

Die Beanstandung ist nicht materiell rechtswidrig.

Zwischenergebnis

Die Beanstandung ist nicht rechtswidrig. Die Klage ist mangels rechtswidrigen Verwaltungsakts unbegründet.

Ergebnis

Die Klage der Stadt Gießen ist zulässig, aber unbegründet. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.