Lösungshinweise zu Fall 1
§§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 Var. 1, 12 Abs. 1 StGB
T könnte sich wegen eines versuchten Totschlags strafbar gemacht haben, indem er dem B in den Bauch stach.
Vorprüfung
B überlebte, sodass die Vollendung nicht eingetreten ist. Die Strafbarkeit des versuchten Totschlags ergibt sich aus §§ 212 Abs. 1, 23 Abs. 1 Var. 1, 12 Abs. 1 StGB.
Tatbestand
T nahm den Tod des B billigend in Kauf, handelte also mit dolus eventualis und wies daher Tatentschluss auf. Mit dem Zustechen hatte T die tatbestandliche Handlung des § 212 Abs. 1 StGB bereits ausgeführt und damit unmittelbar zur Tat angesetzt. Der Tatbestand ist erfüllt.
Hinweis: Liegen die Probleme eines Falles erkennbar im Bereich des Rücktritts, während Tatentschluss und unmittelbares Ansetzen unproblematisch gegeben sind, empfiehlt es sich in der Regel, den Tatbestand kurz und prägnant abzuhandeln (Schwerpunktsetzung).
Rechtswidrigkeit/Schuld
Da zugunsten des T weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungs- oder Schuldausschließungsgründe eingreifen, handelte T rechtswidrig und schuldhaft.
Kein Rücktritt
Zu einer Strafbarkeit des T käme es jedoch nur, wenn T nicht vom Totschlagsversuch nach § 24 Abs. 1 StGB zurückgetreten wäre.
Kein Fehlschlag
Für einen Rücktritt dürfte der Versuch nicht fehlgeschlagen sein. Ein Fehlschlag tritt ein, wenn der Täter nach seiner Vorstellung die Vollendung mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr ohne zeitliche Zäsur herbeiführen kann. T hätte, auch nachdem der B zusammengebrochen war, weiter auf ihn einstechen und so den Tod des B herbeiführen können. Bei lebensnaher Auslegung des Sachverhalts ist anzunehmen, dass dies T auch bewusst war. Somit war der Versuch nicht fehlgeschlagen, als T den Hof verließ.
Abgrenzung: unbeendeter/beendeter Versuch
Um im Anschluss bestimmen zu können, welches Verhalten von T für einen Rücktritt zu fordern ist, ist zunächst zwischen unbeendetem und beendetem Versuch zu unterscheiden. Ein Versuch ist unbeendet, wenn der Täter aus seiner Sicht noch nicht alles Erforderliche getan hat, damit der in seiner Vorstellung noch mögliche Erfolg eintreten kann. Hingegen liegt ein beendeter Versuch vor, wenn der Täter glaubt, alle erforderlichen Handlungen bereits vorgenommen zu haben, sodass der Erfolg aus seiner Sicht im weiteren Verlauf eintreten kann.
T machte sich überhaupt keine Gedanken darüber, ob der B durch die Stiche bereits so schwer verletzt war, dass der Tod hätte eintreten können. Er geht also weder davon aus, bereits alles Erforderliche getan zu haben, noch glaubt er, dass weitere Handlungen nötig wären. Der BGH nimmt in solchen Konstellationen einen beendeten Versuch an und begründet dieses Ergebnis wie folgt:
In diesem Falle rechnet der Täter sowohl mit der Möglichkeit, daß der angestrebte oder in Kauf genommene Erfolg eintritt, als auch damit, daß er ausbleibt. Hält der Täter aber den Erfolgseintritt für möglich, so liegt ein beendeter Versuch vor, und der Täter kann Straffreiheit nur erlangen, wenn er zur Verhinderung der Tatvollendung handelt. […] Würde man hier darauf abstellen, daß der Gleichgültige auch den Nichteintritt des Taterfolges für möglich hält – und deshalb einen unbeendeten Versuch annehmen, von dem durch freiwilliges Abstandnehmen von weiteren Ausführungshandlungen strafbefreiend zurückgetreten werden könnte –, so käme der Täter in den Genuß der Straffreiheit, obwohl er keine Distanzierung von der drohenden Rechtsgutverletzung, geschweige denn eine innere Umkehr, erkennen läßt.
Der BGH stellt in seiner Begründung vor allem auf die Regelungszwecke des § 24 StGB ab. Nur der Täter, der ein sozial erwünschtes Verhalten an den Tag legt und dadurch zum Ausdruck bringt, dass es keiner Strafe bedarf, um ihn zurück auf einen legalen Weg zu führen, soll als „Belohnung“ Straffreiheit verdienen, nicht aber der Täter, der sein verletztes Opfer sich selbst überlässt.
Da sich T im vorliegenden Fall keinerlei Vorstellung davon machte, ob sein Bruder bereits lebensgefährlich verletzt und sein Tod möglich war, ist ein beendeter Versuch nach § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 2 StGB anzunehmen.
Rücktrittsverhalten
Um von einem beendeten Versuch zurücktreten zu können, müsste T nach § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 2 StGB die Vollendung verhindert haben. Das Verhindern setzt voraus, dass der Täter den erfolgstauglichen Kausalverlauf aktiv unterbricht und so zumindest mitursächlich dafür wird, dass es nicht zum Erfolgseintritt kommt. T verließ den Tatort, ohne sich um seinen verletzten Bruder gekümmert oder anderweitig für Hilfe gesorgt zu haben. Dass der Tod nicht eintrat, ging nicht auf ein aktives Verhalten des T zurück. T verhinderte die Vollendung nicht. Damit fehlt es an einem tauglichen Rücktrittsverhalten.
Zwischenergebnis zu 3.
T ist nicht vom versuchten Totschlag zurückgetreten.
Ergebnis
T machte sich durch die Stiche wegen eines versuchten Totschlags nach §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 Var. 1 StGB strafbar.
§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5 StGB
Durch das Zustechen mit dem Springmesser, das bei B lebensgefährliche Verletzungen hervorrief, hat sich T zudem wegen einer gefährlichen Körperverletzung nach §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5 StGB strafbar gemacht. Beide Taten stehen zueinander in Tateinheit, § 52 StGB.
Hinweis: Auf die (gefährliche) Körperverletzung wird hier nur der guten Ordnung halber hingewiesen. Details zu diesen Vorschriften müssen Sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt Ihres Studiums (auch mit Blick auf die Semesterabschlussklausur) nicht kennen.
Lösungshinweise zu Fall 2
A wäre strafbefreiend zurückgetreten, wenn der Versuch nicht fehlgeschlagen wäre und A freiwillig entweder von der weiteren Tatausführung abgesehen oder die Vollendung verhindert hätte.
Kein Fehlschlag
Der Totschlagsversuch dürfte nicht fehlgeschlagen sein. Zur Definition des Fehlschlags s. o. (Fall 1, IV. 1.). A hatte die Möglichkeit, dem fliehenden N zu folgen und nach Erreichen erneut auf ihn einzustechen, um so dessen Tod noch herbeizuführen. Der Versuch war nicht fehlgeschlagen.
Abgrenzung: unbeendeter/beendeter Versuch
Des Weiteren ist zwischen einem beendeten und einem unbeendeten Versuch zu unterscheiden. Zu den Definitionen s. o. (Fall 1, IV. 2.). A glaubte zunächst, dass er den N so schwer verletzt hatte, dass dieser an den Stichwunden sterben würde. Als N unmittelbar darauf aufstand und davonlief, erkannte A jedoch, dass die Verletzungen nicht so schwerwiegend waren, wie zuvor angenommen. Fraglich ist daher, auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung, ob ein beendeter oder ein unbeendeter Versuch vorlag, abzustellen ist.
Hinweis: Früher wurde die sog. Tatplantheorie vertreten, die für die Abgrenzung auf die Vorstellung des Täters vor Beginn der Tat abstellte. Hat der Täter von vornherein nur bestimmte Handlungen in seinen Tatplan aufgenommen, die er für ausreichend hielt, und diese erfolglos ausgeführt, so sollte der Versuch beendet sein, selbst wenn er im Nachhinein erkennt, dass er weitere Möglichkeiten hätte und auch nutzen müsste, um den Erfolg herbeizuführen. Es käme im vorliegenden Fall also entscheidend darauf an, wie genau der Tatplan des A ausgestaltet war und ob er diesen auf eine bestimmte Anzahl an Stichen konkretisiert hatte. Die Tatplantheorie wird heute von der ganz h.M. mit dem Argument abgelehnt, dass sie den skrupellosen Täter bevorzugt, der von Beginn an alle denkbaren Tötungshandlungen in seinen Plan aufgenommen hat. Ein interessantes Urteil zum „Umschwung“ in der Rspr. des BGH von der Tatplantheorie hin zum (dort noch nicht so bezeichneten) „Rücktrittshorizont“ findet sich in der NJW 1983, 764.
Nach der Lehre von „Rücktrittshorizont“ kommt es für die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch grundsätzlich auf die Tätervorstellung nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an. Nachdem A zum letzten Mal zugestochen hatte, ging er davon aus, dass die Verletzungen des N dessen Tod herbeiführen würden. Er glaubte, bereits alles Erforderliche für den Eintritt des Todes getan zu haben. Stellt man auf den Zeitpunkt nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung ab, so war der Versuch beendet.
Der „Rücktrittshorizont“ legt jedoch keinen starren Zeitpunkt fest. Eine Korrektur des „Rücktrittshorizontes“ ist möglich, wenn sie innerhalb eines einheitlichen Geschehens geschieht. Erkennt der Täter in engstem zeitlichen Zusammenhang zur letzten Tathandlung, dass ihm bei seiner Vorstellung darüber, ob damit bereits alles Erforderliche getan war, ein Irrtum unterlaufen war, und korrigiert er seine Einschätzung unmittelbar darauf, so ist diese korrigierte Vorstellung maßgeblich für die Abgrenzung. A ging zunächst davon aus, sein Versuch sei beendet. Nur wenige Augenblicke nach dem letzten Stich stand N jedoch auf, kündigte an, die Polizei zu informieren und lief davon. A erkannte dadurch unmittelbar im Anschluss an seine Tathandlung, dass er sich über die Schwere der Verletzungen des N geirrt hatte und weitere Handlungen notwendig waren, um dessen Tod herbeizuführen. Wegen des engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen der letzten Ausführungshandlung und der korrigierten Vorstellung des A ist der gesamte Ablauf als ein einheitliches Geschehen zu werten. Daher ist auf die korrigierte Einschätzung des A abzustellen, nach der noch nicht alles Erforderliche getan und der Versuch somit unbeendet ist.
Rücktrittsverhalten
Um von einem unbeendeten Versuch zurückzutreten, müsste A die weitere Tatausführung endgültig aufgegeben haben, § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 1 StGB. Er verzichtete darauf, den N zu verfolgen, um erneut auf ihn einstechen zu können. Darin ist eine Aufgabe der Tat zu sehen.
Freiwilligkeit
A blieb während des Geschehens „Herr seiner Entschlüsse“ und verzichtete aus autonomen Motiven auf eine Verfolgung des N. Er handelte freiwillig.
Ergebnis
A gab die weitere Ausführung des noch unbeendeten Totschlagsversuchs freiwillig auf und trat somit strafbefreiend vom Versuch zurück.
Lösungshinweise zu Fall 3
A könnte sich wegen eines versuchten Totschlags nach §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 Var. 1, 12 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er auf S einstach.
Vorprüfung
Der Tod der S ist nicht eingetreten, sodass es mangels eines Erfolges an der Vollendung fehlt. Die Versuchsstrafbarkeit ergibt sich aus §§ 212 Abs. 1, 23 Abs. 1 Var. 1, 12 Abs. 1 StGB.
Tatbestand
A hatte den Tod der S billigend in Kauf genommen, als er auf sie einstach. Er handelte vorsätzlich und wies folglich Tatentschluss auf. Da er mit den Stichen die tatbestandliche Ausführungshandlung bereits vorgenommen hatte, ist auch das unmittelbare Ansetzen zu bejahen. A handelte tatbestandsmäßig.
Rechtswidrigkeit/Schuld
Dabei lagen auch Rechtswidrigkeit und Schuld vor.
Kein Rücktritt
A könnte jedoch strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten sein.
Kein Fehlschlag
Als A die Wohnung verließ, war es ihm – auch aus seiner Perspektive – noch möglich, weitere Male auf die S einzustechen, um sie zu töten. Der Versuch war nicht fehlgeschlagen.
Abgrenzung: unbeendeter/beendeter Versuch
A glaubte, die S lebensbedrohlich verletzt zu haben, als diese zusammenbrach. Er ging somit davon aus, dass er alles Notwendige getan hatte, damit der Tod der S eintreten könnte. Der Versuch war beendet.
Rücktrittsverhalten
Um von einem beendeten Versuch zurücktreten zu können, fordert § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 2 StGB, dass der Täter die Vollendung verhindert. Dafür bedarf es eines aktiven Verhaltens des A, welches den zum Erfolg führenden Kausalverlauf unterbricht. A schickte u.A. seinen Vater V zur Wohnung, in der sich S befand. Nur weil V anschließend eine Blutprobe zur Analyse ins Krankenhaus brachte, konnte S gerettet werden. Damit liegt ein aktives Verhalten des A vor, das – neben anderen Umständen – zur Erfolgsverhinderung beitrug.
Fraglich ist jedoch, ob dieses Verhalten von A ausreicht, um ein Verhindern i.S.d. § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 2 StGB zu bejahen. Zunächst einmal ist klarzustellen, dass der Täter die Vollendung nicht allein verhindern muss, sondern sich dazu der Hilfe Dritter, z.B. eines Notarztes, bedienen darf. Der BGH geht davon aus, dass schlichte Kausalität des Rücktrittsverhaltens für das Ausbleiben des Erfolges genügt. Hätte A seinen Vater V nicht zu S geschickt, hätte dieser die Blutprobe nicht ins Krankenhaus bringen können, die S letztlich das Leben rettete. Das lediglich mitursächliche Verhalten von A stellt nach Ansicht der Rspr. bereits ein Verhindern dar, sodass A das erforderliche Rücktrittsverhalten vorgenommen hätte.
Die sog. „Bestleistungstheorie“ hingegen fordert vom Täter, dass er das ihm Bestmögliche tut, um die Vollendung zu verhindern und dabei dem Zufall keinen Raum lässt. A hätte hier z.B. zur Wohnung zurückfahren und selbst Erste Hilfe leisten oder den Notarzt rufen können. Indem er seine Eltern zur Wohnung der S schickte, schöpfte er nicht seine optimalen Möglichkeiten aus. Vielmehr war es dem Zufall zu verdanken, dass der Notarzt den V und nicht etwa einen der Partygäste mit dem Transport der Blutprobe beauftragte. Nach dieser Theorie hätte A die Vollendung nicht verhindert.
Nach der überwiegend im Schrifttum vertretenen Ansicht muss das Ausbleiben des Erfolgs dem Täter objektiv zurechenbar sein. Bloße (Mit-)Ursächlichkeit, wie sie die Rspr. fordert, genügt danach nicht, dem Täter wird aber auch nicht ein optimales Rücktrittsverhalten abverlangt. Der Täter muss danach aktiv eine Rettungschance schaffen, die sich auf vorhersehbare Weise im Ausbleiben des Erfolgs realisiert. Im vorliegenden Fall hat A zwar eine Rettungschance geschaffen, indem er seine Eltern zum Tatort schickte. Dieses Verhalten hat sich aber nicht auf vorhersehbare Weise in der Rettung der S niedergeschlagen. Mag es auch noch vorhersehbar gewesen sein, dass die Gäste in der Zwischenzeit einen Notarzt herbeigerufen hatten, so geschah es jedenfalls zufällig, dass der Sanitäter gerade dem V die Blutprobe übergab und der A so kausal für die Rettung der S werden konnte. Dies war nicht vorhersehbar und das Vorgehen des Rettungssanitäters dem A nicht zurechenbar. A hätte auch unter Zugrundelegung der in der herrschenden Literatur. vertretenen Ansicht die Vollendung nicht verhindert.
Lediglich wenn man der Rspr. folgt, wäre A – Freiwilligkeit vorausgesetzt – vom Versuch zurückgetreten. Diese Ansicht führt jedoch dazu, dass jedes auch nur zufälligerweise kausal gewordenes Verhalten für einen Rücktritt genügt. Damit zeigt der Täter aber gerade nicht, dass er sich von der Tat abkehrt und den Weg zurück in die Legalität wählt, sodass es auch an einer honorierungswürdigen Leistung des Täters fehlt, die mit der Straffreiheit „belohnt“ werden sollte. Die Rettung der S war hier nicht das Werk des A, sondern vielmehr des Notarztes und der Gäste, die diesen verständigt hatten. Die Ansicht der Rspr. ist daher abzulehnen. A hat die Vollendung nicht verhindert.
Hinweis: Da die h. Lit. und die „Bestleistungstheorie“ sich i.E. in diesem Fall nicht unterscheiden, war zu diesen Ansichten nicht Stellung zu nehmen. Im Übrigen sprechen aber auch gegen die „Bestleistungstheorie“ gute Gründe. Für eine Bestleistung finden sich im Wortlaut des § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 2 StGB keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil spricht § 24 Abs. 1 S. 2 StGB unter Bezugnahme auf den Satz 1 gerade nur vom „Zutun“ des Täters, was nicht darauf schließen lässt, dass der Gesetzgeber damit das „bestmögliche Zutun“ meinte. An den Täter über den Wortlaut hinausgehende Anforderungen zu stellen, verstieße gegen Art. 103 Abs. 2 GG. Zudem ist es im Sinne des Opferschutzes auch ein zwar nicht optimales Verhalten des Täters anzuerkennen, sofern es nur eine hinreichend große Erfolgsvermeidungschance eröffnet und diese sich dann auch im realen Ausbleiben des Erfolges realisiert.
Zwischenergebnis
A hat den Eintritt des Todes der S nicht zurechenbar verhindert. Er ist nicht vom versuchten Totschlag zurückgetreten.
Ergebnis
A machte sich durch das Einstechen auf S wegen eines versuchten Totschlags strafbar.
Lösungshinweise zu Fall 4
§§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 Var. 1, 12 Abs. 1 StGB
A könnte sich wegen eines versuchten Totschlags nach §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 Var. 1, 12 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er T vom Balkon fallen ließ.
Vorprüfung
T überlebte, sodass es an der Vollendung des Totschlags fehlt. Die Versuchsstrafbarkeit ergibt sich aus §§ 212 Abs. 1, 23 Abs. 1 Var. 1, 12 Abs. 1 StGB.
Tatbestand
A handelte in Tötungsabsicht, daher mit Tatentschluss. Da er die T bereits vom Balkon gestürzt hatte, ist auch das unmittelbare Ansetzen zu bejahen.
Rechtswidrigkeit/Schuld
Dabei handelte A rechtswidrig und schuldhaft.
Kein Rücktritt
A könnte jedoch nach § 24 StGB strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten sein.
Kein Fehlschlag
Es ist bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass A den Tod seiner Tochter zumindest dadurch hätte herbeiführen können, dass er mit weiteren schweren Gegenständen nach der regungslosen T wirft. Ein fehlgeschlagener Versuch liegt somit nicht vor.
Hinweis: Der Sachverhalt ist an dieser Stelle nicht ganz eindeutig und es wäre vermutlich vertretbar, ihn dahingehend zu interpretieren, dass A keine weiteren Handlungsmöglichkeiten verblieben (u.a. aufgrund der anwesenden Passanten). Dann wäre ein Fehlschlag zu bejahen. Hier wird schon aus didaktischen Gründen von dem gegenteiligen Ergebnis ausgegangen, um die Prüfung fortzusetzen.
Abgrenzung: unbeendeter/beendeter Versuch
Zu den Definitionen siehe Fall 1, IV. 2.
A glaubte, seine Tochter durch den Sturz lebensgefährlich verletzt zu haben. Er ging folglich davon aus, dass bereits alles zum Erfolgseintritt Erforderliche getan war. Der Versuch war beendet.
Rücktrittsverhalten
A müsste nach § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 2 StGB mindestens kausal die Vollendung verhindert haben.
Zum Streit um die Anforderungen an das Verhindern vgl. soeben, Fall 3.
A rief seiner Frau zu, sie solle einen Notruf absetzen, um die Tochter zu retten. Noch bevor F dies tun konnte, war jedoch von Passanten ein Notarzt verständigt worden, der T rettete. Für das Herbeirufen dieses Arztes hatte A folglich keine Ursache gesetzt. Es fehlt daher an einem kausalen Beitrag zum Ausbleiben des Erfolges.
Nach § 24 Abs. 1 S. 2 StGB kommt ein Rücktritt jedoch auch dann in Frage, wenn es ohne Zutun des Täters nicht zur Vollendung kommt, soweit der Täter sich freiwillig und ernsthaft bemühte, die Vollendung zu verhindern.
Keine Vollendung ohne das Zutun des A
Da die Aufforderung des A an seine Frau nicht kausal wurde für die Rettung der T, ist die Tat ohne das Zutun des A nicht vollendet worden.
Bemühung um die Verhinderung der Vollendung
A müsste sich bemüht haben, die Vollendung zu verhindern. Dazu müsste er eine aktive Handlung bewusst und gewollt vorgenommen haben, die zumindest seiner Vorstellung nach dazu geeignet ist, den von ihm in Gang gesetzten Kausalverlauf zu unterbrechen. A rief der F zu, sie solle einen Notarzt alarmieren. Diese Aufforderung geschah bewusst und gewollt und in der Annahme, dass die T durch einen Notarzt würde gerettet werden können.
Ernsthaftigkeit
Zur Erfüllung des Kriteriums der Ernsthaftigkeit des Sichbemühens muss der Täter alles tun, was in seinen Kräften steht und was nach seiner Überzeugung zur Erfolgsabwendung erforderlich ist. Dazu muss er die aus seiner Sicht ausreichenden Verhinderungsmöglichkeiten ausschöpfen und Zufälle, soweit es ihm möglich ist, vermeiden. Auch i.R.d. § 24 Abs. 1 S. 2 StGB darf der Täter sich der Hilfe Dritter bedienen, muss sich dann grundsätzlich aber vergewissern, dass diese die notwendigen Rettungsmaßnahmen auch vornehmen.
A hatte um die Verständigung eines Krankenwagens gebeten und somit um die Maßnahme, die am besten zur Rettung der T hätte beitragen können. Den Notruf brauchte er nicht selbst abzusetzen. Dass er die F dazu aufforderte, genügt. Ferner hatte A keinen Grund für die Annahme, dass F seiner Aufforderung nicht hätte nachkommen können oder wollen. Da auch F in einem engen Verhältnis zu T stand, konnte A vielmehr davon ausgehen, dass F in dieser Situation seiner Bitte Folge leisten würde. Dass A direkt nach dem Zuruf an F weiterlief, steht der Ernsthaftigkeit seiner Bemühungen nicht entgegen. Gleiches gilt für die falsche Erklärung, die er der F für den Sturz der T gab. A brauchte nicht davon ausgehen, dass seine unzutreffende Aussage dazu führen könnte, dass F keinen Krankenwagen verständigen – und damit die optimale Rettungsmaßnahme einleiten würde.
A hat sich ernsthaft um das Ausbleiben der Vollendung bemüht.
Freiwilligkeit
Dabei handelte A auch freiwillig, d.h. aus autonomen Motiven heraus.
Zwischenergebnis
A ist gem. § 24 Abs. 1 S. 2 StGB strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten.
Ergebnis
A machte sich nicht wegen eines versuchten Totschlags strafbar, indem er T vom Balkon stürzte.
Lösungshinweise zu Fall 5
T könnte sich wegen einer versuchten gefährlichen Körperverletzung nach §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 Var. 2, 12 Abs. 2 StGB strafbar gemacht haben, indem er mit der Waffe auf O zielte.
Vorprüfung
O wurde nicht verletzt, weshalb die Vollendung ausgeblieben ist. Die Versuchsstrafbarkeit ergibt sich aus §§ 224 Abs. 2, 23 Abs. 1 Var. 2, 12 Abs. 2 StGB.
Tatbestand
T müsste mit Tatentschluss gehandelt und unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt haben. Er wollte die Waffe nutzen, um den O durch einen Schuss ins Bein zu verletzen. Zwar kam es ihm in erster Linie darauf an, den O zur Zahlung zu bewegen. Um dieses Ziel zu erreichen, nahm er jedoch auch die Verletzung des O in Kauf. Er wies Tatentschluss auf. Für das unmittelbare Ansetzen müsste T eine Handlung vorgenommen haben, mit der er aus seiner Sicht die Schwelle zum „Jetzt geht’s los“ überschritt und die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte in die Tatbestandsverwirklichung überginge. T hatte die Waffe zwar noch nicht betätigt, sie allerdings bereits entsichert und auf O angelegt. Er hätte nur noch abdrücken müssen, um den Körperverletzungserfolg herbeizuführen. Wesentliche Zwischenschritte waren nicht mehr erforderlich. Folglich hat T unmittelbar zur Tat angesetzt.
Der Tatbestand ist damit erfüllt.
Rechtswidrigkeit/Schuld
Mangels entgegenstehender Rechtfertigungs-, Entschuldigungs- oder Schuldausschließungsgründe handelte T rechtswidrig und schuldhaft.
Kein Rücktritt
Zugunsten des T könnte jedoch ein Rücktritt vorliegen.
Kein Fehlschlag
Dazu dürfte der Versuch nicht fehlgeschlagen sein. Ein Fehlschlag tritt ein, wenn der Täter den Tatbestand nach seiner Vorstellung mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr ohne zeitliche Zäsur verwirklichen kann. T hätte die Waffe betätigen, den O so verletzten und damit den Tatbestand der §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 1 StGB erfüllen können. Der Versuch war daher nicht im herkömmlichen Sinne fehlgeschlagen.
Allerdings sah A von der Abgabe des Schusses nur ab, weil er sein eigentliches Ziel – den O zur Begleichung der Schulden zu bewegen – bereits erreicht hatte. Wie mit solchen Fällen der außertatbestandlichen Zielerreichung umzugehen ist und ob ein Rücktritt dabei weiterhin möglich bleibt, ist umstritten.
Teilweise wird vertreten, dass der Versuch nicht mehr rücktrittsfähig ist, wenn der Täter sein außerhalb des Tatbestandes liegendes Handlungsziel erreicht. Als O aus Angst vor dem Einsatz der Waffe durch T versprach, die offenen Schulden zu begleichen, hatte T sein eigentliches Handlungsziel erreicht. Ab diesem Moment könnte T nach dieser Ansicht nicht mehr zurücktreten. Dass er anschließend dennoch auf eine Schussabgabe verzichtete, stünde der Strafbarkeit wegen einer versuchten gefährlichen Körperverletzung nicht entgegen.
Die Rspr. und Teile der Literatur gehen hingegen davon aus, dass ein Rücktritt auch bei Erreichung eines außertatbestandlichen Handlungsziels möglich bleibt. Danach könnte T folglich weiterhin zurücktreten.
Dafür, dem Täter die Rücktrittsmöglichkeit in solchen Fällen zu versagen, spricht, dass sich nur ein Tatentschluss aufgeben lässt, der in seiner Zielsetzung noch nicht gegenstandslos geworden ist. Erreicht der Täter sein außertatbestandliches Ziel, so wird ein Weiterhandeln für ihn sinnlos. Verzichtet der Täter dann darauf, liegt darin keine honorierungswürdige Umkehrleistung. Dagegen lässt sich jedoch anführen, dass mit dieser Ansicht der Täter, der, wie T hier, lediglich mit dolus eventualis handelt gegenüber demjenigen schlechter gestellt ist, der die Verletzung der Rechtsgüter seines Opfers von Beginn an beabsichtigt. Denn der Täter, der mit dolus directus handelt, kann unbestritten durch bloßes Nichtweiterhandeln zurücktreten. Auch der Wortlaut des § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 1 StGB stützt die Ansicht der Rspr. Die „Tat“ bezieht sich allein auf einen gesetzlichen Deliktstatbestand unabhängig von dahinterliegenden Motiven oder Zielen. Entsprechend genügt für einen Rücktritt die Aufgabe eben jenes Deliktstatbestandes. Schließlich erscheint es auch unter Berücksichtigung des Opferschutzgedankens vorzugswürdig, die Rücktrittsmöglichkeit für den Täter offen zu halten.
Folgt man der letztgenannten Ansicht, so konnte T weiterhin zurücktreten, obwohl der O bereits versprochen hatte zu zahlen.
Hinweis: Die Frage des Umgangs mit der Erreichung eines außertatbestandlichen Handlungsziels kann an unterschiedlichen Orten im Prüfungsschema des Rücktritts thematisiert werden. Hier wird eine Behandlung direkt nach der Prüfung des fehlgeschlagenen Versuchs empfohlen, da die Konsequenzen der Zielerreichung – jedenfalls nach einer (hier abgelehnten) Ansicht – dieselben sind wie bei einem Fehlschlag.
Abgrenzung: unbeendeter/beendeter Versuch
Ferner ist zwischen unbeendetem und beendetem Versuch zu unterscheiden. Ein unbeendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter glaubt, noch nicht alles Erforderliche getan zu haben, damit der Erfolg eintritt; ein beendeter dann, wenn der Täter davon ausgeht, alle notwendigen Handlungen bereits vorgenommen zu haben. T wusste, dass es erst dann zu einer Verletzung des O kommen kann, wenn er die Waffe einsetzt. Dies hatte er nicht getan. Er ging folglich davon aus, noch nicht alle erforderlichen Handlungen vorgenommen zu haben. Der Versuch war unbeendet.
Rücktrittsverhalten
T müsste nach § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 1 StGB die weitere Ausführung der Tat aufgegeben haben. Er verzichtete darauf, auf den O zu schießen, nahm also keine Tathandlung vor. Indem er auf den Einsatz der Waffe verzichtete, gab er die weitere Tatausführung i.S.d. § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 1 StGB auf.
Freiwilligkeit
T müsste dabei freiwillig, d.h. aus autonomen Motiven heraus gehandelt haben. T verzichtete auf ein Weiterhandeln nur, weil er sein Handlungsziel bereits erreicht hatte. Die Motive, die den Täter zum Rücktritt bewegen, brauchen jedoch nicht sittlich hochwertig oder ethisch billigenswert sein. Unfreiwillig ist ein Rücktrittsverhalten nur dann, wenn der Täter sich aufgrund äußerer Umstände nicht mehr in der Lage sieht, die Tat zur Vollendung zu bringen. T war nicht durch äußere Einflüsse gezwungen, von der Verletzung des O abzusehen. Er handelte freiwillig.
Zwischenergebnis
T trat strafbefreiend vom Versuch zurück, indem er auf eine Schussabgabe verzichtete.
Ergebnis
T machte sich nicht wegen einer versuchten gefährlichen Körperverletzung strafbar.