Henrike von Scheliha Familienrecht Licensed under CC-BY-4.0

9 Grundlagen

Die nichteheliche oder faktische Lebensgemeinschaft ist zwar heute nicht mehr sittenwidrig oder als Konkubinat strafbar, doch stellt die Rechtsordnung nach wie vor keine eigens ausgeprägte Rechtsform zur Verfügung.

Unter nichtehelichen Lebensgemeinschaften werden Lebensgemeinschaft von zwei Personen zu verstanden, die weder eine Ehe noch eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen sind. Gemeint sind also nicht-formalisierte Lebensgemeinschaften.

Diese Grundentscheidung des Gesetzgebers ist von zentraler Bedeutung für die im Folgenden zu erörternden Fragen eines Ausgleichs bei Scheitern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft (neLG). Denn der selbstbestimmte Wunsch, sich bewusst und einvernehmlich nicht für die Ehe und für (nach-)eheliche Solidarität (Unterhalt, Versorgungsausgleich) zu entscheiden, ist von der Rechtsordnung gleichermaßen anzuerkennen wie der Wunsch, solche gesteigerte Solidarität einander zu versprechen. Für die Ordnung ihrer Rechtsverhältnisse bleibt den Partnern einer neLG das allgemeine Vertragsrecht: Sie haben die Möglichkeit, ihre Rechtsverhältnisse während bestehender neLG und nach ihrem Scheitern vertraglich zu regeln. Tun sie dies nicht, wird darin zumeist ein einvernehmlicher, bewusster Verzicht liegen, der grundsätzlich zu respektieren ist.

An diesem Punkt setzen die ersten Probleme ein: Wie einvernehmlich, wie bewusst, wie selbstbestimmt ist denn die Entscheidung, „nur“ als neLG und nicht als Ehegatten zusammenzuleben? Und wie einvernehmlich, bewusst und selbstbestimmt ist die Entscheidung, die Vermögensbeziehungen nicht vertraglich zu ordnen? Um nur einige Gedankenanstöße zu geben: Verkehren Partner einer Nähebeziehung in Willenserklärungen? Wie wirkt es sich aus, wenn einer der Partner einen Vertrag schließen will? Wann ist die Schwelle zum Vertragsschluss erreicht? Wem fällt es leichter, Verträge durchzusetzen? Wessen Verhandlungsposition ist „besser“? … Zu diesen Eigentümlichkeiten familiärer Nähebeziehungen beim Abschluss vom Verträgen Röthel, Verträge in der Unternehmerfamilie. Privatautonomie in personalen Beziehungen, in Röthel (Hrsg.), Verträge in der Unternehmerfamilie, 2014, S. 20 ff.

Dies heißt nicht, dass sich die Rechtsordnung völlig aus der neLG zurückzieht. Die neLG ist kein „rechtsfreier Raum“. Anforderungen an das Recht lassen sich mit Schutz und Ausgleich erklären. Wo das Recht diese Grenze ziehen sollte, wird unterschiedlich gesehen. Die Rspr. gewährt heute Ausgleichsansprüche bei Scheitern der neLG, die der Rückabwicklung der neLG dienen (dazu im Einzelnen unten B. II.). Ansonsten existieren nur vereinzelt gesetzliche Regelungen für nichteheliche Lebensgefährten (etwa § 1615l BGB). Im Übrigen zeigt sich die Tendenz, überall dort, wo das Gesetz an den Schutz der Familie oder nahestehender Personen anknüpft (z.B. § 1093 Abs. 2 BGB; genauso nun auch § 86 Abs. 3 VVG), hierunter auch Lebensgefährten zu verstehen. Dies entspricht veränderten gesellschaftlichen Wertungen (Übersicht bei Schwab FamR Rn. 1042 ff.).

Aus jüngerer Zeit BGHZ FamRZ 2013, 697 ff.: § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X ist analog auch auf Partner einer neLG anwendbar (Aufgabe von BGHZ 102, 257 ff.); genauso BGHZ 180, 272 ff. für § 86 Abs. 3 VVG.

Aber: Die gesetzliche Vermutung, dass die im Besitz beider Ehegatten befindlichen beweglichen Sachen dem Schuldner allein gehören (§ 1362 BGB), ist nicht auf die neLG entsprechend anwendbar (BGH NJW 2007, 992 ff.).