Jens Gerlach Öffentliches Baurecht (Hessen): Übungsfälle Licensed under CC-BY-4.0

Übungsfall 1: Wir brauchen Platz!

Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Baugenehmigung, Zulässigkeit eines Vorhabens im bauplanungsrechtlichen Außenbereich, privilegierte und sonstige Vorhaben, Begünstigung nach § 35 Abs. 4 BauGB, Bestandsschutz

Sachverhalt

M erwirbt Anfang 2022 von B ein Grundstück in der Gemeinde Schwalmstadt-Ziegenhain im hessischen Schwalm-Eder-Kreis. Ein Bebauungsplan existiert dort nicht. Um das Grundstück herum sind weit und breit nur Felder zu sehen. Das Grundstück ist bebaut mit einem hundert Jahre alten, zulässigerweise errichteten Bauernhof, von dem aus früher Ackerbau betrieben und Tiere gehalten wurden. Das Futter für die Tiere wurde durch den Ackerbau gewonnen. Der Bauernhof besteht aus einer Hofstelle, die zum Wohnen und Arbeiten bestimmt war, und zwei großen Ställen, die sich jeweils 300 m entfernt befinden. B hat den Betrieb des Bauernhofs 2016 aufgegeben. Seitdem wurden die Hofstelle nur noch als Wohnung, die Ställe als Garagen benutzt.

Die Bausubstanz der Gebäude ist weiterhin gut. M möchte die Gebäude – Hofstelle und Ställe – daher nur von innen sanieren und fortan als Produktionsstätte nutzen, um dort im größeren Stil Wolle zu verarbeiten und daraus nachhaltige und regionale Outdoor- und Funktionsbekleidung zu fertigen. Er wendet sich an den Kreisausschuss des Schwalm-Eder-Kreises. Dort teilt man ihm mit, dass es für die Änderung der Nutzung hin zu einem Gewerbebetrieb einer Baugenehmigung bedürfe. M reicht am 10. Juni 2022 einen vollständigen Bauantrag beim Kreisausschuss ein, in dem er sich auch verpflichtet, nach der Umnutzung den vormals landwirtschaftlichen Betrieb nicht anderenorts neu aufzubauen. Der Kreisausschuss prüft den Bauantrag und lehnt ihn – nachdem die Gemeinde Schwalmstadt-Ziegenhain das Einvernehmen verweigert hat – am 15. August 2022 schriftlich unter Verweis auf die Lage des Grundstücks im bauplanungsrechtlichen Außenbereich ab. Die Nutzung der Gebäude als Produktionsstätte lasse eine Zersiedelung des ländlichen Raums befürchten. Solche Betriebe gehörten in das Industriegebiet der Gemeinde. Tags drauf erhebt M schriftlich Widerspruch beim Kreisausschuss, der mit der gleichen Begründung zurückgewiesen wird. Der Widerspruchsbescheid wird M am 19. September 2022 zugestellt.

M ist sehr aufgebracht: Die Gebäude seien doch „noch gut“ und stünden dort seit hundert Jahren – was kümmere es den Landkreis, dass dort keine Tiere mehr gehalten würden, sondern nun Wolle produziert werde? M habe Bock, die Welt zu verbessern, für Produktion brauche man aber nun einmal Platz! Es könnten eben nicht alle mit einem MacBook und einem Chai-Latte in Berlin in einem Co-Working-Space sitzen und die zehnte Dating-App erfinden. Manch einer müsse sich auch die Hände schmutzig machen. Wo solle es denn hier zu einer Zersiedelung der Landschaft kommen? Bis zum Horizont sehe man nur ein Feld und wenn man an diesem Horizont ankomme, sei bis zum zum nächsten Horizont immer noch dasselbe Feld. Im Übrigen müsse doch schon aus der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie ein Bestandsschutz dahingehend folgen, dass man die Gebäude weiterhin nutzen dürfe. Am 19. Oktober erhebt M daher „wegen der Ablehnung des Bauantrags“ Klage gegen den Schwalm-Eder-Kreis beim Verwaltungsgericht Kassel.

Hat die Klage des M Aussicht auf Erfolg?

Lösungsvorschlag

Die Klage des M hat Aussicht auf Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist.

Zulässigkeit

Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Mangels aufdrängender Sonderzuweisung richtet sich die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Der Streit um die Ablehnung des Bauantrags bzw. die Erteilung der Baugenehmigung richtet sich nach Normen des öffentlichen Baurechts, das ausschließlich einen Träger öffentlicher Gewalt als solchen berechtigt und verpflichtet und damit nach der Sonderrechtslehre (modifizierten Subjektstheorie) dem öffentlichen Recht angehört. Es handelt sich daher um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Da nicht Verfassungsorgane um Verfassungsrecht streiten, ist die Streitigkeit auch nichtverfassungsrechtlicher Natur. Eine abdrängende Sonderzuweisung ist nicht ersichtlich. Somit ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

Statthafte Rechtsschutzform

Die statthafte Rechtsschutzform richtet sich nach dem Begehren des Rechtsschutzsuchenden (vgl. §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO).

Klausurhinweis zu den Begrifflichkeiten

„Rechtsschutzform“ ist ein Oberbegriff für „Klageart“ und „Antragsart“. Da M hier ausdrücklich „Klage“ erhebt, ist es genau so richtig, „Klageart“ in der Überschrift zu schreiben. Falsch wäre allerdings, in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes von „Klage“ zu sprechen. Die Verwendung des Begriffs „Rechtsschutzform“ vermeidet Fehler und ermöglicht, erst unterhalb der Überschrift zu klären, ob es sich bei der Rechtsschutzform um eine Klage oder einen Antrag im einstweiligen Rechtsschutz handelt. Mit der gleichen Erwägung kann auch § 122 Abs. 1 VwGO zitiert werden, der § 88 VwGO für Beschlüsse (und damit für Fälle des einstweiligen Rechtsschutzes, siehe § 80 Abs. 7 S. 1, § 123 Abs. 4 VwGO) für entsprechend anwendbar erklärt.

M erhebt seine Klage ausdrücklich „wegen der Ablehnung des Bauantrags“. Da es sich bei der Ablehnung eines Bauantrags um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 35 S. 1 HVwVfG handelt, ist an eine Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO zu denken, die darauf gerichtet wäre, dass das Gericht die Ablehnung aufhebt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Allerdings ist das Gericht an die Fassung des Antrags nicht gebunden (§ 88 VwGO) und bei der Auslegung des Antrags analog §§ 133, 157 BGB ist auch das wohlverstandene Interesse des Rechtsschutzsuchenden einzubeziehen. M begehrt, wie sich aus seinem Bauantrag ergibt, die Erteilung einer Baugenehmigung. Durch die bloße Aufhebung des ablehnenden Bescheids vom 15. August 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. September 2022 käme M nicht in den Besitz der gewünschten Baugenehmigung. Dem M geht es daher um die Verpflichtung des Schwalm-Eder-Kreises, die Baugenehmigung – ebenfalls ein Verwaltungsakt im Sinne von § 35 S. 1 HVwVfG – zu erteilen.

Vertiefungshinweis zur Wirkung der Baugenehmigung

Eine Baugenehmigung hat im Wesentlichen zwei Wirkungen:Ausführlich zu den Wirkungen der Baugenehmigung Hermes, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 6 Rn. 126 ff.; Kaiser, in: Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht II, 4. Aufl. 2020, § 41 Rn. 55 ff.

Gestaltungswirkung: Die Baugenehmigung hebt nach § 75 Abs. 1 HBO das Bauverbot auf, verändert die Rechtslage aber dahingehend, dass sie dem Bauherrn das Recht einräumt, das genehmigte Vorhaben umzusetzen (hier also die Nutzung zu ändern). Die Baugenehmigung begründet insofern ein Recht des Bauherrn und ist für diesen ein begünstigender Verwaltungsakt im Sinne von § 48 Abs. 1 S. 2 HVwVfG.

Feststellungs-/Legalisierungswirkung: Eine wirksame und bestandskräftige Baugenehmigung stellt verbindlich auch für andere Träger öffentlicher Gewalt fest, dass das Vorhaben denjenigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht widerspricht, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (§ 74 Abs. 1 HBO). Das bedeutet zum Beispiel, dass die Bauaufsichtsbehörde dem Vorhaben später nicht entgegenhalten kann, es sei bauplanungsrechtlich unzulässig – denn dass das Vorhaben mit Bauplanungsrecht im Einklang steht, ist nach § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HBO und § 66 S. 1 Nr. 1 HBO im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen und feststehender Inhalt der Baugenehmigung. Soweit der Prüfungsumfang der Bauaufsichtsbehörde im Baugenehmigungsverfahren reicht, legalisiert die Baugenehmigung also das Vorhaben – selbst, wenn sich die Bauaufsichtsbehörde bei der Prüfung irrt oder sich die Rechtslage später zu Lasten des Bauherrn ändert. Für die Rechtsanwendung bedeutet das, dass im Tatbestand anderer Vorschriften, die einen Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften voraussetzen (z.B. die §§ 81 f. HBO), ein solcher Widerspruch wegen der Legalisierungswirkung der Baugenehmigung von vornherein nicht angenommen werden darf (und nicht geprüft werden muss). Die Legalisierungswirkung entfaltet sich so lange, bis die Baugenehmigung unwirksam wird, etwa weil sie später nach §§ 48, 49 HVwVfG aufgehoben wird (§ 43 Abs. 2 und 3 HVwVfG). Die Legalisierungswirkung begründet für den Bauherrn einen rechtlich erheblichen Vorteil; auch insofern ist die Baugenehmigung also ein begünstigender Verwaltungsakt im Sinne von § 48 Abs. 1 S. 2 HVwVfG.

Statthaft ist daher eine Verpflichtungsklage gem. § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO.

Vertiefungshinweis: Zusätzliche Anfechtung der Ablehnung des Bauantrags erforderlich?

Eine zusätzliche Anfechtung der Ablehnung des Bauantrags ist nicht erforderlich. Zwar muss die bislang wirksame Ablehnung des Bauantrags aus der Welt, weil sie eine der Baugenehmigung widersprechende Entscheidung ist, und insbesondere darf sie nicht bestandskräftig werden – sonst bindet sie den Schwalm-Eder-Kreis und M und es bleibt dabei. Die Bestandskraft kann M aber schon durch seinen fristgerechten Widerspruch (§ 74 Abs. 2 VwGO lesen!) und nachfolgend die fristgerechte Verpflichtungsklage verhindern. Das Gericht schafft dann, bei Begründetheit der Verpflichtungsklage, die Ablehnung des Bauantrags aus der Welt, indem es ungefähr so tenoriert: „Der Schwalm-Eder-Kreis wird unter Aufhebung der Ablehnung des Bauantrags und des Widerspruchsbescheids dazu verpflichtet, die Baugenehmigung für das Grundstück XY wie beantragt zu erlassen“. Das Gericht verpflichtet also zum einen den Landkreis zur Erteilung der Baugenehmigung und hebt zum anderen die ablehnende Entscheidung und den Widerspruchsbescheid auf. Nach alledem fehlt es M jedenfalls am Rechtsschutzbedürfnis für die Erhebung einer Anfechtungsklage gegen die Ablehnung des Bauantrags.

Klagebefugnis

Da gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, muss M muss geltend machen, durch die Unterlassung der Erteilung der Baugenehmigung in seinen Rechten verletzt zu sein (§ 42 Abs. 2 VwGO). Es muss also möglich, das heißt nicht offenkundig ausgeschlossen, dass B einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung hat. Da Inhalt und Schranken des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG durch die Gesetze bestimmt werden, lässt sich ein Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung nicht verfassungsunmittelbar auf Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG stützen.BVerwG, NVwZ 1998, 842 (844); Kaiser, in: Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht II, 4. Aufl. 2020, § 41 Rn. 26 f. Allerdings ist nicht offenkundig ausgeschlossen und damit möglich, dass M aus § 74 Abs. 1 HBO einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung ableiten kann. Eine Verletzung des M in eigenen Rechten ist daher möglich. M ist klagebefugt.

Ordnungsgemäß und erfolglos durchgeführtes Vorverfahren

Da keine Ausnahme nach § 16a HessAGVwGO einschlägig ist, war vor Erhebung der Verpflichtungsklage nach § 68 Abs. 2, Abs. 1 S. 1 VwGO die Ablehnung des Bauantrags in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Dieses Vorverfahren muss ordnungsgemäß und erfolglos durchgeführt worden sein. M hat im Sinne von § 70 Abs. 1 S. 1 VwGO den Widerspruch innerhalb eines Monats schriftlich beim Kreisausschuss des Schwalm-Eder-Kreises und damit bei derjenigen Behörde erhoben, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Der Kreisausschuss hat den Widerspruch zurückgewiesen. Das Vorverfahren wurde damit ordnungsgemäß und erfolglos durchgeführt.

Klagefrist

Die Klage war gemäß § 74 Abs. 2, Abs. 1 S. 1 VwGO innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids zu erheben. Der Widerspruchsbescheid wurde M am 19. September 2022 zugestellt. Damit wurde die Widerspruchsfrist ausgelöst, die nach § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. §§ 187 Abs. 1188 Abs. 2 BGB mit dem Ablauf des 19. Oktobers 2022 endet. M hat seine Klage am 19. Oktober 2022 damit fristgerecht erhoben.

Richtiger Klagegegner

M hat die Klage nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zurecht gegen den Schwalm-Eder-Kreis als Rechtsträger des Kreisausschusses gerichtet, der den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat.

Beteiligungs- und Prozessfähigkeit

Der Kläger M ist als natürliche und nach dem bürgerlichen Recht geschäftsfähige Person (§§ 2, 104 ff. BGB) nach § 61 Nr. 1 Var. 1 VwGO beteiligungsfähig und nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO prozessfähig. Der Klagegegner, der Schwalm-Eder-Kreis, ist als juristische Person (§ 1 Abs. 1 S. 1 HKO) nach § 61 Nr. 1 Var. 2 VwGO beteiligungsfähig und lässt sich im Prozess nach § 62 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 45 Abs. 1 S. 1 HKO durch den Kreisausschuss vertreten.

Zuständigkeit des Gerichts

Das Verwaltungsgericht Kassel ist gemäß §§ 45, 52 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 4 HessAGVwGO zuständig.

Rechtsschutzbedürfnis

Dem M fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis, wenn eine stattgebende Entscheidung des Gerichts seine rechtliche Stellung nicht verbessern kann oder er auf andere Weise einfacher und schneller zu seinem Ziel kommt. Zwar hat die Gemeinde Schwalmstadt-Ziegenhain ihr Einvernehmen nach § 36 BauGB versagt.Zum gemeindlichen Einvernehmen siehe Will, in: Gornig/Horn/Will, Öffentliches Recht in Hessen, 2. Aufl. 2022, 3. Teil Öffentliches Baurecht § 4 Rn. 456 ff.; Wickel, in: Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht II, 4. Aufl. 2020, § 40 Rn. 263 f. Daher wäre daran zu denken, das Rechtsschutzbedürfnis für eine Verpflichtungsklage auf Erteilung der Baugenehmigung nur dann anzunehmen, wenn der Rechtsschutzsuchende gleichzeitig eine Klage gegen die Gemeinde auf Erteilung des Einvernehmens stellt. Allerdings ist das gemeindliche Einvernehmen ein Vorgang, der sich ausschließlich zwischen dem Landkreis und der Gemeinde abspielt. Auf die Erteilung des Einvernehmens hat ein Bauherr daher keinen Anspruch. Eine Klage gegen die Gemeinde wäre somit schon mangels Klagebefugnis unzulässig. Ist die Verpflichtungsklage aber erfolgreich und hat folglich die Gemeinde ihr Einvernehmen rechtswidrig versagt, ersetzt das Gericht mit seiner Entscheidung das gemeindliche Einvernehmen und kann den Landkreis damit trotzdem zur Erteilung der Baugenehmigung verpflichten. Im Ergebnis fehlt dem M daher nicht das Rechtsschutzbedürfnis aus dem Grund, dass er nicht gleichzeitig die Gemeinde Schwalmstadt-Ziegenhain auf Erteilung des Einvernehmens verklagt hat.

Zwischenergebnis

Die Klage des M ist zulässig.

Klausurhinweis: Prüfung der Beiladung unter B.?

Gemäß § 65 Abs. 2 VwGO ist die Gemeinde Schwalmstadt-Ziegenhein notwendig beizuladen, da sie das gemeindliche Einvernehmen nach § 36 BauGB versagt hat und das Gericht dieses Einvernehmen mit einem der Klage stattgebenden Urteil ersetzt. Die Entscheidung über die Verpflichtung des Schwalm-Eder-Kreises zur Erteilung der Baugenehmigung kann daher gegenüber den Beteiligten rechtlich nur einheitlich ergehen. Häufig wird vorgeschlagen, die Beiladung unter B. zwischen Zulässigkeit und Begründetheit des Rechtsbehelfs zu prüfen.Zum Beispiel bei Will, in: Gornig/Horn/Will, Öffentliches Recht in Hessen, 2. Aufl. 2022, 3. Teil Öffentliches Baurecht § 5 Rn. 643. Logisch und sinnvoll ist das nicht. Die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs, nach denen allein gefragt ist, hängen nicht davon ab, ob das Gericht die Gemeinde Schwalmstadt-Ziegenhein entsprechend der Verpflichtung aus § 65 Abs. 2 VwGO beilädt. Entscheidend ist allein, inwieweit der Rechtsbehelf zulässig und begründet ist. Daher lautet der Obersatz der Prüfung so, wie er lautet, und sind in der Folge auch nur diese beiden Voraussetzungen – Zulässigkeit und Begründetheit – im Gutachten zu prüfen. In einer Examensklausur dürfte es dennoch ratsam sein, die Beiladung unter B. zu prüfen für den Fall, dass die Beiladung in der Lösungsskizze der Examensklausur auftaucht.

Begründetheit

Nach § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO ist die Verpflichtungsklage begründet, soweit die Ablehnung der Baugenehmigung rechtswidrig und M dadurch in seinen Rechten verletzt und die Sache spruchreif ist. Das ist der Fall, soweit M einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung hat. Teilweise ist die Klage nach § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO begründet, wenn es zwar an der Spruchreife fehlt (“andernfalls”), soweit aber die Ablehnung der Baugenehmigung rechtswidrig und M dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Das ist der Fall, soweit M einen fortbestehenden Anspruch auf rechtsfehlerfreie Bescheidung hat.

Klausurhinweis: Obersatz und Aufbau der Begründetheit der Verpflichtungsklage

Es empfiehlt sich, den Obersatz der Verpflichtungsklage stets vollständig aus beiden Sätzen des § 113 Abs. 5 VwGO abzuleiten und sodann im Anspruchsaufbau zweistufig zu prüfen (I. und II.). Dieser Aufbau ist einfach und weniger fehleranfällig. Mit Blick auf den Anspruch auf Erlass des Verwaltungsakts, der die Klage nach § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO vollständig begründet, spielen nämlich Ermessensfehler bei der Ablehnung keine Rolle. Entscheidend ist, dass die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen und ein etwaiges Ermessen auf Null reduziert ist (prozessual: Spruchreife). Erst, wenn festgestellt ist, dass das Ermessen nicht auf Null reduziert ist, ein Anspruch auf Erlass des Verwaltungsakts damit nicht besteht und die Klage insofern nicht vollständig begründet ist, ist dann unter II. auf den fortbestehenden Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung einzugehen. Dieser setzt dann voraus, dass die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind und der Klagegegner den Anspruch rechtswidrig nicht erfüllt hat, also formell rechtswidrig oder ermessensfehlerhaft gehandelt hat. Die Klage ist dann teilweise begründet.Siehe zum Aufbau der Begründetheit der Verpflichtungsklage näher Ehlers, in: Ehlers/Schoch (Hrsg.), Rechtsschutz im Öffentlichen Recht, 2021, § 28 Rn. 53 ff.

Nicht falsch, aber im Gutachtenaufbau doch unschön ist es, wenn der zweite Teil des Obersatzes der Begründetheit, der sich aus § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO ableitet, erst zwischen I. und II. genannt wird. Stattdessen sollte der vollständige Obersatz am Beginn der Begründetheit stehen, auch wenn zu einem Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung später keine Stellung mehr genommen werden muss, weil der Anspruch auf Erlass des Verwaltungsakts die Klage schon vollständig begründet.

Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung

Zu prüfen ist damit zunächst, ob M einen Anspruch gegen den Schwalm-Eder-Kreis auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung hat.

Anspruchsgrundlage

Bei den Gebäuden des ehemaligen Bauernhofs handelt es sich um bauliche Anlagen im Sinne von § 2 Abs. 2 S. 1 HBO, sodass die HBO anwendbar ist (§ 1 Abs. 1 S. 1 HBO). Grundlage für einen Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung ist § 74 Abs. 1 HBO.

Vertiefungshinweis: Bauordnungsrecht und Bauplanungsrecht

Bauordnungsrecht und Bauplanungsrecht sind beide ein Teil des öffentlichen Baurechts. Das Bauplanungsrecht zielt darauf ab, die Konflikte der vielfältigen öffentlichen und privaten Interessen an der baulichen und sonstigen Nutzung von Grund und Boden zu bewältigen. Es geht darum, vorausschauend zu planen, wie Grund und Boden genutzt werden sollen. Da das Bauplanungsrecht „Bodenrecht“ im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG ist, hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz inne. Das Bauplanungsrecht findet sich daher vor allem im BauGB und der auf Grund von § 9a BauGB erlassenen BauNVO wieder.

Das Bauordnungsrecht ist demgegenüber im Wesentlichen besonderes Gefahrenabwehrrecht. Es bezweckt, Gefahren abzuwehren und Störungen zu beseitigen, die von baulichen Anlagen ausgehen. Das betrifft zu einem großen Teil Fragen der baulichen Gestaltung (Statik, Brandschutz, Ästhetik und so weiter). Mangels Gesetzgebungskompetenz des Bundes ist das Bauordnungsrecht Landesrecht und in Hessen in der HBO geregelt.

Teil des Bauordnungsrechts ist es auch, die behördliche Kontrolle und Durchsetzung des Bauplanungsrechts und des baurechtlichen Gefahrenabwehrrechts zu gewährleisten. Dazu bestimmt die HBO die zuständigen Bauaufsichtsbehörden und stattet sie mit bestimmten Instrumenten der präventiven und repressiven Bauaufsicht aus. Vorschriften dazu finden sich in den §§ 60 ff. und §§ 80 ff. HBO. Mit präventiver Bauaufsicht ist gemeint, dass Bauaufsichtsbehörden tätig werden, bevor ein Vorhaben umgesetzt wird, damit es nicht zu Verstößen gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften kommt. Wirksamstes Instrument der präventiven Bauaufsicht ist die Genehmigungsbedürftigkeit eines Vorhabens: Mit dem Vorhaben darf dann erst begonnen werden, wenn die Bauaufsichtsbehörde das Vorhaben geprüft und die Genehmigung erteilt hat.Ausführlich zur präventiven Bauaufsicht Hermes, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 6 Rn. 85 ff. Mit der präventiven Bauaufsicht beschäftigen sich die Übungsfälle 1 und 2, mit der repressiven Bauaufsicht die Übungsfälle 3 und 4.

Anspruchsverpflichtung des Schwalm-Eder-Kreises

Für die Erteilung der Baugenehmigung ist der Kreisausschuss in den Landkreisen als unter Bauaufsichtsbehörde sachlich zuständig (§ 60 Abs. 1 S. 3, S. 1 Nr. 1 Buchst. b) HBO). Örtlich zuständig ist nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 HVwVfG in Angelegenheiten, die sich auf unbewegliches Vermögen oder ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis beziehen, diejenige Behörde, in deren Bezirk das Vermögen oder der Ort liegt. Damit wird aus einem etwaigen Anspruch des M auf Erteilung der Baugenehmigung für ein Grundstück im Schwalm-Eder-Kreis der Schwalm-Eder-Kreis verpflichtet (er ist passiv legitimiert).

Klausurhinweis zur Prüfung der Anspruchsverpflichtung

Die Klage wäre an dieser Stelle unbegründet, wenn M die Klage beispielsweise gegen die Gemeinde Schwalmstadt-Ziegenhain gerichtet hätte. Denn es wäre zwar denkbar, dass M einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung hat – dieser Anspruch richtet sich aber jedenfalls nicht gegen die Gemeinde, sondern gegen den Landkreis. Denn nur der Kreisausschuss des Landkreises ist zuständig für die Erteilung der Baugenehmigung, nur vom Landkreis kann M die Erteilung also verlangen.

Anspruchsvoraussetzungen

Aus § 62 Abs. 1 und Abs. 3 HBO ergibt sich erstens, dass die Erteilung einer Baugenehmigung voraussetzt, dass das fragliche Vorhaben genehmigungsbedürftig ist (§ 62 Abs. 1 S. 1 HBO) oder die Bauherrschaft bei einem Vorhaben, das der Genehmigungsfreistellung unterfällt, die Durchführung eines Baugenehmigungsverfahrens verlangt (§ 62 Abs. 3 HBO). Zweitens darf kein Genehmigungsverfahren mit Konzentrationswirkung dem Baugenehmigungsverfahren vorgehen. Drittens muss der Anspruchssteller einen Bauantrag gestellt und die erforderlichen Unterlagen eingereicht haben (§ 69 Abs. 1 HBO). Die Baugenehmigung ist dann viertens nach § 74 Abs. 1 HBO zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind.

Klausurhinweis zu den AnspruchsvoraussetzungenEin Prüfungsschema für den Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung findet sich bei Hermes, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 6 Rn. 151.

Die formelle Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Bauantrags ist keine Voraussetzung für den Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung und muss daher nachfolgend nicht geprüft werden. Das zeigt die Kontrollüberlegung, dass M auch dann einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung haben könnte, wenn der Kreisausschuss des Schwalm-Eder-Kreises auf seinen Bauantrag einfach gar nicht reagiert hätte. Auch dann wäre eine Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO statthaft. Die formelle Rechtmäßigkeit der Ablehnung würde nur dann relevant, wenn der Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung nicht besteht und unter II. dann ein Anspruch auf rechtsfehlerfreie Bescheidung geprüft wird. Dort kommt es tatsächlich auf das bisherige Verhalten des Kreisausschusses an (siehe dazu oben den Vertiefungshinweis unter dem Obersatz zur Begründetheit).

Hiervon zu unterscheiden sind die Anspruchsvoraussetzung, dass M den Bauantrag bei der zuständigen Bauaufsichtsbehörde gestellt hat (§ 69 Abs. 1 HBO, dazu gleich unten), und die Frage, ob gerade der beklagte Schwalm-Eder-Kreis aus dem Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung verpflichtet ist (dazu soeben oben).

Genehmigungsbedürftigkeit oder Verlangen der Durchführung eines Genehmigungsverfahrens

Nach § 62 Abs. 1 S. 1 HBO bedarf unter anderem die Nutzungsänderung von Anlagen der Baugenehmigung, soweit nichts anderes bestimmt ist.

§ 63 nimmt nach Maßgabe der Anlage zur HBO einige Vorhaben von der Genehmigungsbedürftigkeit aus. Dazu zählen nach Abschnitt III der Anlage auch Nutzungsänderungen, wobei hier nur Nr. 1 in Betracht kommt. Danach ist die Nutzungsänderung von baulichen Anlagen genehmigungsfrei, wenn für die neue Nutzung keine anderen oder weitergehenden öffentlich-rechtlichen Anforderungen in Betracht kommen als für die bisherige Nutzung. Die bisherige Nutzung als Bauernhof, von dem aus Ackerbau betrieben und Tiere gehalten wurden, deren Futter durch den Ackerbau gewonnen wurde, erfüllt die Begriffsmerkmale der Landwirtschaft in § 201 BauGB. Zwischenzeitlich wurden die Gebäude dann nur zum Wohnen verwendet. Die nun geplante Nutzung als Produktionsstätte zur Verarbeitung von Wolle ist eine gewerbliche Nutzung. Es ist möglich, dass sich das Grundstück des M im bauplanungsrechtlichen Außenbereich befindet (§ 35 BauGB) und die neue Nutzung nicht wie die frühere Nutzung einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient (§ 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB), sodass andere öffentlich-rechtliche Anforderungen in Betracht kommen. Damit ist das Vorhaben nicht nach § 63 HBO i.V.m. Abschnitt III Nr. 1 der Anlage zur HBO baugenehmigungsfrei.

Eine Genehmigungsfreistellung nach § 64 Abs. 1 S. 1 HBO kommt auch für Nutzungsänderungen in Betracht.Zur Genehmigungsfreistellung ausführlich Hermes, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 6 Rn. 87 ff. Allerdings hat § 64 Abs. 1 S. 1 HBO mehrere kumulative Voraussetzungen, von denen schon Nr. 1 – die bauliche Anlage liegt im Geltungsbereich eines Bebauungsplans im Sinne von § 30 Abs. 1 BauGB – hier nicht erfüllt ist. Die Nutzungsänderung ist damit nicht freigestellt.

Dessen ungeachtet hat M dadurch, dass er einen Bauantrag gestellt hat, auch deutlich gemacht, dass er im Sinne von § 62 Abs. 3 HBO die Durchführung eines Baugenehmigungsverfahrens verlangt.

Im Ergebnis ist die Nutzungsänderung damit genehmigungsbedürftig.

Kein vorrangiges Genehmigungsverfahren mit Konzentrationswirkung

Ein vorrangiges Genehmigungsverfahren mit Konzentrationswirkung – etwa ein immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren (§ 13 BImSchG) – ist nicht ersichtlich.

Bedeutung der Konzentrationswirkung

Hat ein Genehmigungsverfahren Konzentrationswirkung, so wie es beim immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren der Fall ist (§ 13 BImSchG), schließt die betreffende Genehmigung andere behördliche Entscheidungen mit ein, welche die Anlage betreffen. So muss etwa der Antragssteller in einem immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren nicht zusätzlich ein Baugenehmigungsverfahren durchlaufen – die Baugenehmigung ist Teil der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung. Das bedeutet allerdings auch, dass ein Baugenehmigungsverfahren nicht durchlaufen werden darf, ein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung nicht besteht und eine trotzdem erteilte Baugenehmigung rechtswidrig ist, wenn das Vorhaben immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftig ist.

Einreichen eines Bauantrags bei der zuständigen Bauaufsichtsbehörde

M hat den nach § 69 Abs. 1 HBO erforderlichen Bauantrag beim Kreisausschuss des Schwalm-Eder-Kreises und damit bei der örtlich (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 HVwVfG) und sachlich (§ 60 Abs. 1 S. 3, S. 1 Nr. 1 Buchst. b) HBO) zuständige Bauaufsichtsbehörde eingereicht und alle für die Beurteilung des Vorhabens und die Bearbeitung des Bauantrags erforderlichen Bauvorlagen beigefügt (§ 69 Abs. 2 HBO).

Keine entgegenstehenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften

§ 74 Abs. 1 HBO verweist für den materiellen Prüfungsmaßstab auf diejenigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind. Der Prüfungsmaßstab unterscheidet sich im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren (§ 65 Abs. 1 S. 1 HBO) von demjenigen im Baugenehmigungsverfahren für Sonderbauten (§ 66 S. 1 HBO). Bei den Gebäuden des ehemaligen Bauernhofs handelt es sich nicht um Sonderbauten im Sinne von § 2 Abs. 9 HBO, sodass das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren durchzuführen und der dortige Prüfungsmaßstab maßgeblich ist. Denkbar ist vorliegend allein, dass die Nutzungsänderung im Sinne von § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HBO nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs oder aufgrund des Baugesetzbuchs unzulässig ist.

Klausurhinweis: Vom Bauordnungsrecht ins Bauplanungsrecht

Der materielle Schwerpunkt baurechtlicher Klausurfälle liegt in aller Regel in der Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit eines Vorhabens. Geht es um den Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung, weisen § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HBO und § 66 S. 1 Nr. 1 HBO den Weg aus dem Bauordnungsrecht in das Bauplanungsrecht. Dieser Weg sollte sich in der Klausurbearbeitung nachvollziehen lassen.

Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 30 ff. BauGB

Zu prüfen ist zunächst, ob die Nutzungsänderung bauplanungsrechtlich nach § 35 BauGB zulässig ist.

(1) Anwendbarkeit der §§ 30–37 BauGB (§ 29 Abs. 1 BauGB)

Die Anwendbarkeit der §§ 3037 BauGB setzt ein Vorhaben nach § 29 Abs. 1 BauGB voraus. Die Änderung der Nutzung der Gebäude des ehemaligen Bauernhofs kann bodenrechtliche SpannungenZum Erfordernis der bodenrechtlichen Relevanz der Anlage im Rahmen von § 29 Abs. 1 BauGB siehe Wickel, in: Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), BesVerwR II, 4. Aufl. 2020, § 40 Rn. 207. hervorrufen und stellt sich damit als Nutzungsänderung von baulichen Anlagen im Sinne von § 29 Abs. 1 BauGB dar. Damit ist die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach den §§ 3037 BauGB zu beurteilen.

Vertiefungshinweis: § 29 Abs. 1 BauGB als Eingangstor in das Bauplanungsrecht

§ 29 Abs. 1 BauGB lässt sich als Eingangstor in das Bauplanungsrecht verstehen. Nur solche Vorhaben, welche die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 BauGB erfüllen, sind nach den §§ 3037 BauGB bauplanungsrechtlich zu prüfen. Andere Vorhaben sind demnach ungeachtet der §§ 3037 BauGB zulässig – und auch das bloße unveränderte Bestehenbleiben baulicher Anlagen.

(2) Anwendbarkeit von § 35 BauGB (Außenbereich)

Die Anwendbarkeit von § 35 BauGB setzt weiter voraus, dass sich das Vorhaben im bauplanungsrechtlichen Außenbereich befindet. Die Systematik der §§ 3035 BauGB zeigt, dass Außenbereich all dasjenige ist, was außerhalb des Geltungsbereichs eines Bebauungsplans (§ 30 BauGB) und der im Zusammenhang bebauten Ortsteile (§ 34 BauGB) liegt.

Das Vorhaben befindet sich nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans gemäß § 30 Abs. 1 und 3 BauGB. Ein Bebauungszusammenhang im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB ist eine aufeinander folgende Bebauung, die trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. Ein Ortsteil ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist.BVerwGE 31, 22 (26); BVerwG, NVwZ 1984, 434; ausführlich zum Begriff des im Zusammenhang bebauten Ortsteils Will, in: Gornig/Horn/Will, Öffentliches Recht in Hessen, 2. Aufl. 2022, 3. Teil Öffentliches Baurecht § 4 Rn. 371 ff.; Wickel, in: Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht II, 4. Aufl. 2020, § 40 Rn. 229 ff. Der ehemalige Bauernhof besteht nur aus der Hofstelle sowie zwei ehemaligen Ställen, die noch dazu jeweils 300 m von der Hofstelle entfernt liegen. Andere Gebäude sind von dort aus nicht sichtbar. Es fehlt damit schon an einer geschlossenen und zusammengehörigen Bebauung, jedenfalls aber an einem Bebauungszusammenhang von einigem Gewicht. Damit liegt kein im Zusammenhang bebauter Ortsteil im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB vor. Das Vorhaben liegt damit im Außenbereich. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit richtet sich nach § 35 BauGB.

(3) Zulässigkeit der Nutzungsänderung nach § 35 Abs. 1 BauGB?

Möglicherweise ist die Nutzungsänderung nach § 35 Abs. 1 BauGB zulässig. Hiernach ist ein Vorhaben im Außenbereich zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn das Vorhaben eine der Nutzungsarten nach § 35 Abs. 1 Nr. 1–8 BauGB betrifft. An der Sicherheit ausreichender Erschließung bestehen vorliegend keine Zweifel. Zu prüfen ist aber, ob eine der Nutzungsarten nach § 35 Abs. 1 Nr. 1–8 BauGB einschlägig ist.

Der ehemalige Bauernhof diente einem landwirtschaftlichen Betrieb im Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB (siehe oben). Dieser Betrieb wurde aber schon im Jahr 2016 eingestellt. Die Nutzung der Gebäude als Produktionsstätte für die Verarbeitung von Wolle ist keine Landwirtschaft im Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB.

Denkbar ist einzig, dass es sich bei der Produktionsstätte um ein Vorhaben im Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB handelt, das wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll. Die Vorschrift dient als Auffangtatbestand. Vorauszusetzen ist daher, dass das Vorhaben wegen eines der drei umgebungsbezogenen Merkmale zur Erreichung des mit ihm verfolgten Zwecks auf einen Standort im Außenbereich angewiesen ist.Näher zu § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB Will, in: Gornig/Horn/Will, Öffentliches Recht in Hessen, 2. Aufl. 2022, 3. Teil Öffentliches Baurecht § 4 Rn. 417 ff.; Wickel, in: Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht II, 4. Aufl. 2020, § 40 Rn. 252. Hier verweist der Kreisausschuss auf das Industriegebiet der Gemeinde Schwalmstadt-Ziegenhain, in dem Gewerbebetriebe aller Art zulässig sind (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO). Zudem weist das Vorhaben auch allgemein keinerlei Merkmale auf, die dafür sprechen, dass es nur im Außenbereich ausgeführt werden soll. Bei der Produktionsstätte handelt es sich somit nicht um ein Vorhaben im Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB.

Die Nutzungsänderung ist damit nicht nach § 35 Abs. 1 BauGB zulässig.

Vertiefungshinweis zur Privilegierung der Vorhaben in § 35 Abs. 1 BauGB

Die Vorhaben in § 35 Abs. 1 BauGB werden als privilegierte Vorhaben bezeichnet. Die Hürde für diese Vorhaben, im Außenbereich zugelassen zu werden, ist gegenüber den sonstigen Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB insofern niedriger, als öffentliche Belange „entgegenstehen“ und nicht nur „beeinträchtigt“ sein müssen. Während eine Beeinträchtigung grundsätzlich schon bei einer bloßen Berührung eines öffentlichen Belangs vorliegt, erfordert ein „Entgegenstehen“ darüber hinaus, dass sich der berührte öffentliche Belang im Wege der Abwägung gegenüber dem Interesse an der betreffenden Grundstücksnutzung im Außenbereich durchsetzt.Näher zum Unterschied privilegierter und sonstiger Vorhaben Will, in: Gornig/Horn/Will, Öffentliches Recht in Hessen, 2. Aufl. 2022, 3. Teil Öffentliches Baurecht § 4 Rn. 430 ff.; Wickel, in: Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht II, 4. Aufl. 2020, § 40 Rn. 254 ff.

Die Unterscheidung von privilegierten und sonstigen Vorhaben beruht auf dem Grundsatz, dass der Außenbereich von Bebauung freigehalten werden soll. Dieser Grundsatz kommt im strengen § 35 Abs. 2 BauGB zum Ausdruck. Manche Arten der baulichen Nutzung finden nach der gesetzgeberischen Vorstellung aber gerade im Außenbereich ihren richtigen Platz, etwa weil sie dort die Umgebung weniger stören können. Deswegen werden sie nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegiert.

(4) Zulässigkeit der Nutzungsänderung nach § 35 Abs. 2 i.V.m. § 35 Abs. 4 BauGB?

Nach § 35 Abs. 2 BauGB könne sonstige Vorhaben – das heißt solche, die nicht unter § 35 Abs. 1 BauGB fallen – im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist. Zu prüfen ist daher, ob die geplante gewerbliche Nutzung der Gebäude öffentliche Belange beeinträchtigt.

Nach § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 7 BauGB liegt eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange insbesondere vor, wenn das Vorhaben die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt. Eine Splittersiedlung ist gekennzeichnet durch in einem engeren räumlichen Bereich liegende Bauten, die in keiner organischen Beziehung zu den im Zusammenhang bebauten Ortsteilen stehen oder sich nicht in die geordnete städtebauliche Entwicklung einfügen. Das ist bei den Gebäuden des ehemaligen Bauernhofs, die große Abstände zueinander haben und sehr vereinzelt in einem größeren Umfeld stehen, der Fall. Zu einer Verfestigung der Splittersiedlung kann jedenfalls die Errichtung weiterer Bauten führen. Aber auch die Änderung der Nutzung kann, etwa aufgrund ihrer negativen Vorbildwirkung oder der verstärkten Anwesenheit von Menschen, eine Verfestigung befürchten lassen. Systematisch folgt dieses Auslegungsergebnis aus § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BauGB, wonach gerade einer Nutzungsänderung unter bestimmten Voraussetzungen nicht entgegengehalten werden kann, sie lasse die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten.BVerwG, NVwZ 1985, 825. Vor diesem Hintergrund lässt die geplante Nutzungsänderung durch M, ungeachtet der horizontweiten Felder im Umkreis, die Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten. Damit beeinträchtigt das Vorhaben an sich im Sinne von § 35 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 7 BauGB einen öffentlichen Belang.

Indessen kann nach § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BauGB einer Änderung der bisherigen Nutzung eines Gebäudes nach § 35 Abs. 2 BauGB, das unter den Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB errichtet wurde, unter bestimmten Voraussetzungen nicht entgegengehalten werden, dass es die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt. Das bedeutet: Erfüllt ein solches Vorhaben die Voraussetzungen nach § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BauGB, stellt sich die Befürchtung, es lasse eine Splittersiedlung entstehen, sich verfestigen oder erweitern, entgegen § 35 Abs. 3 S. 1 BauGB nicht als Beeinträchtigung öffentlicher Belange im Sinne von § 35 Abs. 2 BauGB dar. Da die Gebäude als Teil eines landwirtschaftlichen Betriebs und damit unter den Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB errichtet wurden, ist § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BauGB prinzipiell anwendbar. Die weiteren Voraussetzungen ergeben sich aus Buchst. a)–g).

Vertiefungshinweis zur Begünstigung der Vorhaben in § 35 Abs. 4 BauGB

Teilweise werden die Vorhaben in § 35 Abs. 4 BauGB begünstige Vorhaben genannt,So etwa bei BVerwG, NVwZ 1998, 842 (844). weil sie zwar gegenüber den anderen sonstigen Vorhaben im Sinne von § 35 Abs. 2 BauGB besser stehen, aber dennoch nicht die Privilegierung des § 35 Abs. 1 BauGB genießen. Wichtiger als die Begrifflichkeit ist die Erkenntnis, dass der Gesetzgeber mit § 35 Abs. 4 BauGB aktiven Bestandsschutz gewährleistet:Will, in: Gornig/Horn/Will, Öffentliches Recht in Hessen, 2. Aufl. 2022, 3. Teil Öffentliches Baurecht § 4 Rn. 451. Obwohl ein Vorhaben an sich im Außenbereich unzulässig wäre, wird es doch zugelassen, weil es in einem bestimmten Zusammenhang mit einer bisherigen, zumindest früher rechtmäßigen Nutzung des Außenbereichs stand. Zum Begriff des Bestandsschutzes siehe noch unten.

Da die Bausubstanz der Gebäude weiterhin gut ist und offenbar die Anforderungen erfüllt, die M an seine Produktionsstätte stellen würde, dient die Nutzungsänderung im Sinne von § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 Buchst. a) BauGB einer zweckmäßigen Verwendung erhaltenswerter Bausubstanz. Im Einklang mit § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 Buchst. b) BauGB soll auch die äußere Gestalt der Gebäude im Wesentlichen gewahrt bleiben. Nach § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 Buchst. c) BauGB darf die Aufgabe der bisherigen Nutzung nicht länger als sieben Jahre zurückliegen. Ob damit die letzte landwirtschaftliche Nutzung oder eine andere Zwischennutzung gemeint ist, kann dahinstehen, da selbst die letzte landwirtschaftliche Nutzung erst im Jahr 2016 aufgegeben wurde und somit nicht länger als sieben Jahre zurückliegt. Die Gebäude des Bauernhofs wurden vor 100 Jahren und damit vor mehr als sieben Jahren § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 Buchst. d) BauGB zulässigerweise errichtet. Eine Änderung zu Wohnzwecken im Sinne von § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 Buchst. f) BauGB erfolgt nicht und M hat im Sinne von § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 Buchst. g) BauGB auch im Bauantrag eine Verpflichtung übernommen, keine Neubebauung als Ersatz für die aufgegebene landwirtschaftliche Nutzung vorzunehmen.

Problematisch ist damit allein das Merkmal nach § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 Buchst. e) BauGB, wonach das Gebäude im räumlich-funktionalen Zusammenhang mit der Hofstelle des land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs stehen muss. Mit dem Erfordernis eines räumlich-funktionalen Zusammenhangs mit der Hofstelle des landwirtschaftlichen Betriebes wird die Verbindung zu der bisherigen privilegierten landwirtschaftlichen Nutzung nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB hergestellt. Der Zusammenhang muss deshalb zu der Hofstelle desjenigen Betriebes bestehen, von dem das Gebäude seine bisherige Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB abgeleitet hat. Bezugspunkt ist die Hofstelle des landwirtschaftlichen Betriebes, dem das Gebäude bis zur Aufgabe der bisherigen Nutzung gedient hat.Zu alledem BVerwG, NVwZ 2001, 1282 (1283 f.). Von der Hofstelle liegen die Ställe allerdings 300 m entfernt. Es fehlt somit an der erforderlichen räumlichen Nähe. Nur die Hofstelle des ehemaligen Bauernhofs selbst erfüllt die Voraussetzung nach § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 Buchst. e) BauGB.

Die Nutzungsänderung in der Hofstelle selbst erfüllt damit die Voraussetzungen des § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BauGB. Hier beeinträchtigt die Nutzungsänderung keine öffentlichen Belange. Daher ist das Vorhaben insoweit nach § 35 Abs. 2 BauGB im Außenbereich zulässig. Die Nutzungsänderung in den ehemaligen Stellen erfüllt dagegen nicht alle Voraussetzungen von § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BauGB. Daher lässt sie die Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten und beeinträchtigt im Sinne von § 35 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 7 BauGB öffentliche Belange. Sie ist nicht nach § 35 Abs. 2 BauGB zulässig.

(5) Zwischenergebnis

Nach § 35 Abs. 2 BauGB zulässig ist die Nutzungsänderung in der Hofstelle, nicht aber in den ehemaligen Ställen.

Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit aufgrund aktiven Bestandsschutzes

Mit Blick auf die ehemaligen Ställe ist damit allenfalls noch eine bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Nutzungsänderung unter dem Aspekt eines aktiven Bestandsschutzes unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG denkbar. Aktiver Bestandsschutz wird jedoch nur nach Maßgabe des einfachen Rechts gewährt. Art. 14 Abs. 1 GG schützt – aufgrund der Normgeprägtheit des Grundrechts – lediglich das Recht, ein Grundstück im Rahmen der Gesetze zu bebauen und zu nutzen.Lesenswert BVerwG, NVwZ 1998, 842 (844 f.). Einfachgesetzlichen aktiven Bestandsschutz im Außenbereich gewährt § 35 Abs. 4 BauGB. Dort hat der Gesetzgeber Inhalt und Schranken des Eigentums in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise abschließend definiert. Die Nutzungsänderung in den ehemaligen Ställen ist damit auch nicht unter dem Aspekt eines aktiven Bestandsschutzes unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG zulässig.

Vertiefungshinweis zum Bestandsschutz im Baurecht

Der Begriff „Bestandsschutz“ betrifft die Frage, inwieweit der Bauherr auf ursprüngliche oder jedenfalls für einen gewissen Zeitraum bestehende Legalität einer Anlage oder deren Nutzung als Argument für den Bestand oder die Nutzung ins Feld führen kann. Anders als früher lässt sich Bestandsschutz heute nicht mehr unmittelbar aus der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG herleiten, da Inhalt und Schranken durch die Gesetze bestimmt werden (Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG) und es damit ausschließlich Aufgabe des Gesetzgebers ist, bei der Regelung der Zulässigkeit von Vorhaben Rücksicht auf bisherige Nutzungen zu nehmen.BVerwG, NVwZ 1998, 842 (844 f.). Zu unterscheiden sind passiver und aktiver Bestandsschutz:

Passiver Bestandsschutz sichert den gegenwärtigen Zustand. Er gewährleistet, dass der Eigentümer eine bauliche Anlage wie bisher nutzen darf, auch wenn dies nach geltendem Recht eigentlich nicht mehr möglich wäre. Er vermittelt insoweit ein Abwehrrecht gegenüber repressiven bauaufsichtlichen Maßnahmen. Formellen passiven Bestandsschutz vermittelt eine wirksame Baugenehmigung, die auch ein mittlerweile materiell baurechtswidriges Vorhaben legalisiert: Die Legalisierungswirkung (siehe dazu schon oben) lässt die Tatbestandsvoraussetzungen („im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften“) der §§ 81 f. HBO entfallen. Die Baugenehmigung muss daher zunächst nach §§ 48, 49 HVwVfG aufgehoben werden, ehe gegen die bauliche Anlage oder ihre Nutzung vorgegangen werden kann. Materieller passiver Bestandsschutz äußert sich in Form von Vertrauensschutz gegenüber einer Änderung der Rechtslage und ist im Tatbestand oder im Ermessen zu berücksichtigen, das die §§ 81 f. HBO für die jeweilige bauaufsichtliche Maßnahme einräumen. Der materielle passive Bestandsschutz setzt voraus, dass die Anlage/Nutzung ursprünglich oder zumindest zwischenzeitlich für einen bestimmten Zeitraum materiell rechtmäßig war. Weiterführend zum passiven Bestandsschutz Kaiser, in: Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht II, 4. Aufl. 2020, § 41 Rn. 135 ff.

Aktiver Bestandsschutz soll dem Eigentümer unter bestimmten Umständen darüber hinaus das Recht zu einer Erweiterung oder Wiedererrichtung einer baulichen Anlage vermitteln, obwohl dies dem gegenwärtigen Recht an sich entgegensteht. Aktiven Bestandsschutz gewährleistet im einfachen Recht zum einen § 29 Abs. 1 BauGB, der eine bloße identitätswahrende Instandhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen an einer Anlage nicht erfasst.BVerwG, ZfBR 2006, 160 f. Das führt dazu, dass das Vorhaben nicht an den §§ 3037 BauGB zu messen ist, die dem Vorhaben sonst unter Umständen entgegenstünden. Zum anderen gewährleisten § 34 Abs. 3a und § 35 Abs. 4 BauGB aktiven Bestandsschutz, indem die Vorschriften Wiederaufbau, Ersetzung oder Nutzungsänderung von Anlagen zulassen, die in einem untrennbaren Funktionszusammenhang mit einer geschützten baulichen Anlage stehen.

Zwischenergebnis

Der Nutzungsänderung in der Hofstelle stehen keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegen, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind. Anderes gilt für die Nutzungsänderung in den ehemaligen Ställen.

Zwischenergebnis

Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung sind mit Blick auf die Hofstelle erfüllt, mit Blick auf die ehemaligen Ställe nicht.

Zwischenergebnis

M hat einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung nur mit Blick auf die Hofstelle. Die Klage ist insoweit teilweise begründet.

Anspruch auf rechtsfehlerfreie Bescheidung

Da es bereits an den Anspruchsvoraussetzungen für die Erteilung der Baugenehmigung mit Blick auf die ehemaligen Ställe fehlt, hat M in keinem Fall einen fortbestehenden Anspruch auf rechtsfehlerfreie Bescheidung. Die Ablehnung der Baugenehmigung ist insoweit nicht rechtswidrig und verletzt den M nicht in seinen Rechten. Die Klage ist insoweit unbegründet.

Zwischenergebnis

Die Klage ist mit Blick auf den Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung für eine Nutzungsänderung in der Hofstelle teilweise begründet.

Ergebnis

Die Klage ist zulässig und teilweise begründet. Sie hat in diesem Umfang Aussicht auf Erfolg.