«Back to Script

§ 21 Verfahrensarten vor dem Bundesverfassungsgericht

Autor:innen: Valentina Chiofalo, Louisa Linke, Johannes Siegel

Notwendiges Vorwissen: Keins

Lernziel: Überblick über die vier wichtigsten Verfahrensarten erhalten

Im Staatsorganisationsrecht ist es notwendig, die relevanten Verfahren vor dem BVerfG zu kennen. Denn anders als im Zivilrecht oder im Strafrecht, ist im Öffentlichen Recht regelmäßig die Zulässigkeit eines Gerichtsverfahrens zu prüfen (Verfassungsprozessrecht). Bei einer Zulässigkeitsprüfung überprüft das Gericht, ob bestimmte Verfahrensvoraussetzungen vorliegen, damit es sich überhaupt inhaltlich mit der Frage des Verfahrens auseinandersetzt. Sollten die Voraussetzungen nicht vorliegen, spricht das Gericht ein Prozessurteil und weist das Verfahren als unzulässig ab. Sobald die Zulässigkeit bejaht wird, spricht das Gericht ein Sachurteil, unabhängig davon, ob das Verfahren der Sache nach begründet oder unbegründet ist. Deswegen spricht man bei den Voraussetzungen der Zulässigkeit auch häufig von „Sachurteilsvoraussetzungen“, denn nur wenn diese gegeben sind, kann das Gericht ein Sachurteil fällen.

Die wichtigsten Verfahren im Überblick

In dieser Tabelle werden die vier wichtigsten Verfahrensarten des Staatsorganisationsrechts dargestellt. Dadurch soll verdeutlicht werden, dass sich die einzelnen Voraussetzungen der Zulässigkeitsprüfung durchaus gleichen. Ein systematisches Vorgehen beim Lernen ist daher von Vorteil. Daneben sollte sich zumindest vor dem Examen mit dem einstweiligen Rechtsschutz vor dem BVerfG befasst werden. Die Verfassungsbeschwerde wird vor allem zu Beginn des Studiums keine Rolle im Staatsorganisationsrecht spielen, sondern wird schwerpunktmäßig in Grundrechts-Klausuren abgefragt. Aufgrund der Prüfungspunkte können jedoch auch hauptsächlich staatsorganisationsrechtliche Probleme (zum Beispiel das ordnungsgemäße Durchlaufen des Gesetzgebungsverfahren) abgefragt werden.

Klausurtaktik

Im Staatsorganisationsrecht sind vier Verfahren besonders relevant: das Organstreitverfahren (Art. 93 I Nr. 1 GG), der Bund-Länder-Streit (Art. 93 I Nr. 3 GG), die abstrakte (Art. 93 I Nr. 2 GG) und die konkrete Normenkontrolle (Art. 100 I GG). Die Verfassungsbeschwerde wird dem Grundrechtsschutz zugeordnet, ist aber trotzdem Teil des Verfassungsprozessrechts. Dabei kann ganz grob folgender Einteilung gefolgt werden:

  • Die konkrete und abstrakte Normenkontrolle sind einschlägig, wenn die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen geprüft werden soll. Bei der konkreten Normenkontrolle wirft ein Gericht die Frage der Verfassungsmäßigkeit auf. Bei der abstrakten Normenkontrolle ist es die Bundesregierung, die Landesregierung oder 1/4 der Mitglieder des Bundestags.

  • Die Abgrenzung zwischen Organstreitverfahren und Bund- Länder- Streit kann etwas schwieriger sein. Bei beiden Verfahren geht es um eine „rechtserhebliche Maßnahme oder ein Unterlassen“, welches den:die Antragssteller:in in den eigenen Rechten verletzt haben könnte. Beim Bund- Länder- Streit muss aber zwingend eine Landesregierung am Verfahren beteiligt sein, beim Organstreitverfahren sind alle Beteiligte hingegen Bundesorgane. Somit kann anhand der Beteiligten eine sichere Abgrenzung getroffen werden, sofern es sich beim Antragsgegenstand um eine rechtserhebliche Maßnahme oder Unterlassung handelt.

Verfahrensarten im Überblick:

§ 21.1 Organstreit

Notwendiges Vorwissen: Verfassungsgerichtsbarkeit

Lernziel: Organstreitverfahren lernen und prüfen können.

Das Organstreitverfahren ist kontradiktorisch konzipiert und somit kein objektives Beanstandungsverfahren. Das bedeutet, dass es beim Organstreitverfahren im Unterschied zur abstrakten Normenkontrolle stets zwei sich gegenüberstehende Verfahrensparteien gibt, die über die Auslegung und Anwendung der Verfassung streiten. Die Prüfung beschränkt sich dabei lediglich auf konkrete Rechtsverletzungen zwischen den Organen und ausdrücklich nicht auf eine allgemeine Verfassungsaufsicht. Das BVerfG trifft im Organstreitverfahren lediglich Feststellungsentscheidungen, d.h. dass die Entscheidungen gerade keine rechtsgestaltende Wirkung entfalten. Im Ergebnis erfolgt eine Bindungswirkung der Feststellungsentscheidungen durch das Wiederholungsverbot der beanstandeten Handlungen. Das Organstreitverfahren ist für den Minderheitenschutz im Bundestag von besonderer Bedeutung. Minderheit ist dabei numerisch zu verstehen, also zahlenmäßig kleinere Gruppen im Bundestag, was regelmäßig die Opposition darstellt. Im Wege der Prozessstandschaft kann es so dazu kommen, dass eine Minderheit die Rechte des Bundestages gegen die Mehrheit geltend macht. Auf diese Art trägt das Organstreitverfahren im Wege der Gewaltenteilung zur gegenseitigen Kontrolle der Verfassungsorgane bei. Die relevanten Normen sind Art. 93 I Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 und §§ 64 ff. BVerfGG.

Die wichtigsten Streitstände

Beim Organstreitverfahren gibt es mehrere klassische Streitstände, von denen die:der einzelne Abgeordnente als Standardfall gilt und zwingend beherrscht werden muss.

Wenn ein:e einzelne:r Abgeordnete:r ein Organstreitverfahren betreiben möchte, stellt sich beim Prüfungspunkt Antragssteller:in die Frage, wie ein:e einzelne:r Abgeordnete:r unter § 63 BVerfGG und Art. 93 I Nr. 1 GG subsumiert werden kann. Der Wortlaut der beiden Normen ist unterschiedlich, wobei § 63 BVerfGG enger ist, da hier neben den ausdrücklich genannten Antragssteller:innen lediglich auf mit eigenen Rechten ausgestattete Teile des Bundestages und Bundesrates verwiesen wird. Nach Art. 93 I Nr. 1 GG genügen für andere Beteiligte, dass sie durch das Grundgesetz oder durch die Geschäftsordnung eines obersten Bundesorganes mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Auf diesen unterschiedlichen Wortlaut ist in der Klausur einzugehen. Die Konstellation ist dabei anders, als die bezüglich § 76 I BVerfGG und Art. 93 I Nr. 2 GG bei der abstrakten Normenkontrolle, denn vorliegend geht es nicht um eine höhere Intensität (von Zweifel zu für nichtig halten), sondern um eine gänzlich andere Ausgestaltung der Normen.

Einzelne Abgeordnete haben eigene Rechte, wie beispielweise ihre Statusrechte aus Art. 38 I 2 GG sowie Rederechte, die sich aus der Geschäftsordnung des Bundestages ergeben, daher können sie als andere Beteiligte unter Art. 93 I Nr. 1 GG gefasst werden. Teile eines Organs im Sinne von § 63 BVerfGG müssen ständige und dauerhafte Untergliederungen des Organs darstellen, Abgeordnete fallen somit nicht unter § 63 BVerfGG. In diesem Fall ist Art. 93 I Nr. 1 GG zu folgen, da die Verfassung höherrangig ist und es sich bei § 63 BVerfGG nicht um eine Konkretisierung der Anforderungen handelt.

Bei der Antragsbefugnis stellt sich ein weiteres Problem für einzelne Abgeordnete. Denn diese können als andere Beteiligte lediglich eigene Rechte, wie Rederechte aus Art. 38 I 2 GG, geltend machen und nicht im Wege der Prozessstandschaft auch Rechte des Bundestages. Daher ist an dieser Stelle abzugrenzen auf was sich die:der Abgeordnete beruft.

So führt diese klassische Klausurkonstellation weniger zu Theoriesstreits, die ausführlich diskutiert werden müssen, sondern zu Prüfungspunkten, die leicht zu übersehen sind, bei denen besonders auf die einzelnen Abgeordneten einzugehen ist.

Prüfungsschema der Zulässigkeit

Formulierungsbeispiel Obersatz „Der Antrag müsste zulässig sein.“

Klausurtaktik

Für die Zulässigkeitsprüfung muss neben dem GG auch das BVerfGG genutzt werden.

Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts

Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für das Organstreitverfahren ergibt sich aus Art. 93 I Nr. 1 GG und § 13 Nr. 5 BVerfGG. An dieser Stelle muss man sich bereits darüber klar sein, welches Verfahren einschlägig ist. Dabei sind alle Verfahren nach dem sog. Enumerativsystem geregelt (Enumeration = Aufzählung). Die Zuständigkeit des BVerfG ergibt sich nur, wenn die Streitigkeit in § 13 BVerfGG aufgelistet ist und nicht schon dann, wenn die Streitigkeit Verfassungsrecht betrifft.

Formulierungsbeispiel Obersatz „Das Bundesverfassungsgericht ist nach Art. 93 I Nr. 1 GG und § 13 Nr. 5 BVerfGG für das Organstreitverfahren zuständig.“

Klausurtaktik

Bei der Zuständigkeitsprüfung wird es regelmäßig keine Probleme geben. Bitte kurz fassen.

Antragssteller:in und Antragsgegner:in

Da das Organstreitverfahren ein Verfahren zur Aufklärung von Streiten zwischen Verfassungsorganen ist, ist die klare Benennung von diesen wichtig für den Verlauf der Prüfung. Es kann bei der Frage der beteiligten Organe bereits zu ersten Problemen in der Prüfung kommen.

Klausurtaktik

Eine weitere geläufige Bezeichnung lautet Parteifähigkeit. Diese knüpft an den Umstand an, dass man Partei eines Rechtsstreits wird und ist nicht mit politischen Parteien zu verwechseln.

Wer Antragsteller:in eines Organstreitverfahrens sein kann, ergibt sich aus Art. 93 I Nr. 1 GG und § 63 BVerfGG. Demnach sind ausweislich § 63 BVerfGG folgende Verfassungsorgane unproblematisch antragsberechtigt: der Bundespräsident; der Bundestag; der Bundesrat; die Bundesregierung.

Klausurtaktik

Sofern in der Klausur eines der in § 63 BVerfGG ausdrücklich genannten Verfassungsorgane einschlägig ist, kann man sich in der Bearbeitung kurz fassen und lediglich auf die Norm verweisen.

Formulierungsbeispiel Antragssteller „Gemäß Art. 93 I Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 BVerfGG kann Antragsteller:in eines Organstreitverfahrens insbesondere die Bundesregierung sein. Vorliegend handelt ebendiese. Die Bundesregierung ist somit taugliche Antragstellerin.“

Für die weiteren möglichen Antragsteller:innen fällt auf, dass sich der Wortlaut von Art. 93 I Nr. 1 GG und § 63 BVerfGG unterscheidet. Während Art. 93 I Nr. 1 GGallgemein von obersten Bundesorganen spricht und auch andere Beteiligte zulässt, die durch das Grundgesetz oder durch die Geschäftsordnung eines obersten Bundesorganes mit eigenen Rechten ausgestattet sind, erwähnt § 63 BVerfGGneben den ausdrücklich benannten Antragsteller:innen mit eigenen Rechten ausgestattete Teile dieser Organe. Dabei beizieht es sich lediglich auf solche Teile des Bundestages oder Bundesrates, die durch deren Geschäftsordnungen mit eigenen Rechten ausgestattet wurden. Das führt dazu, dass die Regelung in § 63 BVerfGG enger ist, als jene aus Art. 93 I Nr. 1 GG.

Klausurtaktik

Im dem Fall, dass eine Antrag:steller:in unter Art. 93 I Nr. 1 GG, aber nicht unter § 63 BVerfGG subsumierbar ist muss in der Klausur dieser Normenkonflikt kurz dargestellt und aufgelöst werden.

Im Sinne der Normenhierarchie, wonach das Grundgesetz als Verfassung über dem BVerfGG als einfaches Bundesgesetz steht, kann § 63 BVerfGG die Regelung aus Art. 93 I Nr. 1 GG nicht einschränken. Das BVerfG hält es daher für unerheblich, wenn ein oberstes Bundesorgan in § 63 BVerfGG nicht aufgeführt wird. Demnach ist Art. 93 I Nr. 1 GG methodisch im Wege einer verfassungskonformen Auslegung stets hinzuzuziehen, sofern eine Subsumtion unter § 63 BVerfGG problematisch erscheint.

Darüber hinaus gibt es bezüglich verschiedener Antragsteller:innen Streite darüber, ob diese als Teil eines Organs oder als anderer Beteiligter Antragsteller:in eines Organstreits sein können. Die Einteilung spielt insbesondere im Zusammenhang mit der Prozessstandschaft nach § 64 I BVerfGG eine Rolle.

Weiterführendes Wissen zur Abgrenzung

Es kann deshalb in Frage gestellt werden, ob es bei der Geltendmachung eigener Rechte im Ergebnis einen Unterschied macht, ob sich die Antragsbefugnis aus Art. 93 I Nr. 1 GG oder § 63 BVerfGG ergibt.

Das BVerfG grenzt nicht immer scharf ab, sondern erkennt beispielsweise für Bundesminister:innen, dass diese Teile des obersten Verfassungsorgans Bundesregierung seien (vgl. Art. 62 GG) und durch die Geschäftsordnung der Bundesregierung mit eigenen Rechten ausgestattet seien, weshalb sie daher als andere Beteiligte nach Art. 93 I Nr. 1 GG im Organstreit parteifähig seien. Um Teil eines Organs zu sein muss dabei eine ständige und dauerhafte Untergliederungen des Organs bestehen. Das BVerfG stellte dazu fest, dass dafür die Vorausstzung sei, dass eine ständige Gliederung in der Geschäftsordnung bestehe. Als Teil des Organs Bundestag wird das für die Fraktion anerkannt, weshalb sie eine taugliche Antragsstellerin als Teil ist. In § 10 GOBT werden ihre Voraussetzungen und eigenen Rechte benannt. Durch die Antragsberechtigung der Fraktion erhält die Opposition im Bundestag die Möglichkeit dem Minderheitenschutz Geltung zu verschaffen, weshalb das ein wichtiger Anwendungsfall in der Praxis ist. Dagegen sind als anderer Beteiligter im Sinne von Art. 93 I Nr. 1 GG die Präsident:in des Bundestages und einzelne Abgeordnete anerkannt.

Beispiel: Der klassische Streit zwischen der Bundestagspräsident:in und einzelnen Abgeordneten handelt regelmäßig von Ordnungsrufen im Bundestag, dem Entzug des Rederechts oder der Auflösung des Bundestages.

Politische Parteien können ebenfalls als andere Beteiligte Antragssteller:innen eines Organstreits sein. Jedoch ist ein Organstreitverfahren lediglich statthaft, wenn die Partei Rechte aus ihrer verfassungsrechtlichen Stellung nach Art. 21 I GG geltend macht.

Klausurtaktik

Bei der politischen Partei muss deshalb bereits an dieser Stelle im Gutachten kurz auf den Streitgegenstand eingegangen werden, um das statthafte Verfahren in Abgrenzung zur Verfassungsbeschwerde zu bestimmen. Das Organstreitverfahren ist nur einschlägig, wenn der Streit von der verfassungsrechtlichen Stellung der Partei nach Art. 21 I GG handelt. Das ist regelmäßig bei Streitigkeiten rund um Wahlrechtsnormen, staatliche Parteienfinanzierung und Öffentlichkeitsarbeit (sofern ein statthafter Antragsgegner vorliegt) der Fall.

Weiterführendes Wissen zu möglichen Antragssteller:innen

Als oberste Bundesorgane nach Art. 93 I Nr. 1 GG sind auch die Bundesversammlung (Art. 54 GG)[1] und der Gemeinsame Ausschuss (Art. 53a GG) allgemein anerkannt, wenngleich sie in der Klausurprüfung seltener einschlägig sind.

Weitere Antragssteller:innen: ständige Ausschüsse des Bundestages; Gruppen gem. § 10 IV GOBT; qualifizierte Minderheiten gem. Art. 44 I GG im Zusammenhang mit Untersuchungsausschüssen.

Kein tauglicher Antragsteller ist das BVerfG selbst. Zwar ist es ein oberstes Verfassungsorgan, jedoch würde es der rechtsstaatlichen Systematik widersprechen, wenn es über sich selbst entscheiden müsste. Ebenso stellen Bundesländer als Teil des Bundesrats keine tauglichen Antragssteller. Für Streitigkeiten stellt hier der Bund-Länder-Streit als lex specialis gem. Art. 93 I Nr. 4 GG das Verfahren bereit.

Klausurtaktik

Die Prüfung der Verfahrensparteien erfolgt getrennt. Die Anforderungen für die Antragsteller:in gelten ebenso über die Antragsgegner:in.

Antragsgegenstand, Art. 93 I Nr. 1 GG, § 64 I BVerfGG

Gegenstand eines Organstreitverfahrens muss gem. § 64 I BVerfGG eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners sein. Für die Maßnahme oder das Unterlassen bestehen gewisse Anforderungen, sodass nicht jede Maßnahme oder jedes Unterlassen taugliches Antragsgegenstand ist. Zum einen muss die Maßnahme oder das Unterlassen die verfassungsrechtlichen Rechte der Antragssteller:in verletzen oder unmittelbar gefährden und zum anderen muss sie rechtserheblich sein.

Beispiel zum Unterlassen als Antragsgegenstand: Das BVerfG hielt das Unterlassen der Regierung den Bundestag vor einer Tagung über ihre Verhandlungslinie bei der Tagung zu informieren als tauglichen Antragsgegenstand.

Klausurtaktik

Ein Unterlassen kann lediglich dann rechtserheblich sein, wenn zuvor eine Pflicht zum Handeln bestand.

Kein tauglicher Antragsgegenstand sind abstrakte Handlungen anderer Organe losgelöst von den eigenen Rechten der Antragsteller:in. Als kontradiktorisches Verfahren muss es stets um einen Streit zwischen zwei Verfahrensparteien gehen.

Beispiel zu untauglichen Antragsgegenständen: Die abstrakte Prüfung der Migrationspolitik der Bundesregierung.

Formulierungsbeispiel Obersatz „Antragsegenstand kann gem. Art. 93 I Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 64 BVerfGG nur eine rechterhebliche Maßnahme oder ein Unterlassen sein. Eine rechtserhebliche Maßnahme ist...“

Antragsbefugnis, § 64 I BVerfGG

Gemäß § 64 I BVerfGG muss eine Verletzung von Rechten geltend gemacht werden. Dabei muss lediglich die Möglichkeit einer Verletzung der unmittelbare Gefährdung vorliegen, sodass diese nicht evident ausgeschlossen werden kann. Rechte sind im Sinne des Organstreits vor allem als Kompetenzen, Antragsrechte und Statusrechte zu verstehen. Dabei ist zu unterscheiden, ob eigene Rechte oder in Prozessstandschaft fremde Rechte geltend gemacht werden.

Klausurtaktik

Zur Möglichkeit der Rechtsverletzung muss in der Klausur auch sauber subsumiert, sodass kurz (!) dargelegt werden muss, dass aus dem Sachverhalt eine Rechtsverletzung nicht ausgeschlossen werden kann.

Eigene Rechte

Der Fall, in dem die Antragsteller:in ihre eigenen Rechte geltend macht, ist dabei unproblematisch und kann in der Klausur kurz mit Verweis auf das Recht geprüft werden.

Beispiel zur Geltendmachung eigener Rechte: Abgeordnete des Bundestages können Verletzungen ihrer Rederechte aus Art. 38 I 2 GG geltend machen, wenn sie beispielsweise der Auffassung sind, dass ihnen zu Unrecht das Wort entzogen wurde.

Klausurtaktik

Die geltend gemachten Rechte müssen konkret benannt werden. Weiter müssen sie sich aus der Verfassung ergeben. Das heißt, wenn ein Recht, das nicht in der Verfassung steht, von der Antragsteller:in geltend gemacht wird, dann muss dieses zwingend aus der Verfassung abgeleitet werden. Beispielweise Rechte, die in Geschäftsordnungen stehen, jedoch Ausfluss von Verfassungsrecht sind.

Fremde Rechte

Darüber hinaus können jedoch auch im Wege der Prozessstandschaft gem. § 64 I BVerfGG fremde Rechte geltend gemacht werden, d.h. dass ein Teil eines Organs die Rechte des Organs als Ganzes geltend machen kann. Das ist als Kontrollmechanismus im Sinne der Gewaltenteilung wichtig, da so die Rechte eines Verfassungsorgans auch gegen die Mehrheit geschützt werden können. Eine solche Prozessstandschaft erfolgt über die Fraktionen für den Bundestag. Einzelne Abgeordnete können dagegen nicht die Rechte des Bundestages in Prozessstandschaft geltend machen. Sie gelten nicht als Teil des Bundestags im Sinne von § 63 BVerfGG. Die Norm ist eng auszulegen und erfasst lediglich ständig vorhandene Gliederungen des Bundestages.

Weiterführendes Wissen zur Prozessstandschaft

Die Ablehnung der Prozessstandschaft zu Gunsten der einzelnen Abgeordneten durch das BVerfG ist nicht unumstritten, da das BVerfG ausdrücklich erklärt, dass Abgeordnete Teil des Bundestages seien und der Wortlaut von § 63 BVerfGG auch nur von einem Teil spreche. Neben der Fraktion im Bundestag ist eine Prozessstandschaft auch im Zusammenhang mit Untersuchungsausschüssen für eine Minderheit im Sinne von Art. 44 I 1 GG möglich.

Beispiel zur Geltendmachung fremder Rechte: Fraktionen machen in Prozessstandschaft für den Bundestag dessen Beteiligungsrechte zu Einsätzen der Bundeswehr gegen die Bundesregierung geltend.

Formulierungsbeispiel Obersatz „Indem die Bundespräsident:in XY machte, kann zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass das Recht der Bundestagesregierung aus XY verletzt wurde, womit gem. Art. 93 I Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 64 BVerfGG eine ausreichende Beschwerdebefugnis vorliegt. oder Eine Verletzung der Rechte des Bundestages müsste gem. Art. 93 I Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 64 BVerfGG zumindest möglich erscheinen. Vorliegend entschied die Bundesregierung ohne Konsultation des Bundestages... Dabei kann zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass Rechte des Bundestages verletzt wurden.“

Form und Frist, §§ 23 I, 64 III BVerfGG

Für das Organstreitverfahren besteht eine Frist von sechs Monaten, ab Bekanntwerden des beanstandeten Verhaltens, § 64 III BVerfGG. Darüber hinaus gilt die Form nach § 23 I BVerfGG, wonach Anträge schriftlich und begründet eingehen müssen.

Formulierungsbeispiel Obersatz „Der Antrag muss innerhalb der Sechsmonatsfrist gem. § 64 III BVerfG und unter Einhaltung der Schriftform gem. § 23 I BVerfGG erfolgen.“

Klausurtaktik

Wenn ein Antrag per Fax eingereicht wird, gilt die Form als gewahrt. Wenn der Sachverhalt keinerlei Angaben zur Frist macht, kann davon ausgegangen werden, dass diese eingehalten wurde. (Kritik am Sachverhalt, wie dass er zu dünn sei oder lückenhaft sind im Gutachten nicht zielführend)

Klausurtaktik

Ein Antrag ist nicht formwidrig, wenn es im Sachverhalt heißt, dass das "Bundesverfassungsgericht angerufen wurde". Damit ist nicht gemeint, dass die Bundesregierung/die Landesregierung/die MdB das BVerfG mit dem Telefon angerufen hat, sondern dass sich mit der Fallfrage an das BVerfG gewandt wurde.

Weiterführendes Wissen zur Frist

Bei der Frist aus § 64 III BVerfGG handelt es sich um eine Ausschlussfrist, weshalb eine Wiedereinsetzung ausgeschlossen ist.

Rechtsschutzbedürfnis

Das Rechtsschutzbedürfnis stellt in der Klausur regelmäßig kein Problem dar, da es durch die Möglichkeit der Rechtsverletzung bereits indiziert wird.

Examenswissen: Sofern sich das beanstandete Verhalten zeitlich überholt hat, der Sachverhalt sich also erledigt hat oder das unterlassene Verhalten nachgeholt wurde, kann es zu Problemen beim Rechtsschutzbedürfnis kommen. Das BVerfG stellte dazu fest, dass der Umstand, dass die beanstandende Rechtsverletzung in der Vergangenheit liege und bereits abgeschlossen sei grundsätzlich nicht zu einem entfallen des Rechtsschutzbedürfenisses führe. Dennoch kann in diesen Fällen ein fortwirkendes Bedürfnis an einer Entscheidung notwendig sein, was bei Wiederholungsgefahr angenommen wird.

Ergebnis

Formulierungsbeispiel Obersatz „Das Organstreitverfahren ist mithin zulässig.“

Begründetheit im Organstreitverfahren

Es gibt keinen allgemeingültigen Aufbau beim Organstreitverfahren. Zum allgemeinen Umgang mit der Klausurlösung und Begründetheitsprüfung siehe Kapitel zur Methodik. Regelmäßig wird jedoch um Kompetenzen, Handlungen anderer Organe und Statusrechte gestritten.

Klausurtaktik

Daher ist es besonders wichtig, dass die Obersätze sauber herausgearbeitet sind. Im Obersatz muss die Fragestellung der Begründheitetsprüfung prägnant festgehalten werden, sodass die Lösung diese Frage beantwortet. Es bietet sich daher aus didaktischen Gründen an, sich einen Überblick über klassische Klausurkonstellationen in Organstreitverfahren anzusehen.

Im Unterschied zu den Grundrechten ist hervorzuheben, dass in diesen klassischen Konstellationen von Eingriffen in Kompetenzbereiche eines Organs eine Verhältnismäßigkeitsprüfung regelmäßig ausscheidet. Eine Kompetenz liegt regelmäßig vor oder sie liegt nicht vor. Im Zusammenhang mit Statusrechten, insbesondere Minderheitenrechten, und der Opposition können dagegen Rechtfertigungsfragen bei möglichen Ungleichbehandlungen aufkommen.

Beispiel: Die Fragen, ob der Bundestag aufgelöst werden darf, ein Untersuchungsausschuss einberufen werden kann, ob der Bundestag an Entscheidungen über Auslandseinsätze der Bundeswehr beteiligt sein muss oder wie sich die Bundespräsident:in über Parteien äußern darf, sind für Rechtfertigungserwägungen regelmäßig nicht offen.

Formulierungsbeispiel Obersatz „Der Antrag ist begründet, soweit die Handlung oder Unterlassung des Antragsgegners den Antragsteller in seinen verfassungsrechtlichen Rechten verletzt, vgl. § 67 BVerfGG.“

Übersicht klassischer Organstreits

Anhand dieser Klausurkonstellationen zeigt sich anschaulich, wie Begründetheiten bei Organstreitverfahren aufgebaut sein können, aber auch wie unterschiedlich die Fragestellungen sein können. Es bietet sich daher an, sich mit diesen Klassikern vertraut zu machen, um anhand der gelernten Strukturen besser mit neueren oder unbekannten Prüfungskonstellationen zurechtzukommen.

Klausurtaktik

Bitte "soweit" bzw. "insoweit" nutzen (und nicht "wenn") - denn die Handlung oder das Unterlassung kann auch nur teilweise die Antragsteller:in in ihren verfassungsrechtlichen Rechten verletzten.

Formulierungsbeispiel Obersatz „Die Antragsteller:in ist (teilweise) in ihren Rechten aus Art. ... GG verletzt. Insoweit ist das Organstreitverfahren begründet.“

Teste dein Wissen in unserem Lernbereich

Weiterführende Studienliteratur

Hellesen/Pützer, Zur Stellung von Bundestagsabgeordneten im Organstreitverfahren, JuS 2018, 429.

Ingold, Die Prozessstandschaft in der verfassungsprozessrechtlichen Fallbearbeitung, JuS 2020, 118.

Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte

  • Das Organstreitverfahren ist ein kontradiktorisches Verfahren, in dem sich zwei Verfahrensparteien gegenüberstehen.

  • Im Rahmen der Begründetheit werden die Rechtsverhältnisse der beiden Verfahrensparteien anhand der Verfassung geprüft.

  • Es können auch fremde Rechte, die des Bundestages, im Wege der Prozessstandschaft im eigenen Namen geltend machen.

§ 21.2 Bund-Länder Streit

Notwendiges Vorwissen: Verfassungsgerichtsbarkeit, sowie Organstreitverfahren

Lernziel: Bund-Länder-Streit lernen und prüfen können

Der Bund-Länder-Streit ist in Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG, §§ 13 Nr. 7, 68 ff. BVerfGG normiert. Er ähnelt in vielerlei Hinsicht dem Organstreitverfahren. Es handelt sich ebenfalls um ein kontradiktorisches Verfahren, jedoch diesmal zwischen zwei unterschiedlichen Körperschaften, dem Bund und den Ländern, und nicht wie beim Organstreitverfahren zwei Organen einer Körperschaft. Diese strukturellen Ähnlichkeiten spiegeln sich auch rechtlich wider, indem § 69 BVerfGG für den Bund-Länder-Streit auf entsprechend Anwendung der Normen des Organstreitverfahrens verweist. In der Rechtspraxis spielt der Bund-Länder-Streit nur eine untergeordnete Rolle und kommt daher selten zur Anwendung. Das hat vor allem damit zu tun, dass sich bei Streitigkeiten zur Gesetzgebungskompetenz die abstrakte Normenkontrolle im Gegensatz zum Bund-Länder-Streit besser anbietet. Sie hat zum einen kein Fristerfordernis und zum anderen gem. § 78 S. 1 BVerfGG die Möglichkeit einer Nichtigkeitserklärung im Tenor der Entscheidung. Beim Bund-Länder-Streit erfolgt, wie schon beim Organstreitverfahren, lediglich gem. § 67 S. 1 BVerfGG eine Feststellung.

Examenswissen: Im Rahmen der Verwaltungskompetenzen und der Auftragsverwaltung gem. Art. 85 GG behält der Bund-Länder-Streit weiterhin Bedeutung. So kam es insbesondere im Zusammenhang mit Weisungen durch den Bund zu Verfahren.

Prüfungsschema der Zulässigkeit

Formulierungsbeispiel Obersatz. „Der Antrag müsste zulässig sein.“

Klausurtaktik

Für die Zulässigkeitsprüfung muss neben dem GG auch das BVerfGG genutzt werden.

Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts

Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für den Bund-Länder-Streit ergibt sich aus Art. 93 I Nr. 3 GG und § 13 Nr. 7 BVerfGG. An dieser Stelle muss man sich bereits darüber klar sein, welches Verfahren einschlägig ist. Dabei sind alle Verfahren nach dem sog. Enumerativsystem geregelt (Enumeration = Aufzählung). Die Zuständigkeit des BVerfG ergibt sich nur, wenn die Streitigkeit in § 13 BVerfGG aufgelistet ist und nicht schon dann, wenn die Streitigkeit Verfassungsrecht betrifft.

Formulierungsbeispiel Obersatz „Das Bundesverfassungsgericht ist nach Art. 93 I Nr. 3 GG und § 13 Nr. 7 BVerfGG für den Bund-Länder-Streit zuständig.“

Klausurtaktik

Bei der Zuständigkeitsprüfung wird es regelmäßig keine Probleme geben. Bitte kurz fassen.

Antragssteller:in und Antragsegner:in, § 68 BVerfGG

§ 68 BVerfGG regelt ausdrücklich, dass für den Bund lediglich die Bundesregierungund für ein Land lediglich die Landesregierung Antragsteller:in oder Antragsgegner:in sein kann. Daraus folgt auch, dass die jeweiligen Parlamente nicht für ihr Land Antragsbefugt sind.

Beispiel zu Landesparlament als Antragstellerin: Das BVerfG erklärte einen Bund-Länder-Streit aus Schleswig-Holstein zur Schuldenbremse für unzulässig, da er durch das Landesparlament und nicht die Landesregierung, erhoben wurde. Es stellte insbesondere fest, dass eine Beschränkung der Antragsstellung auf die Landesregierung mit der Garantie des effektiven Rechtsschutzes, dem Rechtsstaatsprinzip und dem Grundsatz der Bundesstaatlichkeit vereinbar sei. Im Falle eines Konflikts zwischen dem Landesparlament und der Landesregierung stehe dem Parlament auch die Möglichkeit einer Organklage (Gem. des jeweiligen Landesrechts und nicht das Organstreitverfahren nach Art. 93 I Nr. 1 GG. Darüber hinaus subsidiär gem. Art. 93 I Nr. 4 GG.) gegen die Regierung auf Durchführung des Bund-Länder-Streits offen.

Antragsgegenstand, §§ 69, 64 I BVerfGG

Für den Antragsegenstand verweist das BVerfGG gem. §§ 69, 64 I BVerfGG auf das Organstreitverfahren.

Klausurtaktik

Durch den Verweis in § 69 BVerfGG ist die Norm auch stets mitzuzitieren, da sie erst erlaubt die Normen des Organstreits auch für den Bund-Länder-Streit zu verwenden.

Demnach muss gem. §§ 69, 64 I BVerfGG eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners vorliegen. Für die Maßnahme oder das Unterlassen bestehen gewisse Anforderungen, sodass nicht jede Maßnahme oder jedes Unterlassen taugliches Antragsgegenstand ist. Zum einen muss die Maßnahme oder das Unterlassen die verfassungsrechtlichen Rechte der Antragssteller:in verletzen oder unmittelbar gefährden und zum anderen muss sie rechtserheblich sein.

Beispiel eines Antragsgegenstandes: Der Bund erhält Einnahmen, indem er Funkfrequenzen versteigert. Die Länder sind der Auffassung, dass der Bund diese Einnahmen mit ihnen zu teilen habe. Der Bund behält die Einnahmen jedoch für sich allein und unterlässt es den Ländern einen Anteil auszuzahlen.

Antragsbefugnis, §§ 69, 64 I BVerfGG

Gemäß § 64 I BVerfGG muss eine Verletzung oder unmittelbaren Gefährdung von Rechten geltend gemacht werden. Dabei genügt lediglich die Möglichkeit einer Verletzung oder unmittelbaren Gefährdung, sodass diese nicht evident ausgeschlossen werden kann. Taugliche Rechte sind dabei lediglich solche des Landes. Rechte der Regierung können dagegen nicht vorgetragen werden, da sie das Land lediglich im Verfahren vertritt. Ebenso können Rechte des Bundesrates nicht vorgetragen werden. Zwar sind die Länder in ihm vertreten, jedoch handelt es sich beim Bundesrat um ein Organ des Bundes, weswegen für ihn gem. § 63 BVerfGG lediglich der Organstreit offensteht.

Form und Frist, §§ 23 I, 69, 64 III BVerfGG

Für die Form und die Frist gilt das gleiche, wie beim Organstreitverfahren, insbesondere die Frist von 6 Monaten ab Kenntnis der Maßnahme gem. §§ 69, 64 III BVerfGG.

Rechtsschutzbedürfnis

Das Rechtsschutzbedürfnis stellt in der Klausur regelmäßig kein Problem dar, da es durch die Möglichkeit der Rechtsverletzung bereits besteht.

Ergebnis

Formulierungsbeispiel Obersatz „Der Bund-Länder-Streit ist mithin zulässig.“

Typischer Aufbau der Begründetheit

Wie bereits zum Organstreitverfahren dargelegt, besteht kein allgemeingültiger Aufbau zur Begründetheit des Bund-Länder-Streits. Eine regelmäßige Konstellation ist die, dass eine verfassungsrechtliche Rechtsverletzung vorgetragen wird, die es dann zu prüfen gilt.

Formulierungsbeispiel Obersatz „Der Antrag ist begründet, soweit die Handlung oder Unterlassung des Antragsgegners den Antragsteller in seinen verfassungsrechtlichen Rechten verletzt, vgl. §§ 69, 67 BVerfGG.“

Klausurtaktik

Bitte "soweit" bzw "insoweit" nutzen (und nicht "wenn") - denn die Handlung oder das Unterlassung kann auch nur teilweise die Antragsteller:in in ihren verfassungsrechtlichen Rechten verletzten.

Der Schwerpunkt liegt dabei in der Darlegung und Prüfung des konkreten Rechts.

Beispiel zur Prüfung: Aufbauend auf dem Beispiel vom Antragsgegenstand: Der Antrag ist begründet, wenn der Bund die Pflicht hat, den Ländern einen Anteil zu zahlen. Dafür muss

  1. dargelegt werden, wann ein solcher Anspruch besteht, beispielweise sind gem. Art. 106 III GG gewisse Steuereinnahmen des Bundes aufzuteilen.

  2. Geprüft werden, ob vorliegend die Voraussetzungen des Anspruchs erfüllt sind, also ob im Sachverhalt die Einnahmen des Bundes solche aufteilungspflichtigen Steuereinnahmen darstellen.

Das Ergebnis ist stets zum Abschluss der Prüfung und als Antwort auf den Obersatz anzugeben.

Formulierungsbeispiel Obersatz „Die Antragsteller:in ist (teilweise) in ihren Rechten aus Art. ... GG verletzt. Insoweit ist der Bund-Länder-Streit begründet.“

Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte

  • Der Bund-Länder-Streit ist dem Organstreitverfahren sehr ähnlich und verweist über § 69 BVerfGG auf dessen Normen.

  • Er behandelt Streit zwischen dem Bund und einem oder mehreren Ländern.

Teste dein Wissen in unserem Lernbereich

§ 21.3 Abstrakte Normenkontrolle

Notwendiges Vorwissen: Verfassungsgerichtsbarkeit

Lernziel: Prüfungsschema der abstrakten Normenkontrolle und wichtigste Streitstände erlernen

Die abstrakte Normenkontrolle ist ein objektives Beanstandungsverfahren, welches in Art. 93 I Nr. 2 GG, § 13 Nr. 6 und in §§ 76 ff. BVerfGG normiert ist.

Der wichtigste Streitstand

Bei der abstrakten Normenkontrolle gibt es vor allem einen Standardstreit, den alle Studierenden kennen müssen: Im Rahmen des Antragsgrunds weicht der Wortlautdes Art. 93 I Nr. 2 GG (Antragssteller:in hat Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit dem Grundgesetze) vom Wortlaut des § 76 I Nr. 1 BVerfGG ab (wenn der Antragsteller Bundes- oder Landesrechts aus förmlichen oder sachlichen Gründen mit dem Grundgesetz oder dem sonstigen Bundesrecht für nichtig hält).

§ 76 I BVerfGG enthält somit eine höhere Hürde als Art. 93 I Nr. 2 GG. Sollte also ein „zweifelnder“ Antrag (Antragsberechtigte haben lediglich Zweifel über die Verfassungsmäßigkeit) vorliegen, muss entschieden werden, ob es sich dabei um einen ausreichenden Antragsgrund handelt. Es ist mithin strittig, ob § 76 I BVerfGG eine Konkretisierung des Art. 93 I Nr. 2 GG darstellt oder die Voraussetzung des Art. 93 I Nr. 2 GG auf unzulässige Weise verengt.

Gegen die Zulässigkeit eines zweifelnden Antrags wird vorgetragen:

  • Der klarer Wortlaut des § 76 I BVerfGG;

  • Art. 94 II 1 GG ermächtigt den Gesetzgeber, die Verfahren vor dem BVerfG näher auszugestalten;

  • Regelung erschwert den Zugang nur geringfügig.

Für die Zulässigkeit eines zweifelnden Antrags spricht:

  • Der Wortlaut der Verfassung ist genauso eindeutig und Verfassung ist höherrangig;

  • der systematische Vergleich zu Art. 100 I GG, der gerade verlangt, dass eine Norm für verfassungswidrig gehalten wird;

  • Landesregierung/ Bundesregierung/ Mitglieder des Bundestags sind nicht zwangsläufig Jurist:innen, daher kann auch kein juristisches Urteil verlangt werden (anders als bei der konkreten Normenkontrolle, wo gerade von einem Gericht das Verfahren eingeleitet wird).

Ergebnis: Somit stellt § 76 I BVerfGG keine zulässige Konkretisierung des Art. 93 I Nr. 2 GG dar, sondern verengt die Voraussetzung auf unzulässige Weise.

Auf der nächsten Ebene kann gefragt werden, welche Konsequenzen dieses Ergebnis für § 76 I BVerfGG hat. Zum einen wird argumentiert, dass § 76 I BVerfGG noch verfassungskonform ausgelegt werden kann und somit weiterhin Gültigkeit hat. Auf der anderen Seite verbietet sich eine Auslegung contra legem, was eher für eine Verfassungswidrigkeit und mithin Teilnichtigkeit von § 76 I BVerfGG sprechen würde. Diese Frage muss in einer Falllösung nicht betrachtet werden.

Prüfungsschema der Zulässigkeit

Formulierungsbeispiel „Der Antrag müsste zulässig sein.“

Klausurtaktik

Für die Zulässigkeitsprüfung muss neben dem GG auch das BVerfGG genutzt werden.

Zuständigkeit des BVerfG

Die Zuständigkeit des BVerfG für die abstrakte Normenkontrolle ergibt sich aus Art. 93 I Nr. 2 GG und § 13 Nr. 6 BVerfGG.

Weiterführendes Wissen Enumerativsystem

An dieser Stelle muss man sich bereits darüber klar sein, welches Verfahren einschlägig ist. Dabei sind alle Verfahren nach dem sog. Enumerativsystemgeregelt (Enumeration = Aufzählung). Die Zuständigkeit des BVerfG ergibt sich nur, wenn die Streitigkeit in § 13 BVerfGG aufgelistet ist und nicht schon dann, wenn die Streitigkeit Verfassungsrecht betrifft.

Formulierungsbeispiel „Das BVerfG ist nach Art. 93 I Nr. 2 GG und § 13 Nr. 6 BVerfGG für die abstrakte Normenkontrolle zuständig.“

Klausurtaktik

Bei der Zuständigkeitsprüfung wird es regelmäßig keine Probleme geben. Bitte kurz fassen.

Antragsberechtigung gem. Art. 93 I Nr. 2 GG, § 76 BVerfGG

Im Rahmen der Antragsberechtigung wird danach gefragt, ob die Person/die Personengruppe/das Organ den Antrag an das BVerfG überhaupt stellen konnte. Das ergibt sich bei der abstrakten Normenkontrolle aus Art. 93 I Nr. 2 GG, § 76 BVerfGG. Demnach sind die Bundesregierung, die Landesregierung und 1/4 der Abgeordneten berechtigt, einen Antrag beim BVerfG auf abstrakte Normenkontrolle einzureichen.

Formulierungsbeispiel „Die Abgeordneten/ die Bundesregierung/ die Landesregierung müsste(n) auch antragsberechtigt sein. Gemäß Art. 93 I Nr. 2 GG, § 76 BVerfGG sind die Bundesregierung, die Landesregierung und 1/4 der Abgeordneten berechtigt, einen solchen Antrag zu stellen.“

Klausurtaktik

Nicht antragsberechtigt ist demnach der Bundesrat und „die Fraktion“ beziehungsweise „die Opposition“ als Einheit. Der Antrag ist immer von den Abgeordneten zu stellen, die die Fraktion bilden. Dieser Punkt sollte aber nur dann umfassend besprochen werden, wenn es Hinweise im Sachverhalt gibt. Grundbedingung einer Normenkontrolle ist nämlich, dass eine einheitliche Rechtsauffassung tatsächlich gebildet wird. Über den Fraktionszwang könnte die Zustimmung zur Normenkontrolle allerdings eingefordert werden.

Wenn nicht angegeben ist, wie viele Abgeordnete im Bundestag sitzen, dann ist § 1 BWahlG der Ausgangspunkt der Berechnungen. Demnach besteht der Deutsche Bundestag vorbehaltlich der sich aus diesem Gesetz ergebenden Abweichungen aus 598 Abgeordneten.

Antragsgegenstand, Art. 93 I Nr. 2 GG, § 76 I BVerfGG

Der Antragsgegenstand richtet sich nach Art. 93 I Nr. 2 GG, § 76 I BVerfGG und ist mithin jede Rechtsnorm des Bundes- oder Landesrechts. Mit Antragsgegenstand ist der „Gegenstand“ gemeint, mit dem sich das BVerfG befassen muss. Bei einer abstrakten Normenkontrolle wird die Frage aufgeworfen, ob ein bestimmtes Gesetz/ eine Rechtsnorm mit der Verfassung vereinbar ist. Daher ist der „Gegenstand“ des Verfahrens die besagte Norm.

Art. 93 I Nr. 2 GG und § 76 BVerfGG rekurrieren auf Bundes- oder Landesrecht – daher können neben formellen Gesetzen auch materielle Gesetze(Rechtsverordnungen, Satzungen), sowie vorkonstitutionelles Recht Antragsgegenstand sein. Demgegenüber kann im Rahmen der konkreten Normenkontrolle nur ein formelles Gesetz dem BVerfG vorgelegt werden.

Die Rechtsnorm muss prinzipiell bereits verkündet, aber noch nicht in Kraft getreten sein, um ein tauglicher Antragsgegenstand zu sein. Eine Ausnahme liegt vor, wenn es sich um Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen handelt. Bereits vor Ausfertigung durch den:die Bundespräsident:in kann ein solches Zustimmungsgesetz vor dem BVerfG überprüft werden. Dadurch soll verhindert werden, dass sich die Bundesrepublik durch die Ratifizierung eines verfassungswidrigen Vertrags bindet.

Kein tauglicher Antragsgegenstand sind dagegen mangels Außenwirkung Verwaltungsvorschriften.

Formulierungsbeispiel „Es müsste ein tauglicher Antragsgegenstand vorliegen. Der Antragsgegenstand einer abstrakten Normenkontrolle kann gem. Art. 93 I Nr. 2 GG, § 76 I BVerfGG jede Rechtsnorm des Bundes- oder Landesrechts sein.“

Examenswissen: Fraglich ist, inwiefern schlichte Parlamentsbeschlüsse ein tauglicher Antragsgegenstand sein können. Vertretbar ist, die Überprüfbarkeit dann zu bejahen, soweit Beschlüsse funktionell an die Stelle eines Gesetzes treten. Klausurrelevant ist die Frage, inwiefern Beschlüsse des Bundestags über den Auslandseinsatz der Bundeswehr im Normenkontrollverfahren überprüfbar sind. Dafür spricht, dass solche Beschlüsse durchaus als (nicht gesetzesförmiges) Bundesrecht zu qualifizieren sind. Fraglich ist allerdings, ob Parlamentsbeschlüsse zum Auslandseinsatz tatsächlich als funktionelles Äquivalent zu einem Gesetz gewertet werden können. Der Beschluss des Bundestags sorgt vielmehr für eine Legitimationserhöhung und ist somit nicht mit einem Gesetz mit Außenwirkung zu vergleichen. Zustimmungsbeschlüsse zu einem Auslandseinsatz sind daher nicht im Wege der abstrakten Normenkontrolle, sondern über das Organstreitverfahren zu überprüfen.

Antragsgrund, Art. 93 I Nr. 2, 76 I BVerfGG

Klausurtaktik

Der Antragsgrund wird teilweise Antragsbefugnis genannt. Da es sich aber um eine objektive Bedingung handelt, die nicht an eine subjektive Rechtsposition gebunden ist, wird Studierenden nahegelegt, das Wort „Antragsgrund“ zu nutzen.

Der Antragsgrund bestimmt sich nach Art. 93 I Nr. 2 GG, § 76 I BVerfGG. An dieser Stelle wird gefragt, wieso der:die Antragssteller:in die vorgelegte Fallfrage an das BVerfG richtet. Problematisch ist, dass der Wortlaut des Art. 93 I Nr. 2 GG (Antragssteller:in hat Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit dem Grundgesetze) vom Wortlaut des § 76 I Nr. 1 BVerfGG (wenn der Antragsteller Bundes- oder Landesrechts aus förmlichen oder sachlichen Gründen mit dem Grundgesetz oder dem sonstigen Bundesrecht für nichtig hält) abweicht.

Formulierungsbeispiel „Es müsste ein tauglicher Antragsgrund vorliegen. Nach Art. 93 I Nr. 2 GG reicht es auch, wenn Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit einer Norm mit dem Grundgesetz bestehen. Dagegen fordert § 76 I BVerfGG, dass die Norm für nichtig gehalten wird. Somit normiert § 76 I BVerfGG strengere Voraussetzungen für die Zulässigkeit der abstrakten Normenkontrolle als Art. 93 I Nr. 2 GG.“

Klausurtaktik

Der Streit um den unterschiedlichen Wortlaut von § 76 I BVerfGG und Art. 93 I Nr. 2 GG muss nur dann thematisiert werden, wenn der:die Antragssteller:in lediglich Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Norm hat. Wenn allerdings davon ausgegangen wird, dass die vorgelegte Norm nichtig ist, kann sowohl § 76 I BVerfGG wie auch Art. 93 I Nr. 2 GG als erfüllt angesehen werden, ein Streitentscheid ist daher nicht notwendig. Falls dem Sachverhalt nicht direkt zu entnehmen ist, ob der:die Antragssteller:in lediglich Zweifel hat oder die Norm für nichtig hält, müssen die Angaben im Sachverhalt ordentlich ausgelegt werden.

Form und Frist, § 23 I BVerfGG

Die abstrakte Normenkontrolle kennt keine Frist, aber der Antrag muss nach § 23 I BVerfGG schriftlich eingehen und begründet sein.

Formulierungsbeispiel „Der Antrag ist nicht fristgebunden, muss jedoch die Schriftform des § 23 I BVerfGG einhalten.“

Klausurtaktik

Wenn ein Antrag per Fax eingereicht wird, gilt die Form als gewahrt.

Eine Einreichung per E-Mail oder einer vergleichbaren elektronischen Form mangelt es bislang an einer gesetzlichen Grundlage, sodass diese als formwidrig zu betrachten ist.

Ein Antrag ist nicht formwidrig, wenn es im Sachverhalt heißt, dass das „BVerfG angerufen wurde“. Damit ist nicht gemeint, dass die Bundesregierung/ die Landesregierung/ die Abgeordneten das BVerfG mit dem Telefon angerufen haben, sondern dass sich mit der Fallfrage an das BVerfG gewandt wurde.

Objektives Klarstellungsinteresse

Beim objektiven Klarstellungsinteresse handelt es sich um eine ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung. Der:die Antragssteller:in muss ein objektives Interesse an der Klarstellung der Normgültigkeit haben. Dabei wird das Interesse durch den Antrag indiziert, die Beurteilung verläuft prinzipiell großzügig. Vor allem ist keine Subsidiarität der Normenkontrolle gegenüber anderen Rechtsbehelfen anzunehmen. Das Interesse wird dann verneint, wenn die Norm als solche keinen Anwendungsfall mehr hat.

Klausurtaktik

An dieser Stelle wird nicht der Schwerpunkt der Zulässigkeitsprüfung liegen. Bitte möglichst kurz halten.

Ergebnis

Formulierungsbeispiel „Die abstrakte Normenkontrolle ist mithin zulässig.“

Typischer Aufbau der Begründetheit

In den meisten Fällen wird der Antragsgegenstand der abstrakten Normenkontrolle ein formelles Bundesgesetz sein. Daher ist der vorgestellte Aufbau auf ein Gesetz hin ausgerichtet (und nicht auf eine Rechtsverordnung oder eine Satzung). Handelt es sich beim Antragsgegenstand um ein Landesgesetz, muss die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz und sonstigem Bundesrecht überprüft werden.

Klausurtaktik

Da in verfassungsrechtlichen Klausurfällen in der Regel nur die Kenntnisse im Verfassungsrecht abgeprüft werden sollen, dürfte die Prüfung an sonstigem Bundesrecht in den meisten Fällen unerheblich sein. Sollten sich im Sachverhalt oder Bearbeitungshinweis keine expliziten Hinweise auf die Prüfung am einfachen Bundesrecht finden, sollte die Vereinbarkeit daher nur kurz („mangels anderweitiger Sachverhaltsangaben“) festgestellt werden.

Examenswissen: Der Prüfungsmaßstab der abstrakten Normenkontrolle richtet sich nach Art. 93 I Nr. 2 GG: Bundesrecht wird am Grundgesetz, Landesrecht am Grundgesetz und an „sonstigem Bundesrecht“ gemessen. Bei Verfassungsänderungen gilt der Maßstab des Art. 79 GG. Grundsätzlich anerkannt war, dass das Unionsrechts kein Prüfungsmaßstab bei der Normenkontrolle ist. Allerdings bleibt abzuwarten, wie sich der Prüfungsmaßstab im Lichte der Entscheidungen zu „Recht auf Vergessen I und II“ entwickelt. Im Urteil „Recht auf Vergessen II“ legte der 1. Senat erstmalig Unionsgrundrechte als Prüfungsmaßstab innerhalb der Verfassungsbeschwerde fest, da der Sachverhalt im vollvereinheitlichten Bereich innerhalb des Unionsrechts lag. Ob sich das auch auf weitere Verfahrensarten erstrecken wird, bleibt abzuwarten.

Examenswissen: Bei der Prüfung von Bundesrechtsverordnungen muss der Aufbau leicht abgewandelt werden:

    Prüfung von Bundesrechtsverordnungen


  1. Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage


    1. Formelle Verfassungsmäßigkeit


    2. Materielle Verfassungsmäßigkeit


  2. Rechtmäßigkeit der Rechtsverordnung


    1. Formelle Rechtmäßigkeit


      1. Zuständigkeit


      2. Verfahren


      3. Form


    2. Materielle Rechtmäßigkeit


      1. Ermächtigungsrahmen


      2. Sonstiges höherrangiges Recht


Formulierungsbeispiel „Der Antrag ist begründet, insoweit der Antragsgegenstand formell und/oder materiell verfassungswidrig ist.“

Klausurtaktik

Bitte das Wort „insoweit“ nutzen (und nicht „wenn“) – denn ein Gesetz kann auch nur teilweise verfassungswidrig sein.

Formelle Verfassungsmäßigkeit

Die formelle Verfassungsmäßigkeit fragt, ob die „Form“ der Gesetzgebung eingehalten wurde. Dabei werden Zuständigkeit, Verfahren und Form des Gesetzgebungsprozesses überprüft.

Klausurtaktik

Wichtig ist, dass die formelle Verfassungsmäßigkeit nur dann tiefergehend thematisiert werden muss, wenn im Sachverhalt Probleme angelegt sind. Kein:e Korrektor:in möchte seitenlange Ausführungen über das Gesetzgebungsverfahren lesen, wenn es in diesem Abschnitt keine Problemschwerpunkte gibt.

Zuständigkeit

Hatte der Bund oder das Land die Kompetenz zur Regelung der Sachmaterie? (Art. 70 ff. GG)

Verfahren

Wurde das ordentliche Gesetzgebungsverfahren eingehalten? (Art. 76 ff. GG)

Form

Wurde das Gesetz gemäß Art. 82 I GG ausgefertigt und verkündet?

Materielle Verfassungsmäßigkeit

Bei der materiellen Verfassungsmäßigkeit wird geprüft, ob das Gesetz seinem Inhalt nach gegen die Verfassung verstößt. Es müssen daher die relevanten Artikel im Grundgesetz gefunden werden, an dessen Maßstab dann der Antragsgegenstand gemessen wird.

Klausurtaktik

Im Staatsorganisationsrecht wird sich die materielle Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes häufig an Art. 38 I 1 GG und an den Staatsstrukturprinzipien (Art. 20 I GG) messen lassen müssen. Es empfiehlt sich, die relevanten Anknüpfungspunkte im Kopf alle einmal durchzugehen, bevor man in die Prüfung startet. Solche Ausprägungen der Staatsstrukturprinzipien, die möglicherweise einschlägig sind, sollten dann ordentlich angeprüft werden. In späteren Semestern können auch Grundrechte Teil der Prüfung sein, die im Wege der abstrakten Normenkontrolle ebenso zur Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes führen können. Siehe dazu beispielsweise Fall 3 aus dem Grundrechte- Fallbuch.

Verstoß gegen Art. XX

Ist das Gesetz seinem Inhalt nach mit Art. XX vereinbar?

Umfang des Rechts

Was schützt Art. XX?

Beeinträchtigung des Rechts

Wird der von Art. XX geschützte Bereich durch das zu prüfende Gesetz beeinträchtigt?

Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

Diese richtet sich nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz:

  • Legitimer Zweck: Ist ein vernünftiger Grund oder zwingender Grund ersichtlich?

  • Angemessenheit: Mittel/Zweck-Relation – Welches Rechtsgut wird beeinträchtigt und welches wird geschützt?

Ggf. Verstoß gegen Art. YY

Aufbau genauso wie unter 1.

Zwischenergebnis

Formulierungsbeispiel „Die vorgelegte Rechtsnorm verstößt (nicht) gegen Art. XX/YY und ist insoweit materiell verfassungswidrig (oder verfassungsgemäß).“

Ergebnis

Formulierungsbeispiel „Die abstrakte Normenkontrolle ist somit insoweit begründet, inwieweit der Antragsgegenstand formell und/oder materiell verfassungswidrig ist.“

Teste dein Wissen in unserem Lernbereich

Weiterführende Studienliteratur

Michael, Normenkontrollen – Teil 2. Fragen der Zulässigkeit: Abstrakte Normenkontrolle, ZJS 2014, 254.

Geis/Schmidt, Grundfälle zur abstrakten und zur konkreten Normenkontrolle, JuS 2012, 121.

Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte

§ 21.4 Konkrete Normenkontrolle

Notwendiges Vorwissen: Verfassungsgerichtsbarkeit, sowie abstrakte Normenkontrolle

Lernziel: Prüfungsschema der konkreten Normenkontrolle und wichtigste Streitstände erlernen

Die konkrete Normenkontrolle ist ein objektives Beanstandungsverfahren, welches in Art. 100 I GG, § 13 Nr. 11 und in §§ 80 ff BVerfGG normiert ist. Dabei wird ein Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit hin überprüft. Innerhalb der konkreten Normenkontrolle wird es in der Zulässigkeitsprüfung aller Wahrscheinlichkeit nach weniger strittige Punkte als bei anderen Verfahrensarten geben. Die Prüfung sollte daher eher zügig durchgeführt werden.

Prüfungsschema der Zulässigkeit

Formulierungsbeispiel „Der Antrag müsste zulässig sein.“

Klausurtaktik

Für die Zulässigkeitsprüfung muss neben dem GG auch das BVerfGG genutzt werden.

Zuständigkeit des BVerfG

Die Zuständigkeit des BVerfG für die konkrete Normenkontrolle ergibt sich aus Art. 100 I GG und § 13 Nr. 11 BVerfGG.

Weiterführendes Wissen Enumerativsystem

An dieser Stelle muss man sich bereits darüber klar sein, welches Verfahren einschlägig ist. Dabei sind alle Verfahren nach dem sog. Enumerativsystemgeregelt (Enumeration = Aufzählung). Die Zuständigkeit des BVerfG ergibt sich nur, wenn die Streitigkeit in § 13 BVerfGG aufgelistet ist und nicht schon dann, wenn die Streitigkeit Verfassungsrecht betrifft.

Formulierungsbeispiel „Das Bundesverfassungsgericht ist nach Art. 100 I GG und § 13 Nr. 11 BVerfGG für die konkrete Normenkontrolle zuständig.“

Klausurtaktik

Bei der Zuständigkeitsprüfung wird es regelmäßig keine Probleme geben. Bitte kurz fassen.

Vorlageberechtigung

Anders als in der abstrakten Normenkontrolle, wird der Prüfungspunkt nicht „Antrags“berechtigung, sondern Vorlageberechtigung genannt. Bei einer Vorlage setzt ein Gericht das eigene Verfahren aus, um die aufgekommene Rechtsfrage dem dafür zuständigen Gericht vorzulegen. Daher unterscheidet sich die Terminologie der konkreten Normenkontrolle von der der abstrakten Normenkontrolle.

Vorlageberechtigt ist daher jedes Gericht (Art. 100 I GG), auch LVerfG. Gerichte sind laut BVerfG „alle Spruchstellen, die sachlich unabhängig, in einem formell gültigen Gesetz mit den Aufgaben eines Gerichts betraut und als Gerichte bezeichnet sind“. Die bei Gericht tätigen Richter:innen sind sachlich und persönlich unabhängig gem. Art. 97 I und II GG und üben rechtsprechende Gewalt aus. Daher sind z.B. bei Gericht tätigen Rechtspfleger:innen ausgeschlossen.

Vorlagegegenstand

Vorlagegegenstand kann gem. Art. 100 I GG nur ein „Gesetz“ sein. Damit sind formelle Gesetze gemeint, quasi aus „Respekt“ vor dem parlamentarischen Gesetzgeber, dessen Entscheidungen nur im Ausnahmefall aufgehoben werden sollen. Anders als bei der abstrakten Normenkontrolle sind Verordnungen und Satzungen keine tauglichen Vorlagegegenstände. Grund dafür ist Sinn und Zweck des Art. 100 I GG: Das BVerfG hat das Verwerfungsmonopol, um somit die Rechtseinheit und Rechtssicherheit zu wahren. Laut BVerfG besteht keine Gefahr einer Rechtsunsicherheit oder Rechtszersplitterung bei Nachprüfung von Rechtsverordnungen oder Satzungen durch die einzelnen Gerichte. Prinzipiell sind auch ordentliche Gerichte dazu ermächtigt, untergesetzliche Normen für nichtig zu erklären, wenn diese Möglichkeit durch das fachgesetzliche Verfahrensrecht vorgesehen ist, wie z.B. in § 47 VwGO. Falls dies nicht der Fall ist, scheidet eine diesbezügliche eigenständige Gerichtsentscheidung aus. Den Gerichten steht dann die Möglichkeit der Inzidentprüfung mit der Folge der Nichtanwendung des verfassungswidrigen materiellen Bundes- oder Landesrechts offen.

Beispiel: Würde ein Gericht die Straßenverkehrsordnung für verfassungswidrig halten, kann dies nicht dem BVerfG vorgelegt werden, da es sich dabei gerade nur um ein materielles Gesetzhandeln würde (Bundesrechtsverordnung).

Außerdem muss es sich um ein nachkonstitutionelles Gesetz handeln. Das heißt, das Gesetz muss nach In-Kraft-Treten der Verfassung verkündet worden sein. Auch vorkonstitutionelle Gesetze können Vorlagegegenstand sein, wenn der Gesetzgeber sie „in seinen Willen“ aufgenommen hat. Laut BVerfG ist eine vorkonstitutionelle Norm dann in den Willen des Gesetzgebers aufgenommen, wenn sich ein Bestätigungswilleaus dem Inhalt des Gesetzes selbst oder – bei Gesetzesänderungen – auch aus dem engen sachlichen Zusammenhang zwischen unveränderten und geänderten Normen objektiv erschließen lässt.

Klausurtaktik

Die Frage nach vorkonstitutionellem Recht ist nicht zu ausführlich gestalten, da es an dieser Stelle regelmäßig keine Probleme geben wird.

Examenswissen: Vorlagegegenstand sind nur solche Gesetze, die vom deutschen Gesetzgeber erlassen wurden, da nur dieser dem GG verpflichtet ist. Das bedeutet, dass das europäische Primär- und Sekundärrecht keine tauglichen Vorlagegegenstände darstellen. Möglich ist allerdings, dass das entsprechende Zustimmungsgesetz im Zuge der Normenkontrolle überprüft werden kann.

Vorlagegrund

Das vorlegende Gericht muss das Gesetz zwingend für nichtig halten (Art. 100 I GG), der Wortlaut des Art. 100 I GG ist dabei eindeutig. Im Gegensatz zu dem Antragsberechtigten der abstrakten Normenkontrolle haben die Richter:innen eine juristische Ausbildung durchlaufen und sind mithin in der Lage, sich ein juristisches Urteil zu bilden. Einfache Zweifel oder Meinungsverschiedenheiten reichen daher nicht aus, damit ein tauglicher Vorlagegrund vorliegt.

Entscheidungserheblichkeit

Außerdem muss es beim ausgesetzten Gerichtsverfahren gerade auf die Verfassungsmäßigkeit der vorgelegten Norm ankommen (Entscheidungserheblichkeit). Je nach Entscheidung des BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit des Vorlagegegenstands müsste die Entscheidung im ausgesetzten Gerichtsverfahren unterschiedlich ausfallen.

Beispiel: Sollte das BVerfG die fragliche Norm für verfassungsmäßig halten, würde das Gericht in der eigenen Sache die Klage abweisen. Wenn die Norm verfassungswidrig ist, würde der Klage stattgegeben werden.

Form und Frist

Die konkrete Normenkontrolle kennt keine Frist, aber der Antrag muss nach § 23 I BVerfGG schriftlich eingehen und begründet sein.

Formulierungsbeispiel „Der Antrag ist nicht fristgebunden, muss jedoch die Schriftform des § 23 I BVerfGG einhalten.“

Klausurtaktik

Wenn ein Antrag per Fax eingereicht wird, gilt die Form als gewahrt.

Bitte kein Formwidrigkeit feststellen, wenn es im Sachverhalt heißt, dass das „Bundesverfassungsgericht angerufen wurde“. Damit ist nicht gemeint, dass das vorlegende Gericht das BVerfG mit dem Telefon angerufen hat, sondern dass sich mit der Fallfrage an das BVerfG gewandt wurde.

Zwischenergebnis

Die konkrete Normenkontrolle ist somit zulässig.

Typischer Aufbau der Begründetheit

In den meisten Fällen wird der Antragsgegenstand der konkreten Normenkontrolle ein Bundesgesetz sein (Art. 100 I 1 2. Var.). In Abs. 1 sind allerdings noch weitere Fälle der konkreten Normenkontrolle aufgelistet:

  • Neben der Verletzung des GG durch ein Bundesgesetz (Art. 100 I 1 2. Var. GG) kann auch die Verletzung des GG durch ein Landesgesetz (Art. 100 I 2 1. Var. GG) überprüft werden - die Vorlage richtet sich an das BVerfG;

  • Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetz (Art. 100 I 2 2. Var. GG) - die Vorlage richtet sich an das BVerfG;

  • Verletzung einer LVerf durch ein Landesgesetz (Art. 100 I 1 1. Var. GG) - die Vorlage richtet sich an das jeweilige LVerfG.

Weiterführendes Wissen zu Art. 100 II und III GG

Daneben regeln Art. 100 II und III GG noch weitere Verfahren. Zum einen ist in Art. 100 II GG das Völkerrechtsverifikationsverfahren zu finden. Das Verfahren wird einfachgesetzlich in § 13 Nr. 12 und §§ 83 f. BVerfGG geregelt. Sinn und Zweck ist dabei, gerichtlich klarstellen zu lassen, ob eine bestimmte allgemeine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist und daher über Art. 25 GG unmittelbar Rechte und Pflichten für den:die Einzelnen erzeugt. Zum anderen ist in Art. 100 III GG die Divergenzvorlage normiert. Dabei soll sichergestellt werden, dass das GG von allen LVerfG einheitlich ausgelegt wird.

Examenswissen: Der Prüfungsmaßstab der konkreten Normenkontrolle richtet sich nach der jeweiligen Variante. Geht es um die Verletzung des GG durch ein Bundes- oder Landesgesetz (Art. 100 I 1 2. Var. und Art. 100 I 2 1. Var. GG) bildet „dieses Grundgesetz“ den relevanten Maßstab. Das umfasst über Art. 140 GG die inkorporierten Art. 136139, 141 WRV. Ähnlich wie bei der abstrakten Normenkontrollewird auch bei der konkreten Normenkontrolle nicht davon ausgegangen, dass Unionsrecht als Prüfungsmaßstab genutzt werden kann. Fraglich ist allerdings auch an dieser Stelle, wie sich der Prüfungsmaßstab im Lichte der Entscheidungen zu „Recht auf Vergessen I und II“ entwickelt.

Ist fraglich, inwiefern ein Landesgesetz mit einem Bundesgesetz (Art. 100 I 2 2. Var. GG) vereinbar ist, ist der Prüfungsmaßstab sämtliches Bundesrecht unterhalb des GG. Bei einer möglichen Verletzung einer LVerf durch ein Landesgesetz (Art. 100 I 1 1. Var. GG), nutzt das jeweilige LVerfG den Maßstab der eigenen Landesverfassung. Das GG ist dabei nicht Teil des Prüfungsmaßstabs.

Formulierungsbeispiel „Der Antrag ist begründet, insoweit der Antragsgegenstand formell und/oder materiell verfassungswidrig ist.“

Klausurtaktik

Bitte das Wort „insoweit“ nutzen (und nicht „wenn“) – denn ein Gesetz kann auch nur teilweise verfassungswidrig sein.

Formelle Verfassungsmäßigkeit

Die formelle Verfassungsmäßigkeit fragt, ob die „Form“ der Gesetzgebung eingehalten wurde. Dabei werden Zuständigkeit, Verfahren und Form des Gesetzgebungsprozesses überprüft.

Klausurtaktik

Wichtig ist, dass die formelle Verfassungsmäßigkeit nur dann tiefergehend thematisiert werden muss, wenn im Sachverhalt Probleme angelegt sind. Kein:e Korrektor:in möchte seitenlange Ausführungen über das Gesetzgebungsverfahren lesen, wenn es in diesem Abschnitt keine Problemschwerpunkte gibt.

Zuständigkeit

Hatte der Bund oder das Land die Kompetenz zur Regelung der Sachmaterie? (Art. 70 ff. GG)

Verfahren

Wurde das ordentliche Gesetzgebungsverfahren eingehalten? (Art. 76 ff. GG)

Form

Wurde das Gesetz gemäß Art. 82 I GG ausgefertigt und verkündet?

Materielle Verfassungsmäßigkeit

Bei der materiellen Verfassungsmäßigkeit wird geprüft, ob das Gesetz seinem Inhalt nach gegen die Verfassung verstößt. Es müssen daher die relevanten Artikel im GG gefunden werden, an dessen Maßstab dann der Antragsgegenstand gemessen wird.

Klausurtaktik

Im Staatsorganisationsrecht wird sich die materielle Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes häufig an Art. 38 I 1 GG und an den Staatsstrukturprinzipien (Art. 20 I GG) messen lassen müssen. Es empfiehlt sich, die relevanten Anknüpfungspunkte im Kopf alle einmal durchzugehen, bevor man in die Prüfung startet. Solche Ausprägungen der Staatsstrukturprinzipien, die möglicherweise einschlägig sind, sollten dann ordentlich angeprüft werden. In späteren Semestern können auch Grundrechte Teil der Prüfung sein, die im Wege der konkreten Normenkontrolle ebenso zur Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes führen können. Siehe dazu beispielsweise Fall 3 aus dem Grundrechte- Fallbuch.

Typische Klausurfehler

Achtung: In der konkreten Normenkontrolle wird die Verfassungsmäßigkeit der fraglichen Norm geprüft. Sofern in der Sachverhaltsdarstellung ein konkreter Lebenssachverhalt dargestellt wird, ist nicht dieser zu prüfen! Es wird abstrakt die fragliche Norm geprüft. Der konkrete Sachverhalt spielt damit keine Rolle. Dieser darf allenfalls exemplarisch herangezogen werden.

Beispiel: Zwei miteinander verheiratete Frauen, deren Kind mittels anonymer Samenspende gezeugt wurde, wollten beide als rechtliche Mütter abstammungsrechtlich anerkannt werden. Vor dem zuständigen AG wird vorgetragen, dass die Regelungen in § 1592 Nr. 1 und 2 BGB dahingehend auszulegen seien, dass auch eine elternrechtliche Zuordnung der Mit-Mutter (die nicht- gebärende Mutter) möglich sein muss, da die Bezeichnung „Vater und Mutter“ keine biologistische, sondern soziale Entitäten bezeichnet würden. Das zustände AG hält die begehrte Auslegung des § 1592 Nr. 1 und 2 BGB für nicht möglich. Es ist aber der Auffassung, dass § 1592 Nr. 1 und 2 BGB verfassungswidrig sind. Das Verfahren wird daher ausgesetzt und dem BVerfG vorgelegt. Entscheidend für die konkrete Normenkontrolle ist nicht die Rechtsverletzung der konkreten Frauen/ oder des Kinds. Es muss vielmehr anhand des Beispiels in abstrakt- genereller Weise § 1592 Nr. 1 und 2 BGB in Hinblick der einschlägigen Normen (vorliegend v.a. Art. 6 II i.V.m. Art. 3 I GG, Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG und Art. 3 II GG) geprüft werden.

Verstoß gegen Art. XX

Ist das Gesetz seinem Inhalt nach mit Art. XX vereinbar?

Umfang des Rechts

Was schützt Art. XX?

Beeinträchtigung des Rechts

Wird der von Art. XX geschützte Bereich durch das zu prüfende Gesetz beeinträchtigt?

Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

Diese richtet sich nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz:

  • Legitimer Zweck: Ist ein vernünftiger Grund oder zwingender Grund ersichtlich?

  • Angemessenheit: Mittel/Zweck-Relation – Welches Rechtsgut wird beeinträchtigt und welches wird geschützt?

Ggf. Verstoß gegen Art. YY

Aufbau genauso wie unter 1.

Zwischenergebnis

Formulierungsbeispiel „Das vorgelegte Gesetz verstößt (nicht) gegen Art. XX/YY und ist insoweit materiell verfassungswidrig (oder verfassungsgemäß).“

Teste dein Wissen in unserem Lernbereich

Weiterführende Studienliteratur

Michael, Normenkontrollen – Teil 3. Fragen der Zulässigkeit: Konkrete Normenkontrolle, ZJS 2014, 356.

Geis/Schmidt, Grundfälle zur abstrakten und zur konkreten Normenkontrolle, JuS 2012, 121.

Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte

  • Der Aufbau der konkreten Normenkontrolle gestaltet sich parallel zur abstrakten Normenkontrolle. Trotzdem muss bei den einzelnen Prüfungspunkten auf kleinere Abweichungen geachtet werde.

  • Innerhalb des Vorlagegrunds ist es, anders als bei der abstrakten Normenkontrolle, unbedingt notwendig, dass das Gericht die Norm für nichtig hält.

§ 21.5 Verfassungsbeschwerde

Notwendiges Vorwissen: Verfassungsgerichtsbarkeit

Lernziel: Voraussetzungen der Verfassungsbeschwerde kennenlernen

Die Verfassungsbeschwerde stellt einen außerordentlicher Rechtsbehelf dar, mit dem sich die beschwerdeführende Person gegen eine Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechtenwenden kann. Von den beim BVerfG anhängigen Verfahren überwiegt die Verfassungsbeschwerde deutlich. Im Jahr 2019 sind beim BVerfG beispielsweise 5.158 Verfassungsbeschwerden von insgesamt 5.446 Verfahren eingegangen. Schwerpunktmäßig wird die Verfassungsbeschwerde in Grundrechts-Klausuren abgefragt. Daher wird die Verfassungsbeschwerde im OpenRewi Grundrechte Lehrbuch ausführlich behandelt. Allerdings können auch in der prozessrechtlichen Einkleidung der Verfassungsbeschwerdeschwerpunktmäßig staatsorganisationsrechtliche Probleme abgeprüft werden. So kann etwa das Wahlrecht aus Art. 38 I 1 GG im Wege der Verfassungsbeschwerde als grundrechtsgleiches Recht relevant werden und das ordnungsgemäße Durchlaufen des Gesetzgebungsverfahrens im Detail abgefragt werden. Zulässigkeit und Begründetheit werden daher im Folgenden in der gebotenen Kürze nachgebildet, denn die Verfassungsbeschwerde stellt dennoch in staatsorganisationsrechtlichen Klausuren eher eine Ausnahme dar.

Formulierungsbeispiel Obersatz „Die Verfassungsbeschwerde der beschwerdeführenden Person hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig ist und soweit sie begründet ist.“

Zulässigkeit

Formulierungsbeispiel Obersatz „Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, wenn sie die Voraussetzungen des Art. 93 I Nr. 4a GG und der §§ 13 Nr. 8a, 23, 90 ff. BVerfGG erfüllt.“

Zuständigkeit des BVerfG

Gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG entscheidet das BVerfG über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner:ihrer Grundrechte oder in einem seiner:ihrer in Art. 20 IV, 33, 38, 101, 103 und 104 GG enthaltenen Rechte verletzt zu sein.

Formulierungsbeispiel ObersatzNach Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG ist das BVerfG für die Entscheidung über Verfassungsbeschwerden zuständig.“ ODER „Das BVerfG ist gem. Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG für die Entscheidung über Verfassungsbeschwerden zuständig.“

Beschwerdefähigkeit

Gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I 1 BVerfGG ist „jedermann“ beschwerdefähig, der behauptet, in einem seiner:ihrer Grundrechte oder einem seiner:ihrer grundrechtsgleichen Rechte verletzt zu sein. Bei diesem Prüfungspunkt ist allein entscheidend, ob die beschwerdeführende Person Trägerin von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten sein kann.

Formulierungsbeispiel Obersatz „Gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG ist „jedermann“, also jede Person, die Träger:in von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten sein kann, beschwerdefähig. Indem XY als natürliche Person Grundrechtsträger:in ist, ist er:sie „jedermann“ und somit beschwerdefähig.“ ODER „XY ist als natürliche Person Grundrechtsträger:in und damit „jedermann“ im Sinne des Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG, sodass er/sie beschwerdefähig ist.“

Allerdings können – neben natürlichen Personen – auch juristische Personen Gegenstand des Klausursachverhaltes sein. Hierbei sind, im Gegensatz dazu, wenn eine natürlichen Person thematisiert wird, oftmals weitergehende Ausführungen notwendig. Gemäß Art. 19 III GG gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

Formulierungsbeispiel Obersatz „Die XY müsste beschwerdefähig sein. Gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG ist „jedermann“, also jede Person, die Trägerin von Grundrechten sein kann, beschwerdefähig. Dies sind zunächst alle natürlichen Personen. Allerdings können sich nach Art. 19 III GG auch inländische juristische Personen auf Grundrechte berufen, soweit die Grundrechte ihrem Wesen nach auf sie anwendbar sind.“

Prozessfähigkeit

Unter der Prozessfähigkeit wird die Fähigkeit verstanden, dass die beschwerdeführende Person Prozesshandlungen selbst vornehmen oder durch eine:n Bevollmächtigte:n vornehmen lassen kann. Innerhalb des BVerfGG fehlt es an einer Regelung. Dennoch ist es nicht möglich einfach auf die Regelungen der anderen Prozessordnungen zurückzugreifen, dies verbietet die besondere Eigenart der verfassungsrechtlichen Verfahren.

Formulierungsbeispiel Obersatz „Die beschwerdeführende Person müsste auch prozessfähig sein, also die Fähigkeit innehaben, Prozesshandlungen selbst oder durch eine:n selbst bestellte:n Vertreter:in vornehmen zu können.“

Beschwerdegegenstand

Beschwerdegegenstandist gem. Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG ein „Akt öffentlicher Gewalt“. Dies kann ein Handeln oder Unterlassen sowohl der Exekutive, der Judikative als auch der Legislative sein. Mit der Bestimmung des Beschwerdegegenstandes bestimmt der:die Studierende auch die Prüfungspunkte im Rahmen der Begründetheit. Denn der Aufbau der Prüfung ist davon abhängig, ob eine Rechtssatz- oder eine Urteilsverfassungsbeschwerde vorliegt. Insofern wird bei der Urteilsverfassungsbeschwerde zusätzlich auch noch die Verfassungsmäßigkeit der Gesetzesanwendung im Einzelfall geprüft.

Formulierungsbeispiel Obersatz „Beschwerdegegenstand einer Verfassungsbeschwerde ist gem. Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG jeder „Akt öffentlicher Gewalt“. Dies kann ein Handeln oder Unterlassen sowohl der Exekutive, der Judikative als auch der Legislative sein.“

Beschwerdebefugnis

Die Verfassungsbeschwerde gewährleistet einen individuellen Rechtsschutz. Die beschwerdeführende Person ist, damit eine Beschwerdebefugnis bejaht werden kann, verpflichtet, die Möglichkeit der Verletzung in eigenen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten plausibel zu behaupten. Des Weiteren muss die beschwerdeführende Person durch den Akt der öffentlichen Gewalt in ihren Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten selbst, unmittelbar und gegenwärtig betroffen sein.

Formulierungsbeispiel Obersatz „Gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG ist die Behauptung einer Grundrechtsverletzung erforderlich. Diesem Erfordernis wird genügt, wenn die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung besteht und die beschwerdeführende Person selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen ist.“

Der Vortrag der beschwerdeführenden Person muss die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung oder der Verletzung eines grundrechtsgleichen Rechtes ergeben. Für eine eigene Beschwer hat die beschwerdeführende Person vorzutragen, dass sie in ihren eigenen Grundrechten verletzt ist, wobei es darauf ankommt, dass eine Rechtsposition der beschwerdeführenden Person berührt wurde. Dem hingegen ist eine unmittelbare Betroffenheit anzunehmen, wenn die angegriffene Vorschrift ohne einen weiteren vermittelnden Vollziehungsakt in den Rechtskreis der beschwerdeführenden Person eingreift. Für eine gegenwärtige Betroffenheit muss die beschwerdeführende Person schon oder noch betroffen sein.

Rechtswegerschöpfung und Subsidiarität

Die Verfassungsbeschwerde kann gem. § 90 II 1 BVerfGG erst nach Erschöpfung des Rechtsweges erhoben werden, soweit ein Rechtsweg zulässig ist. Gemeint ist damit jede in einem Gesetz vorgesehene Möglichkeit, gerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen. Gegen ein Gesetz ist kein unmittelbarer Rechtsweg zulässig (siehe hierzu insbesondere die Subsidiarität). Darüber hinaus hat das BVerfG den Grundsatz der Subsidiaritätentwickelt. Dieser Grundsatz ist gewahrt, sofern der beschwerdeführenden Person keine weiteren und zumutbaren Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den Akt der öffentlichen Gewalt anzugreifen.

Formulierungsbeispiel Obersatz „Die Verfassungsbeschwerde kann gem. § 90 II 1 BVerfGG erst nach Erschöpfung des Rechtsweges erhoben werden, soweit ein Rechtsweg zulässig ist. Außerdem darf der Grundsatz der Subsidiarität der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegenstehen. Dieser ist gewahrt, wenn der beschwerdeführenden Person keine weiteren Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den Akt der öffentlichen Gewalt zumutbar anderweitig anzugreifen.“

Ausnahmen vom Grundsatz der Rechtswegerschöpfung beziehungsweise der Subsidiarität sieht § 90 II 2 BVerfGG beziehunsgweise § 90 II 2 BVerfGG analog vor. Demnach kann das BVerfG über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn der beschwerdeführenden Person ein schwerer und unabwendbarer Nachteilentstünde, falls sie zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde. Zudem kann von der Voraussetzung der Erschöpfung des Rechtsweges abgesehen werden, wenn dies als unzumutbar zu beurteilen ist.

Form und Frist des Antrages

Die Verfassungsbeschwerde muss die Schriftform wahren (vgl. § 23 I BVerfGG). Die Frist richtet sich nach § 93 I BVerfGG beziehungsweise III BVerfGG und beläuft sich auf einen Monat beziehungsweise binnen eines Jahres (Gesetz oder sonstiger Hoheitsakt).

Formulierungsbeispiel Obersatz „Die beschwerdeführende Person müsste mit ihrem Antrag die Form- und Fristvorschriften wahren. Die Verfassungsbeschwerde ist gem. § 23 I 1 BVerfGG schriftlich beim BVerfG einzureichen und gem. §§ 23 I 2, 92 BVerfGG zu begründen. Außerdem ist die Frist des § 93 I 1 BVerfGG (oder § 93 III BVerfGG) zu wahren.“ ODER „Die beschwerdeführende Person wahrt mit ihrem Antrag die erforderliche Form gem. §§ 23 I, 92 BVerfGG und Frist gem. § 93 I 1 (oder § 93 III BVerfGG).“

Begründetheit

Formulierungsbeispiel Obersatz „Die Verfassungsbeschwerde müsste auch begründet sein. Sie ist begründet, wenn die beschwerdeführende Person durch den Akt der öffentlichen Gewalt in einem Grundrecht oder grundrechtsgleichen Rechts verletzt wird.“

Der Prüfungsmaßstab des BVerfG ist nicht auf die als verletzt gerügten Grundrechte beschränkt; alle in Betracht kommenden Verletzungen sind zu prüfen. Der Prüfungsaufbau variiert, je nachdem, ob Freiheits- oder Gleichheitsrechte zu prüfen sind.

Freiheitsrechte

Sind Freiheitsrechte als Abwehrrechte zu prüfen, ist zu untersuchen, ob durch den Beschwerdegegenstand ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts erfolgt, der nicht gerechtfertigt ist. Hierbei wird zwischen einer Rechtssatz- und einer Urteilsverfassungsbeschwerde unterschieden. In jedem Falle ist zu prüfen, ob der Schutzbereich eröffnet ist und ein Eingriff hierin vorliegt. Dieser Eingriff kann jedoch gerechtfertigt sein. Daher ist des Weiteren zu untersuchen, ob eine Schranke (ein Parlamentsgesetz) vorhanden ist und welche Schrankenregelung dem Grundgesetz zu entnehmen ist. Anschließend ist zu beurteilen, ob mit dem Gesetz die Grenzen der Einschränkbarkeit eingehalten wurden (Schranken-Schranken). Hier ist auf die formelle (Zuständigkeit, Verfahren, Form) und materielle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes (z.B. auf die Wesentlichkeitslehre, auf das Bestimmtheitsgebot, insbesondere aber auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) einzugehen. Bei einer Urteilsverfassungsbeschwerde ist innerhalb der Schranken-Schranken zusätzlich die Verfassungsmäßigkeit der Anwendung der gesetzlichen Grundlage im Einzelfall zu prüfen.

Formulierungsbeispiel Obersatz „Die Verfassungsbeschwerde müsste auch begründet sein. Sie ist begründet, wenn die beschwerdeführende Person durch den Akt der öffentlichen Gewalt in einem Grundrecht oder grundrechtsgleichen Recht verletzt wird. Dies ist der Fall, wenn durch den Beschwerdegegenstand ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts erfolgt, der nicht gerechtfertigt ist.“

Gleicheitsrechte

Bei Gleicheitsrechten ist eine Grundrechtsverletzung dann anzunehmen, wenn durch den Akt der öffentlichen Gewalt eine Ungleichbehandlung erfolgt, die verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden kann.

Formulierungsbeispiel Obersatz „Die Verfassungsbeschwerde müsste auch begründet sein. Dies ist der Fall, wenn eine Ungleichbehandlung durch den Akt der öffentlichen Gewalt erfolgt, ohne dass diese verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann.“

Weiterführende Studienliteratur

OpenRewi Lehrbuch Grundrechte.

OpenRewi Fallbuch Grundrechte.

Ebert, Grundwissen: Verfassungsbeschwerde, ZJS 2015, 485.

Klein/Sennekamp, Aktuelle Zulässigkeitsprobleme der Verfassungsbeschwerde, NJW 2007, 945.

Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte

  • Die Prüfungspunkte der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde sind: Zuständigkeit des BVerfG, Beschwerdefähigkeit, Prozessfähigkeit, Beschwerdegegenstand, Beschwerdebefugnis, Rechtswegerschöpfung und Subsidiarität sowie Form und Frist.

  • Im Rahmen der Begründetheit der Verfassungsbeschwerde ist zu differenzieren, ob Freiheits- oder Gleichheitsrechte zu prüfen sind. Sind Freiheitsrechte zu prüfen, ist auf die Eröffnung des Schutzbereiches einzugehen, des Weiteren ist zu beurteilen, ob ein Eingriff in diesen vorliegt sowie inwiefern dieser gerechtfertigt sein kann. Darüber hinaus ist der Umfang der Prüfung der Begründetheit davon abhängig, ob sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung (Urteilsverfassungsbeschwerde) oder einen Rechtssatz (Rechtssatzverfassungsbeschwerde) richtet.

§ 21.6 Einstweiliger Rechtsschutz

Notwendiges Vorwissen: Verfassungsgerichtsbarkeit

Lernziel: die Voraussetzungen des einstweiligen Rechtsschutzes kennenlernen

Die Verfahren vor dem BVerfG können mitunter sehr lange dauern. So beläuft sich etwa die durchschnittliche Verfahrensdauer von Verfassungsbeschwerden in 80 Prozent der Verfahren auf ein Jahr, in zehn Prozent der Verfahren auf zwei Jahre und zehn Prozent der Verfahren sind drei Jahre und länger anhängig. Durch den Zeitablauf sind irreversibleZustände im Einzelfall zu befürchten, denen mit dem Erlass einer einstweiligen Anordnung entgegengewirkt werden soll. Dem einstweiligen Rechtsschutz kommt dabei eine Sicherungs- sowie eine Befriedungsfunktion zu. Die Befriedungsfunktion ist in der bis zum Ergehen der Hauptsachentscheidung verbindlichen und abschließenden Regelung zu sehen.

Klausurtaktik

Zu erkennen wäre die etwaige Notwendigkeit der Prüfung des einstweiligen Rechtsschutzes innerhalb der Klausur etwa an einem besonders dringenden Begehren, z.B. weil eine Versammlung alsbald stattfinden soll und eine Entscheidung des BVerfG in der Hauptsache bis dahin nicht zu erwarten ist. Im ersten Semester beziehungsweise in Anfängerklausuren ist aber noch nicht davon auszugehen, dass der Sachverhalt um die Prüfung des einstweiligen Rechtsschutzes ergänzt wird. Dies ist wohl eher bei Fortgeschrittenen- oder in Examensklausuren der Fall. So kann z.B. im Rahmen der Prüfung einer Verfassungsbeschwerde auf diesem Wege die Schwierigkeit eines Falles erhöht werden und zwischen den Leistungen der Studierenden differenziert werden. Daher wird im OpenRewi Grundrechte Lehrbuch vertiefter auf die Problematik eingegangen. Dennoch sollten die Grundzüge des einstweiligen Rechtsschutzes bereits dargestellt werden, sollte die Thematik im Rahmen des Staatsorganisationsrechts thematisiert werden. Siehe für die Fallbearbeitung beispielsweise Fall 9 aus dem OpenRewi Grundrechte Fallbuch.

Zulässigkeit

Klausurtaktik

Für die Studierenden besteht die Problematik, dass die im Rahmen der Zulässigkeit zu prüfenden Punkte in Abhängigkeit vom:von der Ersteller:in der Lösungsskizze deutlich voneinander abweichen können. Es hat sich bisher noch kein einheitliches Prüfungsschema etabliert. Der hier vorgeschlagene Aufbau ist daher nur als ein Vorschlag zu verstehen.

Formulierungsbeispiel Obersatz „Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist zulässig, wenn alle Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen.“

Zuständigkeit

Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist das BVerfG gem. § 32 I BVerfGG zuständig.

Statthaftigkeit

Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt § 32 I BVerfGG einen „Streitfall“. Dieser ist gegeben, wenn ein Hauptsacheverfahren anhängig oder zumindest möglich ist. Der einstweilige Rechtsschutz ist demnach akzessorisch zum Hauptsacheverfahren, welches den Streitfall bildet. Ein einstweiliger Rechtsschutz ist bei allen Verfahrensarten vor dem BVerfG möglich.

Weiterführendes Wissen

Eine Ausnahme bildet aber Art. 93 I Nr. 4c GG, siehe dazu § 96a III BVerfGG.

Antragsberechtigung

Die Antragsberechtigung richtet sich nach dem Hauptsacheverfahren. Hierfür ist relevant, ob die antragstellende Person des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens im Hauptsacheverfahren als Beteiligte:r (antragstellende Person, Antragsgegner:in oder sonstige beteiligte Person, siehe dazu z.B. §§ 36 oder 90 I BVerfGG) anzusehen ist.

Antragsbefugnis

Das BVerfG kann gem. § 32 I BVerfGG eine einstweilige Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl erlassen, sofern dies dringend geboten ist. Demnach ist eine Antragsbefugnis gegeben, wenn es möglich erscheint, dass der antragstellenden Person oder der Allgemeinheit ein schwerer Nachteil droht.

Klausurtaktik

Zum Teil wird hier bereits ein Anordnungsgrund geprüft. Dieser verlangt, dass die einstweilige Anordnung zur Abwehr eines schweren Nachteils dringend geboten ist, vgl. § 32 I BVerfGG. Nach dem vorliegenden Aufbauvorschlag wird diese Thematik erst in der Begründetheit relevant.

Keine Vorwegnahme der Hauptsache

Die Hauptsache darf mit dem Erlass der einstweiligen Anordnung nicht vorweggenommen werden. Deshalb sind Anträge unzulässig, die auf eine endgültige Sachentscheidung abzielen. Dem Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes entspricht es, einen Zustand lediglich vorläufig zu regeln, mit der Entscheidung des BVerfG soll schließlich die Hauptsache nicht vorentschieden werden. Ausnahmensind aber im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes möglich, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache möglicherweise zu spät käme und der antragstellenden Person kein ausreichender Rechtsschutz auch auf andere Weise gewährt werden kann oder ihr ein schwerer, nicht wiedergutzumachender Nachteil entstünde.

Beispiel: Aufgrund der staatlichen Bestimmungen zur Infektionsbekämpfung des Corona-Virus wurden verschiedene Versammlungen angemeldet. Diese wurden jedoch zum Teil verboten. Angesichts des bei Versammlungen meist bald anstehenden Termins, ist zu erwarten, dass das BVerfG in der Hauptsache (nach erfolglosem Durchlaufen des Instanzenzuges) nicht rechtzeitig entscheiden kann. In diesen Fällen kann ausnahmsweise eine einstweilige Anordnung ergehen, die die Hauptsache vorwegnimmt.

Subsidiarität des einstweiligen Rechtsschutzes

Auch im einstweiligen Rechtsschutz ist der Grundsatz der Subsidiarität zu beachten. Der antragstellenden Person darf es nicht möglich sein, ihre gefährdete Rechtsposition auf einem anderen Weg zu sichern. Hierbei ist zu berücksichtigen, ob bereits im fachgerichtlichen Verfahren erfolglos ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt wurde.

Rechtsschutzbedürfnis

Im Zeitpunkt der Entscheidung des BVerfG muss ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis bestehen. Dies wird allerdings indiziert, sofern die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen.

Form und Frist

Der Antrag muss schriftlich beim BVerfG eingehen (vgl. § 23 I 1 BVerfGG); er ist zu begründen (vgl. § 23 I 2 HS 1 BVerfGG). Eine Frist für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sieht das BVerfGG nicht vor.

Begründetheit

Formulierungsbeispiel Obersatz „Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz müsste auch begründet sein.“

Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist nach § 32 I BVerfGG begründet, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei ist das „kann“ in § 32 I BVerfGG als ein „muss“ zu verstehen.

Offensichtliche Unzulässigkeit oder Unbegründetheit der Hauptsache

Das BVerfG prüft im Rahmen der Begründetheit, ob z.B. die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist. Sofern der einstweilige Rechtsschutz offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist, ist auch der entsprechende Antrag unbegründet. Andersherum ist der Antrag im einstweiligen Rechtsschutz begründet, wenn die Hauptsache offensichtlich zulässig und begründet ist. Kann dies jedoch nicht angenommen werden, so ist im nächsten Schritt eine Folgenabwägung vorzunehmen.

Beispiel: Im Zuge der Corona-Pandemie beschloss der Bundestag 2021 eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), die unter dem Begriff „Bundesnotbremse“ besondere mediale Aufmerksamkeit erfuhr. Darin fanden sich unter anderem Regelungen zu nächtlichen Ausgangsbeschränkungen. Dagegen gerichtete Eilanträge wurden vom BVerfG abgelehnt. Es erachtete die Verfassungsbeschwerden im Hauptsacheverfahren weder für offensichtlich unzulässig noch für offensichtlich unbegründet, insbesondere verwies es darauf, dass offen ist, ob das Gesetzgebungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde und eine Verhältnismäßigkeit gewahrt wurde. Anschließend nahm es die bereits angesprochene Folgenabwägung vor.

Folgenabwägung (Doppelhypothese)

Ist der Ausgang des Verfahrens offen, so nimmt das BVerfG eine Folgenabwägung im Wege der Doppelhypothese vor. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind dabei nicht zu berücksichtigen, entscheidend sind die drohenden Nachteile. Abzuwägen sind dabei: die Nachteile, die eintreten würden, würde die einstweilige Anordnung nicht erlassen, aber der Antrag in der Hauptsache Erfolg hätte mit den Nachteilen, die entstehen würden, würde das BVerfG die begehrte Anordnung erlassen, aber das Hauptsacheverfahren würde letztlich erfolglos bleiben. Dabei müssen Erstere überwiegen. Gemäß dem Wortlaut des § 32 BVerfGG, müssen die Nachteile, die drohen, als „schwerer Nachteil“, „drohende Gewalt“ oder „ein anderer wichtiger Grund“ qualifiziert werden können.

Beispiel: In den einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die Bundesnotbremse ergab die Folgenabwägung, dass die Nachteile, die entstehen würden, wenn die einstweilige Anordnung versagt wird, die Nachteile nicht überwiegen, die entstehen würden, wenn die Anordnung erlassen wird, die Verfassungsbeschwerde aber kein Erfolg hätte. Abgewogen wurden dabei im ersten Fall die weiterhin bestehenden Beschränkungen der privaten Lebensgestaltung, die auch nicht im Nachhinein kompensiert werden können, gegen die Restriktionen von möglichen Maßnahmen der Infektionsbekämpfung.

Allgemein wendet das BVerfG einen strengen Maßstab an, der noch strenger gehandhabt wird, wird eine einstweilige Außer-Kraft-Setzung eines Gesetzes begehrt. In diesem Fall müssen die Nachteile deutlich überwiegen, zudem müssen die Gründe ein besonderes Gewicht aufweisen.

Ausnahme von der Folgenabwägung: Summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache

Von dieser Folgenabwägung sieht das BVerfG in Ausnahmefällen ab. Es prüft dann summarisch die Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Solche Ausnahmefälle nimmt das BVerfG an, wenn mit dem Erlass der einstweiligen Anordnung eine Vorwegnahme der Hauptsache vorliegen würde oder nur in diesem Falle ein effektiver Rechtsschutz gewährt werden kann.

Klausurtaktik

Dies wird in Klausuren vor allem im Rahmen eines Klausursachverhaltes relevant, der eine Versammlung thematisiert. Im Hauptsacheverfahren ist dabei die Verfassungsbeschwerde einschlägig.

Weiterführende Studienliteratur

Bäcker, Die einstweilige Anordnung im Verfassungsprozessrecht, JuS 2013, 119.

Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte

  • Die Prüfungspunkte im Rahmen der Zulässigkeit der einstweiligen Anordnung sind Zuständigkeit, Statthaftigkeit, Antragsberechtigung, Antragsbefugnis, Keine Vorwegnahme der Hauptsache, Subsidiarität des einstweiligen Rechtsschutzes, Rechtsschutzbedürfnis und Form.

  • Im Rahmen der Begründetheit ist zu prüfen, ob das Hauptsacheverfahren offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist. Ist dies nicht der Fall ist eine Folgenabwägung (Doppelhypothese) vorzunehmen. In diesem Zusammenhang müssen die Nachteile, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erlassen würde, aber der Antrag in der Hauptsache Erfolg hätte, mit den Nachteilen abgewogen werden, die entstehen würden, würde das BVerfG die begehrte Anordnung erlassen, aber das Hauptsacheverfahren letztlich erfolglos bleiben. Ausnahmsweise findet eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache statt, wenn mit dem Erlass der einstweiligen Anordnung eine Vorwegnahme der Hauptsache vorliegen würde oder nur in diesem Falle ein effektiver Rechtsschutz gewährt werden kann.