Henrike von Scheliha Familienrecht Licensed under CC-BY-4.0

4 Rechtswirkungen

Imported from 4 Rechtswirkungen.docx

Allgemeines

Aus dem Verlöbnis selbst resultieren keine Primäransprüche. Es besteht kein Anspruch auf Eingehung der Ehe (§ 1297 Abs. 1 BGB). Im Übrigen wäre eine Vollstreckung ohnehin ausgeschlossen (§ 120 Abs. 3 FamFG).

Die in der Praxis wohl bedeutsamsten Wirkungen des Verlöbnisses sind prozessualer Natur: Verlobte gelten strafrechtlich als Angehörige (§ 11 Abs. 1 Nr. 1a StGB) und sind daher strafrechtlich teilweise privilegiert (z.B. § 247 StGB, Haus- und Familiendiebstahl; § 258 Abs. 6 StGB, Strafvereitelung zugunsten Angehöriger). Außerdem genießen Verlobte Zeugnisverweigerungsrechte (§§ 383 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, § 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO).

Die zivilrechtlichen Wirkungen beschränken sich auf die speziellen Rücktritts- und Rückgewährregeln der §§ 1298 ff. BGB.

Beispiel: Die M schenkt dem F zur Verlobung eine Kette im Wert von 1.000 €. Die Eltern des F beginnen sogleich mit den Hochzeitsvorbereitungen. Dazu mieten sie das Hotel der H für den geplanten Hochzeitstermin an und leisten eine nicht rückzahlbare Anzahlung von 2.000 €. Zu der Hochzeit kommt es aber nicht mehr: Nach einem gemeinsamen Urlaub trennt sich die M von dem F, da ihr der Urlaub „die Augen geöffnet“ habe. Die Eltern des F sind empört und verlangen, dass M zumindest die Auslagen für die geplatzte Hochzeitsfeier übernehme. M weigert sich; jedenfalls müsse F ihr dann die Kette zurückgeben. Zu Recht?

Anspruch der Eltern des F gegen M auf Zahlung von 2.000 € gemäß § 1298 Abs. 1 S. 1 BGB?

Prüfungsreihenfolge: Die Ansprüche aus §§ 1298 ff. BGB sind spezielle Leistungsstörungsregelungen für das Verlöbnis. Diese Ansprüche sind daher vor GoA, §§ 812 ff., 823 ff. BGB zu prüfen!

Ersatzpflicht bei Rücktritt (§§ 1298 Abs. 1 S. 1, 1299 BGB)

Voraussetzungen

Zwar ist das Verlöbnis „an sich“ frei durch „Rücktritt“ lösbar, doch können Ersatzpflichten entstehen, wenn in schutzwürdigem Vertrauen auf die Eheschließung Aufwendungen gemacht worden sind. Dies wird in zwei Konstellationen anerkannt: Erstens bestehen Ansprüche gegen den Zurücktretenden, wenn der andere Verlobte oder z.B. dessen Eltern Aufwendungen in Erwartungen der Eheschließung getätigt haben (§ 1298 Abs. 1 BGB), soweit nicht ein „wichtiger Grund“ für den Rücktritt besteht (§ 1298 Abs. 3 BGB). Und zweitens hat der Zurücktretende selbst Ansprüche wegen eigener Aufwendungen, wenn der Rücktritt aus einem „wichtigen Grund“ erfolgt, der vom anderen Teil verschuldet ist (§ 1299 BGB).

Mit „wichtigem Grund“ sind Tatsachen gemeint, die eine Eheschließung unzumutbar machen (Dethloff FamR § 2 Rn. 13 f.). Dies wird in der Praxis eher eng ausgelegt.

Beispiele: Täuschung über vorhandene Kinder oder psychische Erkrankungen, insbesondere Täuschung darüber, (noch) verheiratet zu sein (OLG Oldenburg FamRZ 2016, 2102).

Die bloße Erkenntnis, nicht zueinander zu passen, wird derzeit im Schrifttum nicht als wichtiger Grund angesehen (Jauernig/Budzikiewicz § 1298 Rn. 6).

Lösung Beispiel: Verlöbnis (+), Rücktritt durch einseitige Erklärung (+), Aufwendungen der Eltern in Erwartung der Eheschließung? Es muss sich um sog. ehebezogene Aufwendungen handeln. Dazu zählen nicht solche Aufwendungen, die auf das gegenwärtige Zusammenleben hin erbracht werden, etwa Zuschüsse zur Lebensführung, mietfreies Wohnen. Hier aber Aufwendungen in Erwartung der Eheschließung (+). Anspruch ausgeschlossen, weil ein „wichtiger Grund“ zum Rücktritt besteht? Nein, nur bloße Veränderung der emotionalen Einstellung (a.A. vertretbar).

Vertiefung: Kann ein minderjähriger Verlobter selbst vom Verlöbnis zurücktreten? Nach der Vertragstheorie müsste eigentlich § 107 BGB einschlägig sein. Dagegen spricht aber, dass der Rücktritt vom Verlöbnis genauso wie das Verlöbnis selbst (= Begründung des Verlöbnisses) höchstpersönlicher Natur ist. Der Minderjährige kann also selbst zurücktreten (Gernhuber/Coester-Waltjen FamR § 8 Rn. 33). Ansonsten könnte der gesetzliche Vertreter den Minderjährigen am Verlöbnis festhalten. Dies widerspräche der Eheschließungsfreiheit (Art. 6 Abs. 1 GG).

Rechtsfolgen

Der Anspruch ist gerichtet auf Ersatz der Aufwendungen, die in Erwartung der Ehe gemacht wurden.

Hier (+) bzgl. der Kosten für die Anmietung des Hochzeitshotels. Die gesamten Kosten sind ersatzfähig, auch wenn die Hochzeitsfeier zur Hälfte dem Sohn zugutegekommen wäre.

Der Schaden ist allerdings nur insoweit zu ersetzen, als die Aufwendungen den Umständen nach angemessen waren (§ 1298 Abs. 2 BGB; Gedanke der aufgedrängten Bereicherung).

Hier Einzelfallabwägung, gemessen an den Lebensverhältnissen auch des Verlobten. Angesichts des Wertes des Verlobungsgeschenks der M erscheinen die Aufwendungen der Eltern angemessen und M nicht weiter schutzbedürftig.

Vertiefungshinweis (nach OLG Oldenburg FamRZ 2016, 2102 = JURA [JK] 2017, S. 742 § 1298 [Röthel]): Bestehen u.U. auch Ansprüche auf Schmerzensgeld, wenn das „Platzen“ des Verlöbnisses mit besonderen Folgen und Einbußen verbunden ist? Hier hatte der 1924 geborene M der 1936 geborenen F bei ihrem Kennenlernen verschwiegen, dass er noch verheiratet war und sich gleichwohl mit F verlobt. F war daraufhin zu M gezogen. Als schließlich rauskommt, dass M immer noch verheiratet ist, verlangt F u.a. Schmerzensgeld wegen des Ansehens- und Ehrverlusts, der ihr dadurch entstanden ist, dass sie mit einem verheirateten Mann zusammen gelebt hat und weil sie sich in der Folge, nach ihrer Rückkehr in ihr Heimatdorf, aus Scham völlig aus der Öffentlichkeit und ihrem Bekanntenkreis zurückgezogen hat. Das OLG Oldenburg bejaht einen Anspruch auf Schmerzensgeld, weil F durch das Verhalten des M zugleich in ihrem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht schwer verletzt worden ist. Dieser Anspruch ist allerdings nicht auf §§ 1298, 1299 BGB gestützt, sondern auf § 823 Abs. 1 BGB.

Die Entscheidung ist noch in einem anderen Punkt interessant: Das OLG Oldenburg sah das Verlöbnis wegen der bestehenden Ehe als sittenwidrig und damit nichtig an (§ 138 BGB). Damit stellte sich die Frage, ob §§ 1298, 1299 BGB überhaupt anwendbar waren. Das Gericht ließ die Frage nach der Anspruchsgrundlage offen und begründete die Ersatzansprüche der F sowohl (analog) §§ 1298, 1299 BGB als auch gestützt auf § 823 Abs. 1 BGB oder § 311a Abs. 2 BGB. – Setzt man für die Anwendbarkeit der §§ 1298 ff. BGB mit der Vertragstheorie ein wirksames Verlöbnis voraus, muss man sich tatsächlich mit § 823 Abs. 1 BGB oder § 311a Abs. 2 BGB „behelfen“. Fälle wie dieser legen es nahe, für die Rechtsnatur des Verlöbnisses doch eher der Vertrauenstheorie zu folgen.

§ 1301 S. 1 BGB

Jeder Verlobte kann die Rückforderung der Verlobungsgeschenke nach den Vorschriften der ungerechtfertigten Bereicherung verlangen. Bei kleineren Gelegenheitsgeschenken (Kinokarte, Einladung zum Essen, Blumen) ist denkbar, sie entweder nicht als Verlobungsgeschenke i. S. der Vorschrift anzusehen oder ihre Ersatzfähigkeit analog §§ 534, 814 Alt. 2 BGB auszuschließen. Die Vorschrift wird analog auf Briefe angewendet; dahinter steht der Gedanke des Persönlichkeitsschutzes.

§ 1301 BGB ist als Rechtsfolgenverweisung zu verstehen, da die Anspruchsvoraussetzungen abschließend umschrieben sind (a.A. Rechtsgrundverweisung auf § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB, Kondiktion wegen Nichteintritt des Erfolgs).

Beachte: Eine Kondiktion aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB scheitert schon daran, dass die Zuwendung (wenn unentgeltlich, dann Schenkung; sonst unbenannte Zuwendung) mit Rechtsgrund erfolgt.

Jedenfalls soll der Anspruch nicht an § 815 BGB scheitern: Auch wenn der Kondiktionsgläubiger selbst das Verlöbnis gelöst hat, handelt es sich nicht um eine treuwidrige Verhinderung i. S. des § 815 BGB, da das Verlöbnis frei löslich ist (h.M.).

Anspruch der M auf Rückforderung der Kette gegen den F (!) daher (+) gemäß § 1301 BGB – doch erwächst daraus kein Zurückbehaltungsrecht (§ 273 BGB) gegenüber dem Aufwendungsersatzanspruch der Eltern mangels Konnexität!

Sonstige Ansprüche der Eltern wegen der Auflösung des Verlöbnisses? Im Anwendungsbereich der §§ 1298, 1299 BGB – also für Aufwendungen in Erwartung der Ehe – sind die §§ 1298 ff. BGB leges speciales. Jedenfalls sind die Wertungen und die in §§ 1297 ff. BGB enthaltene Risikoverteilung zu beachten. Siehe außerdem die unterschiedliche Verjährung in § 1302 BGB ggü. § 195 BGB. – Da § 1301 BGB nur Geschenke der Verlobten betrifft, sind aber Ansprüche der Eltern nach den allgemeinen Vorschriften denkbar:

a) Anspruch auf Schadensersatz wegen Verletzung vertraglicher Pflichten aus dem Verlöbnis (§ 280 BGB), soweit man der Vertragstheorie folgt (s.o.) und die §§ 1298 ff. BGB nicht für abschließend hält? Da die Eltern nicht Vertragspartner sind, müsste das Verlöbnis Schutzwirkung ihnen gegenüber entfalten, hier (-), da die Eltern wegen § 1298 Abs. 1 S. 1 BGB nicht schutzbedürftig sind. Im Übrigen keine Pflichtverletzung, da Verlöbnis frei lösbar ist.

b) §§ 530, 531, 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1, 818 Abs. 2 BGB? Zwar Einigung über Unentgeltlichkeit (keine unbenannte Zuwendung), aber kein Grund für Widerruf der Schenkung, da Lösung eines Verlöbnisses keinen groben Undank darstellt wegen der Wertung des § 1297 BGB.

c) § 313 BGB (-) wegen der in §§ 1297, 1298 BGB niedergelegten Risikoverteilung.

d) §§ 683 S. 1, 670 BGB (-), da Schenkung eigenes Geschäft.

e) § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB (-) Schenkung ist rechtlicher Grund.

f) § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB (-) die Erwartung, dass das Verlöbnis in eine Ehe mündet, ist wegen § 1297 BGB nicht rechtlich geschützt; außerdem müsste die Leistung – hier die Aufwendung für die Hochzeitsfeier – von der Zweckerreichung abhängig sein; bloßes Kennenmüssen genügt nicht. Im Übrigen dürfte § 1298 BGB insoweit als speziellere Vorschrift vorgehen.

Zusammenfassend Röthel JURA 2006, 641 ff.