Kilian Wegner Strafrecht AT I: Übungsfälle Licensed under CC-BY-4.0

Einheit 4: Vorsatz und Irrtum (Sachverhalt)

Fall 1

(nach BGHSt 36, 1)

G ist Gefreiter der amerikanischen Streitkräfte und arbeitet auf der Rhein-Main-Airbase. Im Jahr 1999 wird bei einer Untersuchung festgestellt, dass er HIV-positiv ist. Der Militärarzt klärt ihn umfassend über das Risiko einer Ansteckung auf und weist ihn darauf hin, dass er bei jeder Art von Geschlechtsverkehr Kondome benutzen müsse, da er für den Rest seines Lebens ansteckend bleibe. Gleichwohl schläft G mehrmals mit D, den er über seine Infektion nicht aufklärt, ohne ein Kondom zu benutzen. D wird dadurch infiziert. G hatte jedoch auf Grund des relativ geringen Ansteckungsrisikos (ca. 1 % bei Analverkehr) ernsthaft darauf vertraut, dass er D nicht infizieren werden würde.

Hat sich G wegen gefährlicher Körperverletzung nach den §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2, Nr. 5 StGB strafbar gemacht?

Fall 2

(= Preußisches Obertribunal GA 1859, 322 – „Rose-Rosahl“)

Der Holzhändler Rosahl aus Schiepzig versprach dem Arbeiter Rose, ihn reichlich zu belohnen, wenn er den Zimmermann Schliebe aus Lieskau erschösse. Rose legte sich daraufhin zwischen Lieskau und Schiepzig (nahe Halle) in den Hinterhalt, um Schliebe, den er genau kannte, aufzulauern. Während der Dämmerung sah er einen Mann des Weges daherkommen. Diesen erschoss er, da er ihn für Schliebe hielt. In Wirklichkeit war es der 17-jährige Kantorssohn Harnisch.

Hat Rose sich wegen Totschlags an Harnisch strafbar gemacht?

Fall 3

(leichte Abwandlung von BGHSt 34, 53)

A ist Inhaber einer Gaststätte, in der sich in den frühen Morgenstunden des 5. Januar 1985 seine frühere Lebensgefährtin B und der Gast C aufhielten. B lehnte es ab, sich von dem alkoholisierten A nach Hause bringen zu lassen, und gab ihm zu verstehen, dass sie sich unter den gegebenen Umständen lieber von C begleiten lasse. Mit diesem verließ sie gegen 4.30 Uhr die Gaststätte. A war darüber wütend und verfolgte die beiden Fußgänger mit seinem Personenkraftwagen. Er fuhr an ihnen vorbei und entschloss sich in eifersüchtig wütender Gefühlsaufwallung, C "über den Haufen zu fahren“ und auf diese Weise zu töten. Er fuhr gezielt auf C zu, der vom Fahrzeug jedoch lediglich gestreift wurde, weil er sich im letzten Moment mit einem Sprung retten konnte. Die hinter C stehende B konnte jedoch nicht mehr ausweichen, sie wurde – ohne dass A dies für möglich gehalten oder billigend in Kauf genommen hatte – vom Kühler des Wagens erfasst und durch die Luft geschleudert. B war auf der Stelle tot.

Wie hat A sich strafbar gemacht? Zu prüfen ist lediglich der 16. Abschnitt des Strafgesetzbuches mit Ausnahme von § 211 StGB!

Fall 4

(vereinfachte Abwandlung von BGH NStZ 1998, 294 – „Sprengfalle“)

A will den R töten, indem er eine Handgranate in einem Radkasten von dessen Auto anbringt und den Abzug der Granate mit einer Schnur dergestalt mit dem Rad des Autos verbindet, dass bei einer Umdrehung des Rades der Abzug herausgezogen wird und die Handgranate auslöst. Bei der Ausführung des Plans verwechselt A das Auto des R jedoch mit dem Auto des B und bringt die Sprengfalle an dem falschen Fahrzeug an. Kurz nachdem A sich vom Tatort entfernt hat, setzt B sein Fahrzeug in Gang und wird durch die dort angebrachte Sprengfalle getötet.

Wie hat A sich strafbar gemacht? Zu prüfen ist lediglich der 16. Abschnitt des Strafgesetzbuches mit Ausnahme von § 211 StGB!

Fall 5

(nach BGHSt 14, 193 – „Jauchegruben-Fall“)

A und B streiten sich. Daraufhin will A die B am Schreien hindern und steckt ihr deshalb zwei Hände voll Sand in den Mund. Dies geschieht mit bedingtem Tötungsvorsatz seitens der A. B wird schließlich bewusstlos. Daraufhin hält A die B für tot. Zur Beseitigung der vermeintlichen Leiche wirft A sie in eine Jauchegrube. Im Nachhinein stellt sich jedoch heraus, dass B nicht zuvor erstickt, sondern erst in der Jauchegrube ertrunken ist.

Hat A sich gem. § 212 Abs. 1 StGB strafbar gemacht?