Rechtsgut und Deliktsstruktur
Der Tatbestand der Fälschung beweiserheblicher Daten in § 269 Abs. 1 StGB schließt, wie auch § 268 StGB (→ § 19), eine Strafbarkeitslücke, die die Urkundenfälschung (→ § 18) hinterlässt, weil der Tatbestand des § 267 StGB nur vor Fälschungen an Urkunden schützt, die sinnlich (vor allem visuell) als menschliche Gedankenerklärungen wahrnehmbar sind. § 269 StGB bedroht demgegenüber die Fälschung von „Datenurkunden“ mit Strafe. Der Schutzzweck der Fälschung beweiserheblicher Daten entspricht daher dem der Urkundenfälschung (→ § 18 Rn. 3): Geschützt wird die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Beweisverkehrs, aber eben speziell im Zusammenhang mit beweiserheblichen Daten (bei § 268 StGB entsprechend im Zusammenhang mit technischen Aufzeichnungen → § 19 Rn. 3).
Da der Tatbestand des § 269 StGB dem der Urkundenfälschung stark ähnelt und sich dies auch in einem nahezu identischen Deliktsaufbau äußert, ist es, wie auch bzgl. § 268 StGB, ratsam, sich zunächst mit der Urkundenfälschung vertraut zu machen (→ § 18).
Objektiver Tatbestand
Der objektive Tatbestand des § 269 Abs. 1 StGB entspricht im Wesentlichen dem der Urkundenfälschung in § 267 Abs. 1 StGB. Bis auf die visuelle Wahrnehmbarkeit der Daten müssen alle Tatbestandsvoraussetzungen wie bei § 267 Abs. 1 StGB festgestellt werden. Dies ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut der Vorschrift: Dieser verlangt zur Verwirklichung des Tatbestands, dass beweiserhebliche Daten zur Täuschung im Rechtsverkehr so gespeichert oder verändert werden, dass bei ihrer Wahrnehmung eine unechte oder verfälschte Urkunde vorliegen würde oder dass derart gespeicherte oder veränderte Daten zur Täuschung im Rechtsverkehrs gebraucht werden.
Tatobjekt: Datenurkunde
Tatobjekt des § 269 Abs. 1 StGB sind beweiserhebliche Daten, die nicht unmittelbar visuell wahrnehmbar sind.
Daten sind alle codierten oder codierbaren Informationen, die auf elektronischem Wege oder magnetisch (zB auf einer Festplatte oder Diskette) gespeichert sind oder erst noch gespeichert werden sollen.
Beispiele: Kontoinformationen, wie Kontostand oder Kontobewegungen, aber auch die PIN, Bildinformationen zu einem in einer jpeg-Datei gespeicherten Fotoaufnahme (sog. Metadaten), Benutzerinformationen eines Amazon-Kontos
Die Daten müssen alle Funktionen einer Urkunde (→ § 18 Rn. 12 ff.) erfüllen (sog. Datenurkunde). In der Prüfungsarbeit ist daher im Wege des hypothetischen Vergleichs zu fragen, ob die Daten, würde man sie beispielsweise ausdrucken, einen Aussteller erkennen lassen (Garantiefunktion), fest verkörpert bzw. dauerhaft gespeichert (Perpetuierungsfunktion) und dazu bestimmt und geeignet sind, bei einer Verarbeitung (zB Anzeige auf einem Bildschirm oder Ausdruck) Beweis im Rechtsverkehr zu erbringen (Beweisfunktion).
Aussteller einer Datenurkunde ist diejenige Person, der die Daten im Rechtsverkehr als Urheber zugerechnet werden können (sog. Geistigkeitstheorie → § 18 Rn. 20). Das ist diejenige Person, die die Zeichenauswahl der Daten selbst bestimmt hat.
In den Beispielen sind die Kontoinformationen dem Kreditinstitut oder dem Onlinehändler als Aussteller zuzurechnen, auch wenn sich dies aus den codierten Informationen selbst nicht unmittelbar ergibt. Bei der jpeg.-Bilddatei ist eine Zurechnung denkbar, sofern die visuelle Darstellung der Informationen (also das auf einem Bildschirm dargestellte Bild) einen Hinweis zum Urheber zB durch Symbole, Markierungen oder eine Bezeichnung enthält.
Die Perpetuierungsfunktion ist analog zur Urkunde iSd § 267 Abs. 1 StGB zu bestimmen (→ § 18 Rn. 13). Während es bei visuell wahrnehmbaren Urkunden um eine dauerhafte und feste Verkörperung der Gedankenerklärung geht, müssen die Daten iRd § 269 Abs. 1 StGB für eine bestimmte – und sei es auch nur eine geringe – Dauer gespeichert werden.
Schließlich müssen die Daten analog zur Urkundenfälschung geeignet und dazu bestimmt sein, bei einer Verarbeitung im Rechtsverkehr rechtlich erhebliche Tatsachen beweisen zu können (s. hierzu → § 18 Rn. 14 ff.).
Tathandlung
Herstellen einer unechten Datenurkunde (§ 269 Abs. 1 Var. 1 StGB)
§ 269 Abs. 1 Var. 1 StGB erfasst den Fall, dass beweiserhebliche Daten so gespeichert werden, dass bei ihrer Wahrnehmung eine unechte Urkunde vorliegen würde. Diese Tathandlung entspricht dem Herstellen einer unechten Urkunde iSd § 267 Abs. 1 Var. 1 StGB (→ § 18 Rn. 44 ff.), weshalb man vom Herstellen einer unechten Datenurkunde sprechen kann.
Eine typische Fallkonstellation des Herstellens einer unechten Datenurkunde und damit der Fälschung beweiserheblicher Daten ist die unbefugte Benutzung einer fremden Codekarte zur Abhebung von Geld an einem Bankautomaten.
Daneben kommen in Geldautomatenfällen, je nach Sachverhaltsgestaltung, Strafbarkeiten wegen Computerbetrugs gem. § 263a StGB (→ § 12 Rn. 2) und/oder Diebstahl gem. § 242 StGB (→ § 1) an der Codekarte und/oder am Geld in Betracht (zu den Konkurrenzen s. unten → Rn. 21).
Dieselben Maßstäbe gelten für Fallkonstellationen, in denen mit einer fremden oder gefälschten Codekarte Einkäufe zB im Supermarkt durch Eingabe der (fremden) PIN getätigt werden. Hier werden Transaktionsdaten (zB Kontonummer und Gültigkeitsdatum der Codekarte) als Gedankenerklärung in das Autorisierungssystem eingelesen, die dem berechtigten Kontoinhaber als scheinbarem Aussteller zugerechnet werden.
Weitere „klassische“ Fallkonstellation des Herstellens einer unechten Datenurkunde sind:
die Versendung von E-Mails mit falschen Absenderangaben,
Brand, NStZ 2013, 7 (8); Puppe, JuS 2012, 961 (962). die Anmeldung eines Onlinekontos (zB bei ebay, Amazon oder der Deutschen Bahn) unter falschem Namen,
BGH NStZ 2021, 43 (Rn. 27 ff.); BGH NStZ-RR 2021, 214 (Anmeldung eines Online-Kontos bei der Bahn); Petermann, JuS 2010, 774 (777 f.); Singelnstein, JR 2022, 375 (376 f.); Jahn, JuS 2009, 662 (663). die Übertragung fremder Kontodaten auf ein Codekartenblankett (zB Gutscheinkarten),
Eisele, CR 2011, 134. Phishing-E-Mails, mit denen der Empfänger aufgefordert wird, Bankdaten oÄ mitzuteilen, sofern die Absenderadresse einen Aussteller individualisiert.
Vgl. Rengier, BT II, 25. Aufl. (2024), § 35 Rn. 10, demzufolge „sparkasse.de“ nicht, „sparkasse-stadtx.de“ aber genüge.
Verfälschen einer echten Datenurkunde (§ 269 Abs. 1 Var. 2 StGB)
§ 269 Abs. 1 Var. 2 StGB erfasst den Fall, dass beweiserhebliche Daten zur Täuschung im Rechtsverkehr so verändert werden, dass bei ihrer Wahrnehmung eine verfälschte Urkunde vorliegen würde. Auch diese Tathandlung entspricht der Urkundenfälschung in der Variante des Verfälschens einer echten Urkunde iSd § 267 Abs. 1 Var. 2 StGB. Im Gegensatz zur Herstellung einer unechten Datenurkunde iSd § 269 Abs. 1 Var. 1 StGB müssen die Daten hier bereits existieren und durch einen Eingriff (hier: speichern oder verändern iSd § 269 Abs. 1 Var. 2 StGB) nachträglich so verändert werden, dass die Datenurkunde einen neuen Inhalt bekommt, der nur scheinbar derjenigen Person zugerechnet werden kann, die aus der Datenurkunde als Aussteller hervorgeht.
Eine klassische Fallkonstellation ist das unrechtmäßige Wiederaufladen einer Gutschein-, Geschenk- oder Telefonkarte.
Gebrauchen einer unechten oder einer verfälschten Datenurkunde
Zum Gebrauchen einer unechten oder einer verfälschten Datenurkunde s. die unter → § 18 Rn. 69 dargestellten Maßstäbe.
Subjektiver Tatbestand
Für den subjektiven Tatbestand sei auf → § 18 Rn. 66 ff. verwiesen. Zu beachten ist auch hier (und zudem bei §§ 267, 268, 271 StGB) die Gleichstellungsklausel des § 270 StGB, wonach einer „Täuschung im Rechtsverkehr“ eine „fälschliche Beeinflussung einer Datenverarbeitung im Rechtsverkehr“ gleichsteht.
Rechtswidrigkeit und Schuld
Es gelten die allgemeinen Regeln.
Strafzumessung
Die Begehung eines besonders schweren Falls der Fälschung beweiserheblicher Daten ist gem. § 269 Abs. 3 StGB iVm § 267 Abs. 3 StGB denkbar. Die in § 267 Abs. 3 StGB geregelten Regelbeispiele sind entsprechend anzuwenden (zu den Regelbeispielen s. → § 18 Rn. 77 ff.).
Qualifikationstatbestand
§ 269 Abs. 3 StGB iVm § 267 Abs. 4 StGB qualifiziert die Tat zu einem Verbrechen (§ 12 Abs. 1 StGB), wenn sowohl gewerbsmäßig als auch bandenmäßig gehandelt wird (→ § 18 Rn. 86 ff.).
Konkurrenzen
Die Fälschung beweiserheblicher Daten kann in Tateinheit (§ 52 StGB) mit der Fälschung technischer Aufzeichnungen verwirklicht werden, da beide Tatbestände unterschiedliche Objekte schützen.
Zum Verhältnis der einzelnen Tathandlungen untereinander s. → § 18 Rn. 90 f.
Aufbauschema
Tatbestand
Objektiver Tatbestand
Subjektiver Tatbestand (Handeln „zur Täuschung im Rechtsverkehr“)
Rechtswidrigkeit
Schuld
Studienliteratur und Übungsfälle
Studienliteratur
Petermann, Die Einrichtung gefälschter Internetaccounts – ein Anwendungsfall des § 269 StGB?, JuS 2010, 774
Übungsfälle
Schrott, Fortgeschrittenenklausur – Strafrecht: Digitales Kleinvieh im kontaktlosen Nahfeld, JuS 2022, 140
Burghardt/Bardowicks, Fortgeschrittenenklausur: Kontaktloses Bezahlen, ZJS 2023, 606
Bechtel, Examensübungsklausur: Die lieben Mitbewohner, ZJS 2023, 1353