Kilian Wegner Strafrecht Besonderer Teil I: Delikte gegen die Person und die Allgemeinheit Licensed under CC-BY-4.0

§ 46: Falsche Verdächtigung und Vortäuschen einer Straftat (§§ 164, 145d StGB)

Autor: Manuel Richter

§ 164 StGB

Allgemeines und Rechtsgut

§ 164 StGB betrifft die falsche Verdächtigung einer anderen Person. Absatz 1 erfasst Verdächtigungen, die zu Straf- oder Disziplinarverfahren führen können. Absatz 2 hingegen unterfallen Verdächtigungen, die zu sonstigen Verfahren führen können, in denen der Staat der Bürger:in in einem Hoheitsverhältnis gegenübertritt, insb. also Bußgeldverfahren. § 164 Abs. 1 StGB ist dabei lex specialis gegenüber § 164 Abs. 2 StGB. Die Verdächtigung wegen einer rechtswidrigen Tat oder einer Dienstpflichtverletzung ist durch Absatz 1 abschließend erfasst.Bosch/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 164 Rn. 3.

§ 164 schützt nach hM zwei verschiedene Rechtsgüter. Zum einen soll die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege gewährleistet werden. Diese soll sich nicht mit unnötigen (Ermittlungs-)Maßnahmen befassen müssen. Zum anderen bezweckt die Norm den Schutz der Einzelnen vor ungerechtfertigten staatlichen Maßnahmen, zB einer Durchsuchung oder einer Verurteilung.BGHSt 14, 240 (244 f.); Geilen, JURA 1984, 251 (251). Die hM (sog. „Alternativitätstheorie“) lässt es für eine Strafbarkeit nach § 164 StGB jedoch ausreichen, wenn im konkreten Fall nur einer der beiden Schutzzwecke durchgreift.Schröder, NJW 1965, 1888 (1889); Geilen, JURA 1984, 251 (251 f.); aA Böse, ZJS 2018, 189 (193). Dies wirkt sich insb. auf die Frage aus, ob die Verdächtigte in die Verdächtigung einwilligen kann oder nicht (→ Rn. 31).

Darüber hinaus stellt § 164 StGB ein abstraktes Gefährdungsdelikt dar. Ein Erfolgseintritt ist damit nicht notwendig, sodass die Tat auch dann vollendet ist, wenn die Verdächtigungsempfänger:in der Verdächtigung keinen Glauben schenkt.Dehne-Niemann, NStZ 2015, 677 (680).

Klausurhinweis: Mit § 164 StGB gehen häufig auch andere Delikte einher, an die in der Klausursituation gedacht werden sollte. Typischerweise sind dies neben dem formell subsidiären § 145d StGB auch die §§ 153 ff., 185 ff. und 258 StGB sowie ggf. auch § 263 StGB.

Objektiver Tatbestand

§ 164 Abs. 1 StGB

Andere Person

Der Täter muss „einen anderen“ verdächtigen. Selbstbezichtigungen sind daher von § 164 Abs. 1 StGB nicht umfasst, sie können jedoch § 145d StGB unterfallen.

Des Weiteren muss die verdächtigte Person existent und bestimmt bzw. zumindest bestimmbar sein.OLG Stuttgart NJW 2018, 1110 (1111 f.); Heinrich, ZJS 2018, 129 (132).

Beispiel 1: A stellt bei der Polizei eine unrichtige Anzeige gegen Unbekannt. Die Verdächtigte ist hier weder bestimmt noch bestimmbar. Jedoch kommt § 145d Abs. 1 Nr. 1 StGB in Betracht.

Beispiel 2: B erklärt bei der Polizei unzutreffend, er sei gerade von „einem Jugendlichen“ ausgeraubt worden. Der Zusatz, es handele sich um einen Jugendlichen, reicht ebenfalls noch nicht aus, um eine konkrete Person zu individualisieren. Auch hier kommt § 145d Abs. 1 Nr. 1 StGB in Betracht.

Verdächtigung

Verdächtigen

Verdächtigen ist das Hervorrufen eines Verdachts oder das Steigern eines bereits bestehenden Verdachts.

Der Verdacht muss geeignet sein, die Behörde zur Einleitung oder Fortführung eines Verfahrens gegen die betroffene Person zu veranlassen. Beim Strafverfahren ist dafür ein Anfangsverdacht iSd § 152 Abs. 2 StPO notwendig.

Anfangsverdacht

Ein Anfangsverdacht liegt vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, die es nach kriminalistischer Erfahrung möglich erscheinen lassen, dass die Betroffene eine strafbare Handlung begangen hat.BVerfG NStZ 1982, 430.

Ob die Erklärungsempfänger:in auch tatsächlich Verdacht schöpft, ist dabei irrelevant, weil das Bestehen eines Verdachts objektiv-abstrakt beantwortet wird und nicht aus der subjektiven Sicht der konkreten Erklärungsempfänger:in. Bei § 164 StGB handelt es sich nämlich nicht um ein Erfolgsdelikt, sondern um ein Gefährdungsdelikt.

Klausurhinweis: Hier ist in Fortgeschrittenenklausuren eine Verzahnung mit dem Strafprozessrecht denkbar. So kann inzident die Frage zu klären sein, ob die vorgebrachten Verdächtigungsinhalte ausreichen, um einen Anfangsverdacht nach § 152 Abs. 2 StPO zu begründen. Bspw. könnte sich die Frage stellen, ob ein endgültiges Verfahrenshindernis besteht, welches den Anfangsverdacht ausschließen würde.

Klassischerweise bestehen Verdächtigungen in einer ausdrücklichen oder konkludenten Tatsachenbehauptung. Umstritten ist aber, ob auch die Manipulation der tatsächlichen Beweislage ohne unmittelbaren kommunikativen Akt ausreicht (sog. „isolierte Beweismittelfiktion“).

Beispiel: A kommt an einem Tatort vorbei und hinterlässt dort den Ausweis seiner verhassten Nachbarin B, damit die Strafverfolgungsbehörden ihn finden und B der Straftat verdächtigen.

Eine Minderheitenauffassung lässt Manipulationen der tatsächlichen Beweislage nicht ausreichen und stützt sich dabei auf den Wortlaut des Absatzes 2, welcher eine „sonstige Behauptung tatsächlicher Art“ voraussetzt. Wenn Absatz 2 eine Behauptung erfordert, könne bei Absatz 1 nichts anderes gelten.Langer, in: Küper u. a. (Hrsg.), FS Lackner, 1987, S. 541 ff.; Vormbaum, in: Degener u. a. (Hrsg.), FS Dencker, 2012, S. 366 f. Die hM lässt tatsächliche Beweislagenmanipulationen hingegen ausreichen.BGHSt 9, 240 (242); Geilen, JURA 1984, 251 (253); Küper, GA 2018, 359. Gerade diese Manipulationen seien besonders gefährlich, da sachlichen Beweismitteln in der Praxis häufig ein höherer Beweiswert zukomme als Zeugenaussagen.Geilen, JURA 1984, 251 (253). Des Weiteren sei „sonstige Behauptung“ in Absatz 2 so zu verstehen, dass er nur Behauptungen erfasse, die gerade nicht auf Straftaten oder Dienstvergehen bezogen seien, sondern auf andere Inhalte.Küper, GA 2018, 359 (375 f.).

Vertiefung zur Selbstbelastungsfreiheit

Beschuldigte im Strafprozess haben das Recht zu Schweigen (vgl. § 136 Abs. 1 S. 2 StPO). Dieses Recht fußt auf dem Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“, d. h. niemand darf gezwungen werden, an der Strafverfolgung gegen sich selbst mitzuwirken. Macht ein Beschuldigter von diesem Schweigerecht Gebrauch, so kann daraus keine Strafbarkeit nach § 164 StGB folgen, wenn aufgrund seines Schweigens der Verdacht auf eine dritte Person fällt. Andernfalls würde man das Schweigerecht aushöhlen. Es ist aber anerkannt, dass der Beschuldigte nicht nur ein Schweigerecht hat, sondern die Tat auch schlicht bestreiten darf, da dies wertungsmäßig nichts anderes darstellt als ein Schweigen.Geilen, JURA 1984, 251 (255); Heinrich, ZJS 2018, 129 (134 f.).

Beispiel: X wird wegen Sachbeschädigung angeklagt. Ihm wird vorgeworfen, die Fensterscheibe des O mit einem Stein eingeworfen zu haben. Nachweislich war zur Tatzeit neben X ausschließlich Y am Tatort. Im Strafprozess erklärt X wahrheitswidrig: „Ich habe den Stein nicht geworfen.“ X ist nicht nach § 164 Abs. 1 StGB strafbar. Explizit erklärt er zwar nur, dass er unschuldig ist, im Gegenschluss bedeutet das aber, dass dann zwangsläufig Y die Tat begangen haben muss. Aus dem schlichten Leugnen der Tat kann jedoch keine Strafbarkeit folgen.

Ein Recht auf Lüge, in dem Sinne, dass der Beschuldigte eine andere Person explizit beschuldigen darf („Ich habe gesehen, wie Y den Stein geworfen hat“) besteht hingegen nicht. Wer wahrheitswidrig eine andere Person explizit der Straftat beschuldigt oder die tatsächliche Beweislage in diesem Sinne manipuliert, ist also auch dann strafbar, wenn damit der Verdacht von sich selbst abgelenkt werden soll.BGH NJW 2015, 1705 (1706); Langer, JZ 1987, 804 (810 ff.); Kretschmer, JA 2016, 738 (742).

Daraus ergibt sich aber das Problem, wie mit Konstellationen umzugehen ist, in denen jemand die Tat schlicht leugnet und dann darüber hinaus auch die logische Konsequenz seiner Leugnung ausspricht (sog. modifizierendes Leugnen).

Beispiel: Anknüpfend an das vorherige Beispiel erklärt X nunmehr: „Ich habe den Stein jedenfalls nicht geworfen. Es kann daher nur Y gewesen sein.“

Auch dieses modifizierende Leugnen unterfällt mit der hM nicht dem § 164 Abs. 1 StGB. Es kann keinen Unterschied machen, ob der Täter die Tat nur schlicht abstreitet oder ob er darüber hinaus auch noch die denklogische Konsequenz seiner Leugnung ausspricht.OLG Düsseldorf NJW 1992, 1119; Kuhlen, JuS 1990, 396 (398 f.); aA OLG Hamm NJW 1965, 62; Dehne-Niemann, NStZ 2015, 677 (678 ff.).

Inhalt der Verdächtigung

Der Täter muss die andere Person einer rechtswidrigen Tat oder einer Dienstpflichtverletzung verdächtigen. Das Behaupten von Ordnungswidrigkeiten oder bloß zivilrechtswidrigem Verhalten ist daher nicht erfasst.

An dieser Stelle werden die oben genannten Schutzzwecke relevant: Die angebliche Tat muss über die Legaldefinition in § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB hinaus nicht nur tatbestandsmäßig und rechtswidrig sein, sondern sie muss auch verfolgbar sein. Das bedeutet, dass aufgrund des Schuldgrundsatzes neben der Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit ebenfalls die Schuld geprüft werden muss. Darüber hinaus dürfen keine Verfahrenshindernisse (zB Verfolgungsverjährung) vorliegen. In diesen Fällen besteht nämlich weder für den Einzelnen eine Gefahr ungerechtfertigter Sanktionierung noch drohen der Rechtspflege unnötige Ermittlungsmaßnahmen.BGH StV 2002, 303; OLG Stuttgart JuS 2015, 182 (183) m. Bespr. Hecker; aA aber Krell, NStZ 2011, 671.

Beispiel: T zeigt O bei der Polizei wahrheitswidrig wegen einfacher Körperverletzung an. Die Tat soll im Jahre 2005 stattgefunden haben. Da die Tat hypothetisch bereits verjährt wäre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB), drohen O keine strafrechtlichen Rechtsfolgen. T hat sich nicht nach § 164 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

Klausurtaktik: An dieser Stelle muss also inzident geprüft werden, ob das Verhalten der Verdächtigten, so wie es der Täter darstellt, einen Straftatbestand verfolgbar erfüllt, d. h. es muss Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit, Schuld und das Nichtvorliegen von Verfahrenshindernissen geklärt werden.

Ergänzender Hinweis: Eine Straftat kann aber nicht nur mit Strafen sanktioniert werden, sondern auch mit Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§ 61 ff. StGB) bzw. mit der Einziehung (§§ 73 ff. StGB). Bei den Maßregeln gilt der Schuldgrundsatz nach allgemeiner Meinung nicht; bei der Einziehung soll er zumindest nach Ansicht des Gesetzgebers und der Rechtsprechung ebenfalls nicht gelten.Zur nach wie vor heftig umstrittenen Rechtsnatur der §§ 73 ff. StGB siehe nur BVerfGE 156, 354; Becker/Heuer, NZWiSt 2019, 411; zum Verfall nach früherem Recht BVerfGE 110, 1 (13 ff.); der Einziehung nach den §§ 74 ff. StGB kann im Einzelfall anerkanntermaßen eine strafähnliche Rechtsnatur zukommen, siehe etwa BGH NStZ 2018, 526. Schuldhaftes Handeln ist im Rahmen der vorgeworfenen Tat also dann nicht notwendig, wenn Maßregeln der Besserung und Sicherung oder eine selbstständige Einziehungsanordnung nach § 76a StGB bzgl. der vorgeworfenen Tat in Betracht kommen.Heinrich, ZJS 2018, 129 (131). Derartige Fälle dürften für das erste Examen jedoch keine Rolle spielen.

Besteht eine Anschuldigung aus reinen Werturteilen anstatt aus Tatsachenbehauptungen (zur Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil → § 42 Rn. 56 ff.), so fällt dies nicht unter den Tatbestand des § 164 StGB, weil reine Werturteile keinen strafprozessualen Verdacht begründen können.Deutscher, JuS 1988, 526 (527).

Falschheit der Verdächtigung

Die Verdächtigung muss falsch sein. Eine Verdächtigung ist falsch, wenn sie mit der objektiven Realität im Wesentlichen nicht übereinstimmt. Umstritten ist jedoch, worauf sich die Falschheit beziehen muss.

Beispiel: Während V nachts tief und fest schlief, wurden an seinem Auto die Reifen zerstochen. Um seinem verhassten Erzfeind E eine Lektion zu erteilen, schildert er der Polizei wahrheitswidrig, nachts zufälligerweise gesehen zu haben, wie E die Reifen zerstochen habe. Später stellt sich heraus, dass E tatsächlich die Reifen zerstochen hat, um V zu ärgern.

Die Rspr. und Teile der Lit. sehen eine Verdächtigung dann als falsch an, wenn die Verdächtigte tatsächlich unschuldig ist (sog. Beschuldigungstheorie).BGHSt 35, 50 (52 ff.); Schilling, in: Dornseifer u. a. (Hrsg.), GS Kaufmann, 1989, S. 595 ff. Dafür wird ins Feld geführt, dass andernfalls der Anwendungsbereich des § 164 StGB uferlos würde, was dem fragmentarischen Charakter des Strafrechts widerspreche.BGHSt 35, 50 (54); kritisch Otto, JURA 2000, 217 (218). Im Beispielsfall liegt demnach keine falsche Verdächtigung vor, weil tatsächlich E die Tat begangen hat. Da der Versuch des § 164 Abs. 1 StGB nicht strafbar ist und die §§ 153 ff. StGB bei Aussagen vor der Polizei nicht anwendbar sind, hat V sich nicht strafbar gemacht.

Die in der Lit. vorherrschende Ansicht bezieht die Falschheit stattdessen auf die vorgetragenen Tatsachen, aus denen sich die (angebliche) Schuld des Verdächtigten ergibt. Ob dieser tatsächlich schuldig ist oder nicht, ist nach diesem Verständnis also irrelevant (sog. Unterbreitungstheorie).Geilen, JURA 1984, 300 (302 f.); Deutscher, JuS 1988, 526; Otto, JURA 2000, 217; ausführlich Langer, in: Duttge u. a. (Hrsg.), GS Schlüchter, 2002, S. 369 ff. Hierfür kann angeführt werden, dass auch das Vorbringen unwahrer Beweistatsachen die geschützten Rechtsgüter des § 164 Abs. 1 StGB gefährden kann. Falsche Verdachtstatsachen können die Ermittlungsbehörden zu unnötigen Ermittlungen bringen und auch der tatsächliche Täter hat einen Anspruch darauf, nur dann verurteilt und sanktioniert zu werden, wenn die Tat ihm mittels wahrer Tatsachen nachgewiesen wird.Deutscher, JuS 1988, 526 (528 f.); Otto, JURA 2000, 217 (218). Dass E die Tat tatsächlich begangen hat, ist also für die Falschheit ohne Bedeutung. Die angebliche nächtliche Beobachtung stimmt nicht mit der Realität überein, sodass die Verdächtigung des V nach dieser Ansicht falsch ist.

Ein klassisches Klausurproblem stellt die Frage dar, unter welchen Voraussetzungen Übertreibungen in Bezug auf tatsächlich geschehene Straftaten falsch sind.

Beispiel: D stiehlt bei V ein Gemälde im Wert von 500 EUR und flieht mit der Beute. V zeigt D bei der Polizei an und erklärt, das Gemälde habe einen Wert von 10.000 EUR, um einen größeren Ermittlungsdruck bei der Polizei zu erzeugen.

Im Kern geht es hier um die Frage, wann eine Verdächtigung im Sinne der obigen Definition im Wesentlichen nicht mit der Realität übereinstimmt. Die hM subsumiert Übertreibungen erst dann unter § 164 Abs. 1 StGB, wenn die Tat durch die Übertreibung eine andere rechtliche Qualität erhält. Andernfalls könne man kaum von einer Falschheit reden.Rengier, BT II, 25. Aufl. (2024), § 50 Rn. 10; Heinrich, ZJS 2018, 129 (134). Das ist bspw. der Fall, wenn ein Grunddelikt wahrheitswidrig als Qualifikation oder als besonders schwerer Fall dargestellt wird. An dieser Stelle ist also eine hypothetische Prüfung vorzunehmen, welche rechtliche Qualität die Straftat hätte, wenn die Übertreibungen der V zuträfen. Allein die Wegnahme einer wertvolleren Sache ändert jedoch an der Qualifizierung als einfacher Diebstahl (§ 242 Abs. 1 StGB) nichts; die Verdächtigung der V trifft im Wesentlichen zu.

Eine Minderheitenauffassung sieht Übertreibungen hingegen zu Recht bereits dann als falsch an, wenn sie sich auf Ebene der Strafzumessung nicht nur unerheblich auswirken kann.Bosch/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 164 Rn. 17. V übertreibt den Wert um das Zwanzigfache. Da der angeblich eingetretene Schaden deutlich höher ist, und die durch die Straftat verursachten Schäden bei der Strafzumessung Berücksichtigung finden können (vgl. § 46 Abs. 2 S. 2 StGB), müsste auch die Strafe für D deutlich höher ausfallen. Die Verdächtigung ist also falsch. Für diese Ansicht spricht, dass § 164 StGB nach hM neben der Rechtspflege auch Einzelpersonen vor falscher Beschuldigung schützten soll. Für die betroffene Einzelperson macht es aber durchaus einen Unterschied, ob zB der durch einen Betrug angerichtete Schaden 1.000 EUR oder angeblich 100.000 EUR beträgt, da ihre Strafe dann deutlich höher ausfällt. Die staatliche Sanktionierung ist ggü. ihr in diesem Fall nicht im „Ob“, doch aber im „Wie“ ungerechtfertigt.Bosch/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 164 Rn. 17. Dass darin ggf. kein Angriff auf die Rechtspflege liegt, ist im Lichte der herrschenden Alternativitätstheorie (→ Rn. 2) unbeachtlich.Bosch/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 164 Rn. 17. Beachte: Des Weiteren kann sich die Übertreibung auch im Rahmen der Wertersatzeinziehung nach § 73c StGB auswirken.

Erklärungsadressat:in

Die falsche Verdächtigung muss gegenüber einer Behörde (§ 11 Abs. 1 Nr. 7 StGB), einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB) oder militärischen Vorgesetzten oder aber öffentlich geschehen. Zur Entgegennahme von Anzeigen sind insb. die Beamt:innen der Staatsanwaltschaften und des Polizeidienstes zuständig (§ 158 Abs. 1 StPO).

§ 164 Abs. 2 StGB

§ 164 Abs. 2 StGB unterscheidet sich von § 164 Abs. 1 StGB zum einen dadurch, dass er nur eine „Behauptung tatsächlicher Art“ erfasst. Der Tatbestand kann also nur durch unwahre Tatsachenbehauptungen begangen werden, nicht aber durch die Manipulation der tatsächlichen Beweislage.Heinrich, ZJS 2018, 129 (135 f.).

Zum anderen erfasst er nur Verdächtigungen, die weder eine rechtswidrige Tat noch ein Dienstvergehen zum Inhalt haben, aber dennoch behördliche Verfahren oder Maßnahmen herbeiführen können. Unter diese Verfahren und Maßnahmen fallen nur solche, bei denen der Staat der Bürger:in mit hoheitlicher Zwangswirkung gegenübertritt.Bosch/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 164 Rn. 13; ähnlich Geilen, JURA 1984, 300 (304); Heinrich, ZJS 2018, 129 (136). Erfasst ist insb. das Bußgeldverfahren nach dem OWiG, aber zB auch das Verfahren zur Entziehung der Fahrerlaubnis oder der Approbation bzw. zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens.Heinrich, ZJS 2018, 129 (136). Bei zivilrechtlichen Prozessen und Maßnahmen (zB Pfändungen) hingegen ist das nicht der Fall.Geilen, JURA 1984, 300 (304).

Klausurhinweis: In der Klausur sollte entsprechend dem Spezialitätsverhältnis zuerst § 164 Abs. 1 StGB geprüft werden und – nur wenn dieser nicht einschlägig ist – erst danach § 164 Abs. 2 StGB.

Subjektiver Tatbestand

Der subjektive Tatbestand des § 164 StGB enthält drei verschiedene Komponenten, was in Klausuren häufig übersehen wird. Zuerst muss der Täter sicheres Wissen (dolus directus zweiten Grades) bzgl. der Falschheit der Verdächtigung haben („wider besseres Wissen“). Zweitens ist die „Absicht“ erforderlich, ein behördliches Verfahren herbeizuführen oder fortdauern zu lassen. Bei diesem Absichtserfordernis lässt die hM – wie zB auch bei § 267 StGB – zur Vermeidung von Strafbarkeitslücken dolus directus zweiten Grades ausreichen.BGHSt 13, 219 (221 ff.); Bosch/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 164 Rn. 32; aA Langer, GA 1987, 289 (302 ff.). Drittens ist wie immer mindestens Eventualvorsatz bzgl. der restlichen objektiven Tatbestandsmerkmale notwendig.

Unterlassen

§ 164 StGB kann auch durch Unterlassen begangen werden. So wird zB überwiegend eine Garantenstellung aus Ingerenz angenommen, wenn der Täter jemanden lediglich mit Eventualvorsatz oder aus Fahrlässigkeit falsch verdächtigt (also nicht „wider besseres Wissen“) und erst danach sicher erfährt, dass seine Verdächtigung falsch war, obgleich das Verfahren gegen das Opfer noch andauert. Nach der hM muss er die Falschheit seiner früheren Verdächtigung den Strafverfolgungsbehörden dann offenlegen.Bosch/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 164 Rn. 21; Geilen, JURA 1984, 251 (256).

Klausurhinweis: Bei § 164 StGB handelt es sich um ein Äußerungsdelikt. Kommunikation ist jedoch durch ein hohes Maß an konkludenter Verständigung geprägt. Daher darf bei § 164 StGB nicht zu vorschnell von einem Unterlassen ausgegangen werden, sondern bedarf die Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen besonderer Aufmerksamkeit. Es ist nicht nur zu untersuchen, was der Täter ausdrücklich sagt oder unterlässt, ausdrücklich zu sagen, sondern es muss auch überprüft werden, was er damit konkludent zum Ausdruck bringt.

Beispiel: A schlägt N. Jener wiederum schlägt A auf die Schulter, um seinen Angriff abzuwehren. V beobachtet das gesamte Geschehen, geht zur Polizei und schildert, dass N den A geschlagen hat. Dass N sich nur gegen den Angriff des A gewehrt hat und damit in Notwehr handelte, lässt V bei seiner Schilderung jedoch aus. Der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt hier nicht etwa im Unterlassen des Hinweises, dass N zuvor angegriffen wurde und sich nur verteidigte. Vielmehr bringt V durch den Abschluss seiner Aussage konkludent zum Ausdruck, dass seine Schilderung vollständig war und er den gesamten relevanten Sachverhalt vorgetragen habe. Der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt damit im aktiven Zeichnen eines falschen Tatbildes.

Rechtswidrigkeit

Die hM lässt es bei § 164 StGB ausreichen, wenn als Schutzgut entweder die Rechtspflege oder die Einzelne gefährdet wird. Daraus resultiert, dass die Verdächtigte nicht in die Tat einwilligen kann, weil sie allenfalls auf ihren eigenen Schutz verzichten kann, nicht aber auf den Schutz der Rechtspflege.BGHSt 5, 66 (68); Kuhlen, JuS 1990, 396 (399).

Täterschaft

Für die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme gelten iRd § 164 StGB die allgemeinen Grundsätze. Probleme bereiten Fälle, in denen jemand eine andere Person zu einer Selbstbezichtigung überredet.

Beispiel: F fährt mit seinem Auto zu schnell und wird geblitzt. Da er bereits einige Punkte im Fahreignungsregister hat und er beruflich auf seinen Führerschein angewiesen ist, überredet er seinen Zwillingsbruder Z, sich gegenüber der Bußgeldbehörde als der Fahrer auszugeben, was dieser auch tut.

§ 164 Abs. 1 StGB kommt nicht in Betracht, da es sich beim Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht um eine rechtswidrige Tat handelt. Infrage kommt vielmehr § 164 Abs. 2 StGB. Z ist straflos, da er keinen „anderen“ verdächtigt, sondern sich selbst. Der 2. Senat des OLG Stuttgart hat die Ansicht vertreten, F habe Z als mittelbarer Täter ähnlich der Fallgruppe des qualifikationslos-dolosen Werkzeugs gesteuert und sei mithin nach §§ 164 Abs. 225 Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar. Z sei in Bezug auf seine Selbstbezichtigung kein tauglicher Täter. Da F hingegen ein anderer sei, also Täter bzgl. einer Bezichtigung des Z sein könne, und er das Geschehen als Zentralgestalt gelenkt habe, weil er den Plan jederzeit hätte aufdecken können, sei er mittelbarer Täter.OLG Stuttgart NStZ 2016, 155 m. abl. Anm. Dehne-Niemann, HRRS 2016, 453. Ein anderer Senat des OLG Stuttgart und die Lit. lehnen dies jedoch insb. mit der Erwägung zutreffend ab, dass § 164 StGB kein Sonderdelikt ist und damit der Vergleich mit dem qualifikationslos-dolosen Werkzeug nicht passt. Hiernach ist F kein mittelbarer Täter iRd § 164 Abs. 2 StGB, sondern bleibt straflos.OLG Stuttgart NJW 2017, 1971; Niehaus, DAR 2015, 720 (721 f.); Hecker, JuS 2016, 82 (84).

Versuch

Da § 164 StGB weder ein Verbrechen darstellt noch die Versuchsstrafbarkeit gesondert angeordnet ist, ist der Versuch straflos, § 23 Abs. 1 StGB.

Strafausschließungs- sowie Strafaufhebung- bzw. -milderungsgründe

Verdächtigt jemand einen Dritten falsch, um den Verdacht von einem Angehörigen (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB) abzulenken, ist eine Analogie zu § 258 Abs. 6 StGB denkbar. Es fehlt jedoch an einer vergleichbaren Interessenlage, da § 164 StGB neben der Rechtspflege auch Einzelpersonen schützen soll, wohingegen § 258 StGB nur die Rechtspflege schützt. Eine Analogie ist damit nicht zulässig.Rengier, BT II, 25. Aufl. (2024), § 50 Rn. 26a.

Korrigiert der Täter seine falschen Angaben nachträglich, so kommt eine analoge Anwendung des § 158 StGB in Betracht. Die wohl hM bejaht eine Analogie.Bosch/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 164 Rn. 35. Eine vergleichbare Interessenlage ist in der Tat denkbar, da beide Schutzzwecke – der Schutz der Rechtspflege sowie der Einzelnen – von einer rechtzeitigen Korrektur profitieren würden. Teile der Literatur verneinen jedoch das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber habe sich bei der Reform des § 164 StGB bewusst gegen eine vergleichbare Regelung entschieden; eine Analogie sei damit unzulässig.Rogall, in: SK-StGB, Bd. 3, 9. Aufl. (2019), § 164 Rn. 49.

Konkurrenzen

Mit den §§ 153 ff., 185, 187, 258 StGB ist Tateinheit möglich. Nimmt die Polizei die verdächtigte Person aufgrund der Bezichtigung fest, so steht die darin liegende Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft (näher dazu → § 13 Rn. 25) durch die Verdächtigende ebenfalls zu § 164 StGB in Tateinheit.Bosch/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 164 Rn. 37. § 145d StGB ist gegenüber § 164 StGB hingegen formell subsidiär (näher dazu → Rn. 59 ff.).

Prozessuales

Allgemeines

Ergänzender Hinweis: Ist ein Straf- oder Disziplinarverfahren zu der Frage abhängig, ob die Verdächtigte die behauptete Tat begangen hat oder nicht, soll die Staatsanwaltschaft vor Klageerhebung (oder das Gericht nach Klageerhebung) gem. § 154e StPO das Verfahren bzgl. § 164 StGB vorübergehend einstellen und das andere Verfahren abwarten, um widersprüchliche Entscheidungen zu verhindern.

Wurde die Verdächtigung öffentlich oder durch Verbreiten eines Inhalts begangen, so kann der Verletzte nach § 165 Abs. 1 S. 1 StGB beantragen, dass die Verurteilung der Verdächtigenden ebenfalls öffentlich bekanntgegeben wird.

Wahlfeststellung

Ergänzender Hinweis: Umstritten ist, ob – was praktisch nicht selten vorkommen dürfte – eine echte Wahlfeststellung zwischen § 164 StGB und den §§ 153, 154 StGB möglich ist. Aufgrund des (zumindest partiell) übereinstimmenden Schutzzwecks der Vorschriften wird man die Zulässigkeit der Wahlfeststellung bejahen müssen.BGHSt 32, 146 (149); aA AG Duisburg-Hamborn JA 2017, 788 (790) m. zust. Anm. Kudlich; Bosch/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 164 Rn. 38.

Beispiel: X zeigt Y bei der Polizei an, weil dieser ihn geschlagen haben soll. Im späteren Strafverfahren – X und Y haben sich bereits wieder versöhnt – wird X unter Eid vernommen und sagt aus, nichts von irgendwelchen Schlägen zu wissen. Ob Y den X tatsächlich geschlagen hat, lässt sich nicht mehr klären. Da X zwei widersprüchliche Aussagen getätigt hat, steht fest, dass er entweder § 164 Abs. 1 StGB durch seine erste Aussage oder §§ 153, 154 StGB durch seine zweite Aussage verwirklicht hat. Daher ist eine Wahlfeststellung vorzunehmen.

Auch eine Wahlfeststellung zwischen § 164 StGB und § 258 StGB wird diskutiert und ist im Ausgangspunkt auch im vorstehenden Beispiel denkbar. Diese muss aber mangels rechtsethischer und psychologischer Vergleichbarkeit beider Tatbestände verneint werden, da es bei § 164 StGB um eine Belastung einer anderen Person geht, wohingegen § 258 StGB eine Entlastung zum Inhalt hat.Ausführlich hierzu Köchel/Wilhelm, ZJS 2014, 269.

§ 145d StGB

Allgemeines und Rechtsgut

§ 145d StGB erfasst das Vortäuschen von Straftaten. Die Norm stellt ein abstraktes Gefährdungsdelikt darSteinl, JuS 2023, 308 (308). und schützt vor unnötiger Inanspruchnahme der Strafverfolgungs- und Gefahrenabwehrbehörden. Damit soll gewährleistet werden, dass die Behörden Kapazitäten zur Erfüllung ihrer eigentlichen Aufgaben bei der Strafverfolgung (§ 145d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB) und der Gefahrenabwehr (§ 145d Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 StGB) besitzen.Steinl, JuS 2023, 308 (308).

Die Einzelne wird – anders als bei § 164 StGB – durch die Norm hingegen nicht vor ungerechtfertigten staatlichen Maßnahmen geschützt.Steinl, JuS 2023, 308 (311). Aufgrund der inhaltlichen Nähe zu § 164 StGB kann in vielerlei Hinsicht jedoch auf das zu dieser Norm Erlernte zurückgegriffen werden.

Klausurhinweis: In der Klausur erlangen typischerweise lediglich § 145d Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StGB Bedeutung.

Da § 145d StGB gegenüber den §§ 164, 258, 258a StGB formell subsidiär ist (§ 145d Abs. 1 aE StGB; näher dazu → Rn. 59 ff.), sollte die Prüfung mit diesen Delikten begonnen werden und § 145d StGB erst im Anschluss angesprochen werden.

Auch die Systematik innerhalb der Norm sollte sich von Anfang an eingeprägt werden: Absatz 1 Nr. 1 betrifft tatsächlich nicht geschehene Straftaten, über die getäuscht wird. Absatz 2 Nr. 1 erfasst nach hM tatsächlich begangene Straftaten, bei denen lediglich über die hieran Beteiligten getäuscht wird.

Objektiver Tatbestand

Absatz 1 Nr. 1

Rechtswidrige Tat

Es muss eine rechtswidrige Tat (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB) vorgetäuscht werden. Das Vortäuschen von Ordnungswidrigkeiten oÄ reicht nicht aus.

Ebenso wie bei § 164 StGB müsste die vorgetäuschte Straftat sanktionierbar sein, wenn sie tatsächlich so begangen worden wäre (zu den Voraussetzungen der Sanktionierbarkeit s. → Rn. 13 ff.), denn nur bei sanktionierbaren Straftaten kommt eine unnötige Inanspruchnahme der Rechtspflege in Betracht. Es muss also geprüft werden, ob das vorgeworfene Verhalten für die verdächtigte Person eine sanktionierbare Straftat darstellen würde.

Beispiel (nach BGHSt 19, 305): X führt ein Fahrzeug ohne Fahrerlaubnis (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG), was eine zufällige Zeugin zur Anzeige bringt. In der polizeilichen Vernehmung erklärt X, nicht er sei gefahren, sondern sein Bruder Y. Y hat jedoch eine Fahrerlaubnis. Die Täuschung unterfällt nicht § 145d StGB, da nach den Darstellungen des X gerade keine Straftat geschehen ist. Schließlich hat Y die notwendige Fahrerlaubnis.

Vortäuschen

Definition: Vortäuschen ist das Schaffen oder Verstärken eines objektiv unrichtigen Tatverdachts.

Ob der Verdacht durch Aussagen oder durch Manipulation der Beweislage hervorgerufen wird, ist irrelevant. Da es sich bei § 145d StGB um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt, ist ebenfalls irrelevant, ob die Behörde die Täuschung erkennt bzw. ob sie daraufhin Maßnahmen trifft. Entscheidend ist nur, dass aus Sicht eines objektiven Beobachters ein Tatverdacht besteht.Steinl, JuS 2023, 308 (308).

Die vorgetäuschte Tat darf – in Abgrenzung zu Absatz 2 Nr. 1 – nicht tatsächlich begangen worden sein. Daraus ergibt sich das Problem, wie mit Übertreibungen in Bezug auf tatsächlich begangene Taten umzugehen ist.Ausführlich Krümpelmann, ZStW 1984, 999; zusammenfassend Geppert, JURA 2000, 383 (384 f.). Der BGH stellt darauf ab, ob das „Gepräge“ der Tat durch die Übertreibung verändert wurde. Bejahendenfalls sei § 145d Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt.BGH NStZ 2015, 514 (514). Nach dem BGH soll es als Indiz für eine Veränderung des Gepräges gelten, wenn durch die Übertreibung ein Ermittlungsmehraufwand erforderlich wird.BGH NStZ 2015, 514. Andere beantworten die Frage anhand des Schutzzwecks der Norm: Eine Übertreibung sei dann tatbestandsmäßig, wenn die Übertreibung geeignet sei, die Behörden zu Ermittlungsmaßnahmen in einem erheblichen Umfang zu veranlassen, die andernfalls nicht notwendig geworden wären.Steinl, JuS 2023, 308 (310 f.); vgl. OLG Oldenburg JuS 2011, 81 m. insoweit zust. Anm. Hecker. Als Indiz für einen hinreichenden Mehraufwand soll es insb. gelten, wenn ein Vergehen als VerbrechenKrümpelmann, ZStW 1984, 999 (1021 ff.); Rengier, BT II, 25. Aufl. (2024), § 51 Rn. 7. bzw. ein Antrags- als OffizialdeliktStree, NStZ 1987, 559 (560). dargestellt wird.

Beispiele: Wird ein Grunddelikt durch unwahre Darstellungen zur Qualifikation „aufgebauscht“, so erlangt die Tat dadurch kein anderes Gepräge und wird zumeist kein erheblicher Ermittlungsmehraufwand erforderlich. Gleiches gilt, wenn der Versuch als vollendetes Delikt dargestellt oder der Wert der Diebesbeute zu hoch angegeben wird.Zu diesen Beispielen Rengier, BT II, 25. Aufl. (2024), § 51 Rn. 5. Wird eine Sachbeschädigung als Einbruchdiebstahl dargestellt, so wird dadurch hingegen das Tatgepräge verändert und in der Regel auch ein erheblicher Ermittlungsmehraufwand notwendig.Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 145d Rn. 9.

Wie oben bereits erläutert, darf die Straftat bei § 145d Abs. 1 Nr. 1 StGB tatsächlich nicht begangen worden sein. Der Tatbestand ist daher nicht erfüllt, wenn der wahre Täter mittels unrichtiger Beweismittel verdächtigt wird.

Beispiel: S hat V verprügelt. Weil V das Strafverfahren gegen S „absichern“ will, sodass sie möglichst schnell verurteilt wird, spielt er der Staatsanwaltschaft ein gefälschtes Geständnis der S zu. V hat sich nicht nach § 145d Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht, da er über eine tatsächlich geschehene Straftat täuscht. Folgt man der Unterbreitungstheorie (→ Rn. 20), besteht jedoch eine Strafbarkeit nach § 164 Abs. 1 StGB.

§ 145d StGB enthält – anders als § 164 StGB („einen anderen“) – keine Beschränkung bzgl. der verdächtigten Person. Damit erfasst § 145d StGB auch Selbstbezichtigungen oder Anzeigen „gegen Unbekannt“ bzw. Verdächtigungen fingierter Personen.

Beispiele: A bezichtigt sich gegenüber der Polizei selbst wahrheitswidrig einer Körperverletzung, um vor seinen Freunden als besonders abgebrüht dazustehen. B gibt gegenüber der Polizei an, ein Unbekannter habe sein Fahrrad gestohlen, um in den Genuss der Versicherungssumme zu kommen.

Zuständige Stelle

Die Vortäuschung muss gegenüber einer Behörde (§ 11 Abs. 1 Nr. 7 StGB) oder einer zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stelle erfolgen (vgl. insb. § 158 Abs. 1 S. 1 StPO).

Absatz 2 Nr. 1

§ 145d Abs. 2 Nr. 1 StGB erfasst den Fall, dass jemand über die Person des Beteiligten an einer Straftat „zu täuschen sucht“. An dieser Stelle ist also zu prüfen, ob das vom Täter vorgeworfene Verhalten für die verdächtigte Person eine sanktionierbare Straftat darstellt.

Vertiefung: Umstritten ist, ob die Straftat, derer jemand verdächtigt wird, tatsächlich begangen sein muss. Eine Mindermeinung bezieht die subjektivierte Formulierung „zu täuschen sucht“ grammatikalisch auch auf den Passus „rechtswidrigen Tat“.Stree, in: Küper u. a. (Hrsg.), FS Lackner, 1987, S. 537. Daher soll es ausreichen, wenn der Täter sich nur vorstelle, es sei eine Straftat begangen worden. Ob sie tatsächlich begangen wurde, sei irrelevant.Stree, in: Küper u. a. (Hrsg.), FS Lackner, 1987, S. 536 ff.; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 145d Rn. 13. Dafür ließe sich in teleologischer Hinsicht auch anführen, dass Täuschungen über Tatbeteiligte die Behörden auch dann zu unnötigen Ermittlungen bewegen können, wenn diese Taten nicht begangen worden sind.Steinl, JuS 2023, 308 (310). Die hM versteht die subjektivierte Formulierung nicht als Bezug zur „rechtswidrigen Tat“, sondern schlicht als Verdeutlichung, dass kein Erfolg (iSe Irrtums der Behörde oÄ) eintreten müsse und bereits die Vornahme der Täuschungshandlung mit Zugang bei der zuständigen Stelle den Tatbestand verwirkliche (abstraktes Gefährdungsdelikt).Kretschmer, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 145d Rn. 19. Auch wird argumentiert, die subjektivierte Formulierung „zu täuschen sucht“ beziehe sich nicht auf die Tat, sondern nur auf den „Beteiligten“.Rengier, BT II, 25. Aufl. (2024), § 51 Rn. 9. Nach dieser Ansicht sind nur Täuschungen über die Beteiligten an einer tatsächlich begangenen Straftat tatbestandsmäßig.BayObLG NStZ 2004, 97; Rengier, BT II, 25. Aufl. (2024), § 51 Rn. 9.

Um den Tatbestand nicht ausufern zu lassen, wird unter Täuschung „über den Beteiligten“ nur das unmittelbare Lenken auf eine falsche Fährte subsumiert. Nicht tatbestandsmäßig ist es also, wenn zutreffende Ermittlungsansätze der Behörden durch die Täuschung schlicht zerstreut werden. Stellt jemand daher fälschlicherweise einen Toten als den wahren Täter dar, unterfällt dies allenfalls § 258 StGB, nicht aber § 145d Abs. 2 Nr. 1 StGB.BayObLG JR 1985, 294; Stree, in: Küper u. a. (Hrsg.), FS Lackner, 1987, S. 528 ff.

Beispiel (nach BayObLG JR 1985, 294): W hat eine Jagdwilderei (§ 292 StGB) begangen. In der polizeilichen Vernehmung gibt seine Freundin F an, W sei den ganzen Tag bei ihr gewesen und könne daher nicht der Täter sein. F sagt jedoch nichts darüber aus, wer stattdessen der Täter sein könnte und lenkt die Polizei auch nicht auf die Fährte einer anderen Person. § 145d Abs. 2 Nr. 1 StGB ist nicht einschlägig, da F die Strafverfolgungsbehörden nicht auf die Spur einer anderen Person bringt. Dass die Strafverfolgungsbehörden nun ggf. Ermittlungen zur Überprüfung des Alibis oder zur Verfolgung anderer Fährten anstellen müssen, ist unschädlich. Falls eine Bestrafung des W ausbleibt oder erheblich verzögert wird, liegt jedoch ein Fall des § 258 Abs. 1 StGB vor.

Vertiefung: Täuscht jemand über die Beteiligung an der Tat, um die eigene Tatbeteiligung zu verschleiern, ergeben sich dieselben Probleme im Zusammenhang mit der Selbstbelastungsfreiheit wie bei § 164 StGB. Die zu § 164 StGB dargestellten Grundsätze (→ Rn. 12) können auch auf § 145d Abs. 2 Nr. 1 StGB übertragen werden, d. h. es darf die eigene Beteiligung geleugnet und nach hM auch die logische Konsequenz der Leugnung explizit ausgesprochen werden. Darüber hinausgehend dürfen aber weder andere Personen beschuldigt noch Beweismittel gefälscht werden.Geppert, JURA 2000, 383 (387 f.).

Subjektiver Tatbestand

Anders als bei § 164 StGB ist iRd § 145d StGB keine „Absicht“ erforderlich, ein behördliches Verfahren oder eine behördliche Maßnahme herbeizuführen oder fortdauern zu lassen. Bezüglich der Unwahrheit des Täuschungsinhalts ist Wissentlichkeit (dolus directus zweiten Grades) notwendig. Im Hinblick auf die restlichen objektiven Tatbestandsmerkmale genügt Eventualvorsatz.

Rechtswidrigkeit

Da § 145d StGB ein überindividuelles Schutzgut (Schutz vor unnötiger Inanspruchnahme der Rechtspflege) aufweist, ist eine rechtfertigende Einwilligung der Verdächtigten mangels Dispositionsfähigkeit des Rechtsguts nicht möglich.

Strafausschließungs- sowie Strafaufhebungs- bzw. -milderungsgründe

Ergänzender Hinweis: Eine analoge Anwendung des § 258 Abs. 6 StGB ist zwar dann denkbar, wenn über die Beteiligung an einer Straftat getäuscht wird, um den Verdacht von einem Angehörigen (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB) abzulenken, scheidet jedoch mangels planwidriger Regelungslücke aus.Kuhlen, JuS 1990, 396 (397 f.).

Wie auch bei § 164 StGB wird iRd § 145d StGB eine analoge Anwendung des § 158 StGB diskutiert, wenn der Täter seine unrichtigen Angaben nach Tatvollendung berichtigt.Dafür etwa Rengier, BT II, 25. Aufl. (2024), § 51 Rn. 19. Teilweise wird eine Analogie jedoch mangels planwidriger Regelungslücke verneint.OLG Celle JR 1981, 34 (34); Zopfs, in: MüKo-StGB, Bd. 3, 4. Aufl. (2021), § 145d Rn. 44.

Konkurrenzen

§ 145d StGB ist formell subsidiär gegenüber den §§ 164, 258, 258a StGB, mit denen in der Prüfung iÜ begonnen werden sollte (vgl. „wird […] bestraft, wenn die Tat nicht in § 164, § 258 oder § 258a mit Strafe bedroht ist“, § 145d Abs. 1 aE StGB). Die Subsidiaritätsklausel ist zwar ausdrücklich nur in Absatz 1 normiert, da Absatz 2 hierauf jedoch Bezug nimmt („Ebenso wird bestraft“), ist sie anerkanntermaßen auch in diesen hineinzulesen.OLG Celle JR 1981, 34 (34); Geppert, JURA 2000, 383 (388); Steinl, JuS 2023, 308 (312).

Die formelle Subsidiarität kommt aber nur dann zum Tragen, wenn im konkreten Fall auch tatsächlich eine Bestrafung aus dem etwaig verdrängenden Delikt möglich ist. Nur in diesem Fall greift der Grundgedanke der Subsidiaritätsklausel durch, dass mit der Bestrafung aus den vorrangigen Delikten das Unrecht der subsidiären Straftat abgegolten ist.OLG Celle JR 1981, 34 (34); Kuhlen, JuS 1990, 396 (398); Geppert, JURA 2000, 383 (388).

Beispiel (nach OLG Celle NJW 1964, 733): Nach einer durchzechten Nacht sind die Eheleute A und B mit dem Auto auf dem Nachhauseweg. A steuert das Fahrzeug und B sitzt auf dem Beifahrersitz, wobei sie beide eine Blutalkoholkonzentration von 1,3 Promille haben. Als A in eine Polizeikontrolle gerät und zum Anhalten aufgefordert wird, fährt sie an den Fahrbahnrand und stellt den Motor ab. Da A beruflich auf ihren Führerschein angewiesen ist, tauscht sie schnell und unbemerkt mit B die Plätze. Dass A die Fahrerin gewesen ist, wird nicht aufgedeckt. Strafbarkeit des B?Ausführlich zu „Platztausch-Fällen“ Kuhlen, JuS 1990, 396. Durch den Platztausch hat B die Strafverfolgung der A (§ 316 StGB) vereitelt. Eine Strafbarkeit nach § 258 Abs. 1 StGB scheitert jedoch am persönlichen Strafaufhebungsgrund des § 258 Abs. 6 StGB, da B zugunsten seiner Ehefrau handelte. Tatbestandlich ist § 145d Abs. 2 Nr. 1 StGB einschlägig, da es – anders als im o.g. Beispiel (→ Rn. 54) – nun so erscheint, als hätte B eine Straftat (§ 316 StGB) begangen. Die formelle Subsidiarität des § 316 StGB greift nicht ein, da B nicht aus § 258 Abs. 1 StGB strafbar ist.

Zwischen § 145d StGB und den §§ 153 ff. StGB ist Tateinheit möglich.Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 145d Rn. 26.

Weiterführende Studienliteratur

  • Geppert, Zu einigen immer wiederkehrenden Streitfragen im Rahmen des Vortäuschens einer Straftat (§ 145 d StGB), JURA 2000, 383

  • Heinrich, Die Delikte gegen den öffentlichen Frieden und die öffentliche Ordnung im Lichte des Medienstrafrechts – Teil 4: §§ 164 und 166 StGB, Beiträge zum Medienstrafrecht – Teil 14, ZJS 2018, 129

  • Kuhlen, Der praktische Fall – Strafrecht: Der Platztausch, JuS 1990, 396

  • Steinl, Grundfälle zum Vortäuschen einer Straftat, JuS 2023, 308