Einleitung
Gegenstand dieses (das Privatisierungsrecht abschließenden) Abschnitts ist die Frage, in welcher Rolle sich der Staat nach dem Vollzug einer Privatisierung wiederfindet und wie sich seine rechtlichen Pflichten verändern. Den Kanon veränderter Pflichten bezeichnen wir als Privatisierungsfolgenrecht. Wie auch schon bei den rechtlichen Anforderungen an den Vollzug der Privatisierung, die wir hier betrachtet haben, gilt allgemein, dass der Staat eine Privatisierungsentscheidung nur dann vollziehen darf, wenn er im Nachgang den rechtlichen Anforderungen des Privatisierungsfolgenrechts genügen kann. Lässt sich absehen oder stellt sich später heraus, dass das nicht der Fall ist, muss der Staat die Privatisierung unterlassen beziehungsweise rückgängig machen. Das Privatisierungsfolgenrecht unterscheidet sich maßgeblich danach, um welche Erscheinungsform der Privatisierung es geht, anhand deren wir die Überlegungen daher unten gliedern. Vor die Klammer ziehen wir ein paar Anmerkungen dazu, was wir unter Erfüllungsverantwortung und Gewährleistungsverantwortung verstehen.
Erfüllungsverantwortung und Gewährleistungsverantwortung
Hier haben wir den Unterschied zwischen staatlicher Erfüllungspflicht (der Pflicht zur eigenhändigen Erledigung einer Aufgabe) und staatlicher Gewährleistungspflicht kennengelernt (der Pflicht, zu gewährleisten, dass irgendjemand eine Aufgabe so erledigt, dass ein bestimmtes Ziel erreicht wird). Die Unterscheidung war bedeutsam, weil eine staatliche Erfüllungspflicht der Privatisierungsentscheidung zieht.
Das Begriffspaar Erfüllungsverantwortung und Gewährleistungsverantwortung ist damit nicht deckungsgleich. Erfüllungs- und Gewährleistungsverantwortung sind Schlagworte, die im Wesentlichen unterschiedliche Bündel rechtlicher Pflichten beschreiben. Wir sprechen davon, dass der Staat Erfüllungsverantwortung trägt, wenn er die Aufgabe eigenhändig erledigt. Bloße Gewährleistungsverantwortung trägt der Staat demgegenüber dann, wenn er die Erfüllung einem Privaten überlässt. Je nachdem, welche Verantwortung der Staat trägt, muss er unterschiedliche Pflichten erfüllen beziehungsweise rechtlichen Anforderungen gerecht werden.
Für das Verhältnis der beiden Begriffspaare Erfüllungspflicht/Gewährleistungspflicht und Erfüllungsverantwortung/Gewährleistungsverantwortung ergibt sich folgendes:
Erlegt das Recht dem Staat eine Erfüllungspflicht auf, muss der Staat zwingend eigenhändig tätig werden, also Erfüllungsverantwortung übernehmen. Er hat keine Wahl.
Normiert das Recht eine bloße Gewährleistungspflicht, kann der Staat Erfüllungsverantwortung übernehmen – sich also dazu entscheiden, die Aufgabe eigenhändig zu erledigen –, oder sich auf eine bloße Gewährleistungsverantwortung beschränken und die Erfüllung einem Privaten überlassen. Hier hat der Staat eine Wahl, kann sich also für das eine oder das andere Bündel rechtlicher Pflichten entscheiden.
Enthält des Recht nicht einmal eine Gewährleistungspflicht, steht es dem Staat frei, für die jeweilige freiwillige Aufgabe Erfüllungs- oder Gewährleistungsverantwortung zu übernehmen. Er muss das aber nicht tun. Ob das Recht eine Gewährleistungspflicht normiert, müssen wir in jedem Einzelfall bestimmen. Besonders deutlich ist der Fall in Art. 87e Abs. 4 S. 1 und Art. 87f Abs. 1 GG. Entsprechend diesem Beispiel kann sich vor allem auch aus den grundrechtlichen Schutzpflichten und den Staatszielbestimmungen (Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG und Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen aus Art. 20a GG) eine Gewährleistungspflicht ableiten lassen. Aus Grundrechten lassen sich Gewährleistungspflichten umso eher ableiten, je elementarer eine bestimmte Leistung für das individuelle oder gesellschaftliche Leben ist und je mehr die Bevölkerung darauf angewiesen ist. Dabei ist aber wie schon vorher zu betonen, dass der Staat bei der Entscheidung darüber, wie er die Staatsziele verfolgt und seinen grundrechtlichen Schutzpflichten nachkommt, einen weiten Spielraum verfügt. Diesen Spielraum überschreitet er nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erst dann, wenn er überhaupt keine Schutzvorkehrungen trifft oder die getroffenen Regelungen und Maßnahmen zur Erreichung des Schutzziels gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind oder erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben. Der Staat muss also grundsätzlich nur einen bestimmten Mindeststandard an Schutz beziehungsweise Zielerreichung gewährleisten.
Allerdings sind Erfüllungsverantwortung und Gewährleistungsverantwortung auch nicht viel mehr als Schlagworte. Die rechtlichen Pflichten des Staates unterscheiden sich von Fall zu Fall und insbesondere nach der jeweiligen Erscheinungsform der Privatisierung. Außerdem führt auch nicht jede Form der Privatisierung dazu, dass die Erfüllungsverantwortung endet. Keinesfalls können wir also pauschal sagen, dass sich mit einer Privatisierung die Erfüllungsverantwortung des Staates immer zu einer Gewährleistungsverantwortung hin verändert. Wichtiger als die Beschreibung der rechtlichen Pflichten des Staates mit dem einen oder dem anderen Schlagwort ist es, die auf eine Privatisierung folgenden rechtlichen Pflichten selbst im Einzelnen zu bestimmen.
Welche der folgenden Aussagen ist nicht richtig?
- Erfüllungsverantwortung/Gewährleistungsverantwortung ist dasselbe wie Erfüllungspflicht/Gewährleistungspflicht.
- Trifft den Staat eine Gewährleistungspflicht, kann er Erfüllungsverantwortung übernehmen.
- Gewährleistungsverantwortung muss der Staat jedenfalls nur dann übernehmen, wenn ihn eine Gewährleistungspflicht trifft.
Staatliche Verantwortung nach dem Vollzug der unterschiedlichen Erscheinungsformen der Privatisierung
Staatliche Verantwortung nach einer Organisationsprivatisierung
Bei den verschiedenen Spielarten der Organisationsprivatisierung bleibt die Aufgabe eine staatliche. Das jeweils mit der Aufgabe betraute Privatrechtssubjekt ist an die Grundrechte gebunden und dem Staat institutionell zuzurechnen. Es ist Geschmacksache, ob man hier von einer Gewährleistungsverantwortung des Staates sprechen möchte. Immerhin erfüllt der Staat die Aufgabe weiterhin selbst, wenn auch in privatrechtlicher Organisationsform. Plausibler erscheint es daher, die Verantwortung des Staates weiterhin als Erfüllungsverantwortung zu bezeichnen. In der Sache ergeben sich dadurch keine Unterschiede.
In jedem Fall obliegt es dem Staat, die Aufgabe durch das eingesetzte Privatrechtssubjekt soweit zu erfüllen, wie er rechtlich dazu verpflichtet ist. Gegenüber einem Beliehenen hat er dazu wie gegenüber nachgeordneten eigenen Behörden die Rechts- und Fachaufsicht wirksam auszuüben und auf diese Weise auch das Gebot hinreichender demokratischer Legitimation aus Art. 20 Abs. 2 GG zu erfüllen. In den anderen Fällen der Organisationsprivatisierung ist der Staat verpflichtet, von seinen gesellschaftsrechtlichen Einflussmöglichkeiten Gebrauch zu machen.
Staatliche Verantwortung nach einer funktionalen Privatisierung
Auch bei der funktionalen Privatisierung bleibt die Aufgabe eine staatliche. Der Private übernimmt hier nicht die Aufgabe des Staates, sondern wird nur funktional auf eine Staatsaufgabe bezogen tätig. Er leistet Teilbeiträge, welche die staatliche Aufgabenerledigung vorbereiten oder durchführen. Jedenfalls beim Einsatz eines Verwaltungshelfers spricht viel dafür, die staatliche Verantwortung in der Regel noch als Erfüllungsverantwortung zu bezeichnen. Der Verwaltungshelfer mag zwar gegenüber anderen Privaten sichtbar sein und in Erscheinung treten, handelt aber doch nur für den Staat, gleichsam als Erfüllungsgehilfe. Etwas anders stellt sich die Lage beim Konzessionär dar, dem der Staat das Recht zur Verwertung der Dienstleistung überträgt und der das damit verbundene Betriebsrisiko trägt (§ 105 Abs. 2 S. 1 GWB). Der Konzessionär erfüllt seine (typischerweise vertraglichen) Pflichten gegenüber dem Staat, wird aber auch eigenverantwortlich gegenüber anderen Privaten tätig. Hier lässt sich die Verantwortung des Staates mit Blick auf die Erbringung der jeweiligen Dienstleistung eher als Gewährleistungsverantwortung beschreiben.
In allen Fällen muss der Staat sicherstellen, dass der Private seinen Teilbeitrag punktuell oder dauerhaft ordnungsgemäß leistet. Dazu muss der Staat von den vertraglich vorgesehenen Weisungsrechten, Kontrollbefugnissen, Kündigungsmöglichkeiten und Haftungsregelungen wirksam Gebrauch machen.
Weitergehende Pflichten ergeben sich aus dem Demokratie- und dem Rechtsstaatsprinzip. Im Ausgangspunkt unterscheidet sich die Rechtslage zwar nicht von einer Aufgabenwahrnehmung ohne funktionale Privatisierung: An die verfassungsrechtlichen Anforderungen ist ausschließlich der Staat bei der staatlichen Aufgabenwahrnehmung gebunden. Der eingesetzte Private übt keine Hoheitsrechte aus und ist dem Staat auch nicht institutionell zuzurechnen. Ihn binden die verfassungsrechtlichen Anforderungen also nicht. Die funktionale Privatisierung kann nun aber aus tatsächlichen Gründen dazu führen, dass der Staat den demokratischen und rechtsstaatlichen Anforderungen nicht mehr genügt:
Das ist namentlich ein Problem, wenn der Staat den Privaten als vorbereitenden Planer oder Berater in Entscheidungsverfahren (beispielsweise in die Bauleitplanung) einbezieht, um sich dessen Kapazitäten und Sachverstand zunutze zu machen. Hier lauert die Gefahr, dass sich der Staat selbst seiner Kapazitäten und seines Sachverstands begibt und komplexe Vorarbeiten des Privaten nicht mehr nachvollziehen und sich zu eigen machen, sondern nur noch „abnicken“ kann. Der Staat übernimmt die vom Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 2 GG) geforderte Letztentscheidungsverantwortung dann zwar noch formal, aber nicht mehr inhaltlich.
Im selben Umfang ergeben sich Reibungen mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), da der ausgelagerte Teil des Verfahrens in den Händen eines Privaten liegt, dessen Verhalten nicht unmittelbar rechtsstaatlichen Anforderungen unterliegt. Ergebnis des Verfahrens ist dann eine staatliche Entscheidung, deren Findung nur in Teilen auf einem rechtsstaatlich strukturierten Verfahren beruht.
Der Staat muss diesen Gefahren auf Grund seiner Erfüllungs- beziehungsweise Gewährleistungsverantwortung begegnen. Lösungsmöglichkeiten liegen darin, dass der Staat selbst den Privaten dazu verpflichtet, bei seiner Tätigkeit bestimmte verfahrensbezogene Anforderungen zu erfüllen, die als Mindeststandards eines rechtsstaatlichen Verfahrens gelten. Dazu gehören Neutralität und Objektivität des Handelns, die Anhörung Dritter und eine an inhaltlichen Maßstäben ausgerichtete Kontrolle des Teilbeitrags des Privaten. Inwieweit damit das erforderliche demokratische Legitimationsniveau erreicht werden kann, hängt vom Einzelfall ab, insbesondere davon, wie intensiv die zu treffende Entscheidung Grundrechte berührt
Welche der folgenden Aussagen ist richtig?
- Ob wir nach der Organisationsprivatisierung von der Erfüllungs- oder Gewährleistungsverantwortung sprechen, bringt rechtliche Unterschiede mit sich.
- Verwaltungshelfer und Konzessionäre sind bei ihren Tätigkeiten unmittelbar dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip unterworfen.
- Reibungen mit dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip können sich ergeben, soweit der Staat sich Teilbeiträge Privater vor der abschließenden Entscheidung nicht inhaltlich zu eigen macht oder machen kann.
Staatliche Verantwortung nach einer Aufgabenprivatisierung
Besondere Bedeutung der Gewährleistungsverantwortung
Besondere Bedeutung erlangt die Gewährleistungsverantwortung nach einer Aufgabenprivatisierung, und zwar in den Fällen der staatlichen Veräußerung von Anteilen an einem gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen und der Marktöffnung. Soweit der Staat die Aufgabe aus seiner Trägerschaft entlässt, liegt die Tätigkeit fortan in den Händen eines auch im inhaltlichen Sinne Privaten. Insoweit legt der Staat seiner Erfüllungsverantwortung vollständig ab. Wir haben gesehen, dass der Staat mit anderen privaten Anbietern in den Wettbewerb treten (diese Möglichkeit kommt insbesondere in Art. 87f Abs. 2 S. 1 GG zum Ausdruck) oder sich aus der Tätigkeit vollständig zurückziehen kann.
Viel deutlicher als bei den anderen Erscheinungsformen der Privatisierung lässt sich hier wahrnehmen und beschreiben, wie sich die rechtlichen Pflichten des Staates verändern. Das liegt maßgeblich daran, dass die Aufgabe keine staatliche mehr ist. Die Grundrechte binden den tätigen Privaten nicht unmittelbar. Er begegnet anderen Privaten auf der Ebene der Gleichordnung. Wenn er für sie tätig wird, namentlich dadurch, dass er bestimmte Dienstleistungen erbringt, also Aufgaben der vormaligen Leistungsverwaltung wahrnimmt, dann handelt er prinzipiell nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen (Aufgaben der Eingriffsverwaltung kommen nicht in Betracht, da Private keine hoheitlichen Befugnisse innehaben). Sein Handlungsmotiv ist Einnahmen- oder Gewinnerzielungsabsicht. Mangels unmittelbarer Grundrechtsbindung kann der jeweilige Dienstleistungsempfänger grundsätzlich nicht außerhalb marktwirtschaftlicher Regeln verlangen, dass der private Dienstleistungserbringer seine Bedürfnisse befriedigt. Soweit die Grundrechte oder andere Verfassungsbestimmungen dem Privaten einen Mindeststandard an bestimmten Leistungen garantieren, die der Markt von sich aus nicht erbringt, können wir von einem „sozialen Marktversagen“ sprechen. In diesem Fall muss der Staat seiner aus der jeweiligen rechtlichen Pflicht folgenden Gewährleistungsverantwortung dadurch gerecht werden, dass er auf das soziale Marktversagen reagiert. Dazu muss er so auf die Leistungsbeziehung zwischen den Privaten steuernd einwirken, dass die Dienstleistung demjenigen Mindeststandard entspricht, den der Staat gegenüber den Privaten gewährleisten muss. Er kann also beispielsweise bestimmte Qualitätsstandards oder Höchstpreise in einem Wirtschaftssektor vorschreiben.
Damit lassen sich zwei wesentliche Voraussetzungen dafür zusammenfassen, dass sich die Gewährleistungsverantwortung des Staates aktiviert, der Staat also auf die Leistungsbeziehung einwirken muss:
Erstens muss der Staat überhaupt Gewährleistungsverantwortung tragen. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn spezifische Bestimmungen des Grundgesetzes wie Art. 87e Abs. 4 S. 1 und Art. 87f Abs. 1 GG oder die Grundrechte oder Staatszielbestimmungen eine Gewährleistungspflicht begründen. Im Übrigen kann der Staat freiwillig Gewährleistungsverantwortung übernehmen oder sich darüber hinaus im Gesetz selbst eine Gewährleistungspflicht auferlegen.
Zweitens bedarf es eines sozialen Marktversagens. Sonst gibt es keinen Anlass, zu handeln. Dasjenige Leistungsergebnis, dessen Erreichen der Staat gewährleisten muss, darf also nicht schon der Markt selbst zustande bringen.
Beispiele: Der Markt erbringt im Bereich des Postwesens und der Telekommunikation keine flächendeckend angemessenen und ausreichenden Dienstleistungen im Sinne von Art. 87f Abs. 1 GG, weil es sich für private Telekommunikationsunternehmen wirtschaftlich nicht lohnt, den dünn besiedelten ländlichen Raum mit Breitbandzugängen zu versorgen. Oder der Markt trägt nicht im Sinne von Art. 87e Abs. 4 S. 1 GG den Verkehrsbedürfnissen der Allgemeinheit Rechnung, weil private Schienenverkehrsunternehmen unrentable Verbindungen einstellen.
Welche der folgenden Aussagen ist nicht richtig?
- Besonders nach einer Aufgabenprivatisierung kommt eine staatliche Gewährleistungsverantwortung in Betracht.
- Wenn der Staat Aufgaben privatisiert, muss er danach zwingend auf den privaten Dienstleistungserbringer einwirken.
- Unter sozialem Marktversagen verstehen wir eine Situation, in der nicht schon der Markt selbst dasjenige Ergebnis erbringt, das der Staat aufgrund seiner Gewährleistungspflicht sicherstellen muss.
Staatliche Instrumente, um der Gewährleistungsverantwortung gerecht zu werden
Die staatlichen Instrumente, mit denen der Staat seiner Gewährleistungsverantwortung gerecht werden kann, lassen sich nicht abschließend aufzählen und sind abhängig vom jeweiligen Einzelfall. Dennoch hat sich in den Netzwirtschaften mit der Regulierung und der Aufsicht ein Paar an Instrumenten herausgebildet, das zukünftig beispielhaft auch für andere Bereiche stehen könnte und das wir deshalb in den Blick nehmen.
Mit den Netzwirtschaften sind insbesondere die Bereiche Post und Telekommunikation, Energie, Wasser, Gas und Schienenverkehr gemeint. Die Netzwirtschaften zeichnen sich dadurch aus, dass die Dienstleistungserbringer oder die Endkunden auf die Nutzung eines Netzes angewiesen sind. Diese Netze haben den Charakter eines natürlichen Monopols. Das bedeutet, dass es sich wirtschaftlich nicht lohnt, wenn mehrere oder viele konkurrierende Unternehmen Netze bereitstellen. Der Betreiber eines Netzes gewinnt dadurch eine besondere Marktmacht, die unter anderem zu einem sozialen Marktversagen führen kann. Aber auch die Dienstleistungen selbst zeichnen sich teilweise durch eine besondere Kostenstruktur aus, aufgrund deren sich Einnahmen- und Gewinnerzielungsabsicht nicht zwingend mit Gemeinwohlverwirklichung decken.
Unter dem Begriff der Regulierung verstehen wir hoheitliches Handeln, mit dem der Staat auf einen Wirtschaftssektor einwirkt, um sowohl Bedingungen für Wettbewerb zu schaffen und aufrechtzuerhalten als auch das Gemeinwohl im betreffenden Sektor zu sichern (ohne dabei die Aufgaben eigenhändig zu erledigen). Ziel der Regulierung ist also ein zweifaches: Wettbewerbs- und Gemeinwohlsicherung, wobei uns mit Blick auf die Gewährleistungsverantwortung in erster Linie die Gemeinwohlsicherung interessiert.
Die Regulierung im Bereich der Netzwirtschaften geht in großen Teilen auf europäische Gesetzgebung infolge der Liberalisierungspolitik zurück. Die vormals monopolistisch agierenden Unternehmen, die typischerweise in staatlicher Trägerschaft lagen, werden (mit Unterschieden im Detail) folgenden typischen Anforderungen unterworfen:
Pflicht, anderen Privaten diskriminierungsfreien Zugang zum Netz zu gewähren, damit sie auf dem Netz in einen Wettbewerb hinsichtlich der Erbringung der Dienstleistung treten können. Diese Pflicht trifft den Netzbetreiber, der dort unter Umständen auch selbst Dienstleistungen erbringt. Eine solche Pflicht findet sich im Telekommunikationsbereich (§§ 20 ff. TKG), im Energiesektor (§§ 20 ff. EnWG) und im Schienenverkehr (§§ 10 ff. ERegG, § 13 AEG), in geringerem Ausmaß auch im Postsektor (§ 29 PostG).
Pflicht, Universaldienstleistungen zu erbringen. Mit Universaldienstleistungen sind Dienstleistungen im Umfang einer Grundversorgung beziehungsweise eines Mindestangebots gemeint, die für die gesamte Bevölkerung erbracht werden. Unternehmen unterliegen also einem Kontrahierungszwang: Sie sind verpflichtet, jedermann den Zugang zu der Dienstleistung zu festgelegten Konditionen und Preisen zu gewährleisten. Diese Pflicht wirkt dem Anreiz entgegen, unrentable Geschäftszweige abzugeben. Solche Pflichten tragen Energieversorgungsunternehmen (§ 36 EnWG), Postdienstleister (§§ 11 ff. PostG) und Telekommunikationsdienstleister (§§ 156 ff. TKG).
Staatliche Preiskontrolle hinsichtlich der Netzzugangsentgelte oder der Endkundenentgelte. Diese Preiskontrolle wirkt der Gefahr entgegen, dass Netzbetreiber oder Dienstleistungserbringer ihre besondere Marktmacht ausnutzen und dass die Dienstleistungen dadurch letztlich nur zu unangemessen hohen Preisen verfügbar sind. Entgelte werden reguliert im Telekommunikationsbereich (§§ 37 ff. TKG), im Energiesektor (§§ 21, 39 EnWG), im Postsektor (§§ 19 ff. PostG) und im Schienenverkehr (§ 12 AEG, §§ 23 ff. ERegG).
Staatlichen Marktmissbrauchskontrolle. Eine solche besondere Marktmissbrauchskontrolle findet sich im Telekommunikationsbereich (§ 50 TKG), im Energiesektor (§§ 30 f. EnWG) und im Postsektor (§ 32 PostG).
Auf den Gebieten der Elektrizität, des Gases und des Wasserstoffs, des Telekommunikationsrechts, des Postrechts und des Rechts des Zugangs zur Eisenbahninfrastruktur führt die Bundesnetzagentur mit Sitz in Bonn die Aufsicht. Die Bundesnetzagentur ist eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (vgl. § 1 S. 2 BNetzAG). Sie nimmt die ihr in den Regulierungsgesetzen des jeweiligen Sektors zugesprochenen Aufgaben wahr. Zu den Aufgaben gehören insbesondere die Preis- und Marktmissbrauchskontrolle. Teilweise ist es auch die Aufgabe der Bundesnetzagentur, Unternehmen zur Erbringung von Universaldienstleistungen zu verpflichten.
Welche der folgenden Aussagen ist nicht richtig?
- Regulierung und Aufsicht sind im Bereich der Netzwirtschaften Instrumente, mit denen der Staat seiner Gewährleistungsverantwortung nachkommen kann.
- Regulierung zielt allein darauf ab, das Gemeinwohl sichern.
- Besondere Regulierungsinstrumente im Bereich der Netzwirtschaften sind die Pflicht zur Gewährung des Netzzugangs, die Pflicht zur Erbringung von Universaldienstleistungen, die staatliche Preiskontrolle und die staatliche Marktmissbrauchskontrolle.
Literatur
Burgi, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band 4, 3. Auflage 2006, § 75 Privatisierung, Rn. 28–32
Burgi, in: Ehlers/Pünder, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Auflage 2016, § 10 Entwicklungslinien, Rn. 7 ff.
Kämmerer, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 1, 4. Auflage 2019, § 13 Privatisierung, Rn. 95–120
Ruffert, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 1, 4. Auflage 2019, § 22 Grundfragen der Wirtschaftsregulierung