Eine besondere Herausforderung für den Prüfungsaufbau, aber auch für Gerichte und den Gesetzgeber, sind Sterbehilfe-Fälle. Neben einfachen Fällen von § 216 StGB ist zwischen drei Konstellationen zu unterscheiden: Dem Behandlungsabbruch (→ Rn. 7 ff.), der indirekten Sterbehilfe (→ Rn. 16 ff.) und dem assistierten Suizid (→ Rn. 20 ff.). Da die Sterbehilfe in den letzten Jahren Gegenstand von zahlreichen wichtigen Entscheidungen des BGH und Bundesverfassungsgerichts war, ist die Klausurrelevanz dieser Fälle hoch.
Komplex ist das Thema der Sterbehilfe vor allem deswegen, weil viele Entwicklungen der letzten Jahre durch Rechtsprechung geprägt wurden, die sich nicht immer leicht im klassischen Klausuraufbau abbilden lässt. In der Ausbildungsliteratur finden sich daher unterschiedliche Aufbauvorschläge. Wichtig für den Umgang mit Sterbehilfe-Konstellationen ist es, den gesetzgeberischen und verfassungsrechtlichen Hintergrund der Debatte zu kennen, um damit in der Klausur in der konkreten Fallkonstellation argumentieren zu können.
Hintergrund und Entwicklung der Sterbehilfe-Debatte
Seit der Einführung des StGB im 19. Jahrhundert galt, dass der Suizid und die Beihilfe zum Suizid straflos waren, die Tötung auf Verlangen jedoch nicht. Konkrete Regeln für die Begrenzung von medizinischen Behandlungen am Lebensende gab es lange nicht, sodass die diffizile Grenzziehung zwischen zulässiger und strafbarer Lebensbeendigung lange den (Straf-)Gerichten oblag.
Das änderte sich (zumindest teilweise) im Jahr 2009, als der Bundestag Regelungen zur Patientenverfügung verabschiedete (damals §§ 1901a ff. BGB; seit dem 1. Januar 2023 finden sich die Vorschriften in den §§ 1827 ff. BGB). In den §§ 1827 ff. BGB ist explizit die Möglichkeit vorgesehen, in einer Patientenverfügung eine lebenserhaltende (Weiter-)Behandlung zu untersagen. Durch diese Neuregelung hat der Gesetzgeber zum ersten Mal ausdrücklich anerkannt, dass sich Patienten unabhängig von Art und Stadium einer Krankheit gegen eine Weiterbehandlung entscheiden können, auch wenn diese Entscheidung zum Tod führt. Diese zivilrechtlichen Wertungen haben auch Bedeutung für die strafrechtliche Beurteilung von Sterbehilfe, vor allem für die Straffreiheit des Behandlungsabbruchs, weshalb sie von der jüngeren strafrechtlichen Rechtsprechung des BGH regelmäßig zur Argumentation herangezogen werden.
Im Dezember 2015 verabschiedete der Gesetzgeber zusätzlich den schon im Vorfeld stark kritisierten § 217 StGB aF. Dieser verbot die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung, wobei „geschäftsmäßig“ laut der Begründung des Gesetzentwurfes so definiert werden sollte, dass es nicht um Gewinnabsicht, sondern um eine auf Wiederholung angelegte Tätigkeit gehen sollte.
Weiterführendes Wissen: Mit dieser Entscheidung hat das BVerfG das Spannungsfeld zwischen Lebensschutz und Selbstbestimmung neu vermessen und eine breite Debatte ausgelöst, die noch andauert. Insbesondere stellt sich die Frage, ob § 216 StGB nach diesen Maßstäben überhaupt noch verfassungsgemäß ist,
Behandlungsabbruch (ehemals auch: Passive Sterbehilfe)
Ein Behandlungsabbruch liegt vor, wenn (1) die Behandlung einer zum Tode führenden Krankheit unterlassen, begrenzt oder abgebrochen wird, (2) dies im Einklang mit dem (auch mutmaßlichen) Willen des Patienten geschieht und (3) der Patient letztlich an seiner Krankheit verstirbt.
Einstieg in die Prüfung
Hat ein Patient seinen Willen zum Behandlungsabbruch vorher ausdrücklich kundgetan oder festgehalten, zB über eine Patientenverfügung, so ist die Prüfung von § 216 StGB naheliegend. Wird der Behandlungsabbruch auf den mutmaßlichen Willen des Patienten gestützt, prüft man die Strafbarkeit innerhalb von § 212 StGB, da die Willensäußerung in solchen Fällen nicht wie von § 216 StGB gefordert „ausdrücklich“ ist.
Tun oder Unterlassen?
Seit einem wegweisenden Urteil des BGH aus dem Jahr 2010
Beispiel: Wird bei einer Patientin die künstliche Ernährung eingestellt, indem der Schlauch einer PEG-Sonde durchgeschnitten wird, oder werden lebenserhaltende Geräte aktiv abgestellt, liegt ein Tun vor. Wird die künstliche Ernährung aber dadurch nicht mehr fortgeführt, dass schlicht keine neue Nahrung über eine bestehende Sonde verabreicht wird, liegt ein Unterlassen vor.
Wird ein Unterlassen angenommen, sind die übrigen Tatbestandsmerkmale des Unterlassens mit §§ 212 bzw. 216 StGB zu prüfen, wobei besonders darauf geachtet werden sollte, ob die Garantenpflicht noch besteht oder die behandelnde Ärztin aus der Garantenstellung entlassen wurde (s. unten → Rn. 33 ff.).
Weiterführendes Wissen: Vor der „Putz“-Entscheidung wurden aktive Handlungen in wertender Betrachtung zu einem „Unterlassen durch Tun“ umgedeutet. Denn bei einem aktiven Tun (Durchschneiden der PEG-Sonde) wäre stets § 216 StGB oder § 212 StGB verwirklicht gewesen, anders als im Fall des Unterlassens: Verweigert der Patient die erforderliche Einwilligung für das (erneute) Legen einer Sonde und unterlässt die Ärztin dementsprechend die Behandlung, scheidet eine Strafbarkeit aus. Eine solche „Umdeutung“ muss in der Falllösung nun nicht mehr erörtert (und keinesfalls angenommen!) werden, da der Unterschied zwischen Tun und Unterlassen für die Strafbarkeit im Ergebnis nicht mehr relevant ist.
Straflosigkeit des Behandlungsabbruchs
Sofern eine Strafbarkeit nicht bereits anderweitig scheitert (bei Unterlassungskonstellationen wird der Arzt zB häufig aus seiner Garantenstellung entlassen worden sein, vgl. auch → Rn. 35), sind die Voraussetzungen des Behandlungsabbruchs zu prüfen (→ Rn. 7) und die sich daraus ergebende Straffreiheit dogmatisch einzuordnen.
Liegt eine Patientenverfügung vor, so sind die Wirksamkeitsvoraussetzungen, die in den §§ 1827 ff. BGB detailliert geregelt sind, im Rahmen des Patientenwillens zu prüfen.
Weiterführendes Wissen: Werden die Verfahrensvorschriften aus §§ 1828, 1829 BGB missachtet, führt dies nach hL nicht zu einer Bestrafung nach § 216 oder § 212 StGB. Denn entscheidend für die Straffreiheit ist allein der Wille des Patienten, nicht das Verfahren zur Ermittlung dieses Willens.
Liegt ein Behandlungsabbruch vor, wird teilweise bereits die objektive Zurechenbarkeit des Tötungserfolgs verneint. Denn der behandelnde Arzt habe gar keine andere Möglichkeit als die Behandlung einzustellen, da er sich mangels Einwilligung des Patienten durch die Weiterbehandlung strafbar machen würde (s. zur Tatbestandsmäßigkeit des Heileingriffs → § 7 Rn. 40 ff.) und daher für den letztlich krankheitsbedingten Tod des Patienten nicht verantwortlich gemacht werden könne.
Die wohl hM verortet den Behandlungsabbruch aber auf Rechtfertigungsebene, zB in Form eines Rechtfertigungsgrunds sui generis.
Klausurhinweis: Obwohl allen Ansichten ähnliche Überlegungen zu Grunde liegen und die Verortung des Behandlungsabbruchs für das Ergebnis der Prüfung (strafbar oder nicht strafbar?) nicht relevant ist, sollte man sich nicht dazu verleiten lassen, das Problem außerhalb des strukturierten Prüfungsaufbaus in Form einer „freien Erörterung“ abzuhandeln. Für eine an der hM orientierten Lösung bietet es sich an, bereits im objektiven Tatbestand zu prüfen, ob ein Behandlungsabbruch vorliegt (Subsumtion unter alle Merkmale! → Rn. 7) und (knapp) zu erläutern, dass dadurch – entgegen der aA – die objektive Zurechenbarkeit nicht ausgeschlossen wird. Auf Rechtfertigungsebene kann dann unter Bezugnahme auf das verfassungsrechtlich geschützte Selbstbestimmungsrecht ausführlich begründet werden, weshalb der Behandlungsabbruch rechtfertigend wirkt.
Indirekte Sterbehilfe
Bei der indirekten Sterbehilfe verabreicht ein Arzt einem an Schmerzen leidenden Patienten mit dessen (mutmaßlicher) Einwilligung ein starkes Schmerzmedikament zur Leidensminderung, das als unbeabsichtigte Nebenfolge den Todeseintritt des Patienten beschleunigt.
Wie beim Behandlungsabbruch besteht bei der indirekten Sterbehilfe Einigkeit darüber, dass dieses Verhalten straflos sein muss, nicht aber über die dogmatische Begründung der Straflosigkeit.
Teilweise wird vertreten, dass die indirekte Sterbehilfe nicht den Tatbestand der Tötungsdelikte erfülle. Manche halten den Schutzbereich der Tötungsdelikte von vornherein für nicht einschlägig, andere argumentieren damit, dass es sich bei der Schmerzlinderung um einen sozialadäquaten Zweck und damit nicht um eine rechtlich missbilligte Gefahr handele, sodass die objektive Zurechnung entfalle.
Die Mehrheit verortet die indirekte Sterbehilfe in der Rechtfertigung, und zwar in der Einwilligung des Patienten,
Klausurtaktik: Wie beim Behandlungsabbruch (→ Rn. 7 ff.; 15) gilt es auch hier, die Problematik an den Stellen im Prüfungsaufbau anzusprechen, an denen sie relevant wird: in der objektiven Zurechenbarkeit und, wenn man die Lösung der Problematik mit der h.M. auf Rechtfertigungsebene besser aufgehoben sieht, ausführlich im Rahmen der Einwilligung, des Notstands oder einer Kombination aus beiden.
Assistierter Suizid
Wer einen anderen bei dessen eigenverantwortlicher Selbsttötung unterstützt, ohne Täter zu sein, macht sich nicht strafbar. Denn § 212 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass ein anderer Mensch getötet wird, sodass es bei einer eigenverantwortlichen Selbsttötung an einer teilnahmefähigen Haupttat fehlt (→ § 1 Rn. 21).
Abgrenzung zwischen Fremd- und Selbsttötung
Herkömmlich wird zur Abgrenzung maßgeblich auf die allgemeine Tatherrschaftslehre abgestellt, also danach unterschieden, wer das zum Tode führende Geschehen – konkret: den unmittelbar lebensbeendenden Akt (sog. „point of no return“) – tatsächlich beherrscht.
Beispiel: Nimmt eine Patientin tödliche Schmerztabletten selbst ein, die ihr zuvor von ihrem Hausarzt verschrieben wurden, handelt es sich um einen assistierten Suizid, da sie das zum Tode führende Geschehen beherrscht. Injiziert der Hausarzt der Patientin auf ihren Wunsch hin allerdings die sofort tödlich wirkenden Medikamente, macht sich dieser nach § 216 StGB strafbar.
Schwieriger sind Fälle, in denen Täter und Opfer zusammenwirken oder dem Opfer noch eine Rettungsmöglichkeit verbleibt, es diese aber nicht wahrnimmt.
Beispiel (nach BGHSt 19, 135 – „Gisela“-Fall): A und B entscheiden sich für einen Doppelsuizid durch Einleiten von Gas in ein Auto, wobei B das Gaspedal drückt, während beide im Auto sitzen. A stirbt, B kann gerettet werden („Gisela“-Fall).
Der BGH entschied, dass B durch das Drücken des Gaspedals die alleinige Herrschaft über den unmittelbar lebensbeendenden Akt (das Drücken des Gaspedals) innehatte, obwohl A noch die Autotür öffnen und sich dadurch hätte retten können. Denn nach dem maßgeblichen Gesamtplan sollte B „das Geschehen bis zuletzt in der Hand halten“.
Beispiel: C dichtet ein Zimmer ab, während D dort den Gashahn aufdreht. Beide legen sich sodann gemeinsam ins Bett, um auf den Eintritt der Bewusstlosigkeit und den Tod zu warten. C stirbt, D konnte gerettet werden („Gashahn-Fall“).
Für solche Fälle betont der BGH mittlerweile, dass C nach der letzten Handlung von D (dem Aufdrehen des Gashahns) noch die Möglichkeit hatte, sich selbst zu retten. Daher liege hier ein Fall von Selbsttötung vor.
Die Interpretation des Tatherrschaftskriteriums durch den BGH im Gisela-Fall ist allerdings umstritten. Denn obwohl B das Gaspedal betätigte, hatte A die Möglichkeit, jederzeit das Auto zu verlassen, und handelte damit in vergleichbarer Selbstschädigungsabsicht wie C im Gashahn-Fall. Dass sich die überlebende Person in dem einen Fall strafbar mache und in dem anderen nicht, sei rein zufällig und eine auf bloßen Äußerlichkeiten beruhende Spitzfindigkeit.
Weiterführendes Wissen: Neben den unterschiedlichen Ansichten zur Bestimmung der Tatherrschaft werden in der Literatur zahlreiche andere Abgrenzungskriterien vorgeschlagen, zB eine Orientierung an den Grundsätzen der objektiven Zurechnung
Der 6. Strafsenat des BGH hat die Debatte um die Abgrenzung der straflosen Teilnahme am Suizid und der strafbaren Tötung auf Verlangen mit einer umstrittenen Entscheidung neu entfacht:
Beispiel (nach BGH NJW 2022, 3201): Der seit Jahren pflegebedürftige M bat seine Ehefrau F, ihm alle im Haus verfügbaren Schmerzmittel zu bringen, die er sodann selbst einnahm. Um sicherzugehen, dass die Dosis an Schmerzmitteln auch ausreichen würde, um seinen Tod herbeizuführen, bat M die F außerdem, ihm alle verfügbaren Insulinspritzen zu verabreichen. Da er dies aufgrund seiner Krankheit nicht mehr selbst tun konnte, kam F seinem Wunsch nach und verabreichte ihm die Spritzen. Anschließend war M noch kurze Zeit ansprechbar, lehnte Rettungsbemühungen aber ausdrücklich ab. Kausal für seinen Tod waren letztlich die Insulinspritzen.
Der BGH beurteilte den Tatbeitrag der F in einem dem Beispiel vergleichbaren Fall als straflose Beihilfe zum Suizid. Es müsse nach einer „normativen Betrachtung“ entschieden werden, wer die Tatherrschaft über das Geschehen habe, und das sei in diesem Fall M gewesen. Das Einnehmen der Schmerzmittel und das Setzen der Spritzen wertete der BGH als einen einheitlichen Tatplan, über dessen Ausführung allein M bestimmte. Außerdem habe M die F nach dem Setzen der Spritzen noch auffordern können, einen Notarzt zu rufen, tat dies aber bewusst nicht. Auch das spreche dafür, dass er zu diesem entscheidenden Zeitpunkt das Geschehen noch selbst beherrscht habe.
Weiterführendes Wissen: Die Entscheidung – genauer: die Begründung, nicht unbedingt das Ergebnis – ist auf teils heftige Kritik gestoßen. Denn ursächlich für den Tod waren eben die Insulinspritzen geworden, die allein F verabreicht hatte; hieran könne auch ein übergeordneter Tatplan oder die vorherige Einnahme der Tabletten nichts ändern. Auch, dass M nach dem Verabreichen der Spritzen noch Rettungsmaßnahmen einleiten hätte können, schließe § 216 StGB nicht aus. Denn sonst wäre § 216 StGB nur noch einschlägig, wenn der Tod sofort eintritt, was mit der gesetzgeberischen Intention hinter § 216 StGB ersichtlich nicht vereinbar wäre.
Eigenverantwortlichkeit des Suizids
Bestehen Zweifel an der Eigenverantwortlichkeit der Selbsttötung, kommt eine Strafbarkeit nach den §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Hs. 2 StGB wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft in Betracht. In diesem Fall sollte daher zunächst der Totschlag in mittelbarer Täterschaft angeprüft werden.
Für die Bestimmung der Freiverantwortlichkeit des Suizides (aber auch anderer Selbstschädigungen) werden zwei Ansätze vertreten:
Eine Ansicht greift auf die normierten Regeln zum Vorsatz und zur Exkulpation zurück, welche das Strafrecht für die Fremdschädigung vorsieht, also auf die §§ 16, 19, 20, 35 StGB, § 3 JGG. Zu fragen wäre nach dieser Ansicht also, ob der Suizident vorsatzlos bzw. schuldlos wäre, wenn er nicht sich selbst, sondern eine andere Person schädigen würde.
Die hM stellt auf die Voraussetzungen der Einwilligung ab, teilweise auch auf die etwas strengeren Voraussetzungen des ernstlichen, ausdrücklichen Verlangens iSv § 216 StGB.
Auch der BGH orientiert sich im Wesentlichen an diesen Kriterien: In seiner jüngeren Rechtsprechung betont er, dass ein Suizidentschluss freiverantwortlich ist, wenn „das Opfer die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit für seine Entscheidung besitzt und Mangelfreiheit des Suizidwillens sowie innere Festigkeit des Entschlusses gegeben sind“.
Unterlassungsstrafbarkeit bei eigenverantwortlichem Suizid
Auch wenn bei einem eigenverantwortlichen und tatherrschaftlichen Handeln des Suizidenten die Beihilfe zum Suizid unbestritten straflos ist, bestand lange Zeit infolge der sog. „Wittig“-Entscheidung
Beispiel (nach BGHSt 32, 367 – „Wittig“): Die alte Dame D hatte eigenverantwortlich und bewusst eine Überdosis an Schmerzmitteln eingenommen. Ihr langjähriger Hausarzt H fand seine Patientin bei einem Hausbesuch bereits ohnmächtig und mit einem Abschiedsbrief vor, und entschied sich aufgrund des deutlichen Willens von D, keine Rettungsmaßnahmen einzuleiten.
Der BGH entschied in einem vergleichbaren Fall, dass trotz der Eigenverantwortlichkeit des Suizids nach dem Eintritt der Bewusstlosigkeit der Patientin die Garantenpflicht des Arztes grundsätzlich wieder auflebe. Er verneinte im Einzelfall zwar letztlich die Zumutbarkeit der Rettungshandlung, da bei D bereits schwere Hirnschäden zu erwarten waren. Das grundsätzliche Strafbarkeitsrisiko nach §§ 216 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB blieb dadurch aber bestehen. Jeder Suizidhelfer hätte also theoretisch nach Eintritt der Bewusstlosigkeit immer sofort Rettungshandlungen einleiten müssen, was die Straflosigkeit der Suizidbeteiligung und den freien Willen des Suizidenten erheblich unterminierte.
Diese absurde Konsequenz wurde in der Literatur seit Langem und zu Recht deutlich kritisiert. Mittlerweile hat der BGH seine Rechtsprechung faktisch (wenn auch nicht explizit) aufgegeben:
Weiterführendes Wissen: Woraus sich eine Garantenpflicht ergeben kann, ist eine Frage des konkreten Sachverhalts. Typisch für Konstellationen des assistierten Suizids sind Garantenstellungen aus familiären Bindungen, aus Ingerenz (zB durch das Überlassen von Medikamenten) oder aus der tatsächlichen Übernahme eines ärztlichen Behandlungsverhältnisses. Hier ist allerdings zu beachten, dass einen Arzt, der ausschließlich die Sterbebegleitung der Patientin übernimmt, von vornherein gar keine Beschützer-Garantenpflicht für das Leben des Patienten trifft.
Klausurtaktik: In der Klausur sollte eine Unterlassungsstrafbarkeit und die Begründung sowie Beendigung der Garantenstellung trotz dieser Rechtsprechungsänderung unbedingt angeprüft werden. Außerdem darf § 323c Abs. 1 StGB nicht vergessen werden, da die Rechtsprechung den eigenverantwortlichen Suizid weiterhin als „Unglücksfall“ einstuft (s. dazu → § 40 Rn. 8).
Studienliteratur und Übungsfälle
→ § 3.