Notwendiges Vorwissen: Nötigung (§ 240 StGB); Betrug (§ 263 StGB); Raub (§ 249 StGB)
Allgemeines und Rechtsgut
Die Erpressung gem. § 253 StGB schützt die persönliche Freiheit und das Vermögen. Sie baut – unter Verwendung des mit Blick auf das Nötigungsmittel identischen Wortlauts – auf der Nötigung gem. § 240 StGB auf und ergänzt sie in objektiver Hinsicht um das Erfordernis eines Vermögensnachteils und in subjektiver Hinsicht um die Absicht einer rechtswidrigen, mit dem Vermögensnachteil stoffgleichen Bereicherung. Qualifiziert wird die Erpressung durch die räuberische Erpressung nach § 255 StGB, die den Einsatz der qualifizierten Nötigungsmittel des § 249 StGB verlangt. Die räuberische Erpressung muss also durch Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben begangen werden. Durch den Verweis des § 255 StGB auf den Raub („gleich einem Räuber“) werden dessen Qualifikationstatbestände gem. §§ 250 f. StGB anwendbar.
Große Teile der Literatur verstehen die Erpressung parallel zum Betrug als Selbstschädigungsdelikt. Nach dieser Lesart weisen beide Delikte die Struktur einer vertypten mittelbaren Täterschaft auf, bei der das Opfer vom Täter zu einer Selbstschädigung gebracht wird. Während der Täter beim Betrug das Opfer durch Täuschung instrumentalisiere und dadurch zu einer Vermögensverfügung veranlasse, wende er bei der Erpressung zu diesem Zwecke Zwang an.
Ebenso wie bei der Nötigung nach § 240 StGB indiziert der Tatbestand der einfachen Erpressung nicht die Rechtswidrigkeit. Diese muss vielmehr gem. § 253 Abs. 2 StGB anhand einer Verwerflichkeitsprüfung gesondert festgestellt werden (→ Rn. 39 ff.).
Weiterführendes Wissen: Die Erpressung nach § 253 StGB spielt auch im digitalen Raum eine zunehmend größere Rolle, so etwa in Form von DDoS-Attacken, bei denen – bis zur Zahlung eines „Schutzgeldes“ – gezielt Webseiten überlastet werden, so dass diese keine Anfragen beantworten können, oder in Form von „Ransomware“-Angriffen, bei denen die Täter Daten ihrer Opfer verschlüsseln und erst nach Zahlung eines Lösegeldes die entsprechenden Entschlüsselungscodes herausgeben.
Objektiver Tatbestand
Der objektive Tatbestand des § 253 StGB setzt sich – wie eingangs schon skizziert – aus einer Nötigung (bestehend aus dem Einsatz eines Nötigungsmittels und einem Nötigungserfolg) sowie einem Vermögensschaden zusammen. Zwischen den Elementen muss – unabhängig von der oben angesprochenen Streitfrage um das Erfordernis einer Vermögensverfügung als Nötigungserfolg – jedenfalls eine Final- und Kausalverknüpfung bestehen.
Nötigungsmittel: Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel
Der Erpressungstatbestand sieht als Nötigungsmittel die Gewalt oder die Drohung mit einem empfindlichen Übel vor. Diese Nötigungsmittel entsprechen denen der Nötigung gem. § 240 StGB, daher ist es an dieser Stelle sinnvoll, das entsprechende Kapitel (→ BT I § 15) noch einmal zu lesen.
Gewalt
Unter Gewalt wird der körperlich wirkende Zwang durch die Entfaltung von Kraft oder durch eine physische Einwirkung sonstiger Art verstanden, die nach ihrer Zielrichtung, Intensität und Wirkungsweise dazu bestimmt und geeignet ist, die Freiheit der Willensentschließung oder -betätigung einer anderen Person aufzuheben oder zu beeinträchtigen (zur Historie des Gewaltbegriffs und zum Streitstand siehe → BT I § 15 Rn. 8 ff.).
Da § 253 StGB anders als der Qualifikationstatbestand des § 255 StGB gerade keine „Gewalt gegen eine Person“ fordert, genügt im Rahmen von § 253 StGB auch die Gewalt gegen Sachen. Diese muss aber nach herrschender Meinung wenigstens mittelbar zu einer physischen – und nicht nur psychischen – Zwangswirkung führen, um eine Entgrenzung des Gewaltbegriffs zu vermeiden.
Beispiel Eine Schutzgelderpresserin zerstört das Inventar eines Geschäfts, um den Besitzer zur Geldzahlung zu bringen.
Sehr umstritten ist zudem die Frage, ob Gewalt iSv § 253 StGB auch in Form der vis absoluta, also der willensbrechenden Gewalt, oder nur in Form der vis compulsiva, der willensbeugenden Gewalt, vorliegen kann. Zumindest nach der Literaturansicht, die als Nötigungserfolg eine Vermögensverfügung verlangt (s. näher → Rn. 20), ist Gewalt in Form der vis absoluta ausgeschlossen, weil ein willensgetragenes Verhalten – wie es die Verfügung voraussetzt – unter dem Eindruck von willensbrechender Gewalt nicht mehr möglich ist. Der Meinungsstreit dürfte im Rahmen des Grundtatbestands des § 253 StGB kaum relevant werden, da die Gewaltalternative hier ohnehin kaum einen eigenständigen Anwendungsbereich aufweist. Bei § 255 StGB ist sie aber von großer Bedeutung (→ § 10 Rn. 9 ff.).
Drohung mit einem empfindlichen Übel
Unter einer Drohung wird das Inaussichtstellen eines zukünftigen Übels verstanden, auf dessen Eintritt die drohende Person zumindest behauptet, einen Einfluss zu haben.
Die Drohung kann entweder ausdrücklich ausgesprochen werden oder sich konkludent aus dem Verhalten der drohenden Person ergeben. Von der Drohung abzugrenzen ist die Warnung, bei der der Täter lediglich über das bevorstehende Übel informiert, ohne vorzugeben, auf dessen Verwirklichung einen Einfluss zu haben. In solchen Konstellationen ist an einen Betrug zu denken.
Die Drohung muss gegen die Person gerichtet sein, deren Wille gebeugt werden soll. Darüber hinaus wird überwiegend gefordert, dass der Nötigungsadressat die Drohung auch ernst nimmt, also die Verwirklichung des Übels ernstlich für möglich hält.
Unter einem Übel wird jede von der bedrohten Person als nachteilig empfundene Veränderung verstanden. Diese Veränderung kann auch primär einen Dritten oder eine Sache betreffen (zB wenn A droht, Gewalt gegenüber der Bankkundin auszuüben, um so die hinter dem mit Panzerglas gesicherten Schalter befindliche Bankangestellte zur Herausgabe des Geldes zu nötigen). In diesem Fall stellt sich die Frage, ob ein Näheverhältnis zwischen dem Nötigungsadressaten und dem Dritten bestehen muss oder ob es ausreicht, dass die Veränderung von dem Nötigungsadressaten als eigenes Übel empfunden wird.
Empfindlich ist das Übel, wenn es von einer gewissen Erheblichkeit und somit geeignet ist, einen besonnenen Menschen zu beeindrucken und dazu zu motivieren, sich dem Willen der Drohenden entsprechend zu verhalten. Auch ein rechtmäßiges Verhalten, das in Aussicht gestellt wird, kann ein empfindliches Übel sein, wenn es sich negativ auf das Opfer auswirkt. Allerdings ist hier besonderes Augenmerk auf die Prüfung der Verwerflichkeit gem. § 253 Abs. 2 StGB zu legen. So fehlt es an der Verwerflichkeit etwa dann, wenn zwischen dem erstrebten Zweck und dem eingesetzten Mittel ein innerer Zusammenhang besteht (für konkrete Beispiele → Rn. 39 ff.).
Beispiel: Drohung mit Strafanzeige, Zivilklage, Veröffentlichung bloßstellender Details aus der Privatsphäre oder Kündigung eines Vertrags.
Ebenso wie bei der Nötigung gem. § 240 StGB stellt sich die Frage, ob eine Drohung mit einem Unterlassen unter den Tatbestand des § 253 StGB fallen kann (→ BT I § 15 Rn. 25 ff.). Unproblematisch zu bejahen ist das, wenn das Opfer einen Anspruch auf die Handlung hat, also die Drohende eine Rechtspflicht zu eben der Handlung hat, die zu unterlassen angedroht wird.
Beispiel: Ein viel zitiertes Beispiel aus der Rechtsprechung betrifft den Fall eines Richters, der einem Beschuldigten gegenüber erklärt, dass er gegen Zahlung einer Geldsumme bereit sei, auf seine Frau – die im Verfahren zuständige Staatsanwältin – einzuwirken, damit diese das Verfahren einstelle.
Der Richter droht in dem Beispiel damit, es zu unterlassen, auf seine Ehefrau einzuwirken und damit eine Verfahrenseinstellung herbeizuführen. Allerdings trifft ihn diesbezüglich auch keine Handlungspflicht. Die Rechtsprechung und hM in der Literatur gehen gleichwohl in solchen Fällen von einer Drohung mit einem empfindlichen Übel aus, wenn „der Nachteil von solcher Erheblichkeit [ist], dass seine Ankündigung geeignet erscheint, den Bedrohten im Sinne des Täterverlangens zu motivieren“, was allerdings dann nicht der Fall ist, wenn vom Bedrohten „in seiner Lage erwartet werden kann, dass er der Drohung in besonnener Weise standhält.“
Beispiel: Das OLG Köln lehnte in einem Fall eines sog. „Line“-Managers am Flughafen, der von einem aufgrund der langen Wartezeit besorgten Fluggast 50 EUR verlangte, um ihn an der Warteschlange vorbeizuführen, das Vorliegen eines empfindlichen Übels ab. Das OLG nahm an, dass auch in der Ankündigung des Unterlassens einer rechtlich nicht gebotenen Handlung eine Drohung mit einem Übel liegen könne. Das könne sogar dann der Fall sein, wenn sich die Situation des Opfers nicht verschlechtert, sondern der „status quo“ erhalten bleibt. Das Übel sei in dem vorliegenden Fall aber nicht empfindlich, weil von dem Fluggast in der konkreten Situation erwartet werden konnte, der Drohung in besonnener Weise Stand zu halten. Dazu führte der Senat aus: Der Zeuge habe Kenntnis von den chaotischen Zuständen an Flughäfen nach der Corona-Pandemie gehabt und sich entsprechend der damaligen Empfehlung vier Stunden vor Abflug zum Flughafen begeben. Die extremen Wartezeiten habe er daher in Kauf genommen. Ihm blieb darüber hinaus auch bei Nichtzahlung des Geldes noch die Möglichkeit, seinen Flug zu erreichen. Nach den Gesamtumständen habe das Angebot des „Line“-Managers nicht die erforderliche Zwangsintensität aufgewiesen.
Klausurhinweis: Die Beispiele zeigen, dass die Problematik der Drohung mit einem Unterlassen im Gewand eines Versprechens, etwas zu tun, auftauchen kann und daher gerne übersehen wird.
Eine Korrektur für diejenigen Fälle, in denen das Drohen mit dem Unterlassen einer Handlung lediglich den Status quo für das Opfer verbessert und nicht zu einer Verschlechterung seiner Lage führt, daher keinen Unrechtsgehalt aufweist, kann nach hM über die Verwerflichkeitsprüfung vorgenommen werden (→ Rn. 41 f.).
Demgegenüber geht eine andere Ansicht davon aus, dass eine Drohung mit einem Unterlassen ausschließlich bei Vorliegen einer Rechtspflicht der drohenden Person den Tatbestand des § 253 StGB erfülle.
Weiterführendes Wissen: Interessant bzgl. der Drohung ist ein Fall der „Lebensmittelerpressung“, mit dem sich der BGH im Jahr 2019
Nötigungserfolg
Streit um Vermögensverfügung
Der Erpressungstatbestand § 253 StGB fordert – parallel zu der Formulierung in § 240 StGB – ein „Handeln, Dulden oder Unterlassen“ als Nötigungserfolg. Diesem weiten Wortlaut folgend halten Rechtsprechung und einige Stimmen in der Literatur
Verbreitet wird dagegen in der Literatur
Weiterführendes Wissen: Hält man das letzte Argument für durchschlagend, ist auch denkbar, eine differenzierende Lösung zu vertreten, die nur bei der Sacherpressung eine Vermögensverfügung fordert, bei der Forderungserpressung dagegen auf das Merkmal verzichtet, da Forderungen keine Tatobjekte des § 249 StGB sind und sich das Problem der Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung daher hier nicht stellt.
Verlangt man mit der Literatur einschränkend eine Vermögensverfügung, so ist der Inhalt dieses Erfordernisses zu klären: Wann liegt eine Vermögensverfügung vor? Im Ausgangspunkt besteht Einigkeit darin, dass es sich um ein willensgetragenes, bewusstes Verhalten des Opfers handeln muss, das sich vermögensmindernd auswirkt. Mit dieser Begriffsdefinition ist eine Erpressung bei Anwendung von vis absoluta als Nötigungsmittel im Ergebnis ausgeschlossen, da das Opfer hier nicht mehr kraft eigenen Willens handelt.
Beispiel: Nur dem Opfer ist die Zahlenkombination des Tresors bekannt.
Weiterhin umstritten ist, ob – in Fällen, in denen sich das Opfer diese Schlüsselposition beimisst – die Vermögensminderung unmittelbar, das heißt ohne weitere deliktische Zwischenschritte aus dem Opferverhalten resultieren muss.
Beispiel: Das Opfer gibt seine EC-Karte unter Nennung der PIN heraus. In dieser Konstellation kann der Täter den Zugriff auf das Geld nur durch weitere Schritte realisieren. Fordert man nun einen Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen Opferverhalten und Vermögensminderung, kann man nicht an den endgültigen Vermögensabfluss anknüpfen, der durch das Abheben eintritt. Es ist jedoch zu fragen, ob durch die Herausgabe von Karte und PIN nicht schon eine konkrete Vermögensgefährdung und damit eine Vermögensminderung eintritt.
Vertiefungshinweis: Nachdem nun die Anforderungen bekannt sind, die an eine Vermögensverfügung gestellt werden, erschließt sich auch, warum die hM Strafbarkeitslücken befürchtet, wenn eine Vermögensverfügung verlangt wird. Dies betrifft Fälle, in denen eine qualifizierte Nötigung in Form der vis absoluta vorliegt und der Nötigende zugleich nicht die speziellen Voraussetzungen eines Raubes erfüllt (zB der Täter entreißt dem Opfer gewaltsam das Fahrrad in der Absicht, es nach einer „Spritztour“ zurückzugeben). Im Beispielfall kann weder nach § 249 Abs. 1 StGB bestraft werden (es fehlt am Enteignungsvorsatz) noch (wenn man eine Vermögensverfügung verlangt) nach §§ 253, 255 StGB (das Opfer hatte keinen Einfluss darauf, ob es das Fahrrad verliert), sondern nur nach § 240 StGB oder und ggf. nach § 223 StGB. Demgegenüber macht sich eine Person, die in derselben Situation mit vis compulsiva handelt („Gib mir das Fahrrad oder ich werde dich schlagen!“) wegen einer räuberischen Erpressung gem. §§ 253, 255 StGB strafbar, was von der hM als unbillig empfunden wird.
Klausurhinweise:
Der Streit um das Erfordernis der Vermögensverfügung taucht regelmäßig im Zusammenhang mit dem Klassiker „Raub vs. räuberische Erpressung“ auf. Die Kontroverse kann aber auch im Rahmen einer einfachen Erpressung relevant werden, wie folgendes Beispiel (nach BGH NStZ 2020, 219) zeigt: A fährt mit dem Auto vor K her, von dem A weiß, dass er einen Geldkoffer auf dem Rücksitz hat. An einer Ampel bleibt A stehen und schaltet die Warnblinkanlage an, sodass K nicht weiterfahren kann. Er steigt aus und geht zum Auto des K. K glaubt, A wolle ihn um Hilfe bitten. A reißt blitzschnell die Hintertür auf und flieht mit dem Geldkoffer.
Neben der Prüfung eines Raubes am Geldkoffer, der nach Ansicht des BGH daran scheitert, dass keine Gewalt gegen eine Person angewendet wurde, und des unproblematisch zu bejahenden Diebstahls, wäre eine einfache Erpressung zu prüfen. Insofern wäre einerseits der Begriff der „einfachen“ Gewalt zu problematisieren (Ist es Gewalt, einem anderen Kfz mit dem eigenen Kfz den Weg zu versperren?), andererseits, ob die Erpressung eine Vermögensverfügung des Opfers voraussetzt (an einer solchen Verfügung des K fehlt es ihm Beispielfall nämlich).
Wichtig ist es, daran zu denken, dass auch ein Unterlassen eine Vermögensverfügung darstellen kann. Der typische Fall einer Vermögensverfügung durch Unterlassen ist ein Verzicht auf das Eintreiben einer werthaltigen Forderung aus Angst vor Gewalt oder einem anderen Übel.
Dreieckserpressung
Eng mit der Frage nach dem Erfordernis einer Vermögensverfügung verknüpft, ist die Problematik der sog. Dreieckserpressung
Wird der Erpressung dagegen im Fahrwasser der Rechtsprechung kein Selbstschädigungscharakter zugesprochen, lässt sich widerspruchsfrei vollständig auf ein Näheverhältnis zwischen Nötigungsadressat und geschädigter Person verzichten. Dennoch erachtet auch die Rechtsprechung eine bestimmte Beziehung zwischen nötigender und geschädigter Person als erforderlich. Danach müsse ein
„Näheverhältnis dergestalt bestehen, daß das Nötigungsopfer spätestens im Zeitpunkt der Tatbegehung auf der Seite des Vermögensinhabers steht. Gerade darin, daß der Täter die von einem Dritten im Interesse des Vermögensinhabers wahrgenommene Schutzfunktion mit Nötigungsmitteln aufhebt, liegt der Unrechtsgehalt der Dreieckserpressung“
BGH NJW 1995, 2799 (2800).
Ein solches Näheverhältnis wird bei Vorliegen persönlicher Beziehungen angenommen (zB Verwandtschaft, Lebenspartnerschaft, Ehe). Lediglich eine Nötigung in Tateinheit mit Diebstahl in mittelbarer Täterschaft liege demgegenüber vor, wenn das Nötigungsopfer als Außenstehender den Vermögensinteressen der geschädigten Person gleichgültig gegenüberstehe.
Beispiel für ein fehlendes Näheverhältnis zwischen Genötigtem und Geschädigtem: Der Täter zwingt einen wartenden Passagier am Flughafen, ihm das Gepäck einer anderen Person zu bringen.
Vermögensnachteil
Der Vermögensnachteil entspricht dem Vermögensschaden des Betrugstatbestandes nach § 263 StGB (→ § 11 Rn. 157 ff.). Es wird also eine Gesamtsaldierung aller Aktiva und Passiva vor und nach dem schädigenden Ereignis vorgenommen. Kam es zu einem Vermögensabfluss ohne entsprechende Kompensation, liegt ein Vermögensnachteil des Opfers vor. Die Grundsätze über die Vermögensgefährdung und den persönlichen Schadenseinschlag sowie über den Streit um den Vermögensbegriff, die bereits im Rahmen des Betrugstatbestandes angesprochen wurden, gelten hier entsprechend. Es gibt allerdings Konstellationen, bei denen der Vermögensschaden erpressungsspezifische Probleme aufweist. Beispielhaft zu nennen sind die „Rückverkaufsfälle“, in denen der Täter dem Opfer zunächst einen Gegenstand entwendet und lediglich gegen die Zahlung eines Geldbetrages zur Rückgabe bereit ist.
Beispiel: T stiehlt das Rennpferd des O und ist bereit, es gegen Zahlung von 50.000 EUR zurückzugeben. Ansonsten werde das Pferd geschlachtet.
Geht das Opfer in solchen Fällen auf die Forderung ein und erhält die verlorene Vermögensposition wieder zurück, wirft das die Frage auf, ob ein schadenskompensierendes Äquivalent vorliegt. Bei rein wirtschaftlicher Betrachtung ist das zu verneinen, wenn die zurückerhaltene Vermögensposition „ihr Geld wert“ ist (d. h. wenn im Beispiel der Wiederbeschaffungswert des Rennpferds tatsächlich bei 50.000 EUR läge). Die wohl überwiegende Auffassung nimmt in diesen Fällen gleichwohl aus normativen Gründen einen Vermögensnachteil an, da den Täter eine Pflicht zur unentgeltlichen Rückgabe der Sache trifft.
Umstritten ist auch, ob in Fällen der sog. Sicherungserpressung ein Vermögensnachteil vorliegt. Hinter diesem Schlagwort verbergen sich Fälle, in denen durch eine nachträgliche Nötigungshandlung die aus einer zuvor begangenen Straftat erlangte Beute gesichert werden soll (zB wenn der Vermögensschaden bereits durch einen Betrug entstanden ist, das Opfer dies bemerkt und vom Täter mittels Drohung zum Verzicht auf die Geltendmachung der Forderung bewegt werden soll). Nach der sog. Tatbestandslösung entsteht in dieser Konstellation dann kein weiterer eigenständiger Vermögensschaden, wenn der bereits durch die Vortat entstandene Schaden sich nicht vertieft oder verfestigt. Von einer solchen Verfestigung des durch die Vortat entstandenen Schadens wurde etwa in folgendem Beispiel ausgegangen:
Beispiel: Der Täter steigt ohne Zahlungsabsicht in ein Taxi ein. Nach Erreichen des Zielorts zwingt er den Taxifahrer mittels Drohung mit einem empfindlichen Übel auf das Entrichten des Entgelts zu verzichten.
Hier ist bereits durch das Einsteigen in das Taxi ein Eingehungsbetrug begangen und dadurch ein Gefährdungsschaden verursacht worden. Durch die nachträgliche Nötigungshandlung hat sich dieser Schaden weiter verfestigt, so dass nach der Tatbestandslösung ein Fall des § 253 StGB vorliegt.
Nach der sog. Konkurrenzlösung liegt in derartigen Fällen dagegen stets (d. h. unabhängig von der Frage der Schadensverfestigung) eine tatbestandsmäßige Erpressung vor, die als „mitbestrafte Nachtat“ hinter der Vortat zurücktreten soll.
Subjektiver Tatbestand
Der subjektive Tatbestand setzt neben dem einfachen Vorsatz die Bereicherungsabsicht voraus, also die Absicht sich selbst oder einer dritten Person einen Vermögensvorteil zu verschaffen. Die angestrebte Bereicherung muss – wie beim Betrug – mit dem Vermögensnachteil beim Opfer stoffgleich und zudem rechtswidrig sein. Die Bereicherungsabsicht kann sich auch auf den bloßen Besitz an Sachen beziehen, sofern dem Besitz ein eigenständiger wirtschaftlicher Wert innewohnt.
Stoffgleichheit bedeutet, dass der erstrebte Vermögensvorteil gerade durch den Vermögensnachteil beim Opfer entstehen muss, also die „Kehrseite“ des entstandenen Schadens darstellt. Daran fehlt es, wenn der erstrebte Zufluss aus dem Vermögen Dritter stammen soll, etwa wenn der Täter einen Cafébetreiber zwingt, einen Handel mit Betäubungsmitteln in seinen Räumen zu dulden.
Die erstrebte Bereicherung ist rechtswidrig, wenn der Täter keinen fälligen und durchsetzbaren Anspruch auf den Erhalt des betroffenen Vermögenswertes hat. An dieser Stelle der Prüfung ist es wichtig, die entscheidenden Normen aus dem BGB zu kennen und anzuwenden, falls ein Anspruch in Frage kommt. Fehlt es an der Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils, liegt keine Erpressung, sondern lediglich eine Nötigung vor. Wird irrig ein solcher Anspruch angenommen, ist ein vorsatzausschließender Tatumstandsirrtum gem. § 16 StGB gegeben.
Weiterführendes Wissen: Auch derjenige, der einem Dritten eine Sache durch verbotene Eigenmacht entzogen hat und entsprechend fehlerhaft iSd § 858 Abs. 2 S. 1 BGB besitzt, kann einen Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes nach § 861 BGB haben, wenn ihm selbst der Besitz wiederum durch verbotene Eigenmacht entzogen wurde. In solchen Konstellationen ist dann die erstrebte Bereicherung nicht rechtswidrig. Beispiel: Der A entfernt ein im Eigentum eines Dritten stehendes Motorrad ohne Absprache aus einer Werkstatt und stellt es in seiner eigenen Garage unter, aus welcher es wiederum von B entwendet wird. A macht B ausfindig und bringt das Motorrad mittels Drohung mit körperlicher Gewalt wieder in seinen Besitz, wobei er im ausschließlichen Interesse handelte, dies selbst nutzen zu können (vereinfachter Sachverhalt nach BGH, Beschl. vom 31. Oktober 2023 – 3 StR 282/23). In diesem Fall hatte der A einen Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes nach § 861 BGB und ging zudem davon aus, ein Recht auf Rückführung des Motorrads zu haben. Die erstrebte Bereicherung war damit nicht rechtswidrig.
Rechtswidrigkeit (Verwerflichkeit, § 253 Abs. 2 StGB)
Allgemeine Rechtfertigungsgründe
An dieser Stelle des Prüfungsaufbaus müssen die allgemeinen Rechtfertigungsgründe geprüft werden.
Weiterführendes Wissen: Umstritten ist, inwieweit sich ein Erpressungsopfer gegen Drohungen wehren darf. Nach wohl überwiegender Ansicht stellt eine Erpressung mittels Drohung einen notwehrfähigen Angriff auf die Willensentschließungsfreiheit dar, wobei die ebenfalls hM davon ausgeht, dass der Angriff gegenwärtig ist.
Verwerflichkeitskriterium, § 253 Abs. 2 StGB
§ 253 Abs. 2 StGB enthält eine Verwerflichkeitsklausel. Wie bei der Nötigung (§ 240 Abs. 2 StGB) ist daher im Rahmen der Rechtswidrigkeit zu prüfen, ob die Tat als verwerflich anzusehen ist (→ BT I § 15 Rn. 46 ff.). Als verwerflich ist eine Tat anzusehen, wenn sie auf Grund des Nötigungsmittels, des angestrebten Zwecks oder auf Grund der Zweck-Mittel-Relation in hohem Maße sozialethisch missbilligenswert ist.
Problematisch sind Fälle, in denen mit einem rechtlich erlaubten Handeln (zB einer Strafanzeige) gedroht wird. In der Regel werden hier sowohl der Zweck als auch das Mittel für sich genommen rechtlich gebilligt. Eine Verwerflichkeit kann sich nach hM aus der Relation zwischen dem angestrebten Zweck und dem eingesetzten Mittel ergeben, wenn zwischen beiden kein innerer Zusammenhang besteht (sog. Inkonnexität). Ein solcher Zusammenhang besteht aber zum Beispiel, wenn mit der Erstattung einer rechtmäßigen Strafanzeige für den Fall gedroht wird, dass die „genötigte“ Person nicht ein angemessenes Schmerzensgeld zahlt.
Wird in den Fällen, in denen das Unterlassen einer rechtlich nicht gebotenen Handlung angekündigt wird, eine Drohung mit einem empfindlichen Übel nicht bereits auf tatbestandlicher Ebene abgelehnt (→ Rn. 13 ff.), sondern mit der Rechtsprechung und Teilen der Literatur eine solche bejaht, ist ebenfalls ein besonderes Augenmerk auf die Prüfung der Verwerflichkeit zu legen. Das Verwerflichkeitserfordernis sei nach dem BGH
„(…) im Wege einer konkret-normativen Betrachtung zu prüfen und führt zur Ausscheidung der ‚Unterlassungsfälle‘, in denen nur der Handlungsspielraum des Bedrohten erweitert, die Autonomie seiner Entschlüsse jedoch nicht in strafwürdiger Weise angetastet wird.“
BGH NJW 1983, 765 (767).
Als Kriterium soll es – wie bei der Drohung mit einer rechtmäßigen Handlung – auf die Frage der Konnexität, also dem inneren Zusammenhang, zwischen erstrebten Zweck und eingesetzten Mittel ankommen.
Besonders schwere Fälle, § 253 Abs. 4 StGB
Wie für den Diebstahl nach § 243 StGB sind für die Erpressung besonders schwere Fälle in § 253 Abs. 4 StGB vorgesehen. Diese Regelbeispiele spielen nur im Rahmen der Strafzumessung eine Rolle und sind daher nach der Schuld zu thematisieren. Als besonders schwere Fälle iSd Abs. 4 gelten die Gewerbsmäßigkeit oder die Begehung als Mitglied einer Bande. Für die Definitionen wird im Einzelnen auf §§ 243, 244 StGB verwiesen (zur Gewerbsmäßigkeit → § 2 Rn. 37 ff., zur Bande → § 3 Rn. 39 ff.).
Konkurrenzen
§ 253 StGB wird durch den Qualifikationstatbestand der räuberischen Erpressung gem. §§ 253, 255 StGB im Wege der Spezialität verdrängt. Ebenso wird der § 241 StGB (Bedrohung) im Wege der Spezialität verdrängt. Auch im Verhältnis zur Nötigung gem. § 240 StGB geht § 253 StGB als spezieller vor. Allerdings ist zu beachten, dass in einzelnen Fällen Tateinheit gem. § 52 StGB gegeben sein kann, wenn mit dem Nötigungsmittel über die Bereicherung hinaus ein weiterer Nötigungserfolg angestrebt wird.
Bei mehreren Drohungshandlungen, die auf denselben Erfolg gerichtet sind, liegt nur eine Erpressungstat gem. § 253 StGB vor.
In Ausnahmefällen kann zwischen dem Betrug gem. § 263 StGB und der Erpressung nach § 253 StGB Tateinheit vorliegen. Entscheidend ist hierbei, in welchem Verhältnis die Täuschung zur Drohung steht. Dient die Täuschung lediglich der Stärkung der Drohung, zB indem die Ausführbarkeit vorgespiegelt wird, so liegt nach einer Ansicht bereits tatbestandsmäßig kein Betrug vor (sog. Tatbestandslösung). Nach einer anderen Ansicht wird der Betrug von § 253 StGB konsumiert (sog. Konkurrenzlösung). Wirkt die Täuschung demgegenüber unabhängig von der Drohung auf das Opfer ein und veranlasst dieses zu einer Vermögensverfügung, soll Tateinheit vorliegen.
Beispiel: Das Opfer wird durch Drohung mit einer Strafanzeige einerseits und durch Täuschung über den Willen zur Rückzahlung andererseits zur Überlassung von Geld als Darlehen veranlasst.
Wissen für die Zweite Juristische Prüfung
In der zweiten Juristischen Prüfung ist im B-Gutachten die Einziehung von Taterträgen bzw. des Wertes von Taterträgen zu berücksichtigen, §§ 73, 73c StGB.
Prüfungsaufbau
Tatbestand
Objektiver Tatbestand
Nötigungsmittel
Gewalt
Drohung mit einem empfindlichen Übel
Nötigungserfolg
Vermögensnachteil
Subjektiver Tatbestand
Vorsatz
Absicht stoffgleicher Bereicherung
Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Bereicherung
Vorsatz bzgl. der Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Bereicherung
Rechtswidrigkeit
Allgemeine Rechtfertigungsgründe
Verwerflichkeit, § 253 Abs. 2 StGB
Schuld
Strafzumessung (besonders schwerer Fall, § 253 Abs. 4 StGB)
Weiterführende Studienliteratur und Übungsfälle
Studienliteratur
Brand, Die Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung am Beispiel der Forderungserpressung, JuS 2009, 899
Mitsch, Erpressung mit vergifteten Lebensmitteln, NZWiSt 2022, 181
Roxin, Kann die Drohung mit einem rechtmäßigen Unterlassen eine strafbare Nötigung sein?, ZStW 129 (2017), 277
Übungsfälle
Hüttemann, Fortgeschrittenenklausur – Strafrecht: Ransomwareangriffe – Geld oder Daten?, JuS 2021, 427
Koch/Loy, Übungsfall: Der bestohlene Erpresser, ZJS 2008, 170
Stiel, Anfängerklausur – Strafrecht: Strafrecht BT – Heimspiel für Hennes, JuS 2015, 908