§ 10 Bundestag
Autor:innen: Ammar Bustami, Valentina Chiofalo, David Hug, Jascha Kohal, Louisa Linke, Hagen Lohmann
Verfassungsorgane
Verfassungsorgane sind Rechtssubjekte, denen seitens der Verfassung Rechte und Pflichten zugewiesen wurden. Die Kompetenzen der Verfassungsorgane finden sich in den Abschnitten III–VI des Grundgesetzes. Sie sind oberste Staatsorgane.
Zu den Verfassungsorganen zählen der Bundestag, die Bundesregierung, der Bundesrat, der:die Bundespräsident:in, das Bundesverfassungsgericht, die Bundesversammlung und der Gemeinsame Ausschuss. Letzterer stellt ein Notparlament dar. Dieses besteht gemäß Art. 53a I 1 GG aus Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates. Der Gemeinsame Ausschuss tritt im Verteidigungsfall an deren Stelle.
Eine ersten Überblick über das Zusammenspiel der Verfassungsorgane bietet folgende Übersicht.

§ 10 Bundestag
Notwendiges Vorwissen: Gewaltenteilung und Prinzip der Volkssouveränität
Lernziel: Die Wahl bzw. Neuwahl des Bundestags sowie seine Funktionen im Verfassungsgefüge verstehen.
Der Bundestag ist ein Verfassungsorgan des Bundes. Über seine zentrale Aufgabe der Gesetzgebung beherrscht er die staatlichen Organe und nimmt Einfluss auf das politische, wirtschaftliche, kulturelle und allgemein das gesellschaftliche Leben. Zu beachten ist allerdings, dass der Bundestag zwar das zentrale, nicht aber das einzige Organ der Gesetzgebung ist. In unterschiedlichem Maße sind hieran auch die Bundesregierung, der Bundesrat und der:die Bundespräsident:inbeteiligt.
Die Organisation des Bundestags
Der Bundestag regelt seine interne Organisation und Arbeitsweise durch eine eigene Geschäftsordnung (GOBT). Sie enthält u.a. Vorschriften über die Redezeiten im Plenum sowie die Verhaltensregeln der Abgeordneten, aber auch über den:die Bundestagspräsident:in, den Ältestenrat und das Präsidium.
Wahl bzw. Neuwahl des Bundestags
Wahlperiode, Sitzungsperiode und Sitzungen
Art. 39 GG regelt den Zusammentritt und die Wahlperiode des Bundestags. Danach wird der Bundestag für einen Zeitraum von vier Jahren gewählt. Diese Zeitspanne wird auch als Wahl- bzw. Legislaturperiode bezeichnet. Hiervon abzugrenzen sind die Begriffe der Sitzungsperiode (auch „Sitzungswochen“ genannt) und der Sitzungen. Ihnen allen gemein ist, dass sie bestimmte Arbeitsperioden des Bundestags beschreiben.
Legislaturperiode wird die Zeit genannt, für die die Abgeordneten in den Bundestag gewählt werden.
Sitzungsperiode bezeichnet einen Zeitabschnitt innerhalb der Wahlperiode, während derer das Parlament versammelt ist und seine Sitzungen abhält.
Sitzungen sind schließlich die Zeiträume, in denen der Bundestag versammelt ist, um seine Beratungen durchzuführen.
Beginn und Ende der Wahlperiode
Die Wahl- bzw. Legislaturperiode des Bundestags beginnt mit dessen erstmaligem Zusammentritt. Zwar enthält Art. 39 GG hierzu keine ausdrückliche Aussage. Art. 39 I 2 GG regelt vielmehr nur, dass die Wahlperiode des (bisherigen) Bundestags mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestags endet. Da sich die Wahlperioden allerdings lückenlos aneinander fügen, bewirkt der erstmalige Zusammentritt eines neuen Bundestags zugleich auch den Beginn der neuen Legislaturperiode.Grundsätzlich enthält Art. 39 I 2 GG den einzigen Beendigungsgrundfür die Wahlperiode nach dem Grundgesetz. Allein in Art. 115h I 1 GG wird für den Verteidigungsfall etwas abweichendes geregelt. Danach enden während des Verteidigungsfalls auslaufende Wahlperioden des Bundestags und der Landtage erst sechs Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalls. Abgesehen davon sieht das Grundgesetz keine anderen Beendigungsgründe vor. Auch die Auflösung des Bundestagsnach Art. 63 IV GG oder Art. 68 I GG bewirkt daher nicht die Beendigung der laufenden Legislaturperiode. Diese endet vielmehr erst mit dem Zusammentritt des neuen Bundestags.
Umstritten ist, ob und gegebenenfalls inwieweit die Wahlperiode verlängert bzw. verkürzt werden kann. Zu unterscheiden ist dabei, ob die Zeit der laufenden oder aber zukünftige Wahlperioden verlängert bzw. verkürzt werden sollen. Die laufende Wahlperiode kann grundsätzlich weder verlängert noch verkürzt werden. Art. 115h I 1 GG stellt insoweit die einzige Ausnahme hierzu dar. Eine Verlängerung oder Verkürzung der laufenden Wahlperiode würde in Konflikt mit dem Demokratieprinzip geraten. Denn repräsentative Demokratie bedeutet Herrschaft auf Zeit, deren Dauer das amtierende Parlament gerade nicht für sich verlängern können darf. Gegen eine Verkürzung der laufenden Legislaturperiode auf der anderen Seite spricht, dass dies der bewussten Entscheidung zuwiderlaufen würde, dem Parlament kein Selbstauflösungsrecht einzuräumen. Ein solches existiert im Grundgesetz gerade nicht. Gegen eine Verkürzung auch zukünftiger Wahlperioden könnte sprechen, dass die derzeitige Wahlperiode von vier Jahren nach Ansicht des BVerfG eine wirksame und kontinuierliche Erfüllung der Aufgaben des Bundestags ermöglicht. Eine Verkürzung dieser Zeitspanne könnte daher mit der Arbeitsfähigkeit des Parlaments in Konflikt geraten. Fraglich ist, ob eine zukünftige Legislaturperiode von vier auf fünf oder sogar sechs Jahre verlängert werden könnte. Eine solche Verlängerung könnte gegen das Prinzip der Volkssouveränität aus Art. 20 II 1 GG verstoßen, da in einer repräsentative Demokratie der Legitimationsakt der Wahl in ausreichend kurzen Abständen erfolgen muss. Ist dieser Abstand zu lange, geht der Legitimationszusammenhang zwischen Abgeordneten und Wähler:innen verloren. Zur ausführlichen Besprechung des Problems vergleiche den Beitrag zur Volkssouveränität.
Grundsatz der Diskontinuität
Im Zusammenhang mit dem Aufeinanderfolgen der Wahlperioden steht auch der verfassungsrechtlich anerkannte Grundsatz der Diskontinuität. Gemeint ist damit, dass die Neuwahl des Bundestages zu einer personellen, institutionellen und sachlichen Zäsur führt. Offensichtlich ist dies in personeller Hinsicht: Die Abgeordneten des „alten Bundestages“ verlieren mit dem Ende der Wahlperiode ihr Amt. Statt ihrer nehmen nun die „neuen“ Abgeordneten (welche mitunter durch Wiederwahl identisch zum vorherigen Personenkreis sein können) die Aufgaben des Parlaments wahr. Institutionelle Diskontinuität bedeutet, dass mit dem Ende der Wahlperiode auch die Amtszeit der Gremien des Bundestages und seiner Amtsträger endet. Häufig werden die Aspekte der personellen und der institutionellen Diskontinuität auch unter dem Oberbegriff der formellen Diskontinuität zusammengefasst, nicht zuletzt auch deshalb, um sie von der sachlichen beziehungsweisemateriellen Diskontinuität abzugrenzen.
Die materielle Diskontinuität führt dazu, dass alle beim Bundestag noch anhängigen, nicht abgeschlossenen Beratungsgegenstände mit dem Ende der Wahlperiode als erledigt gelten, vgl. § 125 Satz 1 GOBT. Die praktisch größte Bedeutung hat der Grundsatz materieller Diskontinuität für Gesetzesvorlagen. Da sie mit Ablauf der Wahlperiode automatisch als erledigt gelten, müssen sie nach der Neuwahl neu ins Parlament eingebracht werden, wenn sich der Bundestag mit ihnen befassen soll. Der Grundsatz der Diskontinuität betrifft allerdings nur den Bundestag, sodass Gesetzesvorlagen oder Stellungnahmen der Bundesregierung oder des Bundesrates, die noch in der alten Wahlperiode beschlossen, aber nicht in den Bundestag eingebracht wurden, ohne erneuten Beschluss ins Parlaments eingebracht werden können.
Weiterführendes Wissen
Kein Rotationsprinzip: Im Zusammenhang mit der Dauer der Wahlperiode ist auch noch das sog. „Rotationsprinzip“ zu erwähnen. Dies war ein von der Partei „Die Grünen“ in den Anfangsjahren ihres Bestehens verfolgtes Konzept, nach dem die in das (Landes- oder Bundes-) Parlament gewählten Abgeordneten nach dem Ablauf der Hälfte der Wahlperiode ihr Amt durch Mandatsverzicht an die auf der Wahlliste Nächstplatzierten abgeben sollten. Durchgeführt wurde dies in der Praxis mehrmals. Besonders hervorzuheben ist dabei die Rotation im Juni 1984, als fünf Abgeordnete der Partei im Niedersächsischen Landtag nach zweijähriger Amtszeit auf ihr Mandat verzichteten. Dieser Mandatsverzicht war in der Folge Gegenstand eines Verfahrens vor dem Niedersächsischen Staatsgerichtshof, der den Mandatsverzicht im Ergebnis für unwirksam erklärte. Im Jahr 1994 schafften Die Grünen das Rotationsprinzip sodann ab.
Nach Ansicht des Gerichts lagen zwar die formellen Voraussetzungen vor; auch erfolgte der Verzicht nach Meinung des Gerichts freiwillig. Allerdings stand der Mandatsverzicht im Widerspruch zu der in der Verfassung festgelegten Dauer der Wahlperiode. Die Verfassungsbestimmung über die Dauer der Legislaturperiode sei das Ergebnis einer Abwägung des Demokratieprinzips und dem Gebot der Kontinuität der Amtsführung der Organe des Staates. Die Abgeordneten seien für eine durch die Verfassung bestimmte Zeit als Vertreter des Volkes in das Parlament gewählt worden. „Ihre demokratische Legitimation beruht auf der Wahl durch das Volk. Sie bedarf während der Wahlperiode keiner neuen Bestätigung, und die Fortdauer des Mandats darf nicht der Entscheidung der Wähler oder eines Parteiorgans unterworfen werden.“ Diesen Grundsätzen würde es daher widersprechen, wenn es den Parteien freistünde, die gewählten Abgeordneten während der Wahlperiode auszuwechseln.
Die Funktionen des Bundestags
Auch heute noch lehnt sich die Systematisierung der Aufgaben und Funktionen des Bundestags an die Beschreibung der Aufgaben des Parlaments durch Walter Bagehot an.
Die Gesetzgebungsfunktion
Der Bundestag ist Gesetzgebungsorgan; er beschließt im Umfang seiner Zuständigkeiten und unter Mitwirkung der anderen am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe die Gesetze. Das Gesetz ist die rechtsverbindliche Form der parlamentarischen Entscheidung, die - soweit sie im Einklang mit der Verfassung steht - auch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung bindet. Dabei ist der Bundestag nicht nur zur Gesetzgebung berechtigt, sondern auch gerade dazu aufgefordert. Dies ergibt sich aus dem Vorbehalt parlamentarischer Entscheidungen (sog. Parlamentsvorbehalt, der nach der Rechtsprechung des BVerfG für alle „wesentlichen“ Bereiche gilt. Der Gesetzgeber ist in diesem Zusammenhang verpflichtet, alle wesentlichen - gemeint sind damit vor allem alle grundrechtsrelevanten - Fragen selbst durch ein förmliches Gesetz zu regeln (Wesentlichkeitstheorie). Die Berechtigung zur Gesetzgebung geht also mit bestimmten Regelungszwängen einher. Dabei sind die Möglichkeiten des Gesetzgebers, sich durch Ermächtigung der Exekutive zum Erlass von Rechtsverordnungen von dieser Belastung teilweise zu befreien, durch die Verfassung limitiert (Parlamentsvorbehalt und Art. 80 I GG). Auch die zunehmenden Umsetzungsverpflichtungen des Unionsrechts zwingen den Gesetzgeber zum Erlass bestimmter Regelungen.
Die Kreationsfunktion
Der Bundestag nimmt ferner eine Kreations-, Wahl- oder auch als Legitimationsfunktion bezeichnete Funktion wahr, indem er an der Bestellung der Amtsinhaber anderer oberster Bundesorgane mitwirkt.
Zunächst ist insoweit auf die Wahl des:der Bundeskanzler:in nach Art. 63 GG hinzuweisen. Diese:r wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten bzw. der Bundespräsidentin durch den Bundestag gewählt (Art. 63 I GG). Bei der Auswahl der Bundesminister:innen ist der Bundestag dagegen - jedenfalls formal - nicht beteiligt, da diese auf Vorschlag des Bundeskanzlers bzw. der Bundeskanzlerin vom Bundespräsidenten bzw. von der Bundespräsidentin ernannt und entlassen werden (Art. 64 I GG). In praktischer Hinsicht muss sich der:die Kanzler:in bei der Kabinettszusammenstellung über parteiinterne Wünsche hinaus allerdings auch der Akzeptanz durch die Mehrheit des Bundestages gewiss sein. Andernfalls droht er oder sie das Vertrauen des Bundestags zu verlieren und damit im Extremfall die Stellung der Vertrauensfrage (Art. 68 GG) oder gar ein konstruktives Misstrauensvotum (Art. 67 GG) zu riskieren.
Auch an der Wahl des:der Bundespräsident:in nach Art. 54 GG ist der Bundestag beteiligt. Zwar erfolgt diese ausdrücklich des Wortlautes von Art. 54 I 1 GG durch die Bundesversammlung und gerade nicht durch den Bundestag. Nach Art. 54 III GG besteht die Bundesversammlungallerdings zur Hälfte aus den Mitgliedern des Bundestags, sodass diese – wenn auch nicht in ihrer Funktion als Mitglieder des Bundestages, sondern vielmehr als Mitglieder der Bundesversammlung – jedenfalls faktisch an der Wahl mitwirken. Neben dieser Beteiligung an der Amtsbestellung steht dem Bundestag nach dem Grundgesetz auch ein Instrument zur Bewirkung der Amtsenthebung bei. Nach Art. 61 I 1 GG kann neben dem Bundesrat nämlich auch der Bundestag den Bundespräsidenten bzw. die Bundespräsidentin vor dem BVerfG wegen vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes anklagen. Der Antrag auf Erhebung der Anklage, der nur von einem Viertel der Mitglieder des Bundestags gestellt werden kann (Art. 61 I 2 GG), bedarf allerdings der Zwei-Drittel-Mehrheit des Bundestags, um beschlossen zu werden (Art. 61 I 3 GG). Das erfolgreiche Verfahren vor dem BVerfG führt sodann zum Amtsverlust (Art. 61 II 1 GG).
Schließlich wirkt der Bundestag auch an der Bestellung der Richter:innen des BVerfG mit. So wird nach Art. 94 I 2 GG die Hälfte der Richter:innen des BVerfG durch den Bundestag gewählt und zwar aufgrund des Vorschlags des Wahlausschusses nach § 6 II BVerfGG.
Die Kontrollfunktion
Dem Bundestag obliegt ferner die parlamentarische Kontrolle über die Regierung. Die Kontrolle soll einerseits das Handeln der Regierung transparent und nachvollziehbar machen. Andererseits dient sie dem Parlament aber auch als Mittel, um Einfluss auf die Entscheidungsprozesse auszuüben („dirigierende Kontrolle“). Besonders anschaulich wird dies im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses: Die notwendige Beratung der Gesetzentwürfe im Parlament (Art. 77 I 1 GG, § 78 I 1 GOBT) macht die von Regierung und Parlamentsmehrheit verfolgten Ziele für die Allgemeinheit transparent und nachvollziehbar. Umgekehrt kann insbesondere die parlamentarische Opposition auf Änderungen an der Gesetzesvorlage hinwirken (vgl. §§ 82 bis 86 GOBT) und so inhaltlichen Einfluss auf den Entwurf ausüben. Hier zeigt sich besonders deutlich, dass die Ausübung der parlamentarischen Kontrolle letztlich die Kehrseite der parlamentarischen Verantwortlichkeit der Regierung ist.
Ausdrücklich erwähnt ist die parlamentarische Kontrolle nur in den Art. 13 VI GG, Art. 45b S. 1 GG und Art. 45d I GG. Aus einer Gesamtschau verschiedener Bestimmungen des Grundgesetzes ergibt sich aber auch die allgemeine Kontrollfunktion des Parlaments. Das folgenschwerste Instrument der Regierungskontrolle ist das konstruktive Misstrauensvotum. Für die Ausübung der Kontrollfunktion durch die Opposition stehen dieser in erster Linie die Minderheitenrechte zu.
Die parlamentarische Kontrolle der Regierung kann allerdings nicht grenzenlos erfolgen. Dies ergibt sich, ähnlich wie bei der Gesetzgebungsfunktion, aus dem Gewaltenteilungs- und dem Funktionentrennungsprinzip, die beschränkend auf die Kontrollfunktion des Parlaments wirken. Der Bundestag darf das Regierungshandeln nur transparent und die Regierung so verantwortlich machen, es jedoch nicht durch eigene Maßnahmen ersetzen. Er hat die Bundesregierung als eigenes Verfassungsorgan zu respektieren. Es muss einen Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung geben und einen kontrollfreien Internbereich. Auch das Frage- und Informationsrecht der Abgeordneten erreicht seine Grenzen, wenn durch die Informationsgewährung das Staatswohl gefährdet werden würde. Schließlich bilden auch die Rechte Dritter eine Grenze der Kontrollrechte.
Die verschiedenen Instrumente der Kontrolle durch das Parlament sind im Grundgesetz und der GOBT geregelt. Aufgrund ihrer Vielfältigkeit fällt eine Systematisierung schwer. Verbreitet ist eine Unterteilung in Instrumente, die der Informationsgewinnung dienen und andererseits solche, die Regierungs- und Parlamentshandeln verschränken, um so eine Kontrolle zu ermöglichen.
Zu den Maßnahmen der Informationsgewinnung gehören z.B. das Untersuchungsrecht (Art. 44, 45a II 1 GG), der Wehrbeauftragte (Art. 45b GG), der Petitionsausschuss (Art. 45c GG), das Enqueterecht (§ 56 GOBT) oder öffentliche Anhörungen (§ 70 GOBT), das Zitierrecht (Art. 43 I GG), das Fragerecht (§§ 100 ff. GOBT; Große und Kleine Anfragen, Einzelanfragen und Fragestunde, Aktuelle Stunde) und das Unterrichtungsrecht (§ 75 I lit. e GOBT, § 77 II GOBT).
Eine Verschränkung von Regierungs- und Parlamentskompetenzen, die eine parlamentarische Kontrolle dadurch ermöglicht, dass die Regierung nicht ohne die Mitwirkung des Bundestags entscheiden kann, ist etwa im Erfordernis von Parlamentsbeschlüssen oder Parlamentsgesetzen gegeben. Dies findet sich beispielsweise im Bereich der auswärtigen Gewalt (Art. 59 II 1 GG), der europäischen Integration (Art. 23 GG) sowie in den Bereichen des Haushalts und der Verteidigung (Art. 110 II GG, Art. 114, 115l Abs. 1 GG; Art. 87a II 2, Art. 115a I, Art. 115 II 6 GG). Bezogen auf den Parlamentsvorbehalt für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte wird auch vom „wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt“ gesprochen. Ein Mitentscheidungsrecht des Bundestags wird auch über den Integrationsvorbehalt bei Vertragsänderungs- und Rechtsetzungsverfahren der Europäischen Union garantiert.
Zur Durchsetzung der Informationsansprüche und der Parlamentskompetenzen stehen dem Parlament sowohl politische als auch rechtliche Mittel zur Verfügung, von denen insbesondere die Parlamentsminderheit bzw. die Opposition Gebrauch zu machen pflegt. In der politischen Praxis kann eine unzureichende Antwort auf eine Anfrage beispielsweise vor das Plenum und damit an die (mediale) Öffentlichkeit gebracht werden. Rechtlich stehen mit der abstrakten Normenkontrolle und dem Organstreitverfahren tragfähige Rechtsbehelfe zur Verfügung, die eine Kontrolle der Parlamentsmehrheit durch die Opposition ermöglichen. Hinsichtlich der Kompetenzüberschreitung im Unionsrecht existiert mit der Subsidiaritätsklage vor dem EuGH ebenfalls ein Rechtsmittel für die Durchsetzung der parlamentarischen Kontrolle.
Die Öffentlichkeitsfunktion
Vor allem im politikwissenschaftlichen Bereich wird darüber hinaus über die Öffentlichkeitsfunktion des Parlaments diskutiert. Repräsentative Demokratie erfordert danach einen kommunikativen Prozess des Parlaments mit der Öffentlichkeit. Dem wird zunächst dadurch Rechnung getragen, dass der Bundestag grundsätzlich öffentlich verhandelt (Art. 42 I GG). Da sich die politische Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen „von unten nach oben“ vollzieht, müssen die Staatsorgane die Bürger umgekehrt mit den für die Meinungsbildung und die Wahlentscheidung notwendigen Informationen versorgen. Die dialogische Struktur der Öffentlichkeitsfunktion entfaltet sich in der Auseinandersetzung im Parlament, im Gespräch zwischen Parlament und Regierung und schließlich auch als „Gedankenaustausch mit der überwiegend medial vermittelten öffentlichen Meinung.“
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Weiterführende Studienliteratur
Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band III, 3. Aufl. 2005, § 50 Stellung und Aufgaben des Bundestags.
Morlok/Hientzsch, Das Parlament als Zentralorgan der Demokratie, JuS 2011, 1.
Schwanengel, Die parlamentarische Kontrolle des Regierungshandelns, Jura 2018, 463.
Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte
Die Wahl- bzw. Legislaturperiode des Bundestags beträgt vier Jahre. Sie beginnt mit dem erstmaligen Zusammentritt des gewählten Bundestags. Hiermit endet auch die Legislaturperiode des alten Bundestags (Art. 39 I 2 GG).
Andere Beendigungsgründe als den Zusammentritt eines neuen Bundestags kennt das Grundgesetz grundsätzlich nicht. Insbesondere bewirkt die Auflösung des Bundestags keine Beendigung der laufenden Legislaturperiode.
Der Bundestag ist Gesetzgebungsorgan und beschließt im Rahmen seiner Zuständigkeiten und unter Mitwirkung der anderen am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe die Gesetze.
Im Rahmen der Kreationsfunktion wirkt der Bundestag an der Wahl des:der Bundeskanzler:in, des:der Bundespräsident:in sowie an der Bestellung der Richter:innen des BVerfG mit.
Der Bundestag übt die parlamentarische Kontrolle über die Regierung aus. Die Kontrollinstrumente sind im GG und der GOBT geregelt.
Der Bundestag muss die Bürger mit den für die Meinungsbildung und die Wahlentscheidung notwendigen Informationen versorgen, da die repräsentative Demokratie einen kommunikativen Prozess mit der Öffentlichkeit erfordert.
§ 10.1 Abgeordnete
Notwendiges Vorwissen: Wahlen, Bundestag
Lernziel: das freien Mandats und der dieses ergänzenden Rechte, wie die Indemnität und die Immunität verstehen sowie kennenlernen, dass es auch fraktionslose Abgeordnete geben kann, die über bestimmte Rechte verfügen.
Art. 38 I 1 GG bestimmt, dass die Abgeordneten in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt werden (Wahlrechtsgrundsätze). Ihnen wird durch die Wahl ein auf die Dauer der Legislaturperiode begrenztes Mandat erteilt. Dabei repräsentiert der Bundestag als Ganzes das Volk, sodass die gewählten Abgeordneten in ihrer Gesamtheit als Vertreter:innen des Volkes anzusehen sind.
Wesentliche Norm für die Bestimmung des Bestands und der Ausübung des Mandats bildet Art. 38 I 2 GG (das freie Mandat). Im Grundgesetz finden sich auch ergänzende Rechte, wie etwa die Immunität (Art. 46 II-IV GG) und die Indemnität (Art. 46 I 1 GG).
Das freie Mandat
Die Regelung des Art. 38 I 2 GG
Abgeordnete sind Vertreter:innen des ganzen Volkes – nicht nur ihrer Wähler:innen (Grundsatz der Gesamtrepräsentation), dabei sind sie nicht an Aufträge und Weisungen gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen, Art. 38 I 2 GG. Dadurch erfährt der Bestand und die Ausübung des Mandats einen verfassungsrechtlichen Schutz. Die Abgeordneten haben bei ihrer Mandatstätigkeit allein das Wohl des Volkes zu berücksichtigen. Ihre Entscheidungsfreiheit, die sie folglich nicht an parteiinternen Vorgaben auszurichten haben, umfasst dabei nicht nur Gewissensfragen, sondern bezieht sich gänzlich auf die parlamentarische Tätigkeit der Abgeordneten (im Plenum, in den Ausschüssen oder in sonstigen Gremien – auch innerhalb der Fraktion). Das freie Mandat dient der Sicherung der repräsentativen Demokratie und geht daher auf das Demokratieprinzip zurück.
Das freie Mandat steht im Gegensatz zum imperativen Mandat. Bei einem imperativen Mandat sind die Mandatsträger:innen an Aufträge und Weisungen gebunden.
Art und Weise der Ausübung des Mandats
Das freie Mandat gewährleistet nicht nur Rechte, mit ihm gehen auch Pflichten einher. Diese Pflichten werden durch den Auftrag, die Repräsentations- und Funktionsfähigkeit des Parlaments zu gewährleisten, bestimmt. Dem Abgeordneten kommt nur eine Entscheidungsfreiheit über die Art und Weise der Ausübung des Mandats zu. Davon nicht umfasst ist demnach eine Entscheidung über das „ob“ der Pflichtenwahrnehmung . Dabei hat die Art und Weise der Pflichtenwahrnehmung in der Form zu erfolgen, dass die Abgeordneten ihre parlamentarischen Aufgaben erfüllen können. Dies wird auch durch die Mittelpunktregelung des § 44a I AbgG deutlich: Die Ausübung des Mandats steht im Mittelpunkt der Tätigkeit eines Mitglieds des Bundestages; unbeschadet dieser Verpflichtung bleiben Tätigkeiten beruflicher oder anderer Art neben dem Mandat grundsätzlich zulässig.
Weiterführendes Wissen zu Transparenzregeln
Zur Durchsetzung dieser Repräsentationspflichten enthält das AbgG Transparenzregeln, die zur Offenlegung von Tätigkeiten verpflichten. Dies steht nicht im Widerspruch zum freien Mandat. Das BVerfG entschied, dass „Transparenzregeln […] ihre grundsätzliche Rechtfertigung im Vorrang der Repräsentations- und Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages gegenüber dem Privatinteresse des Abgeordneten an informationeller Abschirmung seiner Tätigkeiten neben dem Mandat“ finden. Im Zuge der sog. „Maskenaffäre“, bei der der Anfangsverdacht der Abgeordnetenbestechung bei der Vermittlung von Mund-Nasen-Bedeckungen bestand, wurden im Jahr 2021 Gesetzesentwürfe zu einer Verschärfung dieser Regelungen in den Bundestag eingebracht. Einem Abgeordneten des Bundestages wurde beispielsweise vorgeworfen, dass er für die Vermittlung von Regierungsaufträgen für einen Mund-Nasen-Schutz-Produzenten Provisionen in sechsstelliger Höhe erhalten haben soll.
Bei der Wahrnehmung der Pflichten sind die Abgeordneten „nur ihrem Gewissen“ unterworfen, wobei diese Entscheidungsfreiheit über echte Gewissensfragen hinaus auf jegliche Entscheidungen zu erweitern ist. Selbstverständlich sind aber auch sie an Recht und Gesetz gebunden, sie haben also die Rechtsordnung zu beachten. Beschränkungen des freien Mandats sind möglich, wenn dies eine verfassungsrechtliche Abwägung gegenüberstehender Interessen notwendig werden lässt. So können Beschränkungen notwendig werden, wenn diese zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments geboten sind.
Beispiel: Die GOBT enthält auch Regelungen zur Ausübung des parlamentarischen Rederechts, wodurch dem Bundestag eine sachgerechte Erfüllung seiner Aufgaben ermöglicht wird. Dadurch werden jedoch gleichzeitig die Rechte der Abgeordneten, insbesondere das freie Mandat beschränkt. Dies ist nach Abwägung der gegenüberstehenden Interessen zulässig, solange den Abgeordneten ihre Rechte nicht vollständig entzogen werden.
Bestand des Mandats
Durch das freie Mandat wird auch der Bestand des Mandats geschützt. Die Abgeordneten können von der Partei/Fraktion, anderen Abgeordneten oder den Wähler:innen nicht aus ihrem Amt abberufen werden. Allerdings verliert der:die Abgeordnete sein:ihr Mandat z.B. unter den Voraussetzungen der §§ 46 f. BWahlG; dies ist der Fall bei Ungültigkeit des Erwerbs der Mitgliedschaft, Neufeststellung des Wahlergebnisses, Wegfall einer Voraussetzung seiner jederzeitigen Wählbarkeit, Verzicht, Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Partei oder der Teilorganisation einer Partei, der er:sie angehört, durch das BVerfG nach Art. 21 II 2 GG. Darüber hinaus kann der:die Abgeordnete sein:ihr Mandat etwa durch Tod oder durch Inkompatibilitätsregelungen (z.B. Art. 55 I GG) verlieren. Der Verlust des Mandats wird am häufigsten durch den Verzicht auf dieses eintreten.
Beispiel: Anfang des Jahres 2021 wurde medial intensiv über zwei Abgeordnete berichtet, gegenüber denen der Anfangsverdacht der Abgeordnetenbestechung bestand. Beide Abgeordneten traten aus ihren Parteien aus. Später legte einer der Abgeordneten sein Mandat nieder. Der andere Abgeordnete übt, entgegen der öffentlichen und vor allem auch politischen Kritik (insbesondere auch seiner früheren Partei) weiterhin sein Mandat aus. Es besteht keine politische oder rechtliche Handhabe; im vorliegenden Fall kann der Abgeordnete nur auf das Mandat freiwillig verzichten.
Spannungsverhältnis Abgeordnete – Parteien/Fraktionen
Für die Abgeordneten ergibt sich bei der Ausübung ihres Mandats regelmäßig ein Spannungsverhältnis, denn sie haben eine Doppelstellung zum einen (üblicherweise) als Vertreter:innen einer politischen Partei/Fraktion und zum anderen als Verteter:innen des ganzen Volkes inne. Ersichtlich wird dieses Spannungsverhältnis auch aus Art. 21 I 1 GG und Art. 38 I 2 GG. Weil die Fraktionen im Parlamentsbetrieb eine wesentliche Rolle einnehmen, etwa weil sie die verschiedenartigen Meinungen zusammenführen, bedarf auch der:die einzelne Abgeordnete einer solchen Unterstützung, sofern er:sie Einfluss auf die Entscheidungsfindung im Parlament ausüben möchte. Daher besteht auch seitens der Fraktion eine gewisse Bindung an politische Entscheidungen, der die Abgeordneten nachzukommen haben. In diesem Spannungsverhältnis sind auch die zulässige Fraktionsdisziplin und der verfassungsrechtlich unzulässige Fraktionszwang einzuordnen.
Wiederholung
Fraktionszwang: Bei dem Fraktionszwang werden die Abgeordneten verpflichtet in einer bestimmten Art und Weise abzustimmen. Für den Fall der Zuwiderhandlung werden im Vorfeld Sanktionen angedroht, die von der Fraktion auch tatsächlich durchgesetzt werden können und die parlamentarische Tätigkeit des:der Abgeordneten betreffen. Der Fraktionszwang ist verfassungsrechtlich unzulässig.
Fraktionsdisziplin: Bei der Fraktionsdisziplin ordnen sich die Abgeordneten den Mehrheitsbeschlüssen freiwillig unter, damit ein einheitliches Abstimmungsverhalten innerhalb einer Fraktion gewährleistet werden kann. Die Fraktionsdisziplin ist verfassungsrechtlich zulässig.
Beispiel: Mediale Aufmerksamkeit fanden auch die Mitgliederbefragungen der SPD über die jeweiligen Koalitionsverträge mit der CDU/CSU in den Jahren 2013 und 2018. Das BVerfG ging in Bezug auf die Mitgliederbefragung aus dem Jahr 2013 nicht davon aus, dass diese Verpflichtungen nach sich ziehen, die solche im Rahmen einer zulässigen Fraktionsdisziplin überschreiten.
Konkrete Rechte, die sich aus dem freien Mandat ergeben
Den Abgeordneten kommen verschiedene Rechte zu. Zum einen kommt ihnen das Antragsrecht zu, wodurch sie Einfluss auf die Beratungen des Parlaments nehmen können. Unter die Mitwirkungsrechte sind das Rede-, Teilnahme- und Stimmrechtder Abgeordneten zu fassen. Damit die Abgeordneten ihren Verpflichtungen nachkommen können, bedürfen sie Informationen, sodass ihnen auch Frage- und Informationsrechte (vgl. §§ 100 ff. GOBT) zu gewähren sind. Sie verfügen des Weiteren über das Assoziationsrecht, also das Recht sich mit anderen Abgeordneten zu einer Fraktion oder Gruppe zusammenschließen zu können (vergrleiche § 10 I, IV GOBT). Außerdem schützt Art. 38 I 2 GG die räumliche Integrität des Abgeordnetenbüros. Die Auflistung ist nicht abschließend.
Rechtsschutz
Die Abgeordneten können eine Verletzung ihrer Rechte im Rahmen des Organstreits(Art. 93 I Nr. 1 GG; §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG) geltend machen. Gegenstand des Organstreits können beispielsweise Maßnahmen des Bundestags sein. Denkbar ist beispielsweise, dass sich der:die Abgeordnete gegen eine Disziplinarmaßnahme des:der Bundestagspräsidenten:in wenden möchte. Im Rahmen des Organstreitverfahren können die Abgeordneten Rechte geltend machen, die sich aus ihrem verfassungsrechtlichen Status ergeben. Innerhalb der Begründetheit ist zu prüfen, ob die dem freien Mandat gegenüberstehenden Interessen in Rahmen einer verfassungsrechtlichen Abwägung etwa zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Bundestages überwiegen.
Darüber hinaus ist auch eine Verfassungsbeschwerde (Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG) denkbar.
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Das freie Mandat ergänzende Rechte
Ergänzende Rechte
Den Abgeordneten stehen auch Funktionsrechte zu. Diese stehen in einem systematischen Zusammenhang mit den Gewährleistungen des freien Mandats (Art. 38 I 2 GG) und ergänzen dieses beziehungsweise konkretisieren die verfassungsrechtliche Stellung des:der Abgeordneten. Durch die nachfolgend genannten Rechte soll die Unabhängigkeit der Abgeordneten, die Freiheit des Mandats sowie die Funktionsfähigkeit des Parlaments gesichert werden. Zu den ergänzenden Rechten gehören etwa das Behinderungsverbot (Art. 48 II GG), der Anspruch auf eine angemessene Entschädigung (Diäten) (Art. 48 III GG i.V.m. dem AbgG), die Indemnität (Art. 46 I GG), die Immunität (Art. 46 II-IV GG), das Zeugnisverweigerungsrecht (Art. 47 GG) und das Beschlagnahmeverbot (Art. 47 GG) sowie das Recht zur freien Benutzung der staatlichen Verkehrsmittel (Art. 48 III 2 GG).
Die Abgeordneten können eine Verletzung ihrer Rechte im Rahmen des Organstreits(Art. 93 I Nr. 1 GG; §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG) geltend machen.
Darüber hinaus können sich Abgeordnete vereinzelt nur gegen eine Verletzung von Rechten im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde (Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 90 ff. BVerfGG) wenden. Hierunter fällt etwa die gerichtliche Bestätigung der Beschlagnahme von Unterlagen und Gegenständen. Denn der:die Abgeordnete macht hierbei keine organschaftliche Stellung gegenüber einem im Organstreitverfahren parteifähigen Verfassungsorgan geltend. Vielmehr beruft er:sie sich auf eine Verletzung eines subjektiven öffentlichen Rechts durch die öffentliche Gewalt, er:sie streitet demgegenüber nicht über Statusrechte. Der:die Abgeordnete kann in diesem Falle mittels der Verfassungsbeschwerde eine Verletzung seiner:ihrer Rechte aus Art. 38 I 2 GG i.V.m. Art. 47 S. 2 GG geltend machen.
Indemnität
Ein:e Abgeordnete:r darf zu keiner Zeit wegen seiner:ihrer Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er:sie im Bundestag oder in einem seiner Ausschüsse getan hat, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden, Art. 46 I GG.
Schutzzwecke
Die Indemnität dient, ebenso wie die Immunität, der Funktionsfähigkeit des Bundestages. Sie sichert die Freiheit des Mandats der Abgeordneten (Art. 38 I 2 GG). Weder die Abgeordneten noch der Bundestag können über dieses Recht disponieren.
Die Indemnität begründet einen persönlichen Strafausschließungsgrund.
Schutzbereich
Gemäß Art. 46 I 1 GG darf ein Abgeordneter zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestage oder in einem seiner Ausschüsse getan hat, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden. Dies gilt gem. S. 2 nicht für verleumderische Beleidigungen.
Die Abstimmung bzw. die Äußerung muss nach Erwerb des Mandats (siehe § 45 BWahlG) geschehen sein. Das Recht bleibt hingegen zeitlich betrachtet danach weitergehend unbeschränkt bestehen. Unter Abstimmungen sind Sach- und Personalentscheidungen zu verstehen, unter Äußerungen werden Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptungen (wobei die Form – schriftlich, mündlich, lediglich konkludent – unerheblich ist) gefasst. Weder der Inhalt der Äußerung ist relevant, noch ist entscheidend, in welchem Gremium (Plenum, Ausschuss, Untersuchungsausschuss, Fraktion, Präsidium, Ältestenrat, Wahlprüfungsausschuss) diese geäußert wurde. Mit der Indemnität soll die Freiheit der Diskussion für die Abgeordneten geschützt werden. Daher sind auch nur Äußerungen geschützt, die in der Betätigung des Mandats begründet sind. Dabei muss der:die Abgeordnete auch spezifische Befugnisse seines:ihres Amtes ausüben. Nicht geschützt sind daher Privatgespräche oder Äußerungen bei Wahlveranstaltungen oder im Rahmen von Interviews. Eine Ausnahme wird hingegen für Wiederholungen von Äußerungen in öffentlichen Sitzungen des Bundestages außerhalb dieser gemacht, Art. 42 III GG stellt den:die Abgeordnete:n hierbei von jeder Verantwortlichkeit frei. Nicht geschützt sind darüber hinaus gem. Art. 46 I 2 GG verleumderische Beleidigungen (vgl. hierzu §§ 103, 187, 187a StGB).
Die Indemnität schützt die Abgeordneten vor jeglicher außerparlamentarischen(hoheitlichen) Verfolgung, worunter eine strafrechtliche, disziplinarrechtliche, standesrechtliche oder auch zivilrechtliche Verfolgung zu verstehen ist. Davon unberührt sind hingegen Ordnungsmaßnahmen durch den Bundestagspräsidenten, also einer innerparlamentarischen Maßnahme. Die Indemnität begründet hingegen keinen Schutz gegen Private, so bleibt eine Kündigung beispielsweise möglich.
Beispiel: Im Rahmen einer Haushaltsdebatte bei einer Sitzung des Thüringer Landtags äußerte ein Abgeordneter: „Die wahren Politrambos, meine Damen und Herren, die sitzen bei Ihnen links, dieses Duo Infernale, der Straßenchaotenvater und Tochter König beispielsweise, die dafür verantwortlich sind, dass Polizisten grün und rot geschlagen werden, dass Polizeiautos brennen, dass Barrikaden brennen, nicht Höckes Holzofen, wo der seinen Rotwein davor trinkt, nein, sie zünden richtig die Sachen, die Polizeiautos und die Barrikaden an.“ Die angesprochene Abgeordnete, die dagegen gerichtlich vorging, blieb jedoch erfolglos. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wurde abgelehnt. Eine daraufhin erhobene Verfassungsbeschwerde wurde zurückgewiesen, dabei verwies der ThürVerfGH darauf, dass die Indemnität ein Verfahrenshindernis begründet, was dem Erlass einer einstweiligen Anordnung entgegensteht. Insbesondere erkennt er in den Äußerungen keine verleumderische Beleidigung. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass Art. 46 I GG und Art. 55 I 1 Thüringer Verfassung im Wesentlichen inhaltsgleich sind.
Immunität
Immunität bedeutet, dass ein:e Abgeordnete:r wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung nur mit Genehmigung des Bundestages zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden darf. Es muss kein Zusammenhang zu der Arbeit des:der Abgeordneten bestehen, damit der Bundestag über die Genehmigung entscheiden muss, Art. 46 II GG.
Schutzzwecke
Die Immunität dient der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Bundestages. Der:die einzelne Abgeordnete kann über seine:ihre Immunität nicht disponieren, er:sie kann folglich nicht auf sie verzichten und auch keine Aufhebung verlangen.
Der Genehmigungsvorbehalt begründet gegenüber den Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden ein Verfahrenshindernis. Daneben kann sich der:die Abgeordnete gem. Art. 46 II GG i.V.m. Art. 38 I 2 GG sowie gem. Art. 46 IV GG i.V.m. Art. 38 I 2 GG auf sein:ihr Recht auf willkürfreie Entscheidung berufen. Dieses Recht ist hingegen erst beeinträchtigt, wenn der Bundestag bei seiner Entscheidung über die Genehmigung (Art. 46 II, III GG) oder das Ausüben des Reklamationsrechts (Art. 46 IV GG) den verfassungsrechtlichen Status des:r Abgeordneten in grundlegenderweise verkennt. Die Immunität begründet demnach auch Rechte für den:die einzelne:n Abgeordnete:n gegenüber dem Bundestag. Ist er:sie der Ansicht, dass der Bundestag dieses Recht verletzt hat, kann er:sie das Recht im Rahmen eines Organstreits geltend machen (Art. 93 I Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG). Wird ein Ermittlungsverfahren ohne die erforderliche Genehmigung eingeleitet, kann sich der:die Abgeordnete dagegen mit den Mitteln des Verfahrensrechts wenden. Hierzu kann auch die Verfassungsbeschwerde (Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG) gehören.
Schutzbereich
Die Immunität gewährt, anders als die Indemnität, nur einen zeitlich begrenzten Schutz. Sie beschränkt sich auf die Dauer des Mandates, sodass es bei einem Mandatsverzicht oder nach dem Ende der Legislaturperiode keiner Genehmigung mehr bedarf. Für Verfahren, die vor der Wahl zum:r Abgeordneten bereits eingeleitet wurden und weitergeführt werden sollen (sogenannte „mitgebrachte Verfahren“), muss nach h.M. eine Genehmigung beantragt werden.
Gemäß Art. 46 II GG darf ein:e Abgeordnete:r wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung nur mit Genehmigung des Bundestages zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden, es sei denn, dass er:sie bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages festgenommen wird. Geschützt werden nur die Abgeordneten des Bundestages. Mit Strafe bedroht sind solche Handlungen, die nach dem StGB oder anderen Strafgesetzen (etwa dem JGG) mit Strafe bedroht sind. Nicht darunter zu subsumieren sind hingegen im Rahmen von Ordnungswidrigkeitenverfahren mit Geldbuße bedrohte Handlungen. Nicht davon umfasst sind zivilgerichtliche Verfahren. Zu berücksichtigen sind daneben die in Art. 46 II GG normierten Ausnahmen, also wenn der:die Abgeordnete bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages festgenommen wird.
Beispiel: Gegenüber einem Abgeordneten des Deutschen Bundestages besteht der Anfangsverdacht einer Beleidigung politischen Charakters. Die Staatsanwaltschaft darf jedoch ohne Genehmigung des Bundestags kein Ermittlungsverfahren durchführen.
Unter der Genehmigung ist eine vorherige Zustimmung (Einwilligung) zu verstehen. Dem Bundestag kommt bei seiner Entscheidung ein weiter Entscheidungsspielraum zu. Er hat hierbei die Belange des Parlaments mit den Belangen der anderen hoheitlichen Gewalten gegeneinander abzuwägen. Er muss folglich sowohl die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Bundestages berücksichtigen als auch das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung. Einer Genehmigung bedarf dabei jede Ermittlung, sofern der:die Abgeordnete als Beschuldigte:r behandelt wird. Davon abweichend sind lediglich vorbereitende Handlungen nicht genehmigungsbedürftig. Auch ist vor der Einstellung offensichtlich unzulässiger oder unbegründeter Ermittlungsverfahren eine Genehmigung nicht einzuholen. Zu berücksichtigen ist, dass pauschal bis zum Ablauf der Wahlperiode die Durchführung von Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder des Bundestages wegen Straftaten genehmigt wurde, es sei denn, dass es sich um Beleidigungen (§§ 185, 186, 187a I, 188 I StGB) politischen Charakters handelt (siehe Anlage 6 GOBT zu § 107 II GOBT, beachte dazu wurden weitere Ausnahmen normiert).
Die Genehmigung bezieht sich auf die Durchführung eines konkreten Verfahrens oder einer bestimmten Maßnahme.
Beispiel: Gegenüber einem Abgeordneten des Deutschen Bundestages wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Abgeordnetenbestechung eingeleitet. Er soll für die Vermittlung von Regierungsaufträgen für einen Mund-Nasen-Schutz-Produzenten Provisionen in sechsstelliger Höhe erhalten haben. Für den Vollzug der im Rahmen des Ermittlungsverfahrens erlassenen gerichtlichen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse bedarf es der Genehmigung des Bundestages. Für den Vollzug später gerichtlich angeordneter Vermögensarrest- und Durchsuchungsbeschlüsse bedurfte es erneut der Genehmigung zum Vollzug gerichtlicher Vermögensarrest- und Durchsuchungsbeschlüsse.
Fallbeispiel
Fall: Kurz vor der anstehenden Bundestagswahl wurde medial intensiv über einen Abgeordneten berichtet, gegenüber dem seitens der ermittelnden Staatsanwaltschaft der Anfangsverdacht der Abgeordnetenbestechung bestand. Die Staatsanwaltschaft erwirkte Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen. Sie beantragte alsbald beim Bundestag die Genehmigung zum Vollzug gerichtlicher Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung entschied zeitnah und empfahl dem Bundestag die Genehmigung zu erteilen. Der Bundestag kam der Beschlussempfehlung umgehend nach. Schon am nächsten Tag fanden die Durchsuchungen statt. Der Abgeordnete erhob anschließend erfolgreich Beschwerde zum LG, was zu dem Ergebnis kam, dass die Beschlüsse des AG rechtswidrig waren. Es konnte den Verdacht der Abgeordnetenbestechung nicht bestätigen. Der Abgeordnete leitete ein Organstreitverfahren beim BVerfG ein, mit dem er die Feststellung begehrte, dass der Beschluss des Bundestages zum Vollzug der gerichtlichen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse den Abgeordneten in seinen Rechten aus Art. 46 II GG i.V.m. Art. 38 I 2 GG verletzt. Er monierte insbesondere, dass der Beschluss vier Tage vor der anstehenden Bundestagswahl gefasst wurde, wobei er selbst als Bundestagskandidat aufgestellt war. Ist der Antrag begründet?
Lösung: Der Antrag ist begründet, wenn der Bundestag durch die Erteilung der Genehmigung zum Vollzug der Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen den Anspruch des Abgeordneten aus Art. 46 II i.V. mit Art. 38 I 2 GG auf willkürfreie Entscheidung verletzt hat. Der Bundestag hat bei seiner Entscheidung eine Interessenabwägung zwischen den Belangen des Bundestages und denen anderer hoheitlicher Gewalten vorzunehmen. Dabei dient der Vorbehalt primär dem Schutz der Funktionsfähigkeit des Parlaments. Ihm kommt bei seiner Entscheidung ein weiter Entscheidungsspielraum zu. Eine Verletzung des Rechts des Abgeordneten auf willkürfreie Entscheidung ist nach der Rechtsprechung des BVerfG demnach erst anzunehmen, wenn im Zuge der Interessenabwägung der verfassungsrechtliche Status des Abgeordneten in grundlegender Weise verkannt wird. Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass aus sachfremden Gründen auf die Zusammensetzung des Parlaments Einfluss genommen werden soll, dann hat der Bundestag die Genehmigung zu versagen. Allerdings hat der Bundestag nicht zu berücksichtigen, welche persönlichen Folgen sich für den Abgeordneten aus der Genehmigung ergeben, etwa die Erfolgsaussichten im Hinblick auf die anstehende Bundestagswahl. Ebenfalls kann er die Schlüssigkeit des Tatvorwurfs oder die Verhältnismäßigkeit der Ermittlungsmaßnahme unberücksichtigt lassen. Dies gilt allerdings nur, solange sich keine Zweifel aufdrängen, dass das Ermittlungsverfahren rein aus sachfremden, wie etwa politischen, Gründen geführt wird. In diesem Fall würde der Bundestag selbst willkürlich handeln. Allein aus dem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen der Durchführung des Ermittlungsverfahrens, insbesondere der Durchsuchungen und der anstehenden Bundestagswahl ergeben sich keine hinreichenden Hinweise dafür, dass die Ermittlungsmaßnahmen rein aus politischen Gründen geführt wurden und somit als willkürlich anzusehen sind. Insbesondere war der Bundestag nach vorstehenden Erwägungen nicht verpflichtet, das Bestehen des Anfangsverdachts über eine Evidenzkontrolle hinaus nachzuprüfen. Das Recht des Abgeordneten aus Art. 46 II GG i.V.m. Art. 38 I 2 GG wurde demnach nicht verletzt. Der Antrag ist folglich unbegründet.
Die Genehmigung des Bundestages ist gem. Art. 46 III GG ferner bei jeder anderen Beschränkung der persönlichen Freiheit eines:r Abgeordneten, die nicht bereits unter Art. 46 II GG fällt, oder zur Einleitung eines Verfahrens gegen eine:n Abgeordnete:n gem. Art. 18 GG erforderlich. Unter der Beschränkung der persönlichen Freiheit ist gem. Art. 46 III 1. Alt. GG eine Restriktion oder Unterbindung der körperlich-räumlichen Bewegungsfreiheit zu verstehen, darunter werden Freiheitsentziehungen und Freiheitsbeschränkungen (z.B. Platzverweise) gefasst.
Beispiel: Einer Genehmigung bedarf es, wenn eine Abgeordnete wegen des dringenden Tatverdachts des Mordes an ihrem Ehemann in Untersuchungshaft genommen werden soll.
Dabei sind jedes Strafverfahren und jedes Verfahren gem. Art. 18 GG gegen eine:n Abgeordnete:n, jede Haft und jede sonstige Beschränkung seiner:ihrer persönlichen Freiheit gem. Art. 46 IV GG auf Verlangen des Bundestages auszusetzen. Der:die Abgeordnete hat demgem. ein Recht auf willkürfreie Entscheidung des Bundestages aus Art. 46 IV GG i.V.m. Art. 38 I 2 GG. Ist er:sie der Ansicht, dass der Bundestag dieses Recht verletzt hat, kann er:sie sein:ihr Recht im Rahmen eines Organstreits geltend machen (Art. 93 I Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG).
Dieses Recht wird auch als Reklamationsrecht bezeichnet und dient der Absicherung des Immunitätsschutzes. Damit das Recht wahrgenommen werden kann, verlangt dies eine Unterrichtung über entsprechende Maßnahmen seitens der Behörden. Wird das Reklamationsrecht in zulässiger Weise ausgeübt, entsteht ein Prozesshindernis. Umstritten ist, ob die Erkenntnisse im Rahmen einer nicht genehmigten (gleichwohl aber genehmigungsbedürftigen) Maßnahme einem Verwertungsverbot unterliegen, wobei das strafrechtliche Schrifttum dies ablehnt.
Weiterführendes Wissen
Das konkrete Verfahren, welches zur Erteilung der Genehmigung nach Art. 46 II, III GG eingehalten werden muss, ist in Art. 46 II, III GG selbst nicht enthalten. Wenige nähere Bestimmungen hierzu enthält § 107 GOBT. Gemäß Abs. 1 sind demnach die Ersuchen in Immunitätsangelegenheiten vom Präsidenten des Bundestages unmittelbar an den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung weiterzuleiten. Dieser hat auch gem. Abs. 2 die Grundsätze über die Behandlung von Ersuchen auf Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages aufzustellen und diese Grundsätze zum Ausgangspunkt seiner in Einzelfällen zu erarbeitenden Beschlussempfehlungen an den Bundestag zu machen.
Für die Erteilung der Genehmigung notwendig ist ein Antrag auf Erteilung dieser durch den:die Antragsberechtigte:n (z.B. der Staatsanwaltschaft). Dem Wahlausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung obliegt dann die Vorbereitung der Entscheidung des Bundestages. Wenngleich de facto in einigen Fällen die Entscheidung bei dem Wahlausschuss verbleibt, ist der Bundestag zuständig für die Entscheidung über die Erteilung der Genehmigung.
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Fraktionslose Abgeordnete
Es besteht für die Abgeordneten keine Verpflichtung sich mit einer Fraktion zusammenzuschließen. Vielmehr obliegt es der Entscheidung des:der jeweiligen Abgeordneten in Ausübung des freien Mandats eine Fraktion zusammen mit anderen Abgeordneten zu bilden. Aufgrund der verschiedenen Privilegien (siehe beispielsweise §§ 57 II 1, 76 I, 89 GOBT) ist es jedoch naheliegend sich einer Fraktion anzuschließen, denkbar ist aber auch, dass ein:e Abgeordnete:r aufgrund verschiedenster Gründe innerhalb der Legislaturperiode des Bundestages aus der Fraktion austritt.
Beispiel: Mediale Aufmerksamkeit erfuhr etwa der Austritt zweier Abgeordneter im Jahr 2021 im Zuge der Maskenaffäre aus ihrer Fraktion, um einen weitergehenden Imageschaden der Parteien zu vermeiden. Gegenüber diesen bestand der Anfangsverdacht der Abgeordnetenbestechung.
Die Rechte und Pflichten der fraktionslosen Abgeordneten ergeben sich gleichermaßen aus Art. 38 I 2 GG. Die Repräsentation des Volkes vollzieht sich durch jede:n einzelne:n Abgeordnete:n, also nur die Gesamtheit der Mitglieder des Bundestages, weshalb jedem:jeder Abgeordneten grundsätzlich die gleichen Mitwirkungsbefugnisse zu gewährleisten sind.
Das BVerfG erkennt hierbei jedoch auch Einschränkungen an. So haben fraktionslose Abgeordnete einen Anspruch darauf, in einen Ausschuss berufen zu werden, sie können dort außerdem Anträge stellen, des Weiteren kommt ihnen ein Rederecht zu. Allerdings wird ihnen ein Stimmrecht versagt, denn die Ausschüsse geben ein Abbild der Stimmverhältnisse im Bundestag wider. Würde der:die einzelne fraktionslose Abgeordnete ein Stimmrecht erhalten, wäre das Stimmgewicht im Hinblick auf die Mehrheitsverhältnisse verzerrt.
Weiterführende Studienliteratur
Möllers, Das freie Mandat in der demokratischen Repräsentation, JURA 2008, 937.
du Mesnil de Rochemont/Müller, Die Rechtsstellung der Bundestagsabgeordneten, JuS 2016, 504 und 603.
Wiefelspütz, Die Immunität des Abgeordneten, DVBl. 2002, 1229.
Walter, Indemnität und Immunität (Art. 46 GG) im Überblick, JURA 2000, 496.
Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte
Das freie Mandat (Art. 38 I 2 GG) besagt, dass die Abgeordneten Vertreter:innen des ganzen Volkes und an Aufträge und Weisungen nicht gebunden sowie nur ihrem Gewissen unterworfen sind. Es schützt den Bestand sowie die Art und Weise der Ausübung des Mandats. Dabei sind die Abgeordneten bei all ihren Entscheidungen nur ihrem:seinem Gewissen verpflichtet.
Den Abgeordneten kommen verschiedene Rechte und Pflichten im Rahmen seiner:ihrer Mandatsausübung zu. Diese können eingeschränkt werden. Wichtige Rechte sind z.B. Mitwirkungsrechte (Rede-, Teilnahme- und Stimmrecht), Frage- und Informationsrechte, das Assoziationsrecht und die räumliche Integrität der Abgeordnetenbüros.
Das freie Mandat wird ergänzt durch weitere Rechte, wie z.B. den Anspruch auf eine angemessene Entschädigung (Diäten) (Art. 48 III GG i.V.m. dem AbgG), die Indemnität (Art. 46 I GG), die Immunität (Art. 46 II-IV GG), das Zeugnisverweigerungsrecht (Art. 47 GG) und das Beschlagnahmeverbot (Art. 47 GG).
Dabei besagt die Indemnität, dass ein:e Abgeordnete:r zu keiner Zeit wegen seiner:ihrer Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er:sie im Bundestage oder in einem seiner Ausschüsse getan hat, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden darf. Immunität bedeutet hingegen, dass ein:e Abgeordnete:r wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung nur mit Genehmigung des Bundestages zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden darf.
Eine Verletzung der Rechte kann der:die Abgeordnete zumeist im Rahmen des Organstreits geltend machen.
§ 10.2 Ausschüsse
Notwendiges Vorwissen: Bundestag
Lernziel: Zusammensetzung sowie Funktionen und Aufgaben parlamentarischer Ausschüsse
Ein ganz wesentlicher Teil der Parlamentsarbeit findet (nicht erst seit heute) in Ausschüssen statt. Weil im Parlament als dem „Zentralorgan der Demokratie“ die unterschiedlichsten Themen behandelt werden müssen, stieße der Deutsche Bundestag schnell an seine Kapazitätsgrenzen, würden alle in irgendeiner Weise gemeinwohlrelevanten Fragen ausschließlich im Plenum diskutiert werden. Daher werden beinahe alle Entscheidungen des Bundestages in Ausschüssen, also Untergliederungen des Parlaments, vorgeformt und zur Entscheidungsreife hin aufbereitet. Aufgrund der enormen praktischen Bedeutung der Ausschüsse für den parlamentarischen Willensbildungsprozess verlangt das BVerfG, dass sich die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag auch in diesen Gremien widerspiegeln, „jeder Ausschuß [muß grundsätzlich] ein verkleinertes Abbild des Plenums sein“ - man spricht auch vom sog. „Grundsatz der Spiegelbildlichkeit“.
Typologisch lassen sich verschiedene Formen von Ausschüssen unterscheiden. Praktisch am bedeutsamsten sind die sog. „ständigen Ausschüsse“, die zu Beginn einer Legislaturperiode durch Beschluss des Bundestages eingerichtet werden (§ 54 I 1 GOBT) oder etwa bereits von Verfassungs wegen vorgesehen sind (s. etwa Art. 45 1, 45a I, 45c I GG). In der Praxis orientieren sich Einrichtung und Zuständigkeit der meisten ständigen Ausschüsse am Aufgabenbereich der Bundesministerien, die sie mit ihrer Arbeit kontrollieren sollen. Mitglieder in diesen Ausschüssen, die von den Fraktionen entsandt werden (§ 57 II 1 GOBT), sind meist Expert:innen auf den Arbeitsgebieten ihrer Ausschüsse, sodass sich in den Ausschüssen auch eine Ausdifferenzierung von Sachverstand abbildet. Indem diese Ausschüsse das Handeln der Regierung auf einem bestimmten Gebiet kontrollieren und zugleich Entscheidungen im Plenum vorbereiten, erfüllen sie eine heute kaum zu überschätzende Entlastungsfunktion für das Parlament.
Daneben kann der Bundestag weitere nicht ständige Ausschüsse einberufen, etwa einen Untersuchungsausschuss (Art. 44 GG, PUAG) oder eine Enquetekommission (§ 56 GOBT).
Weiterführende Studienliteratur
Einen vertiefenden Überblick bietet die Darstellung bei Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Handbuch Parlamentsrecht, 2016, § 23.
Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte
Ausschüsse sind Untergliederungen des Parlaments in sachlicher Hinsicht, die Entscheidungen des Plenums vorbereiten und in ihrem Sachbereich das Handeln der Regierung kontrollieren.
Weil in den Ausschüssen wesentliche Parlamentsarbeit stattfindet, müssen diese in ihrer Zusammensetzung nach Fraktionen ein verkleinertes Abbild des Parlaments darstellen (Grundsatz der Spiegelbildlichkeit).
§ 10.2.1 Untersuchungsausschüsse
Notwendiges Vorwissen: Ausschüsse, Bestimmheitsgebot, Rechtsstaat
Lernziel: Verständnis über den Untersuchungsausschuss,
Untersuchungsausschüsse sind ein wichtiges Mittel zur Sicherung des Minderheitenschutzes. Das Parlament ist hierüber in der Lage insbesondere die Exekutive zu Lebenssachverhalten zu befragen, in welchen Fehlverhalten vermutet wird. Sie erzeugen regelmäßig ein breites Medienecho. Im politischen Alltag sind in Ihnen auch ein Mittel der Opposition zu sehen, um Druck auf die Regierung auszuüben.
Geregelt werden Unteraussuchungsausschüsse im [Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages] (PUAG). Aus unbekannten Gründen schaffte es die volle Bezeichnung nicht in die offizielle Gesetzesbezeichnung; dort heißt das Gesetz lediglich „Untersuchungsausschussgesetz“.
Rechtmäßige Einsetzung des Untersuchungsausschusses
Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses muss formellen und materiellen Anforderungen der Einsetzung genügen, Art. 44 I GG. Das gesamte Untersuchungsausschusrecht ist gesetzlich leider nur sehr rudimentär geregelt, was die Durchdringung des Stoffs erschwert.
Klausurtaktik
Sofern ein Landesparlament einen Untersuchungsausschuss installieren will, ist Art. 44 GG nicht die einschlägige Norm, dieser regelt nur Untersuchungausschüsse des Bundes. In einer solchen Konstellation ist auf die jeweiligen Landesnormen einzugehen. Die weitere Prüfung weist weitgehende Ähnlichkeiten zu den dargestellten Punkten auf.
Außerdem ist das nachfolgende Schema nicht zu eng zu verstehen. Ein anderer Aufbau ist denkbar. Insbesondere ist regelmäßig problematisch welche Voraussetzungen genau formeller und welche materieller Natur sind. Aufbaufragen werden im Gutachten nicht erläutert. Die weitere Bearbeitung weist auf etwaige andere Aufbaumöglichkeiten hin. Im Gutachten ist stets, ohne weitere Erklärung, einer der Wege zu wählen.
Formelle Rechtmäßigkeit
Der Untersuchungsausschuss muss zunächst formell rechtmäßig sein. Nach dem bekannten Schema ist hier die Prüfung in Zuständigkeit, Verfahren und Form aufzuteilen.
Klausurtaktik
Unbedingt den Bearbeiter:innenvermerk lesen: Eventuell wird diese Prüfung erlassen!
Zuständigkeit
Zuständigkeit zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses
Für die Einsetzung des Untersuchungsausschusses ist nach Art. 44 I 1 GG der Bundestag zuständig. Sehr rar sind Spezialzuständigkeiten anderer Gremien (z.B. Art. 45a GG).
Zuständigkeit bezüglich des Untersuchungsausschussthemas
§ 1 III PUAG kodifiziert den anerkannten Grundsatz, dass Organe niemals mehr Rechte haben können als ihre übergeordnete Einheit. Entsprechend kann der Untersuchungsausschuss, als Organ des Parlaments, nicht mehr Rechte haben als das Parlament selbst. Für die Zuständigkeit des Untersuchungsausschussthemas ergibt sich damit die Maßgabe, dass die Thematik grundsätzlich in den Zuständigkeitsbereich des Bundestages fallen muss. Regelmäßig nicht überprüfbar sind damit Angelegenheiten der Länder.
Verfahren
Einsetzung durch Mehrheit/Minderheit
Zur Einsetzung sind bestimmte Mehrheiten notwendig. Hier ist zu unterscheiden:
Beruht die Entscheidung auf einem Mehrheitsbeschluss des Bundestages gemäß Art. 42 II 1 GG, so ist der Untersuchungsausschuss einzusetzen, sogenannte „Mehrheitsenquête“.
Gemäß Art. 44 I 1 GG ist auf Verlangen eines Viertels der Mitglieder des Bundestages ein Untersuchungsausschuss durchzuführen, sogenannte „Minderheitsenquête“. Die parlamentarische Mehrheit die gegen den Untersuchungsausschuss gestimmt hat, ist trotzdem verpflichtet diesen einzusetzen. Die Regelung dient der effektiven Durchsetzung des Minderheitenschutzes, weswegen bereits denklogisch eine Minderheitsentscheidung zur Errichtung eines Untersuchungsausschusses ausreichen muss.
Überprüfung des Untersuchungsgegenstands
Der Bundestag darf den Untersuchungsgegenstand nach § 2 III 1 PUAG kürzen, sofern er Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dessen hat. Gegen die Kürzung kann vor dem Bundesverfassungsgericht vorgegangen werden, § 2 III 2 PUAG. Für die Kürzung reichen zunächst Zweifel aus – eine vollständige Prüfung ist der materiellen Rechtmäßigkeit vorbehalten.
Spiegelbildgedanke
Klausurtaktik
Die Prüfung des Spiegelbildgedankens ist im Schema nur schwer zu verorten; auch eine Prüfung in der materiellen Rechtmäßigkeit ist denkbar.
Nach § 4 PUAG muss der Spiegelbildgedanke gewahrt sein. Die Mehrheiten im Untersuchungsausschuss müssen daher im Verhältnis zu denen des Bundestags stehen. Generell wird aufgrund der enormen praktischen Bedeutung der Ausschüsse für den parlamentarischen Willensbildungsprozess verlangt, dass sich die Mehrheitsverhältnisse im Plenum auch in diesen Gremien widerspiegeln, „jeder Ausschuß [muß grundsätzlich] ein verkleinertes Abbild des Plenums sein“
Examenswissen: Bezüglich der Chancengleichheit der Parteien wird diskutiert, ob hier durch verfassungsimmanenten Schranken ein Ausschluss einzelner Fraktionen bei spezifischen Themen möglich ist, sofern die Fraktion an Geheimhaltungsvertrauen missen lässt. Hierzu gibt es noch keine abschließende Meinung.
Beispiel: So könnten gute Verbindungen einer Partei zu „politisch extremen“ Gruppen, deren Aktivitäten gerade Teil des Untersuchungsausschussthemas ausmachen, ein Grund für einen Ausschluss darstellen. Dagegen spricht, dass der Untersuchungsausschuss höchste parlamentarische Legitimation genießt und gerade auch für parlamentarische Minderheiten offen stehen muss. Dafür spricht indessen die Wichtigkeit effektiver Untersuchungsausschussarbeit. Die Untersuchungsfrage kann kaum effektiv bearbeitet werden, wenn damit zu rechnen ist, dass einzelne Akteur:innen vorläufige Ergebnisse an betroffene Gruppen weitergeben.
Form
Bezüglich der Form ist insbesondere auf die Bestimmtheit der Untersuchungsfrageeinzugehen. Diese beschreibt den zu untersuchenden Lebenssachverhalt. Probleme bestehen regelmäßig bezüglich der Bestimmtheit des Untersuchungsgegenstandes. Das Erfordernis der Bestimmtheit rechtfertigt sich aus formellen und materiellen Gesichtspunkten.
Formell: Das Parlament ermächtigt das Organ „Untersuchungsausschuss“ im Rahmen des Untersuchungsauftrags. Nur in diesem Umfang ist das Organ überhaupt legitimiert.
Materiell: Auch nicht unmittelbar beteiligte Personen können durch den Untersuchungsausschuss vorgeladen werden. Diese Eingriffe müssen dem Grundsätzen des Rechtsstaatsprinzips, und damit dem Bestimmtheitsgebot,entsprechen. Das Thema muss daher eingrenzbar sein.
Bestimmtheit ist dann zu bejahen, sofern der Untersuchungsgegenstand einen abgrenzbaren Lebenssachverhalt darstellt, welcher zeitlich hinreichend bestimmt ist.
Materielle Rechtmäßigkeit
Auch die materielle Rechtmäßigkeit werden im PUAG und im Grundgesetz nur sehr grob geregelt. Im Wesentlichen können aber die folgenden Punkte festgemacht werden:
Tatbestandsmerkmal: Öffentliches Interesse
Zunächst muss die Untersuchungsfrage überhaupt dem öffentlichen Interessedienlich sein. Eine genaue Definition fällt hier schwer, zumal die Existenz des Tatbestandsmerkmals bereits umstritten ist. Weder das PUAG noch das Grundgesetz verlangen ein solches öffentliches Interesse ausdrücklich. Die Rechtsprechung verlangt ein öffentliches Interesse mithin aus Verhältnismäßigkeitsgründen als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal. Die Literatur lehnt ein solches Erfordernis ab und beruft sich hierbei auf den Wortlaut, welcher ein solches öffentliches Interesse nicht erwähnt.
Klausurtaktik
In der Klausurbearbeitung ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse letztlich zu bejahen ist. Anderenfalls würde die Prüfung sehr früh bereits abbrechen.
Formulierungsbeispiel „Problematisch ist, ob es weitergehend der Prüfung des Tatbestandsmerkmals „öffentlichen Interesses“ bezüglich des Untersuchungsausschussgegenstands bedarf. Dies ist umstritten. Die Rechtsprechung bejaht die Notwendigkeit und beruft sich auf den Eingriffscharakter des Untersuchungsausschusses, insbesondere Dritten gegenüber. Daher sei eine Restriktion des Untersuchungsausschussgegenstands zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit notwendig. Die überwiegende Literatur verneint die Notwendigkeit mit dem Argument der fehlenden Kodifizierung des Erfordernisses.“
Beachte: Der Meinungsstreit wird regelmäßig nicht zu entscheiden sein. Es bietet sich an dann zu schreiben: „Da bereits die engeren Voraussetzungen der Rechtsprechung erfüllt sind, mithin ein öffentliches Interesse zu bejahen ist, ist der Meinungsstreit nicht weitergehend zu entscheiden.“
Sollte der Meinungsstreit doch relevant werden, sprechen die besseren Argumente für die Rechtsprechung: Die Rechtseingriffe durch den Untersuchungsausschuss können sehr einschneidend sein. Aus Verhältnismäßigkeitserwägungen heraus bietet es sich an, bereits auf Tatbestandsebene Einschränkungen zu integrieren. Das Argument der Literatur, dass die Notwendigkeit nicht normiert sei, überzeugt insofern nicht, als dass sie die grammatikalische Auslegung gegenüber nachvollziehbaren, systematischen Erwägungen, überbetont.
Weitergehend ist aber die Definition des öffentlichen Interesses problematisch. Hier muss intensiv argumentiert werden:
Denkbar wäre es das öffentliche Interesse bereits darin zu sehen, dass ein Viertel des Bundestages eine Untersuchung wünschen. Eine solche Auffassung verkennt jedoch, dass auch eine Minderheitenenquête möglich ist und somit gerade keine „Mehrheit“ den Untersuchungsausschuss einsetzen möchte. Hier bestünde auch ein Missbrauchspotenzial, könnten sich Gruppen im Bundestag gezielt zusammensetzen, um einen Untersuchungsausschuss zu forcieren, welcher lediglich den eigenen Interessen dient. Das bloße Interesse von Teilen des Bundestages für ein bestimmtes Thema stellt weitergehend allenfalls ein Indiz für die Legalität dar, stellt diese aber nicht zwangsläufig fest. Entsprechend ist die Frage rechtlich voll überprüfbar.
Der Begriff ist vielmehr auf eine wertende Gesamtbetrachtung angewiesen. Inhaltlich bietet sich eine Negativabgrenzung an. Vom öffentlichen Interesse nicht umfasst sind damit rein private Angelegenheiten, die absolut keinen äußeren Bezug zum öffentlich bekleideten Amt (z.B. Bundestagsabgeordnete:r) aufweisen. Die fragliche Angelegenheit muss folglich irgendeinen Gemeinwohlbezug aufweisen. In zeitlicher Hinsicht muss es sich um einen Lebenssachverhalt handeln, welcher zumindest eine gewisse Aktualität mit sich bringt.
Formulierungsbeispiel „Eine allgemeine Begriffsdefinition fällt schwer, es bedarf vorliegend einer wertenden Gesamtbetrachtung. Das öffentliche Interesse ist jedenfalls dann zu verneinen, wenn eine rein private Angelegenheit Untersuchungsthema ist, welche keinen äußeren Bezug zum Amt aufweist. Die fragliche Angelegenheit muss folglich irgendeinen Gemeinwohlbezug aufweisen und weitergehend einen Lebenssachverhalt umschreiben, welcher zumindest einigermaßen aktuell ist. Für ein besonderes öffentliches Interesse spricht vorliegend [Angabe im Sachverhalt auswerten], dagegen spricht [Angabe im Sachverhalt auswerten].“
Verstoß gegen sonstiges Verfassungsrecht – insbesondere Rechtsstaatsprinzip
Weitergehend darf kein Verstoß gegen sonstiges Verfassungsrecht vorliegen. Die überwiegende Probleme sind auch hier in Relation zum Rechtsstaatsprinzip zu verorten. Folgende Fallgruppen sind dabei besonders hervorzuheben:
Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung: Der Regierung steht ein unausforschbarer Initiativ-, Beratungs,- und Handlunsigsbereich zu. Dabei sollen insbesondere noch nicht abgeschlossene Vorgänge nicht Gegenstand eines Untersuchungsausschusses werden können.
Überprüfbarkeit von Gerichtsentscheidungen: Wesentlicher Problempunkt ist hier die Gewaltenteilung. Der Untersuchungsausschuss hat als Teil der Legislative nicht in die Maßnahmen der Judikative einzuwirken. Hieraus folgt, dass Lebenssachverhalte zu abgeschlossenen Gerichtsverfahren grundsätzlich keinen Untersuchungsausschusgegenstand darstellen können.
Untersuchungsausschuss bei laufenden Gerichtsverfahren zum Thema: Die Problematik ist etwas anders zu beurteilen, sofern der Lebenssachverhalt auch in einem Verfahren bei Gericht anhängig ist. Eine Mindermeinung sieht hier die Gefahr der Beeinflussung des Gerichts durch den Untersuchungsausschuss. Außerdem würde der Untersuchungsausschuss in die Fragestellung der Schuldfrage interferieren, welche aber gerade nur dem Gericht zustünde. Die ganz herrschende Meinung sieht hier kein Problem: Gerichte müssen durchweg mit Druck von außen umgehen und sich hierbei standhaft zeigen. Der Untersuchungsausschuss würde zudem die Frage der "politischen Verantwortlichkeit" beantworten, nicht aber die einer etwaigen strafrechtlichen Schuld. Entsprechend gibt es hier auch keine Überschneidungen. Die herrschende Meinung überzeugt hier: Gerichte sind ständig äußerem Erwartungsdruck ausgesetzt. Dem Bundestag kann, als unmittelbar demokratisch legitimierte Entität, auch nicht das Recht eigener Ermittlungen gänzlich genommen werden.
Entgegenstehende Rechte Dritter
Hier ist eine Grundrechtsprüfung vorzunehmen. Regelmäßig wird dieser Teil im Bearbeiter:innenvermerk erlassen.
Beispiel: Regelmäßig einschlägig ist hier das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person. Hier wäre dann nach dem Dreischritt "Schutzbereich, Eingriff, Rechtfertigung" eine reguläre Grundrechtsprüfung vorzunehmen.
Entgegenstehende Rechte von Abgeordneten
Sofern der Untersuchungsausschuss die Rechte eines:einer Abgeordneten tangiert (beispielsweise weil sein Verhalten Gegenstand des Untersuchungsausschusses ist) sind hier kurz Immunität und Indemnität anzusprechen, Art 46 I GG. Die Immunität ist nicht einschlägig, da diese nur vor der Verfolgung durch staatliche Macht außerhalb des Parlaments schützt. Die Indemnität kann durch Genehmigung des Bundestags aufgehoben werden. Dies geschieht simultan-konkludent durch die Abstimmung zum Untersuchungsausschuss.
Formulierungsbeispiel „Vorliegend könnten die Abgeordnetenrechte dem Untersuchungsausschuss entgegenstehen, Art. 46 I GG. Die Immunität ist nicht betroffen, wirkt diese nur gegenüber staatlicher Verfolgung durch Institutionen außerhalb des Parlaments. Die Idemnität ist durch den Einsetzungsbeschluss des Untersuchungsausschusses konkludent ebenfalls aufgehoben. Entsprechend sprechen keine gegenläufige Rechte für die Einsetzung des Untersuchungsausschusses.“
Herausgabeansprüche aufgrund des Untersuchungsausschussrechts
Oftmals tauchen in Fallkonstellationen abseits der reinen Rechtmäßigkeitsprüfung noch Fragen zur Herausgabe von Akten auf.
Fallbeispiel
Herausgabe von Unterlagen beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen um die Stasi-Vergangenheit eines Abgeordneten zu klären.
Klausurtaktik
Die Prüfung eines möglichen Herausgabeanspruchs erfolgt entweder als Zusatzfrage oder als zweiter Teil in der materiellen Rechtmäßigkeit nachdem die zuvor beschriebenen Punkte erläutert wurden (sofern einschlägig). Nahezu immer problematisch ist in dieser Hinsicht wieder der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung, wird einer Instanz der Exekutive die Herausgabe „angeordnet“. Im Falle der Stasi-Unterlagen ist dies regelmäßig kein Problem, da der dahinterstehende Willensbildungsprozess für die fragliche Akte schon lange abgeschlossen ist.
Bereits die Ermächtigungsgrundlage zur Herausgabe ist umstritten. Naheliegend ist hier Art. 44 III GG, § 18 I PUAG heranzuziehen (so auch das BVerfG). Für die Herausgabe bedarf es weitergehend eines Beschlusses nach § 17 PUAG. Die Literatur möchte zusätzlich noch die Voraussetzungen des Art. 35 I GG prüfen. Sie beruft sich darauf, dass ein solches Herausgabeverlangen eines Untersuchungsausschusses immer auch gleichzeitig ein Amtshilfeersuchen nach Art. 35 I GG darstellt. Gegen die Ansicht der Literatur spricht methodisch, dass Art. 44 III GG offensichtlich den Fall des Untersuchungsausschusses (folglich für diesen Spezialfall) regelt, und somit lex specialis zu Art. 35 I GG ist. Entsprechend ist keine weitere Prüfung von Art. 35 I GG notwendig. Diese Auffassung erscheint auch aus klausurtaktischen Überlegungen angebracht: Die weitere Prüfung von Art. 35 I GG wird regelmäßig nicht intendierter Klausurschwerpunkt sein, ist fehleranfällig und zeitraubend.
Formulierungsbeispiel „Fraglich ist, wonach die vorliegende Herausgabe nach Art. 44 III GG, §§ 17, 18 I PUAG möglich ist. Der notwendige Beschluss nach § 17 PUAG liegt vor/ müsste noch nachgeholt werden (je nach Sachverhalt). Umstritten ist, ob weitergehend die Voraussetzungen des Art. 35 I GG erfüllt sein müssen, mithin, ob Art. 44 III GG eigenständig die Amtshilfe regelt oder auf die Amtshilfe in Art. 35 I GG verweist und damit dessen Prüfungsregime auslöst. Art. 44 III GG beschränkt sich auf die Regelung des Untersuchungsausschusses und damit auf eine Partikularität staatlichen Handelns. Auf Art. 35 I GG wird expressis verbis nicht verwiesen, weswegen Art. 44 III GG eine autarke Regelung zur Amtshilfe statuiert und damit als lex specialis zu Art. 35 I GG zu verstehen ist. Entsprechend sind die Voraussetzungen des Art. 35 I GG nicht weiter zu prüfen.“
Untersuchungsausschüsse in der Klausur
Das Untersuchungsausschussrecht stellt keine klassische Klausurkonstellation im Staatsorganisationsrecht dar. Entsprechend werden auch keine tiefgreifendenKenntnisse erwartet. Somit sollte bei der Vorbereitung hier der Fokus auf die Grundlagen gelegt werden. Diese sind der Schlüssel für eine ordentlichen Bearbeitung.
Das Untersuchungsausschussrecht bietet sich zunächst zur Abfrage der Gutachtentechnik (insbesondere Subsumtion) an, weitergehend aber auch zur Abgrenzung verschiedener Kompetenzbereiche (beispielsweise Einsetzung eines Untersuchungsausschuss zu Landesangelegenheiten durch den Bund bezüglich themen, welche eigentlich in den Bereich der Länderexekutive gehören).
Oberstes Ziel der Bearbeitung sollte hier, mehr denn je, die saubere Subsumtion sein. Die fraglichen Tatbestände sind oftmals sehr weit gefasst und damit wenig determinierungsscharf. Gute und tiefergehende Argumentation ist hier der beste Weg zu einer punkteträchtigen Bearbeitung.
Beispiel: Nach h.M. bedarf es für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses einem „öffentlichen Interesse“ zur Einsetzung. Was unter den Begriff „öffentliches Interesse“ fällt, ist nur schwer abstrakt definierbar. Entsprechend komplex ist auch die Subsumtion. Folglich ist hier der Argumentationsaufwand besonders hoch. In der Klausurbearbeitung sollte hier ein Schwerpunkt gesetzt werden.
Klausurtaktik
Aufgrund der erforderten, eigenen Argumentationsleistung, gilt es zunähst Ruhe zu bewahren. Eben weil keine Standardkonstellation abgefragt wird, neigen Geprüfte dazu schnell nervös zu werden. Dabei ist mit wenig Aufwand und dem Beherrschen der Grundlagen bereits eine überdurchschnittliche Bewertung möglich. Gerade die Punkte, wo nicht die bloße Reproduktion von Wissen abverlangt wird, sind gezielt zu behandeln, auch wenn es unangenehm erscheinen mag. Ein Austoben auf „Nebenkriegsschauplätzen“ um „Seiten zu füllen“ ist fatal.
Weiterführende Studienliteratur
Reinhardt, der Untersuchungsausschluss, NVwZ 2014, 991.
Kirste, Der praktische Fall - Öffentliches Recht: Stasi-Unterlagen im Untersuchungsausschuss?, JuS 2003, 61.
Kingreen, Parlamentarische Kontrolle, insbesondere durch Untersuchungsausschüsse (Art. 44 GG), JURA 2018, 880.
Hebeler/Schulz, Prüfungswissen zum Untersuchungsausschussrecht, JA 2010, 969.
Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte
Das Untersuchungsausschussrecht beinhaltet eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe, die eine ordentliche Subsumtion erfordern.
Besonders wichtig sind klassischen Fragestellungen, wie das Vorliegen eines Öffentlichen Interesses, die Rechte Dritter, sonstiges Verfassungsrecht und Rechte von Abgeordneten.
§ 10.3 Opposition
Notwendiges Vorwissen: Demokratieprinzip, insbesondere Mehrheitsprinzip / Minderheitenschutz, die politischen Parteien, Fraktionen, Abgeordnete
Lernziel: Die verfassungsrechtliche Stellung der parlamentarischen Opposition sowie ihre Rechte und Pflichten unter der Verfassung und nach der Rechtsprechung des BVerfG verstehen.
Die parlamentarische Opposition ist in erster Linie zwar keine eigenständige verfassungsrechtliche Einrichtung, sondern allein eine politische Erscheinungsform. Daraus folgt jedoch nicht, dass es sich bei der Opposition um ein „verfassungsrechtliches Nullum“ handeln würde. Ganz im Gegenteil: Das BVerfG hat bereits in einer seiner ersten Entscheidungen das Recht auf verfassungsgemäße Bildung und Ausübung einer Opposition als eines der grundlegenden Prinzipien der freiheitlich demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes benannt. Die verfassungsrechtliche Stellung der Opposition sowie ihre Rechte und Pflichten ergeben sich vorwiegend aus der Rechtsprechung des BVerfG. Darüber hinaus haben sich aber auch die im Grundgesetz festgelegten Minderheitenrechte für die parlamentarische Praxis der Opposition als besonders bedeutsam erwiesen.
Weiterführendes Wissen
Im Rahmen der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat wurde über die Aufnahme eines Rechts auf Bildung und Ausübung parlamentarischer Opposition in den Wortlaut des Grundgesetzes beraten. Ein entsprechender Antrag blieb letztlich allerdings ohne Erfolg, da man damals der Auffassung war, dass der Oppositionsbegriff rechtsdogmatisch immer noch unzulänglich sei.
Die Zugehörigkeit zur Opposition
In Ermangelung einer verfassungsrechtlichen Regelung existiert auch keine ausdrückliche Definition des Oppositionsbegriffs. Das BVerfG verwendet in seiner Rechtsprechung ebenfalls unterschiedliche Begriffe, wie etwa „parlamentarische Opposition“, „oppositionelle Minderheit“, „Oppositionsabgeordnete“, „Oppositionsfraktionen“ oder ganz allgemein nur „die Opposition“. Unter dem Begriff der Opposition können daher allgemein all jene politischen Kräfte im Parlament zusammengefasst werden, die die amtierende Regierung in der Regel nicht unterstützen, sondern stattdessen ihre Ablösung zum Ziel haben.
Klausurtaktik
In der Klausur bieten sich nähere Ausführungen über die korrekte Definition des Oppositionsbegriffs grundsätzlich nicht an. Stattdessen sollte eher geprüft werden, ob der im Fall benannte Personenkreis das in Rede stehende Oppositionsrecht geltend machen kann. Dies entscheidet sich sodann anhand der zu dieser Frage ergangenen Rechtsprechung des BVerfG.
Oppositionsfraktionen
Als Untergliederungsform des Parlaments bestimmen sich die Rechte und Pflichten der Fraktionen in Abhängigkeit von der Rechtsstellung des Parlaments. Aus Sicht der Oppositionsfraktionen haben dabei vor allem die verfassungsrechtlichen Minderheitenrechte Bedeutung, für deren Geltendmachung allerdings das Erreichen eines bestimmten Quorums an Mitgliedern des Bundestags Voraussetzung ist. Laut BVerfG stellen die Minderheitenrechte der Verfassung allerdings keine spezifischen Rechte der Oppositionsfraktionen dar. Diese bewusste Entscheidung des Verfassungsgebers bindet auch das BVerfG, sodass auch kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Absenkung der Quoren besteht; dies gilt sogar für den Fall, dass die Größe der Oppositionsfraktionen in der Praxis nicht die verfassungsrechtlich vorgesehene Mindestgröße für die Geltendmachung der Minderheitenrechte erreichen sollte.
Oppositionsabgeordnete
Neben den Fraktionen kommen auch einzelne Abgeordnete, die die Regierung nicht dauerhaft stützen, als Anknüpfungspunkt der parlamentarischen Opposition in Betracht. Grundsätzlich ohne Bedeutung ist dabei die Unterscheidung zwischen fraktions- bzw. gruppenangehörigen und fraktionslosen Abgeordneten.
Fraktions- oder gruppenangehörige Abgeordnete ordnen sich in der Regel der Gruppierung unter, der sie angehören. Damit wird die:der einzelne Abgeordnete von der Fraktion oder Gruppe mediatisiert, der sie:er angehört. Eine eigenständige Oppositionsrolle scheidet für die Abgeordneten in dieser Konstellation deshalb regelmäßig aus. Dies trifft auf fraktionslose Abgeordnete zwar grundsätzlich nicht zu, da sie sich gerade nicht einer Gruppierung unterordnen. Allerdings können Abgeordnete, anders als Fraktionen, nach der Rechtsprechung des BVerfG die Parlamentsrechte generell nicht im Wege der Prozessstandschaft geltend machen. Dies steht vielmehr nur den (Oppositions-)Fraktionen als Organteilen des Parlaments zu. Damit fehlt den Abgeordneten grundsätzlich die Möglichkeit, die der Opposition zukommende Rolle eigenständig wahrzunehmen. Die Abgeordneten sind insoweit in erster Linie auf die Geltendmachung ihrer eigenen aus dem Mandat folgenden Rechteverwiesen.
Verfassungsrechtliche Stellung der Opposition
Mangels ausdrücklicher Benennung fehlt es auch an ausdrücklichen Rechten der Opposition in der Verfassung. Die Opposition ist insoweit durch das Grundgesetz selbst nicht institutionalisiert. Dennoch hat das BVerfG bestimmte Oppositionsrechte aus der Verfassung hergeleitet. Dabei hat sich in der jüngeren Rechtsprechung der sog. „Grundsatz effektiver Opposition“ als Ausgangspunkt für die Begründung verfassungsrechtlicher Oppositionsrechte herausgebildet.
Der Grundsatz effektiver Opposition
Den Grundsatz effektiver Opposition hat das BVerfG in seiner „Oppositionsrechte-Entscheidung“ v. 3.5.2016 begründet. Zusammengefasst:
Der Grundsatz wurzelt im Demokratieprinzip nach Art. 20 I, II und Art. 28 I 1 GG. Er stellt einen „allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsatz“ dar, unter den das BVerfG verschiedene bis dahin entwickelte Rechtspositionen der Opposition zusammenfasst. Zunächst umfasst der Grundsatz effektiver Opposition das Recht der Parteien auf verfassungsgemäße Bildung und Ausübung einer Opposition.
Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG gehört das Recht auf verfassungsgemäße Bildung und Ausübung einer Opposition zusammen mit dem Mehrheitsprinzip und der Chancengleichheit für alle politischen Parteien zu den tragenden Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes.
Weiterführendes Wissen
Die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes umfasst nach der Rechtsprechung des BVerfG folgende Grundsätze:
die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung
die Volkssouveränität
die Gewaltenteilung
die Verantwortlichkeit der Regierung
die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
die Unabhängigkeit der Gerichte
das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition
die Vereinigungsfreiheit
den aus dem Mehrparteienprinzip fließenden Parlamentarismus
das Erfordernis freier Wahlen mit regelmäßiger Wiederholung in relativ kurzen Zeitabständen und die Anerkennung von Grundrechten
die Menschenwürde als obersten und unantastbaren Wert in der freiheitlichen Demokratie
das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung
den freien und offenen Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes
die Rundfunk-, Presse- und Informationsfreiheit
das Bekenntnis zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität
die Religionsfreiheit
die elementare Bedeutung des Art. 1 Abs. 1 GG
Inhaltlich gewährt das Recht auf verfassungsgemäße Bildung und Ausübung einer Opposition folgende Rechtspositionen:
Es garantiert „das Bestehen mehrerer Parteien (...), jedenfalls aber die Möglichkeit, daß sich jederzeit neue Parteien frei bilden dürfen“.
Es begründet den Anspruch der oppositionellen Minderheit, „ihre eigenen politischen Ansichten im Plenum vorzutragen und die Vorstellungen der Mehrheit zu kritisieren.“
Es umfasst ferner den Anspruch der Oppositionsfraktionen auf Repräsentation in den Ausschüssen, „wenn dort der Sache nach die Entscheidungen fallen.“
Examenswissen: Relevanz hat das Recht auf verfassungsgemäße Bildung und Ausübung einer Opposition aufgrund seiner Stellung als einer der Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in erster Linie im Rahmen eines Parteiverbotsverfahrens nach Art. 21 II GG i.V.m. §§ 43 ff. BVerfGG. Danach sind u.a. jene Parteien verfassungswidrig, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger „darauf ausgehen“, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Das zuletzt beim BVerfG anhängige Parteiverbotsverfahren betraf die NPD. In diesem (zweiten) Verfahren bestätigte das Gericht zwar, dass das politische Konzept der NPD auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausgerichtet sei. Für ein Verbot sei darüber hinaus aber auch ein „darauf Ausgehen“ erforderlich. Dies erfordere „konkrete Anhaltspunkte von Gewicht, die eine Durchsetzung der von [der Partei] verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele möglich erscheinen lassen“, was bei der NPD gerade nicht gegeben gewesen sei. Das Erfordernis „konkreter Anhaltspunkte von Gewicht, die eine Durchsetzung der von der Partei verfolgten verfassungsrechtlichen Ziele möglich erscheinen lassen“ stellte eine ausdrückliche Abkehr zu der bis dahin bestehenden Rechtsprechung des BVerfG dar.
Neben dem Recht auf verfassungsgemäße Bildung und Ausübung einer Opposition enthält der Grundsatz effektiver Opposition auch „das Recht auf organisierte politische Opposition“. Das BVerfG leitet dieses aus dem Rechtsstaatsprinzipnach Art. 20 III und Art. 28 I 1 GG ab. Der hieraus folgende Grundsatz der Gewaltenteilung verpflichtet zwar das Parlament als Ganzes zur Kontrolle der Regierung. Weil für eine stabile Regierung aber die Unterstützung der Mehrheit im Parlament erforderlich ist, obliegt die Kontrollfunktion daneben vor allem auch den Oppositionsabgeordneten und -fraktionen.
Schließlich verpflichtet der Grundsatz effektiver Opposition dazu, die im Grundgesetz vorgesehenen Minderheitenrechte auf Wirksamkeit hin auszulegen. Das BVerfG betont insoweit: „Eine effektive Opposition darf bei der Ausübung ihrer Kontrollbefugnisse nicht auf das Wohlwollen der Parlamentsmehrheit angewiesen sein.“
Examenswissen: Die Frage nach dem parlamentarischen Minderheitenschutz und dem Grundsatz der effektiven Opposition sollte beim sog. GroKo Fall unbedingt angesprochen werden. Die Mehrheitsverhältnisse im 18. Deutschen Bundestag aufgrund der Regierungskoalition zwischen CDU/CSU und SPD führten dazu, dass lediglich 127 von 630 Sitze auf die Opposition entfielen. Damit unterschritt die Gesamtheit der Abgeordneten der Oppositionsfraktionen die Quoren, die das Grundgesetz für die Ausübung von parlamentarischen Minderheitenrechten vorsieht. Fraglich war, ob die Quoren dementsprechend herabgesetzt werden müssen, damit die Opposition ihre Rechte auch tatsächlich geltend machen kann. Das BVerfG betonte zwar den Grundsatz der effektiven Opposition, verneinte allerdings einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Einräumung von Oppositionsfraktionsrechten. Siehe dazu den Beitrag zum Minderheitenschutz.
Minderheitenrecht als Instrument der Opposition
Wie bereits im Beitrag zum Minderheitenschutz beschrieben, stehen der parlamentarischen Minderheit über die Verfassung spezifische Rechte zu, die hauptsächlich von der Opposition genutzt werden. Dazu zählen vor allem:
das Recht auf Einrichtung eines Untersuchungsausschusses nach Art. 44 GG,
das Recht auf Einleitung eines abstrakten Normenkontrollverfahrens nach Art. 93 I Nr. 2 GG durch 1/4 der Abgeordneten,
die prozessstandschaftliche Geltendmachung der Parlamentsrechte durch die Opposition im Wege des Organstreitverfahrens nach Art. 93 I Nr. 1 GG.
Weiterführende Studienliteratur
Ingold, Oppositionsrechte stärken?, ZRP 2016, 143.
Schwarz, Unkontrollierbare Regierung - Die Rechte der Opposition bei der Bildung einer Großen Koalition im Deutschen Bundestag, ZRP 2013, 226.
Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte
Das BVerfG hat in seiner Rechtsprechung den Grundsatz effektiver Oppositionentwickelt.
Der Grundsatz effektiver Opposition umfasst das Recht auf verfassungsgemäße Bildung und Ausübung der Opposition, das Recht auf organisierte politische Opposition und die Pflicht, die im Grundgesetz vorgesehenen Minderheitenrechte auf Wirksamkeit hin auszulegen.
Die im Grundgesetz vorgesehenen Minderheitenrechte sind keine spezifischen Rechte der Opposition.
Es besteht kein Anspruch auf Absenkung der Quoren für die Minderheitenrechte des Grundgesetzes, auch wenn die Größe der Opposition nicht die Mindestgröße für die Geltendmachung der Minderheitenrechte erreicht.
Einzelne Oppositionsabgeordnete können die Oppositionsrechte nicht prozessstandschaftlich geltend machen; dies steht nur den Oppositionsfraktionen zu.
§ 10.4 Leitung und Verwaltung des Bundestages
Notwendiges Vorwissen: Bundestag; Fraktionen; Abgeordnetenrechte
Lernziel: Organisation und Verwaltung des Bundestags durch Präsident:in, Präsidium und Ältestenrat verstehen, Organkonflikte im Zusammenspiel mit dem:der Bundestagspräsident:in kennenlernen
Zum Schluss des Abschnitts über das Verfassungsorgan „Bundestag“ soll dessen Leitung und Verwaltung beleuchtet werden. Der Bundestag verfügt als oberstes Bundesorgan über eine eigene Organisationsgewalt, die so genannte Parlamentsautonomie: Davon umfasst sind sowohl die Autonomie, sich eine eigene Geschäftsordnung zu geben (Geschäftsordnungsautonomie, Art. 40 I 2 GG) als auch die eigene Leitung und Verwaltung zu regeln (Organisationsautonomie, u.a. Art. 40 I 1 GG). Zur Geschäftsordnungsautonomie gehören alle Regelungsgegenstände, die dem Parlament üblicherweise als autonome Geschäftsordnungsangelegenheit zugewiesen werden, wie z.B. die Befugnis des Bundestages zur Selbstorganisation, zur Entscheidung über den Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens sowie über die Zusammensetzung und Arbeitsweise der Ausschüsse, oder die Bildung und die Rechte von Fraktionen.
Die Organisationsautonomie des Parlaments schützt dessen Selbstorganisation, welche in Art. 40 I 1 GG in Bezug auf die Wahl des:der Bundestagspräsident:in, der Stellvertreter:innen sowie der Schriftführer:innen explizit geregelt wird, jedoch auch darüber hinausgeht, soweit sie nicht durch das Grundgesetz selbst oder durch Gesetz begrenzt wird. Zentrale Organe zur Selbstorganisation des Bundestags sind der:die Präsident:in, dessen:deren Stellvertreter:innen sowie der Ältestenrat.
Bundestagspräsidium
Das Präsidium des Bundestags besteht gem. § 5 GOBT aus dem:der Präsident:in des Bundestags und den Stellvertreter:innen, ist jedoch im Grundgesetz nicht explizit benannt. Es ist ein Beratungsorgan, in welchem vor allem organisatorische Angelegenheiten erörtert werden; beispielsweise wirkt es an Personalangelegenheiten der Bundestagsverwaltung mit. Die Bundestagsverwaltung wiederum wird von einer nicht dem Präsidium angehörenden Person (Direktor:in) geleitet, die unmittelbar dem:der Bundestagspräsident:in untersteht.
Bundestagspräsident:in
Wahlvorgang und Stellung
Gem. Art. 40 I 1 GG wählt der Bundestag für die Dauer der Wahlperiode eine:n Präsident:in aus den Reihen der Abgeordneten (§ 2 GOBT). Gewählt ist dabei, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erhält (§ 2 II 1 GOBT). Nach parlamentarischem Brauch gebührt das Vorschlagsrecht für das Amt des:der Präsident:in der stärksten Fraktion im Bundestag, wobei es sich dabei nicht um eine (verfassungs)rechtliche Regel handelt. § 2 II GOBT regelt insofern das Wahlverfahren, wenn sich im ersten und zweiten Wahlgang keine Mehrheit für die vorgeschlagene Person findet. Die Amtszeit des:der Bundestagspräsident:in endet mit dem Ende der Legislaturperiode oder im Falle des Verlustes seines:ihres Abgeordnetenmandats. Die Abwahl des:der Präsident:in ist in Grundgesetz und Geschäftsordnung nicht explizit geregelt, wird jedoch nach h.M. als möglich erachtet.
Die Stellung des:der Bundestagspräsident:in zeichnet sich dadurch aus, dass er:sie die „Personifizierung des Parlaments“ darstellt, und somit an der Spitze des Verfassungsorgans Bundestag steht. In dieser Rolle soll er:sie die im Folgenden erläuterten Aufgaben möglichst unparteiisch und neutral ausführen, da ihm:ihr eine Repräsentativfunktion für den gesamten Bundestag zukommt; damit einher geht eine Pflicht zur parteipolitischen Mäßigung. Zudem steht der:die Bundestagspräsident:in protokollarisch an zweiter Stelle der Bundesrepublik, direkt hinter dem:der Bundespräsident:in. Gleichzeitig bleibt auch der:die Bundestagspräsident:in Abgeordnete:r mitsamt aller damit einhergehenden Rechte, welche jedoch angesichts der Neutralitätspflicht mit entsprechender Zurückhaltung ausgeübt werden müssen.
Aufgabenbereich
Zu den Aufgaben des:der Bundestagspräsident:in gehören neben den administrativen Aufgaben der Bundestagsverwaltung die Leitung der Sitzungen des Bundestags sowie die Vertretung des Bundestags nach außen (§ 7 GOBT). Er:Sie ist Vorsitzende:r des Bundestagspräsidiums sowie des Ältestenrats (§§ 5, 6 I GOBT). Im Rahmen seiner:ihrer Leitungsfunktion kommt dem:der Bundestagspräsident:in insbesondere die Sitzungsleitung zu (§§ 22 ff. GOBT), zu welcher u.a. die Erteilung des Wortes (§ 27 GOBT) sowie die Bestimmung der Rednerreihenfolge (§ 28 GOBT) gehören.
Disziplinarmaßnahmen
Ergänzt werden diese Aufgaben durch die Ordnungsbefugnisse des:der Präsident:in, welche der Gewährleistung eines geordneten Ablaufs der Plenarsitzungen dienen. Zu den zur Verfügung stehenden Disziplinarmaßnahmen gehören bei nur leichten Verstößen die „Rüge“, der Ordnungsruf und der Ruf zur Sache (§ 36 GOBT), der Wortentzug (§ 35 III, 36 II GOBT), die Verhängung eines Ordnungsgelds (§ 37 GOBT) sowie bei großen Verletzungen auch der Sitzungsausschluss (§ 38 GOBT).
Weiterführendes Wissen zum Rechtsschutzbedürfnis im Organstreit
Das BVerfG hat 2019 das Rechtsschutzbedürfnis eines Abgeordneten im Organstreitverfahren verneint, da es „[v]on einem Antragsteller [...] zu verlangen [ist], gegen die durch den Sitzungspräsidenten des Bundestages verhängten parlamentarischen Ordnungsmaßnahmen Ordnungsruf, Ordnungsgeld und Sitzungsausschluss vor Anrufung des BVerfG zunächst erfolglos das von der Geschäftsordnung des Bundestages vorgesehene Einspruchsverfahren durchzuführen.“
Klausurtaktik
Disziplinarmaßnahmen des:der Bundestagspräsident:in können die Rechte der Abgeordneten beeinträchtigen. In Klausuren kann es daher zu Rechtsstreitigkeiten zwischen einzelnen Abgeordneten und dem:der Bundestagspräsident:in kommen, welche im verfassungsgerichtlichen Organstreitverfahren überprüft werden können (Art. 93 I Nr. 1 GG, §§ 63 ff. BVerfGG). Die Antragsbefugnis ergibt sich aus einer möglichen Verletzung des Art. 38 I 2 GG. Einige Sachverhalte versuchen an dieser Stelle die Studierenden zu verwirren, indem auf Art. 5 I GG (Meinungsfreiheit) verwiesen wird. Ein Antrag, der sich auf Art. 5 I GG stützt, sollte dann in der Antragsbefugnis auf Art. 38 I 2 GG umgedeutet werden. Bundestagsabgeordnete können im Organstreitverfahren ausschließlich Rechte geltend machen, die sich aus einer organschaftlichen Stellung im Sinne des Art. 38 I 2 GG ergeben.
In den meisten Fällen wird nicht nur eine Ordnungsmaßnahme genutzt, sondern der:die Bundestagspräsident:in wird mehrere Maßnahmen verwenden. Dabei muss die Prüfung der einzelnen Maßnahmen sauber getrennt werden. Eine „Rüge“ durch den:die Bundestagspräsident:in ist nämlich gerade keine rechtserhebliche Maßnahme, sondern parlamentarischer Brauch. Gegen Rügen ist somit das Organstreitverfahren nicht zulässig, da keine Rechtsverletzung aus Art. 38 I 2 GG gegeben sein kann (keine Antragsbefugnis).
Verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht aus Art. 38 I 2 GG (Rechte der Abgeordneten)
Beschränkung des Rechts durch Maßnahme des:der Bundestagspräsident:in(kann unproblematisch angenommen werden)
Verfassungsrechtliche Rechtfertigung:
Beschränkung des Rederechts
Es muss möglich sein, das Rederecht der Abgeordneten zu beschränken, nur so kann die Ordnung im Bundestag gewahrt werden. Dieser Gedanke ergibt sich bereits aus Art. 40 I 2 GG, welcher den Bundestag dazu ermächtigt, sich eigenständig eine Geschäftsordnung zu geben (GOBT). Über die GOBT wird mithin ein Ausgleich zwischen dem Rederecht der Abgeordneten und der Funktionsfähigkeit des Parlaments angestrebt.
Maßnahme im Konkreten
Damit der Ausgleich auch tatsächlich verfassungskonform ist, muss auch die konkrete Maßnahme durch den:die Bundestagspräsident:in verfassungskonform ausgeübt werden.
Frage: Auf welche Ermächtigungsgrundlage kann sich generell gestützt werden?
Ruf zur Sache: § 36 I 1 GOBT
Ordnungsruf: § 36 I 2 GOBT
Wortentzug: wegen vorheriger Rufe zur Sache oder Ordnungsrufe, § 36 II GOBT; oder wegen Überschreitung der Rededauer, § 35 III GOBT
Frage: Wurden die jeweiligen Voraussetzungen gewahrt? War die Maßnahme nach den besonderen Umständen des Falls verhältnismäßig?
Ruf zur Sache: Ist der:die Abgeordnete tatsächlich von der Sache abgeschweift?
Ordnungsruf: Es kommt nicht darauf an, ob die Aussage „richtig“ oder „falsch“ ist, sondern nur, ob durch die Aussage das Ansehen des Parlaments beeinträchtigt wird. Es muss daher genau geprüft werden, welche Aussagen getätigt wurden. Wenn die Aussage sachbezogen und nicht diffamierend ist, ist ein Ordnungsruf nicht angemessen.
Wortentzug: Für einen Wortentzug gem. § 36 II GOBT müssen alle vorhergehenden Maßnahmen verhältnismäßig sein. Dabei wird dem:der Bundestagspräsident:in kein Ermessen eingeräumt (Muss-Vorschrift). Bei § 35 III GOBT regelt den Wortentzug bei der Überschreitung der Redezeit. Das Gesetz nutzt dabei eine Soll-Vorschrift – dem:der Bundespräsident:in wird daher die Möglichkeit eingeräumt, bei besonderen Umständen das Wort nicht zu entziehen. Dieses Ermessen muss allerdings im Hinblick auf den Grundsatz der gleichberechtigten Teilhabe am parlamentarischen Verfahren ausgelegt werden, das heißt alle Abgeordnete müssen in gleicher Art am Maßstab der Redezeit bemessen werden.
Die Prüfung der Begründetheit sollte wie folgt aufgebaut werden:
Hausrecht und Polizeigewalt
Darüber hinaus übt der:die Bundestagspräsident:in gem. Art. 40 II 1 GG auch das Hausrecht und die Polizeigewalt in den Gebäuden des Bundestags aus (siehe auch § 7 II 1 GOBT). Diese Befugnisse unterscheiden sich von den zuvor genannten Ordnungsbefugnissen insbesondere dadurch, dass erstere der Aufrechterhaltung der Sitzungsordnung, also der Abwehr von Störungen „von innen“, dienen, während sich Hausrecht und Polizeigewalt in der Regel gegen Störungen „von außen“ richten. Sowohl das Hausrecht, als auch die Polizeigewalt sollen die räumliche Integrität des Bundestags vor Eingriffen der Judikative und der Exekutive schützen. Dabei werden beide Rechte unmittelbar dem:der Bundestagspräsident:in zugeordnet (Art. 40 II 1 GG).
Examenswissen: Das Hausrecht ergibt sich aus dem Eigentum der öffentlichen Hand am Gebäude und Grundstück des Bundestags. Dabei ist allerdings äußerst strittig, ob es sich um eine privatrechtliche Befugnis handelt oder ob das Hausrecht vielmehr öffentlich-rechtlicher Natur ist. Ungeachtet dessen ist das Hausrecht aus Art. 40 II 1 GG mit dem zivilrechtlichen Hausrecht vergleichbar. Eine besondere Ausprägung des Hausrechts ist der Genehmigungsvorbehalt bei Durchsuchungen und Beschlagnahme im Bundestag, gemäß Art. 40 II 2 GG. Über das Hausrecht wird außerdem die Hausordnung des Bundestags (HOBT) erlassen (gem. § 7 II 2 GOBT).
Daneben besteht die Polizeigewalt des:der Bundestagspräsident:in als öffentlich-rechtliche Befugnis zur Gefahrenabwehr. Die polizeilichen Stellen des Bundes und des Landes sind im Bundestag räumlich unzuständig. Sobald der:die Bundestagspräsident:in mit dem Ziel der Gefahrenabwehr tätig wird, agiert der:die Bundestagspräsident:in somit als die Polizeibehörde des Bundestags.
Examenswissen: Äußerst strittig ist, auf welcher Rechtsgrundlage die Gefahrenabwehrmaßnahmen durchgeführt werden. Im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht ist gesetzlich geregelt, wann die Polizei im Rahmen der Gefahrenabwehr tätig werden darf (z.B. über die speziellen Gesetze der Länder, in Berlin das ASOG). Anders gestaltet sich die Gemengelage im Bereich der Polizei des Bundestags: Es sind keinerlei gesetzliche Vorgaben normiert, auf die sich eine polizeirechtliche Befugnis außerhalb des Art. 40 II 1 GG stützen könnte. Daher gehen einige Stimmen in der Literatur davon aus, dass Art. 40 II 1 GG nicht nur Kompetenznorm, sondern gerade auch Befugnisnorm sei – das heißt jegliche polizeirechtlichen Verfügungen der Polizei des Bundestags könnten auf Art. 40 II 1 GG gestützt werden. Die andere Ansicht erkennt Art. 40 II 1 GG als Rechtsgrundlage für Eingriffe der Polizei des Bundestags gerade nicht an. Es müssten Vorschriften erlassen werden, die eine formell-gesetzliche Ermächtigungsgrundlage darstellen. Vom BVerfG wurde diese Frage auch in der jüngsten Entscheidung noch offengelassen. Unabhängig dessen wäre im Sinne der Rechtssicherheit eine formell-gesetzliche Gesetzesgrundlage zu begrüßen.
Die jeweiligen polizeilichen Maßnahmen müssen, wenn Art. 40 II 1 GG als eine taugliche Ermächtigungsgrundlage angesehen wird, den Anforderungen der „Dienstanweisungen für den Polizeivollzugsdienst der Polizei beim Deutschen Bundestag“ (DA-PVD) genügen. Die DA-PVD ist zwar kein formelles Gesetz, die Anweisungen zielen allerdings darauf ab, die Polizei beim Deutschen Bundestag zu binden. Damit kommt der DA-PVD der Charakter einer ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift zu.
Weiterführendes Wissen zur Maskenpflicht im Bundestag
Während der Corona-Pandemie wurde 2020 vom damaligen Bundestagspräsidenten Schäuble per Allgemeinverfügung angeordnet, dass in den Räumlichkeiten des Bundestags eine Mund-Nasen-Maske getragen werden muss. Dagegen wurde von der AfD-Fraktion vor dem BVerfG ein Organstreitverfahren angestrebt (und bereits zurückgenommen). Durchaus zu diskutieren ist, ob es sich bei einer Maskenpflicht im Bundestag um die Ausübung des Hausrechts oder von Polizeigewalt durch den:die Bundestagspräsident:in handeln würde. Im Ergebnis spricht wohl einiges dafür, dass es sich um eine Gefahrenabwehrmaßnahme handelt und somit Polizeirecht darstellt.
Klausurrelevant ist außerdem die Frage, inwiefern es der Polizei des Bundestags gestattet ist, zur Gefahrenabwehr in ein Abgeordnetenbüro einzudringen. Art. 38 I 2 GG schützt die räumliche Integrität des Abgeordnetenbüros (freies Mandat). Inwiefern und ob überhaupt die Gefahrenabwehr zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments und Art. 38 I 2 GG in einen Ausgleich gebracht werden können, musste das BVerfG 2020 entscheiden.
Fallbeispiel
Fall: Die Polizei des Bundestags betrat das Abgeordnetenbüro eines Mitglieds der Fraktion DIE LINKE ohne dessen Einwilligung, um Plakatierungen abzuhängen. Hintergrund war der Besuch des türkischen Staatspräsidenten in Berlin. Anlässlich dieses Staatsbesuchs wurden Straßensperrungen im Regierungsviertel vorgenommen, wobei sich innerhalb des gesperrten Gebiets auch das Gebäude mit den Abgeordnetenräumen des Antragstellers befand. Im Bereich der Fenster dieser Räume, die zum abgesperrten Straßenbereich gerichtet sind, hingen auf Papier gedruckte Abbildungen von Zeichen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG in Syrien, jeweils im Format DIN A4. Beamte der Polizei beim Deutschen Bundestag stellten diese Plakatierungen anlässlich eines Kontrollgangs fest, als die Straßensperrungen im Bereich des Gebäudes bereits wieder aufgehoben waren. Der Abgeordnete hielt sich zu diesem Zeitpunkt nicht in seinen Abgeordnetenräumen auf. Versuche, ihn telefonisch oder auf anderem Wege zu erreichen, unternahm die Polizei beim Deutschen Bundestag nicht. Die Beamten betraten die Abgeordnetenräume und nahmen die Plakatierungen ab. Der Abgeordnete machte anschließend eine Rechtsverletzung aus Art. 38 I 2 GG geltend, da das Betreten seiner Abgeordnetenräume ihn in seinen verfassungsmäßigen Rechten als Abgeordneter beeinträchtige.
Lösung: Dem stimmte das BVerfG zu. Art. 38 I 2 GG schütze nämlich auch das Recht, die zugewiesenen Räumlichkeiten zur Ausübung des Mandats ohne den Zugriff Dritter zu nutzen. Zum Beginn einer Prüfung muss dieses Recht allerdings ordentlich hergeleitet werden. Es könnte nämlich auch argumentiert werden, dass Art. 38 I 2 GG entweder gar keine spezifische oder lediglich ein Mindestmaß an Infrastruktur für die einzelnen Abgeordneten gewährleisten will. Der Sinn und Zweck des Art. 38 I 2 GG steht einer solchen Verengung des Statusrechts allerdings entgegen. Um das Mandat effektiv wahrnehmen zu können, brauchen Abgeordnete eine gewisse Infrastruktur. Diese Räumlichkeiten müssen vor dem Zugriff Dritter geschützt werden, ansonsten bestünde von vornherein die latente Gefahr, dass Arbeitsentwürfe und Kommunikationsmaterial nach außen dringen. Dies würde zu einer Selbstbeschränkung der Abgeordneten führen. Die räumliche Integrität des Abgeordnetenbüros muss daher über Art. 38 I 2 GG geschützt werden.
Das vorliegende Betreten durch die Polizei des Bundestags hat dieses Recht beeinträchtigt. Grundsätzlich ist es möglich, dass eine solche Beeinträchtigung zu rechtfertigen ist, wenn andere Rechtsgüter von Verfassungsrang dies veranlassen. Dabei kommt die Unversehrtheit des Parlamentsgebäudes und der Parlamentsmitarbeiter in Betracht: Durch das Abhängen eines politisch provokanten Plakats wurde eine potentielle Gefahrenquelle eliminiert, die Funktionsfähigkeit des Bundestages sollte durch die Abwehr von äußeren Gefahren gesichert werden (legitimer Zweck). Die Maßnahme der Polizei war sicherlich geeignet, um dieses Ziel zu erreichen. Ob die Maßnahme auch erforderlich war, ist allerdings zu bezweifeln: Ein milderes Mittel wäre gewesen, den Abgeordneten zuerst einmal telefonisch zu bitten, die Plakate abzuhängen. In jedem Fall war das Vorgehen der Polizei nicht angemessen: Zum einen wiegt die Beeinträchtigung in das Statusrecht des Abgeordneten schwer, dabei handelt es sich bei dem Rechtsgut aus Art. 38 I 2 GG um ein hochrangiges. Es dient dazu, die Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages insgesamt zu gewährleisten. Dem steht die Absicht der Sicherung des Bundestags zwar grundsätzlich gleichrangig entgegen, jedoch waren vorliegend nur schwache Anhaltspunkte zur Feststellung einer Gefahrenlage zu erkennen: Es ist unklar, ob Passant:innen die Plakate überhaupt gesehen hatten, räumlich waren die Plakate nur schwer wahrnehmbar. Es gab sonst keine Anhaltspunkte, dass jemand bereits im Begriff war, Handlungen zum Nachteil des Parlamentsgebäudes oder der Parlamentsmitarbeiter:innen vorzunehmen. Im Ergebnis war das Eindringen der Polizei somit jedenfalls unangemessen. Eine Rechtsverletzung aus Art. 38 I 2 GG lag vor.
Examenswissen: Der damalige Bundestagspräsident Schäuble führte an, dass der Anspruch auf räumliche Integrität aus Art. 38 I 2 GG „von vornherein“ mit der Last verbunden sei, die Räume nur in der Weise zu nutzen, wie es das Hausrecht und die Gefahrenabwehr gestatten würden. Realisierten sich die „immanenten Nutzungsschranken“, werde Art. 38 GG dadurch nicht verletzt. Diese Auffassung lehnte das BVerfG nachvollziehbar ab. Verfassungsrechtliche Positionen müssen im Zuge der praktischen Konkordanz miteinander in einen angemessenen und schonenden Ausgleich gebracht werden.
Vertretungsbefugnis
Schließlich vertritt der:die Bundestagspräsident:in den Bundestag nach außen und regelt dessen Geschäfte (§ 7 I GOBT). Zu dieser Vertretungsbefugnis gehört insbesondere auch die Vertretung des Bundestags in Rechtsstreitigkeiten vor dem BVerfG. Richtet sich ein Organstreitverfahren gegen den Bundestag als solchen – nicht gegen den:die Präsident:in selbst, beispielsweise im Falle eines Ordnungsrufs – so ist zwar der Bundestag selbst parteifähig, doch ist eine gerichtliche Vertretung durch den:die Bundestagspräsident:in erforderlich.
Stellvertreter:innen
Art. 40 I 1 GG regelt auch die Wahl der Stellvertreter:innen des:der Bundestagspräsident:in (Vizepräsident:innen), welche wiederum in § 2 GOBT konkretisiert ist. Nach § 2 I 2 GOBT ist jede Fraktion des Bundestags durch mindestens eine:n Stellvertreter:innen im Präsidium vertreten. Dabei werden auch hier nach parlamentarischem Brauch in der Regel die Vorschläge der Fraktionen jeweils unterstützt. Die Vizepräsident:innen unterstützen den:die Bundestagspräsident:in im Rahmen des Präsidiums bei der administrativen Leitung des Bundestags und übernehmen dessen:deren Vertretung in der Sitzungsleitung (§ 8 GOBT). Sie sind zudem Mitglieder des Ältestenrats (§ 6 I GOBT).
Beispiel: § 2 II und § 2 III GOBT kamen bei der Wahl eines stellvertretenden Bundestagspräsidenten aus den Reihen der AfD-Fraktion für den 19. Deutschen Bundestag zum Tragen. Weder der zuerst vorgeschlagene Kandidat noch die in späteren Wahlgängen vorgeschlagenen Personen erreichten dabei die erforderliche Stimmenanzahl. Auch eine Lösung im Ältestenrat nach § 2 III GOBT blieb erfolglos, sodass dem Präsidium des 19. Deutschen Bundestags kein Mitglied der AfD-Fraktion angehörte. Dies ist jedoch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, da sich aus § 2 I 2 GOBT kein verfassungsmäßiges Recht der Fraktionen ergibt. Zwar ergibt sich dem Grundsatz nach aus Art. 38 I 2 GG ein gleichberechtigter Zugang der Fraktionen zum Bundestagspräsidium, doch wird dieser Zugang durch die in Art. 40 I 1 GG angeordnete Wahl der Stellvertreter:innen begrenzt. Das Recht zur gleichberechtigten Berücksichtigung einer Fraktion bei der Besetzung des Präsidiums steht somit unter dem Vorbehalt der Wahl durch die Abgeordneten und kann daher nur verwirklicht werden, wenn der:die von dieser Fraktion vorgeschlagene Kandidat:in die erforderliche Mehrheit erreicht.
Ältestenrat
Der Ältestenrat setzt sich zusammen aus dem:der Bundestagspräsident:in, den Stellvertreter:innen sowie 23 weiteren Abgeordneten (§ 6 I GOBT), welche wiederum nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen im Bundestag gem. § 12 S. 1 GOBT zusammengesetzt sein müssen. Der Ältestenrat unterstützt den:die Präsident:in bei der Führung der Geschäfte, u.a. indem er die Verständigung zwischen den Fraktionen über die inneren Angelegenheiten des Bundestags ermöglicht, beispielsweise die Besetzung der Stellen der Ausschussvorsitzenden oder die Koordinierung der Sitzungstermine und der Tagesordnung (§ 6 II GOBT). In diesen Funktionen ist der Ältestenrat kein Beschlussorgan, sondern entscheidet einvernehmlich (§ 6 II 3 GOBT).
Weiterführende Studienliteratur
Gerberding, Das parlamentarische Ordnungsrecht, Jura 2021, 265.
Grosche, Anfängerhausarbeit – Öffentliches Recht: Staatsorganisationsrecht – Bundestagspräsident im politischen Wettbewerb, JuS 2019, 868.
Ramm, Die Polizeigewalt des Bundestagspräsidenten – Die Polizei beim Deutschen Bundestag und ihre Ermächtigungsgrundlage, NVwZ 2010, 1461.
Wilrich, Der Bundestagspräsident, DÖV 2002, 152.
Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte
Das Präsidium des Bundestags besteht gem. § 5 GOBT aus dem:der Präsident:in des Bundestags und den Stellvertreter:innen. Es ist ein Beratungsorgan, in welchem vor allem organisatorische Angelegenheiten erörtert werden.
Die Stellung des:der Bundestagspräsident:in zeichnet sich dadurch aus, dass er:sie die „Personifizierung des Parlaments“ darstellt, und somit an der Spitze des Verfassungsorgans Bundestag steht.
Innerhalb des Aufgabenbereich des:der Bundestagspräsident:in sind insbesondere die Disziplinarmaßnahmen, das Hausrecht und die Polizeigewalt von besonderer Bedeutung.
Disziplinarmaßnahmen beeinträchtigen häufig Rechte von Abgeordneten aus Art. 38 I 2 GG. In Klausuren kann es daher zu Rechtsstreitigkeiten zwischen einzelnen Abgeordneten und dem:der Bundestagspräsident:in kommen, welche im verfassungsgerichtlichen Organstreitverfahren überprüft werden können (Art. 93 I Nr. 1 GG, §§ 63 ff. BVerfGG).
Dabei muss die Prüfung der einzelnen Maßnahmen sauber getrennt werden: Liegt ein Ruf zur Sache (§ 36 I 1 GOBT), ein Ordnungsruf (§ 36 I 2 GOBT) oder ein Wortentzug (§ 36 II GOBT oder § 35 III GOBT) vor? Eine „Rüge“ durch den:die Bundestagspräsident:in ist dagegen keine rechtserhebliche Maßnahme, sondern parlamentarischer Brauch.
Der:Die Bundestagspräsident:in übt gem. Art. 40 II 1 GG das Hausrecht und die Polizeigewalt zur Gefahrenabwehr in den Gebäuden des Bundestags aus. Diese Befugnisse richten sich in der Regel gegen Störungen „von außen“. In gewissen Fällen muss die Gefahrenabwehr zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments mit dem Recht auf die räumliche Integrität des Abgeordnetenbüros aus Art. 38 I 2 GG in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden.