Sachverhalt
Der hessische Landtag beschließt Anfang 2022 formell verfassungsgemäß das „Gesetz zur Bündelung kommunaler Schwimmbäder auf Kreisebene“ (BSKG), dessen § 2 folgende Regelung enthält:
Bereitstellung und Betrieb kommunaler Schwimmbäder sind ausschließliche Aufgabe der Landkreise und der kreisfreien Städte. Die Entscheidung über Standort, Größe, Gestaltung und Angebotsstruktur sowie Erhalt bestehender Schwimmbäder ist an den Bedürfnissen der Bevölkerung im gesamten Gebiet des Landkreises oder der kreisfreien Stadt auszurichten.
Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich die Einschätzung des Landesgesetzgebers, dass die allermeisten gemeindlichen Schwimmbäder sich nicht wirtschaftlich betreiben ließen. Der hohe Zuschussbedarf belaste die Gemeinden finanziell, sei ein beliebtes Argument bei den Verhandlungen über den kommunalen Finanzausgleich und lasse letztlich weniger Raum für andere gemeindliche Aufgaben. Eine Untersuchung habe ergeben, dass zu viele Gemeinden eigene Schwimmbäder betrieben, obwohl in ihrem eigenen Gemeindegebiet kein ausreichendes Bedürfnis danach bestehe – mindestens jedes dritte Schwimmbad in Hessen sei überflüssig. Die Verlagerung der Aufgabe, Schwimmbäder bereitzustellen und zu betreiben, auf die Ebene der Landkreise und der kreisfreien Städte verhinderte den ineffizienten Wettbewerb benachbarter Gemeinden um das attraktivere Schwimmbad und höhere Besucherzahlen, ermögliche eine sinnvolle, am Bedarf ausgerichtete Planung und spare Kosten ein.
Die Stadt Gießen befindet sich gerade in den Planungen für ein neues Erlebnisbad und gerät mit dem Landkreis Gießen aneinander, der die Auffassung vertritt, die Stadt mische sich in eine neuerdings ihm zustehende Aufgabe ein, und rechtliche Schritte androht. Das will sich die Stadt Gießen nicht gefallen lassen. Sie ist der Auffassung, § 2 BSKG missachte die verfassungsrechtlich garantierte kommunale Selbstverwaltung. Da auch andere Gemeinden ihren Unmut über das neue Gesetz äußern, entschließt sich die Stadt Gießen dazu, gegen das Gesetz selbst vorzugehen, um die Rechtslage auch für alle anderen Gemeinden zu klären.
A. Mit welchem Rechtsbehelf und vor welchem Gericht kann die Stadt Gießen § 2 BSKG unmittelbar angreifen?
B. Hat dieser Rechtsbehelf Aussicht auf Erfolg?
Lösungsvorschlag
Statthafter Rechtsbehelf und zuständiges Gericht
Die Stadt Gießen begehrt die gerichtliche Überprüfung von § 2 BSKG jedenfalls am Maßstab der Garantie kommunaler Selbstverwaltung. Als Rechtsbehelfe anzudenken sind der Normenkontrollantrag vor dem VGH Kassel (I.), die Individualverfassungsbeschwerde vor dem BVerfG (II.), die Kommunalverfassungsbeschwerde vor dem BVerfG (III.) und die kommunale Grundrechtsklage vor dem Staatsgerichtshof des Landes Hessen (IV.).
Normenkontrollverfahren vor dem VGH Kassel
Nach § 47 Abs. 1 VwGO entscheidet das Oberverwaltungsgericht im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit von Satzungen, die nach den Vorschriften des BauGB erlassen worden sind, und von Rechtsverordnungen auf Grund des § 246 Abs. 2 BauGB und sowie anderen im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften, sofern das Landesrecht dies bestimmt. Eine solche Bestimmung findet sich in § 15 HessAGVwGO. Bei § 2 BSKG handelt es sich zwar um Landesrecht, allerdings um eine Rechtsnorm auf Ebene des Landesgesetzes, gegen die das Verfahren nach § 47 Abs. 1 VwGO nicht statthaft ist. Damit scheidet ein Normenkontrollverfahren gegen § 2 BSKG vor dem VGH Kassel aus.
Individualverfassungsbeschwerde vor dem BVerfG
Denkbar ist die Statthaftigkeit einer Individualverfassungsbeschwerde vor dem BVerfG. Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG kann jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Art. 20 Abs. 4, Art. 33, 38, 101, 103 und 104 GG enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben. Die Garantie kommunaler Selbstverwaltung, die in Art. 28 Abs. 2 GG verankert ist, fällt weder systematisch in den Abschnitt des Grundgesetzes über die Grundrechte (Art. 1–19 GG) noch wird es im Übrigen von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG als grundrechtsgleiches Recht aufgezählt. Es handelt sich damit nicht um ein Recht, das mit der Individualverfassungsbeschwerde durchgesetzt werden könnte.
Klausurhinweis: Begrifflichkeiten bei der Garantie kommunaler Selbstverwaltung
Nach den vorstehenden Ausführungen sollte auch in der Klausur das Recht auf kommunale Selbstverwaltung nicht als Grundrecht bezeichnet werden, auch wenn der statthafte Rechtsbehelf – wie gleich zu zeigen sein wird – in Hessen den Namen „kommunale Grundrechtsklage“ trägt.
Inwieweit die Stadt Gießen unabhängig von der Garantie kommunaler Selbstverwaltung Träger von Grundrechten ist, auf die sie sich mit einer Individualverfassungsbeschwerde berufen könnte, erscheint zweifelhaft. Das wird jedenfalls für die grundrechtsgleichen Rechte (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) auf den gesetzlichen Richter und rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) anzunehmen sein.
Eine Individualverfassungsbeschwerde vor dem BVerfG ist damit nicht statthaft.
Kommunalverfassungsbeschwerde vor dem BVerfG
Zu prüfen ist die Statthaftigkeit einer Kommunalverfassungsbeschwerde vor dem BVerfG. Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG entscheidet das BVerfG über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Art. 28 GG durch ein Gesetz. Dies legt eine Kommunalverfassungsbeschwerde der Stadt Gießen vor dem BVerfG eigentlich nahe. Allerdings ist die Kommunalverfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG und § 91 S. 2 BVerfGG bei Landesgesetzen nur insoweit statthaft, als nicht Beschwerde beim Landesverfassungsgericht erhoben werden kann. Diese Einschränkung bedeutet eine Subsidiarität: Sieht das Landesrecht einen entsprechenden Rechtsbehelf vor, um die Garantie kommunaler Selbstverwaltung gegenüber dem Landesgesetzgeber vor dem Landesverfassungsgericht durchzusetzen, ist die Kommunalverfassungsbeschwerde zum BVerfG grundsätzlich nicht statthaft. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt nur insoweit in Betracht, als die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung nach der Landesverfassung das gleiche Gewährleistungsniveau erreicht, wie es Art. 28 Abs. 2 GG vorsieht. Bleibt die Landesverfassung dahinter zurück, kann eine Kommune ihr Recht auf Selbstverwaltung auf Grundlage von Art. 28 Abs. 2 GG vor dem BVerfG durchsetzen.
Die HV sieht keinen der Kommunalverfassungsbeschwerde entsprechenden Rechtsbehelf vor. Allerdings können nach § 46 HessStGHG Gemeinden und Gemeindeverbände die Grundrechtsklage zum Staatsgerichtshof des Landes Hessen (§ 15 Nr. 5 i.V.m. § 43 Abs. 1 S. 1 HessStGHG) mit der Behauptung erheben, dass Landesrecht die Vorschriften der Verfassung des Landes Hessen über das Recht der Selbstverwaltung verletzt. Da es sich beim Staatsgerichtshof des Landes Hessen um das Verfassungsgericht des Landes Hessen handelt (vgl. Art. 131 Abs. 1, 132 HV) und die kommunale Grundrechtsklage der Kommunalverfassungsbeschwerde auf Bundesebene entspricht, ist die Kommunalverfassungsbeschwerde zum BVerfG subsidiär. Dass die Garantie kommunaler Selbstverwaltung nach Art. 137 HV hinter der Gewährleistung des Art. 28 Abs. 2 GG zurückbliebe und daher ausnahmsweise doch die Kommunalverfassungsbeschwerde vor dem BVerfG statthaft wäre, ist nicht ersichtlich.
Eine Kommunalverfassungsbeschwerde vor dem BVerfG ist damit nicht statthaft.
Vertiefungshinweis: Verhältnis der Kommunalverfassungsbeschwerde vor dem BVerfG zur kommunalen Grundrechtsklage vor dem HessStGHDazu Burgi, Kommunalrecht, 6. Aufl. 2019, § 7 Rn. 6 ff.
Für das Verhältnis der Kommunalverfassungsbeschwerde vor dem BVerfG zur kommunalen Grundrechtsklage vor dem HessStGH gilt zusammengefasst folgendes:
Wendet sich die Kommune gegen Bundesrecht, kommt ausschließlich die Kommunalverfassungsbeschwerde vor dem BVerfG in Betracht.
Wendet sich die Kommune gegen Landesrecht, kommen im Ausgangspunkt beide Rechtsbehelfe in Betracht. Es greift dann aber die Subsidiaritätsklausel in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG und § 91 S. 2 BVerfGG. Es ist also eine kommunale Grundrechtsklage zu erheben. Von dieser Subsidiaritätsklausel wäre nur dann eine Ausnahme zu machen und somit die Kommunalverfassungsbeschwerde zum BVerfG statthaft, wenn Art. 137 HV hinter der Gewährleistung des Art. 28 Abs. 2 GG zurückbliebe, was aber mit Blick auf die gegenwärtige Rechtsprechung nicht ersichtlich ist.
Das BVerfG prüft allgemeinen Grundsätzen entsprechend immer und nur die grundgesetzliche Garantie kommunaler Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 GG, der HessStGH die landesverfassungsrechtliche Garantie kommunaler Selbstverwaltung aus Art. 137 HV.
Kommunale Grundrechtsklage vor dem Staatsgerichtshof des Landes Hessen
Statthaft ist damit die kommunale Grundrechtsklage vor dem Staatsgerichtshof des Landes Hessen nach § 15 Nr. 5 i.V.m. § 46 HessStGHG.
Erfolgsaussichten der kommunalen Grundrechtsklage
Die kommunale Grundrechtsklage der Stadt Gießen hat Aussicht auf Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist.
Zulässigkeit
Vertiefungshinweis zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen
Die kommunale Grundrechtsklage unterliegt grundsätzlich denselben Zulässigkeitsvoraussetzungen wie die allgemeine Grundrechtsklage nach den §§ 43 ff. StGHG. Der HessStGH leitet das aus dem systematischen Zusammenhang ab: Beide Klagearten finden sich unter Nummer 5 des zweiten Abschnitts des zweiten Teils des StGHG unter der gemeinsamen Überschrift „Grundrechtsklage“.
Zuständigkeit des HessStGH
Der HessStGH ist nach § 15 Nr. 5 i.V.m. § 46 HessStGHG für die kommunale Grundrechtsklage zuständig.
Antragsberechtigung
Nach den §§ 46, 19 Abs. 2 Nr. 10 HessStGHG können Gemeinden und Gemeindeverbände eine Grundrechtsklage mit der Behauptung erheben, dass Landesrecht die Vorschriften der Hessischen Verfassung über das Recht der Selbstverwaltung (Art. 137 HV) verletzt. Als Gemeinde ist die Stadt Gießen antragsberechtigt.
Antragsgegenstand
Tauglicher Antragsgegenstand ist nach § 46 HessStGHG „Landesrecht“. Gemeint sind nur Rechtsnormen, das heißt keine Einzelakte.
Antragsbefugnis
Um antragsbefugt zu sein, muss die Stadt Gießen nach § 46 HessStGHG die Behauptung erheben, in ihrem Recht der Selbstverwaltung nach Art. 137 HV verletzt zu sein. Entsprechend § 43 Abs. 2 HessStGHG muss die Stadt Gießen dazu diejenigen Tatsachen angeben, aus denen sich plausibel die Möglichkeit einer Verletzung ihres Selbstverwaltungsrechts ergeben soll. Die behauptete Verletzung des Selbstverwaltungsrechts muss möglich und die Stadt Gießen selbst, gegenwärtig und unmittelbar durch die angegriffene Bestimmung betroffen sein.
Möglichkeit der Verletzung von Art. 137 Abs. 1 HV
Art. 137 Abs. 1 S. 1 HV erklärt die Gemeinden in ihrem Gebiet unter eigenen Verantwortung zu ausschließlichen Trägern der gesamten örtlichen öffentlichen Verwaltung. Dazu gehört es unter anderem, selbst darüber zu entscheiden, welcher Aufgaben der örtlichen öffentlichen Verwaltung sich die Gemeinde annimmt. Zwar handelt es sich bei der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung nicht um ein Grundrecht (siehe oben), sondern um eine institutionelle Garantie. Dass sich die Kommunen dennoch auf die Garantien in Art 137 HV berufen, das heißt hieraus ein Recht ableiten können, zeigt systematisch Art. 137 Abs. 3 S. 1 HV, in dem das „Recht der Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten“ ausdrücklich angesprochen wird.
Klausurhinweis zur subjektiv-rechtlichen Wirkung
Dass Art. 137 HV ein subjektives Recht der Kommunen begründet, ist allgemein anerkannt und bedarf in der Klausur daher keiner ausführlichen Begründung. Empfehlenswert ist aber ein zumindest kurzer Hinweis im eben dargestellten Umfang. Jedenfalls sollte immer deutlich bleiben, dass es sich bei Art. 137 HV nicht um ein Grundrecht handelt.
Dass der Entzug der Aufgabe, kommunale Schwimmbäder bereitzustellen und zu betreiben, durch § 2 BSKG in dieses Recht der Gemeinden eingreift und zudem die verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen solchen Eingriff nicht eingehalten sind, ist nicht von vornherein offenkundig ausgeschlossen. Damit erscheint eine Verletzung von Art. 137 HV möglich.
Betroffenheit selbst, gegenwärtig und unmittelbar
§ 2 BSKG gilt seit Anfang 2022 und betrifft die Stadt Gießen damit gegenwärtig und als Gemeinde auch selbst. Mit Blick auf das Erfordernis der unmittelbaren Betroffenheit ist zu berücksichtigen, dass die kommunale Grundrechtsklage sich – anders als die allgemeine Grundrechtsklage (§ 43 Abs. 1 S. 1 HessStGHG) – nur gegen Rechtsnormen, nicht aber gegen Einzelakte zulässig ist. Das führt dazu, dass die Gemeinde selbst dann, wenn sie einen etwaigen Einzelvollzugsakt abwartet und gegen diesen fachgerichtlich vorgeht, nach Erschöpfung dieses Rechtswegs wiederum nur die zugrunde liegende Rechtsnorm im Wege der kommunalen Grundrechtsklage angreifen könnte. Aus diesem Grund fehlt es an der Unmittelbarkeit der Betroffenheit bei der kommunalen Grundrechtsklage nur dann, wenn noch ein weiterer Vollzugsakt in Form einer Rechtsnorm erforderlich wäre, beispielsweise einer Rechtsverordnung aufgrund einer im Wege der kommunalen Grundrechtsklage schon angegriffenen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage.
Zwischenergebnis
Die Stadt Gießen ist somit antragsbefugt.
Richtiger Antragsgegner
Nach § 43 Abs. 3 HessStGHG ist die Grundrechtsklage bei Verletzung eines Grundrechts durch Organe oder Behörden gegen deren Träger zu richten. Für die kommunale Grundrechtsklage bedeutet das sinngemäß, dass die Klage gegen den Träger desjenigen Organs zu richten ist, das die angegriffene Rechtsvorschrift erlassen hat. Das ist hier das Land Hessen als Träger des Landtags.
Vertiefungshinweis: Kontradiktorischer Charakter der Grundrechtsklage
Anders als die (Individual- oder Kommunal-)Verfassungsbeschwerde zum BVerfG ist die allgemeine und die kommunale Grundrechtsklage nach dem HessStGHG kontradiktorisch ausgestaltet. Das ergibt sich aus § 43 Abs. 3 HessStGHG, der anordnet, dass es einen Antragsgegner gibt und wer das ist. Das bedeutet, dass das Land Hessen in dem Verfahren nicht einfach nur angehört wird, sondern als Antragsgegner vollständig an dem Verfahren beteiligt ist.
Rechtswegerschöpfung und Subsidiarität
Nach § 44 Abs. 1 S. 1 HessStGHG kann die Grundrechtsklage erst erhoben werden, wenn der Rechtsweg erschöpft ist, falls für den Gegenstand der Grundrechtsklage der Rechtsweg zulässig ist. Gegen ein förmliches Gesetz gibt es indessen keinen zu erschöpfenden Rechtsweg.
Vertiefungshinweis: Rechtswegerschöpfung im Fall einer Rechtsverordnung
Gegen eine Rechtsverordnung des Landes steht nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 15 HessAGVwGO an sich das Normenkontrollverfahren vor dem VGH Kassel offen. Das legt nahe, die kommunale Grundrechtsklage nach § 44 Abs. 1 S. 1 HessStGHG erst zuzulassen, wenn das VGH Kassel keine Abhilfe geschaffen hat. Allerdings bestimmt § 47 Abs. 3 VwGO, dass das OVG die Vereinbarkeit der Rechtsvorschrift mit Landesrecht nicht prüft, soweit gesetzlich vorgesehen ist, dass die Rechtsvorschrift ausschließlich durch das Verfassungsgericht eines Landes nachprüfbar ist. Eine solche Bestimmung findet sich in Art. 132 HV. Das bedeutet: Soweit nur eine Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung aus Art. 137 HV im Raum steht, ist das Normenkontrollverfahren nicht statthaft und gehört damit auch nicht zu einem nach § 44 Abs. 1 S. 1 HessStGHG zu erschöpfenden Rechtsweg.
Da die kommunale Grundrechtsklage nur gegen Rechtsnormen, nicht aber gegen Einzelakte zulässig ist, ist sie auch nicht gegenüber fachgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten gegen einen etwaigen Einzelvollzugsakt subsidiär.
Klagefrist
Die Stadt Gießen kann die einjährige Klagefrist (§ 45 Abs. 2 HessStGHG) ab Inkrafttreten des § 2 BSKG noch einhalten.
Zwischenergebnis
Die kommunale Grundrechtsklage der Stadt Gießen ist zulässig.
Begründetheit
Die kommunale Grundrechtsklage ist begründet, soweit § 2 BSKG das Recht der Stadt Gießen auf Selbstverwaltung aus Art. 137 Abs. 1 HV verletzt (vgl. § 46 HessStGHG).
Klausurhinweis zum Aufbau der Begründetheit
Das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen ist kein Grundrecht, sondern die subjektiv-rechtliche Kehrseite einer institutionellen Garantie (siehe oben). Daher sollte es nicht als Grundrecht bezeichnet werden. Der Aufbau der Prüfung, ob das Selbstverwaltungsrecht verletzt ist, entspricht dennoch der Prüfung einer Grundrechtsverletzung und kann in die drei Punkte „Betroffenheit des Gewährleistungsgehalts“, „Staatlicher Eingriff“ und „Verfassungsrechtliche Rechtfertigung“ unterteilt werden.
Betroffenheit des Gewährleistungsgehalts der Garantie kommunaler Selbstverwaltung
Nach Art. 137 Abs. 1 HV sind die Gemeinden in ihrem Gebiet unter eigener Verantwortung die ausschließlichen Träger der gesamten öffentlichen Verwaltung. Sie können jede öffentliche Aufgabe übernehmen, soweit sie nicht durch ausdrückliche gesetzliche Vorschrift anderen Stellen im dringenden öffentlichen Interesse ausschließlich zugewiesen ist. Diese Bestimmung ist Teil einer institutionellen Garantie mit zwei Dimensionen: Neben die hier ersichtlich nicht einschlägigen institutionellen Rechtssubjektsgarantie, welche den Fortbestand der Institutionen Gemeinde und Gemeindeverband als solche gewährleistet, tritt die institutionelle Garantie gemeindlicher Selbstverwaltung
Vertiefungshinweis zur institutionellen Rechtssubjektsgarantie
Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 137 Abs. 1 und Abs. 2 HV begründen neben der hier einschlägigen institutionellen Garantie gemeindlicher Selbstverwaltung auch eine institutionelle Rechtssubjektsgarantie.
Allerdings wird der Bestand einer einzelnen Gemeinde oder eines einzelnen Gemeindeverbands nicht garantiert. Gegen eine Bestandsänderung (durch Auflösung) oder eine Gebietsänderung kann sich die betroffene Kommune daher grundsätzlich nicht verfassungsrechtlich wehren. Die Rechtsprechung unterwirft solche Bestands- oder Gebietsänderungen mittlerweile aber bestimmten Mindestanforderungen, die einfachgesetzlich in den §§ 15 ff. HGO und §§ 13 ff. HKO normiert sind. Diese Mindestanforderungen kann die betroffene Kommune im Verwaltungsrechtsweg geltend machen. Vor diesem Hintergrund ist davon die Rede, dass die institutionelle Rechtssubjektsgarantie von einer zumindest beschränkt-individuellen Bestandsgarantie zugunsten einzelner Kommunen begleitet wird.
Inhalte der institutionellen Garantie gemeindlicher Selbstverwaltung
Das mit der institutionellen Garantie gemeindlicher Selbstverwaltung verbundene subjektive Recht der Gemeinden auf Selbstverwaltung betrifft zum einen die Aufgabenverteilung: Es sichert den Gemeinden die Allzuständigkeit für die Wahrnehmung aller öffentlichen Angelegenheiten in ihrem Gemeindegebiet („die ausschließlichen Träger der gesamten örtlichen öffentlichen Verwaltung“). Dieses Recht ist betroffen, wenn der Gemeinde eine bestimmte Aufgabe entzogen, die Aufgabe also auf eine höhere Ebene verlagert (sog. Hochzonung).
Zum anderen betrifft die institutionelle Garantie gemeindlicher Selbstverwaltung die Aufgabenerledigung: Es räumt den Gemeinden die Befugnis ein, die Geschäfte in diesem Bereich eigenverantwortlich zu führen („unter eigener Verantwortung“).
Keine Beschränkung auf Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft
Beide Gewährleistungen der institutionellen Garantie gemeindlicher Selbstverwaltung beziehen sich nach dem Wortlaut Art. 137 Abs. 1 S. 1 HV auf die gesamte örtliche öffentliche Verwaltung. Das wirft die Frage auf, was mit der Örtlichkeit der öffentlichen Verwaltung gemeint ist.
Der Begriff der Örtlichkeit findet sich zwar auch in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG. Dort wird er aber anders verwendet, da es dort um „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ geht. Der Begriff der Örtlichkeit bezieht sich in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG also auf die Gemeinschaft und grenzt damit einen Teil aller öffentlichen Aufgaben, nämlich diejenigen mit einem überörtlichen Charakter, schon aus dem Gewährleistungsgehalt der Garantie aus.
In Art. 137 Abs. 1 S. 1 HV bezieht sich die Örtlichkeit dagegen auf die Verwaltung und lässt sich damit dahingehend verstehen, dass es um die am Ort stattfindende Verwaltung geht – ohne Rücksicht darauf, ob es sich bei der Verwaltung um Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft handelt. Dafür spricht systematisch auch Art. 137 Abs. 1 S. 2 HV, wonach die Gemeinden grundsätzlich jede öffentliche Aufgabe übernehmen können – auch dieser Satz beschränkt die Aufgaben nicht auf Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. Ein weiteres Indiz für die Richtigkeit dieser Auslegung bietet die einfachgesetzliche Vorschrift in § 2 HGO, die auf den Begriff der Örtlichkeit vollständig verzichtet und der zufolge die Gemeinden grundsätzlich ausschließliche und eigenverantwortliche Träger der öffentlichen Verwaltung sind.
Aus alledem folgt, dass Art. 137 Abs. 1 HV weiter reicht als Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG und der Gewährleistungsgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung nicht auf Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft eingegrenzt ist.
Betroffenheit des gemeindlichen Rechts der Selbstverwaltung durch Entzug der Aufgabe Bereitstellung und Betrieb von kommunalen Schwimmbädern
Bei der Bereitstellung und dem Betrieb von kommunalen Schwimmbädern handelt es sich um eine Aufgabe der öffentlichen Verwaltung (vgl. § 19 Abs. 1 HGO), die vor Ort stattfindet und damit den notwendigen örtlichen Charakter im Sinne von Art. 137 Abs. 1 S. 1 HV aufweist. Ob es sich um eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft handelt, darauf kommt es an dieser Stelle – wie gesehen – nicht an. Da § 2 BSKG den Gemeinden diese Aufgabe entzieht und sie auf die Landkreise und kreisfreien Städte überträgt, ist der Gewährleistungsgehalt des subjektiven Rechts der Gemeinden auf Selbstverwaltung aus Art. 137 Abs. 1 HV in Gestalt der Allzuständigkeit betroffen.
Staatlicher Eingriff
Bei dem Entzug der Aufgabe der Bereitstellung und des Betriebs kommunaler Schwimmbäder § 2 BSKG handelt es sich um einen staatlichen Eingriff des Landes Hessen in das subjektive Recht der Gemeinden auf Selbstverwaltung.
Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Möglicherweise ist der Eingriff in Art. 137 Abs. 1 HV aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
Verfassungsrechtliche Eingriffsermächtigung (Schranke)
Art. 137 Abs. 1 S. 2 HV spricht den Gemeinden die öffentlichen Aufgaben nur insoweit zu, als sie nicht durch ausdrückliche gesetzliche Vorschrift anderen Stellen im dringenden öffentlichen Interesse ausschließlich zugewiesen sind. Mit Blick auf die Allzuständigkeit der Gemeinden im Bereich der örtlichen öffentlichen Verwaltung enthält Art. 137 Abs. 1 S. 2 HV damit einen Gesetzesvorbehalt. § 2 BSKG ist eine solche ausdrückliche gesetzliche Vorschrift.
Vertiefungshinweis zur Reichweite des Gesetzesvorbehalts
Dem Wortlaut nach betrifft der Gesetzesvorbehalt nur die Übernahme einer Aufgabe („ob“) und damit die Aufgabenverteilung. Mittels eines Gesetzes einschränkbar ist aber im Ergebnis auch die Art und Weise der Aufgabenwahrnehmung („wie“). Systematisch spricht dafür Art. 137 Abs. 3 S. 2 HV, demzufolge eine staatliche Aufsicht darüber vorgesehen ist, dass die Verwaltung im Einklang mit den Gesetzen geführt wird. Wenn die Verfassung davon ausgeht, dass die Staatsaufsicht die Art und Weise der Aufgabenwahrnehmung auf ihre Vereinbarkeit mit den Gesetzen überprüfen kann, dann muss sie auch Gesetze für zulässig halten, die diese Art und Weise der Aufgabenwahrnehmung regeln.
Anforderungen an das eingreifende Gesetz (Schranken-Schranken)
Gesetze, die das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht auf dieser Grundlage beschränken, unterliegen allerdings ihrerseits Schranken. Zunächst ist der Prüfungsmaßstab zu bestimmen, ehe die Wahrung der Anforderungen an das eingreifende Gesetz im vorliegenden Fall zu beurteilen ist.
Prüfungsmaßstab
(1) Zuordnung des Eingriffs zum Randbereich des Selbstverwaltungsrechts
Von vornherein unzulässig ist es, den Wesensgehalt des gemeindlichen Rechts der Selbstverwaltung auszuhöhlen. Davon ist auszugehen, wenn ein Gesetz den Kernbereich des Selbstverwaltungsrechts antastet.
Vertiefungshinweis zum Kernbereich
Mit Blick auf die Eigenverantwortlichkeit der Gemeinde wäre ein Eingriff in den Kernbereich anzunehmen, wenn die die Gemeinde keinen ausreichenden Spielraum zur Ausübung der Selbstverwaltung mehr hat, wenn insbesondere eine Gemeindehoheit insgesamt nicht mehr besteht.
(2) Anforderungen an die Rechtfertigung im Randbereich
Art. 137 Abs. 1 S. 2 HV verlangt für einen Eingriff in die Allzuständigkeit der Gemeinde durch den Entzug einer Aufgabe ein dringendes öffentliches Interesse. Diese Wendung ist ausfüllungsbedürftig und verlangt dem Normgeber eine Abwägung der widerstreitenden Interessen ab, die der HessStGH auf seine Vertretbarkeit hin zu überprüfen hat.
Bei dieser Abwägung muss der Normgeber das verfassungsrechtliche Aufgabenverteilungsprinzip zugunsten der Gemeinden beachten. Sowohl Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG
Vertiefungshinweis zum Prüfungsmaßstab bei einem Eingriff in die Eigenverantwortlichkeit der Aufgabenerledigung
Steht nicht wie hier der Entzug einer Aufgabe im Raum, sondern ein Eingriff in die Eigenverantwortlichkeit der Aufgabenerledigung, also etwa die Begründung einer Pflichtaufgabe oder ein Eingriff in die Art und Weise der Aufgabenerledigung, ist das Aufgabenverteilungsprinzip nicht betroffen und damit keine Schranken-Schranke. Maßgeblich ist in solchen Fällen der allgemeine Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der auch im Staatsorganisationsrecht gilt.
Zweifelhaft ist allerdings, wie weit dieses Aufgabenverteilungsprinzip im Anwendungsbereich von Art. 137 Abs. 1 HV reicht. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG beschränkt schon den Gewährleistungsgehalt des gemeindlichen Rechts der Selbstverwaltung auf Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. Dementsprechend erfasst auch das Aufgabenverteilungsprinzip nur solche Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft – andere Aufgaben darf der Gesetzgeber frei zuordnen. Der Gewährleistungsgehalt des Art. 137 Abs. 1 HV reicht – wie gesehen – weiter als derjenige des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG und erfasst die gesamte örtliche öffentliche Verwaltung. Damit stellt sich die Frage, ob das in Art. 137 Abs. 1 HV verankerte Aufgabenverteilungsprinzip die gesamte örtliche öffentliche Verwaltung erfasst oder wie in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG auf Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft beschränkt ist. Eine Erstreckung auf alle Angelegenheiten würde zwar die kommunale Selbstverwaltung noch weiter stärken. Für eine Beschränkung auf Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft spricht indessen, dass die Abgrenzung der örtlichen und überörtlichen Aufgaben der erheblich unterschiedlichen Intensität des mit dem Aufgabenentzug verbundenen Eingriffs Rechnung trägt und dass dem Landesgesetzgeber im Bereich der überörtlichen Aufgaben mehr Flexibilität verbleibt. Die Weite des Gewährleistungsgehalts behält immerhin noch insofern ihren Sinn, als durch das Erfordernis eines (wenn auch schwächeren) dringenden öffentlichen Interesses der Entzug einer überörtlichen Aufgabe die (wenn auch leichter) zu rechtfertigende Ausnahme von der Regel gemeindlicher Zuständigkeit bleibt. Es ist daher im Ergebnis davon auszugehen, dass das verfassungsrechtliche Aufgabenverteilungsprinzip in Art. 137 Abs. 1 HV nur Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft erfasst.
Vertiefungshinweis zum Prüfungsmaßstab
Bei der Prüfung eines Abwehrgrundrechts im Rahmen einer Individualverfassungsbeschwerde wird die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes vollständig geprüft. Die Grundrechte schützen in ihrer Funktion als Abwehrrechte vor jeglichem verfassungswidrigen Zwang. Das heißt: Solange nur ein Eingriff in den Schutzbereich des jeweiligen Grundrechts vorliegt, führt jegliche Verletzung auch objektiven Verfassungsrechts dazu, dass der Eingriff verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist.
Diese Grundsätze gelten bei der kommunalen Grundrechtsklage (und der Kommunalverfassungsbeschwerde vor dem BVerfG) nicht.
Das BVerfG prüft insbesondere folgende Vorschriften des Grundgesetzes:
Art. 70 GG,
BVerfGE 56, 298 (310 f.). wonach kommunale Angelegenheiten in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder fallen: Das bedeutet, dass sich eine Kommune einen Eingriff in das Recht der Selbstverwaltung auch dann erfolgreich abwehren kann, wenn er sich zwar inhaltlich rechtfertigen lässt, aber unter Verstoß gegen Art. 70 GG nicht dem Land, sondern dem Bund zurechenbar ist.Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG (Durchgriffsverbot):
BVerfGE 155, 310 (Rn. 59 ff.). Durch Bundesgesetz dürfen Gemeinden und Gemeindeverbänden Aufgaben nicht übertragen werden. Hintergrund dieser Regelung ist der Umstand, dass die Kommunen nach Art. 137 Abs. 6 HV nur gegen das Land einen finanziellen Ausgleichsanspruch haben, wenn das Land sie zur Erfüllung stattlicher Aufgaben verpflichtet. Folgen soll auch nur das Land – und eben nicht der Bund – befugt sein, den Kommunen Aufgaben aufzuerlegen.Art. 106 Abs. 5, Abs. 5a und Abs. 6 GG über die Finanzausstattung der Gemeinden und ihr Hebesatzrecht
Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG (Demokratieprinzip)
Der HessStGH prüft diese Vorschriften nicht, da zu seinem Prüfungsmaßstab nur Vorschriften der HV zählen.
Art. 137 Abs. 5 HV über die Finanzausstattung der Gemeinden
Art. 137 Abs. 6 HV (Konnexitätsregelung):
Vgl. HessStGH, LKRZ 2012, 323 (324). Erlegt das Land den Kommunen finanzwirksame Aufgaben auf, muss es einen finanziellen Ausgleich schaffen.
In der Klausur müssen diese weiterreichenden, dem Prüfungsmaßstab angehörigen Vorschriften nur angesprochen werden, wenn sich aus dem Sachverhalt ein Hinweis darauf ergibt, dass sie verletzt sein könnten.
Wahrung der Anforderungen an das eingreifende Gesetz
(1) Entzug einer Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft
Wie hoch die Anforderungen an das eingreifende Gesetz, namentlich an das dringende öffentliche Interesse sind, hängt somit davon ob, ob es sich bei der Bereitstellung und dem Betrieb kommunaler Schwimmbäder um eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft handelt.
Was als Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft gilt, lässt sich nicht aus dem Wortlaut ableiten. Mit Blick auf die Gründe für die verfassungspolitische Entscheidung zugunsten der kommunalen Selbstverwaltung liegt es nahe, unter Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft solche Bedürfnisse und Interessen zu verstehen, die – unabhängig von der Leistungsfähigkeit und Verwaltungskraft der jeweiligen Gemeinde – in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der Gemeinde betreffen. Dabei kann einbezogen werden, ob eine Aufgabe traditionell für das Bild der typischen Gemeinde charakteristisch ist, wobei Neuentwicklungen infolge veränderter Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen ist.
Kommunale Schwimmbäder sind öffentliche Einrichtungen, zu deren Bereitstellung § 19 Abs. 1 HGO die Gemeinden berechtigt und verpflichtet. Diese Bestimmung des einfachen Rechts kann zwar die betreffende Aufgabe nicht verfassungsrechtlich zuordnen. Allerdings lässt sich als Indiz zugunsten einer Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft immerhin festhalten, dass die Bereitstellung öffentlicher Einrichtungen traditionell für das Bild der typischen Gemeinde charakteristisch ist und sich insofern bislang auch die Rahmenbedingungen auch nicht ersichtlich verändert haben. Mit der Bereitstellung und dem Betrieb öffentlicher Einrichtungen wie namentlich kommunaler Schwimmbäder reagiert die Gemeinde auf Bedürfnisse der Erholung, der Freizeitgestaltung und des sozialen Miteinanders, das gerade die Gemeindeeinwohner teilen und das sie nach Möglichkeit in ihrer eigenen Gemeinde, mit ihren Mitbewohnern und ohne große Wege in andere Gemeinde befriedigen möchten. Wie dieses Bedürfnis im Einzelnen beschaffen ist, welches Maß und welche konkreten Eigenheiten (zum Beispiel eher kultureller oder eher sportlicher Art) dieses Bedürfnis also hat, ist von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich, was den örtlichen Charakter der Angelegenheit noch weiter unterstreicht. Schließlich kann auch der Umstand, dass nach Einschätzung des Landesgesetzgebers jedes dritte Schwimmbad überflüssig sei, den örtlichen Charakter nicht infrage stellen, sondern deutet schlicht auf eine Fehlplanung einzelner Gemeinden hin. Die Bereitstellung und der Betrieb kommunaler Schwimmbäder sind damit wie die Bereitstellung öffentlicher Einrichtungen insgesamt
(2) Öffentliches Interesse, welches das Aufgabenverteilungsprinzip überwiegt
Der hessische Landesgesetzgeber führt in der Gesetzesbegründung an, dass die allermeisten gemeindlichen Schwimmbäder sich nicht wirtschaftlich betreiben ließen und der hohe Zuschussbedarf die Gemeinden finanziell belaste. Er verweist auf eine Untersuchung, wonach zu viele Gemeinden eigene Schwimmbäder betrieben, obwohl in ihrem eigenen Gemeindegebiet kein ausreichendes Bedürfnis danach bestehe – mindestens jedes dritte Schwimmbad in Hessen sei überflüssig. Von der Verlagerung der Aufgabe, kommunale Schwimmbäder bereitzustellen und zu betreiben, verspricht sich der Landesgesetzgeber, dass der aus seiner Sicht ineffiziente Wettbewerb benachbarter Gemeinden um das attraktivere Schwimmbad und höhere Besucherzahlen endet und eine sinnvolle, am Bedarf ausgerichtete Planung möglich wird.
All diese Gründe zielen auf eine effizientere, das heißt wirtschaftlichere Erledigung der Aufgabe ab, öffentliche Einrichtungen in Form von Schwimmbädern bereitzustellen. Diese Überlegungen sind zwar sachlich und nachvollziehbar. Sie rechtfertigen aber allesamt nicht, dass die Gemeinden nicht mehr in der Lage wären, diese Aufgabe selbst zu erledigen. Auch der Umstand, dass weniger Raum für andere gemeindliche Aufgaben, ist kein hinreichend gewichtiger Grund, da es gerade Kern der gemeindlichen Selbstverwaltung ist, selbst darüber zu entscheiden, welche (freiwillige) Aufgabe sie wie priorisiert. Auch der aus Sicht des Landesgesetzgebers ineffiziente Wettbewerb um das attraktivere Schwimmbad und höhere Besucherzahlen drückt letztlich nur das schützenswerte Ziel der Gemeinde aus, ihren Bewohnern das bestmögliche Erholungs- und Freizeitangebot dadurch zu bieten, dass ein Schwimmbad mit auch auswärtigen Besuchern möglichst wirtschaftlich betrieben wird.
Nach alledem bilden die vom Landesgesetzgeber angeführten Gründe kein öffentliches Interesse, welches das verfassungsrechtliche Aufgabenverteilungsprinzip zugunsten der Gemeinden überwiegt.
(3) Zwischenergebnis
Es fehlt damit an einem dringenden öffentlichen Interesse im Sinne von Art. 137 Abs. 1 S. 2 HV für den Entzug der Aufgabe.
Zwischenergebnis
Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an das eingreifende Gesetz sind nicht gewahrt.
Zwischenergebnis
Der Eingriff in Art. 137 Abs. 1 HV ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
Zwischenergebnis
§ 2 BSKG verletzt das Recht der Stadt Gießen auf Selbstverwaltung aus Art. 137 Abs. 1 HV. Die kommunale Grundrechtsklage ist begründet.
Ergebnis
Die kommunale Grundrechtsklage ist zulässig und begründet. Sie hat damit Aussicht auf Erfolg.
Vertiefungshinweis zur Entscheidung des Gerichts
Der HessStGH erklärt § 2 BSKG nach § 45 Abs. 3 i.V.m. § 40 Abs. 1 S. 1 HessStGHG kann für nichtig oder für unvereinbar mit der Verfassung des Landes Hessen. Die Nichtigerklärung hat nach § 40 Abs. 2 HessStGHG Gesetzeskraft.