Kilian Wegner Strafrecht AT I: Übungsfälle Licensed under CC-BY-4.0

Einheit 4: Vorsatz und Irrtum (Lösung)

Fall 1

G könnte sich wegen Körperverletzung gem. den §§ 223 Abs. 1224 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2, Nr. 5 StGB strafbar gemacht haben, indem er ohne Kondom mit D schlief.

Tatbestand

Objektiver Tatbestand

Durch den Geschlechtsverkehr hat G den D mit HIV infiziert und ihn damit an der Gesundheit geschädigt. Es liegt damit jedenfalls ein Taterfolg nach § 223 Abs. 1 Var. 2 StGB vor. Ferner handelt es sich bei dem HIV-Erreger um einen gesundheitsschädlichen Stoff i. S. v. § 224 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB und bei einer Infektion mit diesem Virus um eine das Leben gefährdende Behandlung i. S. v. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Folglich ist auch der objektive Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung erfüllt.

Hinweis: Der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung wird in späteren Semestern noch ausführlich behandelt und taucht hier nur der Vollständigkeit halber auf.

Subjektiver Tatbestand

G müsste ferner mit Vorsatz in Bezug auf die objektiven Tatumstände gehandelt haben (§ 15 StGB).

G hat gehofft, dass D sich nicht anstecken würde, deshalb scheidet ein Erstreben eines Verletzungserfolgs i. S. d. dolus directus 1. Grades aus. Ähnliches gilt für den dolus directus 2. Grades, denn G wusste nicht sicher, dass D sich anstecken würde. Damit bleibt als mögliche Vorsatzform allein der Eventualvorsatz (dolus eventualis), dessen Definition im Einzelnen umstritten ist. Die dazu vertretenden Meinungen lassen sich grob in die sog. Wissens- und die sog. Willenstheorien unterteilen.

Hinweis: Den folgenden Streitstand müssen Sie in der Klausur nur dann ausführlich erwähnen, wenn der Täter:in möglicherweise das voluntative Vorsatzelement (= das „Willenselement“) fehlt. Ansonsten können Sie einfach die Vorsatzdefinition der herrschenden Meinung heranziehen und prüfen, ob die Täter:in die Verursachung des Taterfolgs für möglich hält und billigend in Kauf nimmt.

Wissenstheorien

Den Wissenstheorien ist gemein, dass sie davon ausgehen, der Eventualvorsatz setze lediglich ein sog. intellektuelles Moment (= Wissensmoment) voraus.

So genügt es beispielsweise nach der Möglichkeitstheorie für das Vorliegen von dolus eventualis bereits, wenn der Täter das Eintreten des Taterfolgs konkret für möglich hält. Im vorliegenden Fall hat G den Verletzungserfolg durch einen späteren Ausbruch der Krankheit AIDS konkret für möglich gehalten, weil er zuvor über diese Folge aufgeklärt worden war. Nach den Maßstäben der Möglichkeitstheorie hat G also mit dolus eventualis gehandelt.

Höhere Anforderungen an das Wissensmoment stellt dagegen die sog. Wahrscheinlichkeitstheorie, wonach die Annahme von Eventualvorsatz voraussetzt, dass der Täter den Eintritt des Taterfolgs für wahrscheinlich hält. Vorliegend wusste G um das nur relativ geringe Risiko, dass D sich beim einmaligen Geschlechtsverkehr mit HIV anstecken würde, und hielt eine Ansteckung dementsprechend auch nicht für wahrscheinlich. Nach der Wahrscheinlichkeitstheorie liegt also kein dolus eventualis vor.

Willenstheorien

Den sog. Willenstheorien ist gemein, dass sie für die Annahme von dolus eventualis neben dem intellektuellen Moment zusätzlich ein voluntatives Element fordern, d.h. der Täter muss nicht nur um den Erfolgseintritt „wissen“, sondern ihn auch „wollen“.

So kommt es etwa nach der – auch von der Rechtsprechung vertretenen – Billigungstheorie darauf an, dass der Täter den Erfolgseintritt nicht nur für möglich hält, sondern ihn außerdem billigend in Kauf nimmt. Eine solche Billigung im Rechtssinne liegt vor, wenn der Erfolgseintritt dem Täter zwar möglicherweise unerwünscht ist, er sich aber letztlich mit ihm abfindet und höchstens vage auf sein Ausbleiben vertraut.

Im vorliegenden Fall hat G ernsthaft und – mit Blick auf das relativ niedrige Infektionsrisiko –auch durchaus plausibel darauf vertraut, dass D sich nicht anstecken werde („Wird schon gut gehen!“). Nach der Billigungstheorie liegt demnach kein Eventualvorsatz vor.

Auch die Anwendung weiterer Varianten der Willenstheorien führt zu keinem anderen Ergebnis: G war die Ansteckung des D nicht gleichgültig, so dass auch das von der sog. Gleichgültigkeitstheorie geforderte voluntative Vorsatzelement nicht vorliegt. Weiterhin hat G die Ansteckung eher für eine abstrakte, denn eine konkrete Gefahr gehalten. Folglich sind auch die Voraussetzungen der sog. Gefährdungstheorie nicht erfüllt. Schließlich ist ein Eventualvorsatz im vorliegenden Fall auch nach den Grundsätzen der Ernstnahmetheorie nicht gegeben, weil G die Ansteckung von D nicht ernsthaft für möglich hielt und sich nicht mit ihr abgefunden hat.

Stellungnahme

Lediglich die Möglichkeitstheorie als weiteste Variante der Wissenstheorien führt im vorliegenden Fall zur Annahme von dolus eventualis, so dass sich eine gutachterliche Stellungnahme zu dem aufgezeigten Meinungsstreit lediglich mit dieser Theorie auseinanderzusetzen hat. Für die Möglichkeitstheorie wird vor allem angeführt, dass es für eine Bestrafung aus dem Vorsatzdelikt genügen müsse, wenn der Täter den Erfolgseintritt nur für möglich halte, weil er sich damit bereits über die durch den Tatbestand aufgestellte Verbotsnorm hinwegsetze. Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass das deutsche Strafrecht am Rechtsgüterschutz ausgerichtet ist. Es kann für die Annahme einer Vorsatzstrafbarkeit vor diesem Hintergrund nicht allein darauf ankommen, ob der Täter die Verletzung eines Strafgesetzes nur für möglich hält; vielmehr muss sein Handeln voluntativ von einer Entscheidung gegen das Rechtsgut geprägt sein. Als systematisches Argument gegen die Möglichkeitstheorie kommt hinzu, dass die beiden Formen des direkten Vorsatzes jeweils sowohl ein intellektuelles als auch ein voluntatives Element aufweisen: Wer den Erfolgseintritt durch seine tatbestandliche Handlung als Ziel anstrebt (dolus directus 1. Grades), weiß auch um die Möglichkeit des Erfolgseintritts. Ein Täter, der trotz sicheren Wissens um den Erfolgseintritt (dolus directus 2. Grades) die Tathandlung ausführt, will den Taterfolg notwendigerweise auch. Wenn nun dolus directus und dolus eventualis gleichermaßen zu einer Strafbarkeit aus dem Vorsatzdelikt führen, ist kaum einsehbar, warum der dolus eventualis als schwächere Vorsatzform lediglich aus einer intellektuellen Komponente bestehen soll. Dazu kommt, dass eine Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit auf Basis der Möglichkeitstheorie nicht durchgeführt werden kann, weil der Täter den Erfolgseintritt in beiden Fällen für möglich hält und die Trennlinie zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit sich dann nur durch das voluntative Element bestimmen lässt. Demnach ist die Möglichkeitstheorie und damit im vorliegenden Fall auch das Vorliegen von Eventualvorsatz abzulehnen.

Ergebnis

Mangels Vorsatzes hat G sich nicht gem. §§ 223 Abs. 1224 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 5 StGB strafbar gemacht.

Hinweis: In der Praxis ist die Feststellung von dolus eventualis deutlich schwieriger, als es die Falllösung suggeriert. Das hängt in erster Linie damit zusammen, dass sich im Nachhinein nicht „messen“ lässt, was der Täter im Tatzeitpunkt „wusste“ und „wollte“. Oftmals bleibt deshalb keine andere Möglichkeit, als von äußeren Umständen (Indizien) auf das Vorliegen der intellektuellen und voluntativen Vorsatzkomponente zu schließen. So geht z. B. auch die Lösungsskizze davon aus, dass G um die Ansteckungsgefahr von HIV wusste, weil sein Arzt ihm davon berichtet hat. Obwohl es theoretisch möglich wäre, dass G das Gespräch zum Tatzeitpunkt schon wieder vergessen hat, würde ihm diese Einlassung wohl niemand glauben. In der Klausur sollten Sie insofern mit „common sense“ operieren und außerdem auf typische Signalwörter achten: Bei Äußerungen des Täters laut Sachverhalt à la „Wird schon gut gehen!“ geht die Lösungsskizze meist von bewusster Fahrlässigkeit aus, während bei Handlungen „in’s Blaue hinein“ oft dolus eventualis gegeben ist.

Fall 2

Rose könnte sich wegen Totschlags gem. § 212 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er auf Harnisch schoss.

Tatbestand

Objektiver Tatbestand

Rose hat Harnisch durch seinen Schuss getötet, wobei der Tod des Harnisch ihm auch objektiv zurechenbar ist. Der objektive Tatbestand des Totschlags ist damit erfüllt.

Hinweis: Nach herrschender Meinung wäre auch das objektive Mordmerkmal der Heimtücke gem. § 211 Abs. 2 Var. 5 StGB erfüllt. Danach war laut Aufgabenstellung aber nicht gefragt. Der Mord wird im dritten Teil des Grundkurses näher behandelt.

Subjektiver Tatbestand

Rose müsste ferner mit Vorsatz in Bezug auf die objektiven Tatumstände gehandelt haben (§ 15 StGB). Mit seinem Schuss aus dem Hinterhalt verfolgte Rose das Ziel, einen Menschen zu töten, d.h. er handelte insofern mit dolus directus 1. Grades.

Die Besonderheit der Fallkonstellation liegt jedoch darin, dass Rose fälschlicherweise davon ausging, bei Harnisch handele es sich um Schliebe, d. h. er befand sich in einem Irrtum über die Identität des von ihm anvisierten Opfers. Fraglich ist, ob es sich bei einem solchen error in persona um einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB handelt. Nach h. M. tritt durch die zeitlich-räumliche Individualisierung des Angriffsobjekts – hier Schliebe – eine Vorsatzkonkretisierung ein. Der § 212 Abs. 1 StGB bestraft seinem Wortlaut nach abstrakt die Tötung eines jeden Menschen („Wer einen Menschen tötet…“), ohne dass es für die Erfüllung des objektiven Tatbestands darauf ankommt, welche Identität das konkret anvisierte (und auch tatsächlich getroffene) Opfer hat. Die Identität des Opfers ist also – um es mit anderen Worten zu sagen – kein Tatumstand des § 212 Abs. 1 StGB und kann daher auch nicht Bezugspunkt eines Tatumstandsirrtums i. S. v. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB sein. Der error in persona ist in der vorliegenden Fallkonstellation folglich unbeachtlich.

Rose handelte demnach mit Vorsatz.

Hinweis: Da Rose Harnisch getötet hat, um dafür von Rosahl reichlich entlohnt zu werden, liegt auch das subjektive Mordmerkmal der Habgier vor. Auch das war wegen der auf den Totschlag beschränkten Fallfrage aber nicht zu thematisieren.

Rechtswidrigkeit und Schuld

Rose hat auch rechtswidrig und schuldhaft gehandelt.

Ergebnis

Rose hat sich gem. § 212 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

Hinweis: Der Täter kann in einer solchen error-in-persona-Konstellation nicht zusätzlich wegen versuchten Totschlags an der Person bestraft werden, die er ursprünglich töten wollte (hier = Schliebe), denn sein Tötungsvorsatz bezieht sich im Tatzeitpunkt gerade nur auf das „falsche“ (= Harnisch) und nicht gleichzeitig auch auf das „richtige“ Opfer (= Schliebe). Wenn die Fallfrage es – anders als hier – zulässt, sollten Sie darauf in der Klausur kurz eingehen!

Fall 3

Strafbarkeit nach § 212 Abs. 1 StGB zu Lasten von B

A könnte sich gem. § 212 Abs. 1 StGB wegen Totschlags strafbar gemacht haben, indem er die B mit dem Auto anfuhr.

Tatbestand

Objektiver Tatbestand

Die motorisierte Attacke des A auf C kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Tod der B in seiner konkreten Gestalt entfiele, d. h. A ist für den Tod der B kausal geworden. Bei hoher Geschwindigkeit eine andere, in der Nähe befindliche Person anzufahren, als eigentlich geplant, liegt ferner nicht außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit, so dass das Geschehen nicht als atypischer Kausalverlauf anzusehen ist und der Tod der B dem A als Taterfolg auch objektiv zugerechnet werden kann. A hat den objektiven Tatbestand des § 212 Abs. 1 StGB folglich erfüllt.

Subjektiver Tatbestand

A wollte mit seiner Attacke auf C einen Menschen töten und handelte diesbezüglich mit dolus directus 1. Grades. Der Angriff traf jedoch nicht das von A anvisierte Opfer, sondern stattdessen B, deren Verletzung A laut Sachverhalt weder für möglich gehalten noch billigend in Kauf genommen hatte. Fraglich ist, wie ein solcher Fall einer aberratio ictus (eines “Fehlgehen des Schlages”) rechtlich zu bewerten ist.

Denkbar wäre es, die aberratio ictus – ebenso wie einen error in persona – für unbeachtlich zu erklären, wenn das ursprünglich anvisierte und das tatsächlich verletzte Rechtsgut – wie hier (= Leben eines Menschen) – tatbestandlich gleichwertig sind. Es wird vertreten, dass die Tatbestände des besonderen Teils lediglich Vorsatz hinsichtlich eines abstrakt umschriebenen Tatobjekts erfordern (hier: hinsichtlich eines anderen Menschen). Eine Konkretisierung des Vorsatzes sei dabei gesetzlich nicht vorgesehen. Demzufolge wäre A vorliegend wegen vorsätzlichen Totschlags an B zu bestrafen.

Diese Lösungsmöglichkeit verkennt jedoch, dass sich der Vorsatz des Täters in Fällen der aberratio ictus – anders als beim error in persona – bereits auf ein ganz bestimmtes Tatobjekt konkretisiert hat. Einem Täter, der den Willen hat, einen ganz bestimmten Menschen (hier = C) zu verletzen, kann vor dem Hintergrund des Schuldprinzips nicht einfach unterstellt werden, er sei ebenso willens, auch jeden beliebigen anderen Menschen zu schädigen. Weiterhin eingewendet werden kann, dass sich der Vorsatz immer nur auf konkrete Umstände in der Lebenswirklichkeit und nicht nur auf abstrakte Tatbestandsmerkmale beziehen kann. Aus diesem Grund sei am Erfordernis der Vorsatzkonkretisierung festzuhalten. Folglich kann beim Vorliegen einer aberratio ictus keine Vorsatzstrafbarkeit in Bezug auf die Schädigung des nur versehentlich verletzten Opfers angenommen werden. In Betracht kommt jedoch eine Versuchsstrafbarkeit bezüglich des anvisierten Tatobjekts (C), sowie ggf. eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit hinsichtlich des Verletzungsobjekts (B).

Vertiefungshinweis: Die hier gewählte Lösung des aberratio-ictus-Problems entspricht der ganz herrschenden Meinung, weshalb Sie sich in der Klausur im Zweifel daran orientieren sollten. Die Gegenauffassung kann sich allerdings auf überzeugende Argumente stützen (für eine Übersicht s. Puppe, HRRS 2009, 91 ff.) und ist natürlich gleichermaßen vertretbar.

Ergebnis

Mangels eines entsprechenden Tatvorsatzes hat A sich nicht wegen Totschlags zu Lasten von B strafbar gemacht.

Strafbarkeit nach § 222 StGB zu Lasten von B

A könnte sich durch dieselbe Handlung jedoch gem. § 222 StGB der fahrlässigen Tötung zu Lasten von B schuldig gemacht haben.

Tatbestand

Durch seinen Angriff mit dem Auto auf C hat A den Tod der B in objektiv zurechenbarer Weise verursacht.

Er müsste ferner objektiv sorgfaltswidrig gehandelt haben. Objektiv sorgfaltswidrig handelt, wer gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verstößt. Einen Menschen mit dem PKW anzufahren, verstößt gegen die im Straßenverkehr erforderliche Vorsichts- und Rücksichtspflicht (§ 1 StVO). A handelte folglich objektiv sorgfaltswidrig.

Es war auch objektiv vorhersehbar, dass das sorgfaltswidrige Verhalten des A zum Tod einer Person führen konnte.

Ferner hat sich auch gerade die Sorgfaltswidrigkeit konkret im tatbestandlichen Erfolg verwirklicht, so dass der für eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit notwendige Pflichtwidrigkeitszusammenhang hergestellt ist.

Rechtswidrigkeit

Rechtfertigungsgründe für das Handeln des A sind nicht ersichtlich.

Schuld

Es liegen keine Schuldausschließungs- oder Entschuldigungsgründe für das Handeln von A vor. Ferner handelte er auch subjektiv sorgfaltswidrig und war nach Maßgabe seiner persönlichen Eigenschaften in der Lage, den durch seinen Angriff verursachten Taterfolg vorherzusehen.

Ergebnis

A hat sich gem. § 222 StGB zu Lasten von B strafbar gemacht.

Strafbarkeit nach §§ 212 Abs. 1, 22, Abs. 1 Abs. 1 Hs. 1 StGB zu Lasten von C

Durch seinen Angriff mit dem Auto könnte A sich außerdem gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB wegen versuchten Totschlags zu Lasten von C strafbar gemacht haben.

Der Taterfolg von § 212 Abs. 1 StGB in Gestalt des Todes von C ist ausgeblieben, so dass nur eine Versuchsstrafbarkeit in Betracht kommt. Der Totschlag ist ein Verbrechen i. S. v. § 12 Abs. 1 StGB, so dass sich die Strafbarkeit des Versuchs aus § 23 Abs. 1 Hs. 1 StGB ergibt.

Hinweis: Der Versuch zählt nicht zum Unterrichtsstoff dieses Semesters und wird hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

Tatbestand

Tatentschluss

A hat geplant, den C zu töten, indem er ihn mit seinem Auto anfährt.

Unmittelbares Ansetzen

Ferner hat A zur Verwirklichung seines Tatentschlusses i. S. v. § 22 StGB unmittelbar angesetzt, indem er mit seinem Fahrzeug auf C zuraste.

Rechtswidrigkeit

Rechtfertigungsgründe für das Handeln des A sind nicht ersichtlich.

Schuld

A handelte auch schuldhaft.

Ergebnis

A hat sich gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB zu Lasten von C strafbar gemacht.

Konkurrenzen

A hat die Tatbestände von § 222 StGB und §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB durch eine Handlung (= Attacke mit dem Auto) verwirklicht und es liegt kein Fall der Gesetzeskonkurrenz vor, so dass zwischen beiden Delikten Idealkonkurrenz (§ 52 Abs. 1 StGB) anzunehmen ist.

Gesamtergebnis

A hat sich gem. §§ 222, 212 Abs.1, 22, 23 Abs. 1, 52 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

Fall 4

Strafbarkeit gem. § 212 Abs. 1 StGB zu Lasten von B

A könnte sich gem. § 212 Abs. 1 StGB wegen Totschlags an B strafbar gemacht haben.

Tatbestand

Objektiver Tatbestand

A hat mit der Installation der Sprengfalle den Tod des B in objektiv zurechenbarer Weise verursacht und damit den objektiven Tatbestand des Totschlags erfüllt.

Subjektiver Tatbestand

A müsste außerdem vorsätzlich gehandelt haben. Dabei ist zu beachten, dass er sein Ziel, einen Menschen zu töten (= dolus directus 1. Grades), zwar im Ergebnis erreicht hat, jedoch versehentlich B und nicht – wie eigentlich geplant – R gestorben ist. Man könnte denken, dass damit – wie schon in Fall 3 – eine aberratio ictus vorliegt und A deshalb – auf Grundlage der herrschenden Meinung – nicht aus einem vorsätzlichen Tötungsdelikt zu Lasten von B bestraft werden kann. Dagegen spricht jedoch, dass A den R als sein eigentliches Ziel optisch nicht wahrgenommen hat und seinen Sprengfallen-Anschlag nur vermittelt über das Fahrzeug des R auf diesen richtete. In einem solchen „Fernwirkungsfall“ fehlt es damit an einer optisch vermittelten Konkretisierung des Tätervorsatzes auf ein ganz bestimmtes Opfer, die nach h. M. Voraussetzung für die Annahme eines beachtlichen Irrtums ist. Folglich könnte man die Auffassung vertreten, dieser Irrtum wäre wie ein error in persona zu behandeln und damit unbeachtlich. Nach dieser Auffassung hätte A mit Tötungsvorsatz bezüglich B gehandelt.

Eine andere Ansicht lässt eine „geistige“ Konkretisierung des Tatopfers ausreichen, die die zeitlich-räumliche Individualisierung als Mittel der Vorsatzkonkretisierung ersetzt. Vorliegend hatte sich durch die geistige Individualisierung der Vorsatz auf R konkretisiert und die Tötung des B wäre eine wesentliche Abweichung, die den Vorsatz – bezüglich der Tötung von B – entfallen lässt. Nach dieser Auffassung wäre der Tötungsvorsatz des A mit Blick auf B gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB ausgeschlossen.

Schließlich kann auch danach gefragt werden, ob der Handelnde durch die Art und Weise der Tatbegehung das Risiko des Fehlgehens geschaffen hat. Es kommt also darauf an, wie sehr die Tat individualisiert wurde. Hat der Täter das Tatgeschehen so programmiert, dass nach seinem Tatplan auch ein anderer getroffen werden kann, so wird das Verwechselungsrisiko vom Vorsatz umfasst. Hat er dagegen Sicherungsvorkehrungen gegen einen Fehlschlag getroffen, fällt ihm die Abweichung nicht zur Last und der Vorsatz ist gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB ausgeschlossen. Im vorliegenden Fall sind keine besonderen Vorkehrungen ersichtlich, mit denen A das Risiko des Fehlgehens ausgeschlossen hat, so dass nach dieser Auffassung Vorsatz gegeben wäre.

Da in der Gesamtschau der vertretenen Auffassungen lediglich die These von der „geistigen Konkretisierung“ hier zu einem Vorsatzausschluss kommt, ist eine Stellungnahme für oder gegen diese Position notwendig. Dass eine rein „geistige“ Individualisierung eines Verletzungsobjekts genügen soll, um den Vorsatz auch auf ein Angriffsobjekt zu konkretisieren, dass der Täter nie zu Gesicht bekommt, überzeugt dabei nicht. Es erscheint daher vorzugswürdig, mit den anderen vertretenen Thesen, das Fehlgehen des Schlags hier nicht als Tatumstandsirrtum i. S. v. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB zu behandeln.

A handelte in Bezug auf die Tötung von B also vorsätzlich.

Vertiefungshinweis: Die hier dargestellte Lösung muss Sie keineswegs überzeugen, entspricht aber der Linie der Rechtsprechung.

Rechtswidrigkeit

Rechtfertigungsgründe für das Handeln des A sind nicht ersichtlich.

Schuld

A handelte auch schuldhaft.

Ergebnis

A hat sich gem. § 212 Abs. 1 StGB wegen Totschlags an B strafbar gemacht.

Strafbarkeit gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 Var. 1 StGB zu Lasten von R

Durch dieselbe Handlung hat A sich nicht auch wegen versuchten Totschlags (§§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 Var. 1 StGB) an R strafbar gemacht, weil sein Tötungsvorsatz sich im Tatzeitpunkt nur auf das „falsche“ Opfer B bezog und es damit in diesem Moment an einem Tatentschluss bezüglich der Tötung von R fehlte.

Gesamtergebnis

A hat sich gem. § 212 Abs. 1 StGB wegen Totschlags an B strafbar gemacht.

Fall 5

Strafbarkeit nach § 212 Abs. 1 StGB durch Werfen in die Jauchegrube

A könnte sich gem. § 212 Abs. 1 StGB wegen Totschlags an B strafbar gemacht haben, indem sie B in die Jauchegrube geworfen hat.

Tatbestand

Objektiver Tatbestand

A hat den Tod der B in objektiv zurechenbarer Weise verursacht, indem sie B in die Jauchegrube geworfen hat.

Subjektiver Tatbestand

A müsste dabei mit Tötungsvorsatz gehandelt haben. Als A der B Sand in den Mund steckte, lag ein solcher Tötungsvorsatz vor. Später, als A die vermeintliche Leiche der B beseitigen wollte, ging sie jedoch davon aus, dass B bereits tot sei und hatte dementsprechend zu diesem Zeitpunkt keinen Tötungsvorsatz mehr. Denkbar wäre es in dieser Situation zu argumentieren, dass A das Leben der B grundsätzlich beenden wollte und es deswegen auf die Vorstellung der A bei den einzelnen Teilhandlungen nicht ankommen könne. Die Annahme eines solchen dolus generalis verstieße jedoch gegen das in § 16 Abs. 1 S. 1 StGB verankerte Koinzidenzprinzip. Demnach muss der Täter bei Begehung der Tat alle Umstände kennen, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören. Der Zeitpunkt der Begehung der Tat ist gem. § 8 StGB der Zeitpunkt der Tathandlung. Bei der Erstickungshandlung und der späteren Entsorgung der vermeintlichen Leiche handelt es sich um zwei zeitlich und räumlich voneinander getrennte Lebenssachverhalte und damit um zwei verschiedene Handlungen. Als A die B in die Jauchegrube geworfen hat, wies sie keinen Tötungsvorsatz auf, so dass an diese Handlung auch keine Vorsatzstrafbarkeit gem. § 212 Abs. 1 StGB geknüpft werden kann.

Ergebnis

A hat sich nicht gem. § 212 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, indem sie B in die Jauchegrube geworfen hat.

Strafbarkeit nach § 212 Abs. 1 StGB durch Erstickungshandlung

A könnte sich jedoch gem. § 212 Abs. 1 StGB wegen Totschlags an B strafbar gemacht haben, indem sie dieser Sand in den Mund steckte.

Tatbestand

Objektiver Tatbestand

B ist durch Ertrinken in der Jauchegrube gestorben, der Taterfolg des § 212 Abs. 1 StGB liegt also vor. Ohne die vorherige Erstickungshandlung wäre B nicht bewusstlos geworden und als vermeintliche Leiche in die Jauchegrube geworfen worden, so dass die Handlung von A nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der tatbestandliche Erfolg entfiele, d.h. die Kausalität zwischen Handlung und Taterfolg ist zu bejahen.

Fraglich ist jedoch, ob der Tod der B der A auch objektiv zurechenbar ist. Das wäre der Fall, wenn A eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hätte, die sich im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert hat. Prima facie erscheint es hier durchaus zweifelhaft, ob sich in dem Ertrinken der B eine typische Gefahr des vorherigen Befüllens des Mundes mit Sand realisiert hat. Bei genauerem Hinsehen war die Gefahr, dass A die B in der falschen Annahme, sie sei bereits tot, in die Jauchegrube wirft, aber bereits in der Erstickungshandlung angelegt – solche Fehler sind bei Tötungsvorhaben nicht völlig untypisch. Damit hat die durch die Erstickungshandlung geschaffene Gefahr – vermittelt über die Beseitigungshandlung an der Jauchegrube – sich letztlich im Tod der B realisiert, so dass dieser Taterfolg der A objektiv zuzurechnen ist.

Subjektiver Tatbestand

A müsste ferner vorsätzlich gehandelt haben. Als A der B Sand in den Mund gestopft hat, handelte sie mit bedingtem Tötungsvorsatz. Ihr war dabei allerdings nicht klar, dass B letztlich nicht durch Ersticken, sondern durch Ertrinken in der Jauchegrube sterben würde, d.h. sie irrte über den konkreten Kausalverlauf, der zum Tod von B führte. Ein solcher Irrtum über den Kausalverlauf führt nur dann zu einem Vorsatzausschluss i. S. v. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB, wenn sich die Abweichung des Kausalverlaufs außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit bewegt und eine andere Bewertung der Tat erforderlich macht. Dass es bei einem ungestümen Tötungsvorhaben, wie es die A gegenüber B durchgeführt hat, dazu kommen kann, dass der Täter das Opfer versehentlich für tot hält, der Tod letztlich aber erst bei der Entsorgung der vermeintlichen Leiche eintritt, liegt noch innerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit und ändert letztlich auch nichts an der Bewertung der Tat als ganzer. Der Irrtum der A über den Kausalverlauf ist folglich unbeachtlich und steht der Annahme von dolus eventualis hier nicht entgegen (a. A. gut vertretbar).

Rechtswidrigkeit und Schuld

A handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.

Ergebnis

A hat sich gem. § 212 Abs. 1 StGB wegen Totschlags an B strafbar gemacht, indem sie dieser Sand in den Mund steckte.