Sachverhalt
In der hessischen Sonderstatus-Stadt S (62.000 Einwohner, davon 40.000 bei der letzten Gemeindewahl wahlberechtigt) steht seit dem Jahr 1900 eine Villa, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Wohn- und Geschäftshaus einer polnischen Familie jüdischen Glaubens diente. Die Mitglieder der Familie mussten während des „Dritten Reiches“ ins Ausland fliehen; einige wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Seitdem steht das Grundstück im Eigentum der S. Es dient seit den 1960er Jahren als Verwaltungsgebäude. Vor der Villa hat die S eine Tafel errichtet, in welcher die Geschichte der Familie und der Villa dokumentiert sind.
Die Villa ist inzwischen stark renovierungsbedürftig. Ein Sachverständiger schätzt im Auftrag der Gemeinde die Kosten für die erforderliche Renovierung auf € 1.000.000. Die S sieht sich durch diesen Aufwand überfordert. Nach lebhafter Debatte beschließt daher die Stadtverordnetenversammlung am Dienstag, den 16. August 2022, die Villa abzureißen und das Grundstück danach anderweitig zu nutzen. Der Stadtverordnetenvorsteher teilt das Ergebnis dieses Beschlusses nach der Abstimmung in der Stadtverordnetenversammlung mit. Der Abriss wird € 200.000 kosten. Die S stellt dafür Mittel im städtischen Haushalt bereit.
A ist 66 Jahre alt, polnischer Staatsangehöriger und wohnt in S. Er erfährt Ende September 2022 von den Plänen der S und ist damit nicht einverstanden. Auf seine Beschwerde hin bekommt er von der S aber keine Rückmeldung. A ist daher der Meinung, dass das Volk nun selbst entscheiden müsse. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin L, die in der Nachbargemeinde wohnt, gestaltet A ein Unterschriftenblatt. Darauf heißt es im Text zunächst:
Ich stimme mit Ja für den Antrag, dass die [näher bezeichnete] Villa nicht abgerissen wird. Die für den Abriss im Haushalt vorgesehenen Mittel in Höhe von € 200.000 sollen für die Renovierung verwendet werden.
Begründung: Die [näher bezeichnete] Villa ist als ehemaliges Wohn- und Geschäftshaus einer vom Unrechtsregime der Nationalsozialisten verfolgten und teilweise ermordeten jüdischen Familie polnischer Staatsangehörigkeit ein wichtiger Baustein in der Geschichte der Stadt S und in der Erinnerungskultur ihrer Einwohner. Wir fordern deshalb den Erhalt der Villa.
In den danach folgenden Informationen führt A aus, dass die Gemeindevertretung davon ausgehe, dass die erforderliche Renovierung € 1.000.000 kosten werde. Diese Kosten erschienen überzogen, wenn man sich den Zustand der Villa von außen ansehe. Wenn aber tatsächlich eine solche Summe erforderlich sei, könne die S bei anderen Leistungen sparen, etwa beim zuschussbedürftigen städtischen Theater. A benennt schließlich sich selbst und L als Vertrauenspersonen, die zur Entgegennahme von Mitteilungen und Entscheidungen der Gemeinde sowie zur Abgabe von Erklärungen gegenüber dem Magistrat ermächtigt sind.
A und L unterschreiben auf dem Unterschriftenblatt selbst und fangen an, in S weitere Unterschriften zu sammeln. Da die Bereitschaft, ihre Initiative zu unterstützen, die Erwartungen von A und L weit übertrifft, sind schnell die vorbereiteten Unterschriftenblätter voll. Daher lassen A und L ihre Unterstützer nun auch auf leeren Seiten eines Schreibblocks unterzeichnen, den sie eilig im nächsten Schreibwarengeschäft beschafft haben. Nach drei Tagen haben A und L weitere 2.002 Unterschriften wahlberechtigter Einwohner gesammelt. Sie heften alle Blätter in einem Ordner ab und übergeben den Ordner am Dienstag, den 11. Oktober 2022 dem Magistrat der S. Vier miteinander befreundete Unterzeichner reut in der Folgezeit nach einem fantastischen Theaterbesuch ihre Entscheidung, die Initiative von A und L zu unterstützen, und sie erklären in einem gemeinsamen Schreiben an den Magistrat, ihre Unterschriften zurückzuziehen.
Am 9. Januar 2023 erfährt A aus der Presse, dass der Magistrat durch internen Akt baurechtlich den Abriss der Villa genehmigt hat. A ist daher besorgt, dass es jetzt schnell gehen könnte, und erhebt am 12. Januar 2023 Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht Gießen mit dem Klageantrag, „die Stadtverordnetenversammlung der Stadt S dazu zu verurteilen, die Zulässigkeit des [näher bezeichneten] Bürgerbegehrens festzustellen“.
Hat die Klage des A Aussicht auf Erfolg?
Lösungsvorschlag
Die Klage des A hat Aussicht auf Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist.
Zulässigkeit
Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
Mangels aufdrängender Sonderzuweisung richtet sich die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Der Streit um die Zulassung des Bürgerbegehrens richtet sich nach Normen des Kommunalrechts, namentlich § 8b HGO. Diese Vorschrift berechtigt und verpflichtet ausschließlich einen Träger öffentlicher Gewalt als solchen und gehört damit nach der Sonderrechtslehre dem öffentlichen Recht an. Es handelt sich daher um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Da nicht Verfassungsorgane um Verfassungsrecht streiten, ist die Streitigkeit auch nichtverfassungsrechtlicher Natur. Eine abdrängende Sonderzuweisung ist nicht ersichtlich. Somit ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.
Statthafte Rechtsschutzform
Die statthafte Rechtsschutzform richtet sich nach dem Begehren des Rechtsschutzsuchenden (vgl. §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO). A hat nach dem Sachverhalt eine Klage erhoben und sucht damit Rechtsschutz in der Hauptsache. Mit seiner Klage begehrt A, das Verwaltungsgericht möge „die Stadtverordnetenversammlung der Stadt S dazu [zu] verurteilen, die Zulässigkeit des [näher bezeichneten] Bürgerbegehrens festzustellen“. Statthaft ist eine Verpflichtungsklage, wenn A mit Blick auf die begehrte Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO die Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt. Andernfalls kommen eine allgemeine Leistungsklage und eine Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO in Betracht. Verwaltungsakt ist nach § 35 S. 1 HVwVfG jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Zweifelhaft sind hier die Merkmale „Regelung“, „auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet“ und „Behörde“.
Regelungswirkung
Regelungswirkung entfaltet eine Maßnahme, wenn sie darauf gerichtet ist, Rechtsfolgen zu setzen.
Außenwirkungsintention
Auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen ist eine Maßnahme gerichtet, wenn sie nicht nur darauf abzielt, im Innenbereich des Staates Wirkungen auszulösen, sondern unmittelbar die Rechtsposition einer natürlichen oder juristischen Person gestaltet oder festgestellt werden soll.
Das BVerfG ist der Auffassung, die Vertrauensleute eines Bürgerbegehrens nähmen eine organschaftliche Funktion in der Gemeinde wahr. Die ihnen durch die HGO zugewiesenen Rechte seien Teil der kommunalen Willensbildung und begrenzten zugleich die Rechte der Gemeindevertretung. Ein zugelassenes Bürgerbegehren sei Teil des institutionellen Gefüges der Gemeinde, mit dem die Bürgerschaft an der politischen Willensbildung in der Gemeinde teilhabe.
Die Entscheidung des BVerfG ist zwar zum hessischen Gemeinderecht ergangen. Allerdings handelt es sich um einen Nichtannahmebeschluss im Sinne von § 93b S. 1 BVerfGG, der die Gerichte mangels Entscheidung in der Sache nicht im Sinne von § 31 Abs. 1 BVerfGG formal bindet.
Mit Blick auf die Gesetzessystematik fällt zunächst auf, dass der Bürgerentscheid nach § 8b Abs. 7 S. 1 HGO die Wirkung eines endgültigen Beschlusses der Gemeindevertretung hat. Damit werden allerdings allein der Bürgerentscheid und der endgültige Beschluss der Gemeindevertretung in ihren Wirkungen gleichgestellt, nicht zwingend auch die Vertrauensperson eines Bürgerbegehrens und die Gemeindevertretung als Zurechnungssubjekte dieser Willensentschließungen. § 9 Abs. 1 S. 1 HGO zählt (neben dem Gemeindevorstand in § 9 Abs. 2 S. 1 HGO) die Gemeindevertretung als Organ auf, die Unterstützer eines Bürgerbegehrens oder die Vertrauenspersonen eines Bürgerbegehrens hingegen nicht.
Der Zweck der Vorschriften über Bürgerbegehren und Bürgerentscheid liegt darin, einer Politikverdrossenheit entgegenzuwirken und den Bürgern der Gemeinde Mitspracherechte einzuräumen. Das Bürgerbegehren ist zwar Teil der politischen Willensbildung in der Gemeinde, wie sie auch in der Gemeindevertretung stattfindet. Die direktdemokratische Teilhabe der Bürger am Entscheidungsprozess ist aber nicht in die Organ- und Organisationsstruktur der Gemeinde integriert, sondern steht ihr von außen gegenüber (vgl. § 29 Abs. 1 HGO).
Im Übrigen bleibt das BVerfG auch eine Antwort auf die Frage schuldig, von welchen Rechten der Vertrauenspersonen es überhaupt ausgeht. Die Vertrauenspersonen haben jedenfalls nach dem Wortlaut des § 8b Abs. 3 S. 2 HGO die (bloße) Funktion, Mitteilungen und Entscheidungen der Gemeinde für die Gruppe der Unterzeichnenden entgegenzunehmen und Erklärungen gegenüber dem Gemeindevorstand abzugeben. Ihre Rolle erschöpft sich also in einer Art Mittler, damit die Gemeinde nicht mit einer unüberschaubaren und nicht begrenzbaren Anzahl von Unterstützern eines Bürgerbegehrens in Kontakt treten muss.
Nach alledem kann bei einer Auslegung von § 8b HGO die Auffassung des BVerfG, die Vertrauenspersonen nähmen eine organschaftliche Funktion wahr, nicht überzeugen.
Vertiefungshinweis zu den Folgen der Annahme einer organschaftlichen Funktion
Geht man mit dem BVerfG davon aus, die Vertrauenspersonen erfüllten eine organschaftliche Funktion und die Entscheidung der Gemeindevertretung über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens sei deshalb nicht auf eine unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet, handelt es sich bei der gerichtlichen Auseinandersetzung über die Zulassung des Bürgerbegehrens um einen Kommunalverfassungsstreit. Zu den damit verbundenen Problemen der Zulässigkeitsprüfung siehe Übungsfall 4: Ärger mit den Masken.
Behörde
Behörde ist nach § 1 Abs. 2 HVwVfG jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt (sog. funktionaler Behördenbegriff). Die Gemeindevertretung ist zwar Willensbildungsorgan und Repräsentationsorgan der Gemeinde und wird in erster Linie politisch tätig. Allerdings kann auch die Gemeindevertretung als Verwaltungsbehörde auftreten, wenn sie auf Grund ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung im Außenverhältnis verwaltend tätig wird.
Zwischenergebnis
Bei der Zulassung des Bürgerbegehrens handelt es sich nach alledem um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 35 S. 1 HVwVfG.
Vertiefungshinweis zum einstweiligen Rechtsschutz zur Sicherung eines Bürgerbegehrens
Angesichts der hohen Bedeutung in der Praxis eignet sich auch der einstweilige Rechtsschutz zur Sicherung eines Bürgerbegehrens sehr gut für eine Klausur. Ein Bedürfnis nach einstweiligem Rechtsschutz kann nicht nur vor, sondern auch nach Zulassung eines Bürgerbegehrens entstehen, weil ein zugelassenes Bürgerbegehren nach der HGO keine Sperrwirkung entfaltet.
Statthaft ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO. Die §§ 80, 80a VwGO, denen § 123 Abs. 5 VwGO Vorrang zuspricht, sind nicht einschlägig. Denn das Interesse des Rechtsschutzsuchenden liegt im einstweiligen Rechtsschutz nicht darin, die aufschiebende Wirkung eines Hauptsacherechtsbehelfs herzustellen. Die Ablehnung der Zulassung eines Bürgerbegehrens durch die Gemeindevertretung ist zwar ein Verwaltungsakt im Sinne von § 35 S. 1 HVwVfG. Allerdings hilft es dem Kläger nicht, nur diese negative Entscheidung anzufechten, da ohne diese negative Entscheidung immer noch kein Bürgerentscheid durchgeführt wird. Er erhebt also weder Anfechtungswiderspruch noch Anfechtungsklage im Sinne von § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO, sondern begehrt – positiv – die Zulassung. Ob dafür in der Hauptsache die Verpflichtungs-, Leistungs- oder Feststellungsklage statthaft ist, spielt für die Statthaftigkeit des Antrags nach § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO im einstweiligen Rechtsschutz keine Rolle.
Antragsbefugt sind wie im Hauptsacheverfahren (dazu sogleich) alle gültigen Unterzeichner des Bürgerbegehrens. In der Begründetheit sind Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund zu prüfen. Der Anordnungsanspruch ist das zu sichernde Recht, also das Recht, in Folge eines zulässigen Bürgerbegehrens einen Bürgerentscheid durchzuführen. Daher ist dort inzident zu prüfen, was auch in der Begründetheit der Verpflichtungsklage zu prüfen ist, ob nämlich das Bürgerbegehren alle Zulässigkeitsanforderungen erfüllt.
Dagegen hat ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung, mit welcher die Gemeinde dazu verurteilt wird, das Bürgerbegehren einstweilen zuzulassen, in aller Regel keine Aussicht auf Erfolg. Eine solche Regelungsanordnung erscheint nicht im Sinne von § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO nötig, um wesentliche Nachteile abzuwenden (Anordnungsgrund). Denn damit lässt sich nicht verhindern, dass die Gemeinde vollendete Tatsachen schafft, die dazu führen würden, dass Bürgerbegehren und Bürgerentscheid gegenstandslos werden. Außerdem nimmt eine solche Regelungsanordnung die Hauptsache unzulässig vorweg.
Klagebefugnis
Da gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, muss A muss geltend machen, durch die Unterlassung der Zulassung des Bürgerbegehrens in seinen Rechten verletzt zu sein (§ 42 Abs. 2 VwGO). Es muss also möglich, das heißt nicht offenkundig ausgeschlossen sein, dass A einen Anspruch darauf hat, dass die Stadtverordnetenversammlung der S das Bürgerbegehren zulässt. Dafür ist erforderlich, dass sich aus § 8b Abs. 4 S. 2 HGO ein subjektiv-öffentliches Recht des A ableiten lässt und dass es möglich ist, dass der damit verbundene Anspruch begründet ist.
Subjektiv-rechtliche Wirkung des § 8b Abs. 4 S. 2 HGO zugunsten des A
Ein subjektiv-öffentliches Recht gewähren solche Normen, die nicht nur den Interessen der Allgemeinheit, sondern zumindest auch dem Schutz des Einzelnen zu dienen bestimmt sind (Schutznormlehre).
Subjektiv-rechtliche Wirkung des § 8b Abs. 4 S. 2 HGO zugunsten jedes einzelnen Unterzeichners
Der Wortlaut des § 8b Abs. 4 S. 2 HGO stellt ausschließlich die Verpflichtung der Gemeindevertretung zur Entscheidung klar; ihm lassen sich keine Anhaltspunkte für eine subjektiv-rechtliche Wirkung entnehmen. Bei einer systematischen Betrachtung zeigt sich zwar, dass in § 8b Abs. 3 S. 2 HGO die Vertrauenspersonen zur Sprache kommen, zu denen vorliegend A zählt. Die Vorschrift erschöpft sich aber darin, die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens unter die Bedingung zu stellen, dass bis zu drei Vertrauenspersonen bezeichnet sind, welche die oben dargestellte Mittlerrolle zwischen den Unterstützern des Bürgerbegehrens und der Gemeinde einnehmen. Dass es sich hierbei um die Organisatoren oder Unterzeichner des Bürgerbegehrens handelt, verlangt die Vorschrift nicht. Daher lässt sich weder Wortlaut noch Zweck der Vorschrift entnehmen, dass die Vertrauenspersonen mit Blick auf die Entscheidung über die Zulässigkeit durch die Gemeindevertretung subjektiv berechtigt wären.
Systematisch anknüpfen lässt sich schließlich an § 8b Abs. 1 S. 1 HGO. Hiernach können die Bürger einer Gemeinde über eine wichtige Angelegenheit der Gemeinde einen Bürgerentscheid beantragen. Die Vorschrift räumt den Bürgern also die Rechtsmacht ein, den Antrag auf Durchführung des Bürgerentscheids zu stellen. Den Antrag stellt ein Bürger dadurch, dass er sich mit seiner Unterschrift (§ 8b Abs. 3 S. 3 HGO) den vorformulierten Antrag zu eigen macht und der so zu eigen gemachte Antrag gemeinsam mit den Anträgen aller anderen Unterzeichnenden gesammelt als Bürgerbegehren bei dem Gemeindevorstand eingereicht wird (§ 8b Abs. 3 S. 1 HGO). Wird das Bürgerbegehren zugelassen, mündet der Antrag darin, dass die Bürger im Wege eines Bürgerentscheids an der politischen Willensbildung der Gemeinde unmittelbar selbst mitwirken. Einer Zusammenschau dieser Vorschriften lässt sich entnehmen, dass § 8b Abs. 4 S. 2 HGO insoweit auch dem Schutz Einzelner zu dienen bestimmt ist, als der gestellte Antrag nicht verfahrensfehlerhaft behandelt werden darf und über ihn – das heißt über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens – nach § 8b Abs. 4 S. 2 HGO rechtmäßig zu entscheiden ist. § 8b Abs. 4 S. 2 HGO begründet also ein subjektiv-öffentliches Verfahrensrecht der Antragssteller, das heißt der Unterzeichnenden, das auch gerichtlich geltend gemacht werden kann.
Da jeder Unterzeichner selbst und unabhängig von den anderen Unterzeichnenden den Antrag nach § 8b Abs. 1 S. 1 HGO stellt, wenn die Anträge auch gesammelt als Bürgerbegehren bei dem Gemeindevorstand eingereicht werden, hat nicht die Gruppe aller Unterzeichnenden das subjektiv-öffentliche Recht gemeinschaftlich inne, sondern jeder einzelne gültige Unterzeichner allein und selbstständig.
Vertiefungshinweis zu anderen Auffassungen
Dass jeder einzelne gültige Unterzeichner ein subjektiv-öffentliches Recht aus § 8b Abs. 4 S. 2 HGO ableiten kann, ist gefestigte Rechtsprechung des VGH Kassel. Es empfiehlt sich daher, diese Auffassung auch in der Klausur zu vertreten. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass „andere Auffassungen“, die zu dieser Frage vertreten werden, häufig die Rechtslage in anderen Bundesländern betreffen,
Jedenfalls das „Bürgerbegehren“ selbst kann nicht berechtigt sein. Beim Bürgerbegehren handelt es sich begrifflich um den Antrag der Unterzeichner (vgl. § 8b Abs. 1 S. 1 HGO). Das zeigt sich auch an § 8b Abs. 3 S. 1 HGO, wonach das Bürgerbegehren schriftlich beim Gemeindevorstand einzureichen ist.
A im persönlichen und sachlichen Schutzbereich des § 8b Abs. 4 S. 2 HGO
Der persönliche Schutzbereich des § 8b Abs. 4 S. 2 HGO erfasst alle gültigen Unterzeichner des Bürgerbegehrens.
Der sachliche Schutzbereich von § 8b Abs. 4 S. 2 HGO umfasst das Recht, dass die Gemeindevertretung über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens rechtmäßig entscheidet. Dieses Recht macht A hier geltend. Er fällt damit auch in den sachlichen Schutzbereich der Vorschrift.
Zwischenergebnis
§ 8b Abs. 4 S. 2 HGO begründet ein subjektiv-öffentliches Recht zugunsten des A.
Möglichkeit der Begründetheit des Anspruchs
Es ist nicht offenkundig ausgeschlossen und damit möglich, dass der aus § 8b Abs. 4 S. 2 HGO folgende Anspruch darauf begründet ist, dass die Gemeindevertretung das von A unterzeichnete Bürgerbegehren zulässt.
Zwischenergebnis
Eine Verletzung des A in eigenen Rechten ist damit möglich. A ist klagebefugt.
Ordnungsgemäß und erfolglos durchgeführtes Vorverfahren
A hat vor Erhebung der Verpflichtungsklage kein Vorverfahren angestrengt. Bei Entscheidungen nach § 8b Abs. 4 S. 2 HGO über die Zulässigkeit von Bürgerbegehren entfällt das Vorverfahren aber nach § 16a Abs. 1 i.V.m. Nr. 3.2 der Anlage HessAGVwGO. Nach § 68 Abs. 2, Abs. 1 S. 2 VwGO war daher die Durchführung eines Vorverfahrens nicht erforderlich.
Ablauf der Sperrfrist des § 75 S. 2 VwGO
Nach § 75 S. 1 VwGO ist die Klage abweichend von § 68 VwGO zulässig, wenn über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden. § 75 S. 2 VwGO bestimmt, dass die Klage nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsaktes erhoben werden kann, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist.
Die Systematik der beiden Sätze deutet an, dass die Sperrfrist des § 75 S. 2 VwGO nur dann greift, wenn wegen Untätigkeit der Verwaltung auf das Vorverfahren nach § 68 VwGO verzichtet werden soll. Dann wäre die Sperrfrist nicht zu beachten, wenn – wie hier – das Vorverfahren schon nach § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO entbehrlich ist. Indessen liegt der Zweck des § 75 S. 2 VwGO ganz allgemein darin, zu bestimmen, wie lange der Rechtsschutzsuchende abwarten muss, bis er Klage erheben darf, obwohl es an einer eigentlich erforderlichen Entscheidung der Verwaltung (noch) fehlt. § 75 S. 2 VwGO ist daher auch dann anzuwenden, wenn § 75 S. 1 VwGO nicht greift.
A und L haben das Bürgerbegehren am 11. Oktober 2022 beim Magistrat der S eingereicht und damit den Antrag gestellt, dass die Gemeindevertretung das Bürgerbegehren zulässt, also den Verwaltungsakt erlässt. Die Frist von drei Monaten endete nach § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB am 11. Januar 2023 um 24 Uhr. Damit war die Sperrfrist von drei Monaten am 12. Januar 2023, an dem A Klage erhoben hat, bereits abgelaufen.
Vertiefungshinweis zur sog. Untätigkeitsklage
Im Zusammenhang mit § 75 VwGO ist von der „Untätigkeitsklage“ die Rede.
Eine Anfechtungsklage setzt nach § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO grundsätzlich voraus, dass das Widerspruchsverfahren ordnungsgemäß und erfolglos durchgeführt wurde. Die Klage ist damit erst dann zulässig, wenn dem Kläger der Widerspruchsbescheid zugestellt worden ist. Entscheidet aber die Widerspruchsbehörde nicht über den Widerspruch, könnte sie damit das Klageverfahren beliebig lange hinauszögern. Daher bestimmt § 75 S. 1 VwGO, dass die Klage abweichend von § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO, das heißt auch ohne Abschluss des Vorverfahrens zulässig ist, wenn die Widerspruchsbehörde ohne zureichenden Grund nicht in angemessener Frist über den Widerspruch sachlich entschieden hat. Der Kläger muss aber nach § 75 S. 2 VwGO grundsätzlich drei Monate seit Erhebung des Widerspruchs gewartet haben. Diese Frist ist eine eigenständige Sachurteilsvoraussetzung: Die Klage wird erst zulässig, wenn die Frist verstrichen ist.
Bei einer Verpflichtungsklage kann dieselbe Situation eintreten, wenn die Widerspruchsbehörde in dem nach § 68 Abs. 2, Abs. 1 S. 1 VwGO erforderlichen Vorverfahren keinen Widerspruchsbescheid erlässt. Außerdem kann dort auch der zeitlich vorgelagerte Fall eintreten, dass schon die Ausgangsbehörde nicht über den Antrag auf Erlass des Verwaltungsakts entscheidet. Es fehlt dann an einer ablehnenden Entscheidung, gegen die der Betroffene Widerspruch erheben könnte. Der Betroffene kommt damit auch dem Klageverfahren nicht näher. Daher bestimmt § 75 S. 1 VwGO auch für diese Fälle, dass die Klage abweichend von § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO zulässig ist. Auch hier muss der Kläger aber nach § 75 S. 2 VwGO grundsätzlich drei Monate seit dem Antrag auf Erlass des Verwaltungsakts warten, ehe er die Verpflichtungsklage erhebt.
Näher zu § 75 VwGO Ehlers, in: Ehlers/Schoch (Hrsg.), Rechtsschutz im Öffentlichen Recht, 2021, § 28 Rn. 42 ff.; Porsch, in: Schoch/Schneider (Hrsg.), Verwaltungsrecht, 43. EL August 2022, § 75 VwGO Rn. 4.
Klagefrist
Da der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts, also auf Zulassung des Bürgerbegehrens nicht abgelehnt worden ist, sondern die Gemeindevertretung überhaupt keine Entscheidung getroffen hat, unterliegt die Verpflichtungsklage nach § 74 Abs. 2 VwGO keiner Klagefrist.
Richtiger Klagegegner
Nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist die Klage gegen die Körperschaft zu richten, deren Behörde den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat. Der Wortlaut des Klageantrags, wonach A die Verurteilung der Stadtverordnetenversammlung der Stadt S beantragt, deutet darauf hin, dass A nicht im Einklang mit § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO die Stadt S als Rechtsträgern der Stadtverordnetenversammlung, sondern die Stadtverordnetenversammlung selbst verklagt hat.
Allerdings ist das Gericht an die Fassung des Antrags nicht gebunden (§ 88 VwGO) und bei der Auslegung des Antrags analog §§ 133, 157 BGB ist auch das wohlverstandene Interesse des Rechtsschutzsuchenden einzubeziehen. § 78 Abs. 1 Nr. 1 a.E. VwGO bestimmt zudem, dass zur Bezeichnung des Beklagten die Angabe der Behörde genügt. Dem A kann nicht unterstellt werden, dass er die Klage gezielt gegen die Stadtverordnetenversammlung gerichtet hat mit dem Risiko, dass die Klage als unzulässig (oder zumindest unbegründet) zu bewerten wäre. Vielmehr lässt sich die Bezeichnung der Stadtverordnetenversammlung in seinem Klageantrag damit erklären, dass A möglicherweise rechtlich bekannt war, dass gerade die Stadtverordnetenversammlung dasjenige Organ der Stadt S ist, auf dessen Entscheidung A wartete. Denkbar ist auch, dass A angesichts der vom BVerfG vertretenen Auffassung, bei der Klage auf Zulassung des Bürgerbegehrens handele es sich um einen Kommunalverfassungsstreit, sicherheitshalber dasjenige Organ in den Klageantrag aufgenommen hat, das bei Annahme eines Kommunalverfassungsstreits zu verklagen gewesen wäre. In jedem Fall entspricht es dem wohlverstandenen Interesse des A, den Klageantrag dahingehend auszulegen, dass A die Stadt S als Rechtsträgerin der Stadtverordnetenversammlung verklagt wissen will.
A hat die Klage damit gegen die richtige Beklagte gerichtet.
Beteiligungs- und Prozessfähigkeit
Der Kläger A ist als natürliche und nach dem bürgerlichen Recht geschäftsfähige Person (§§ 2, 104 ff. BGB) nach § 61 Nr. 1 Var. 1 VwGO beteiligungsfähig und nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO prozessfähig. Die Klagegegnerin, die Stadt S, ist als juristische Person (§ 1 Abs. 2 HGO) nach § 61 Nr. 1 Var. 2 VwGO beteiligungsfähig und lässt sich im Prozess nach § 62 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 71 Abs. 1 S. 1 HGO durch den Magistrat vertreten.
Zuständigkeit des Gerichts
Das Verwaltungsgericht Gießen ist nach dem Sachverhalt zuständig.
Zwischenergebnis
Die Klage des A ist zulässig.
Begründetheit
Nach § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO ist die Verpflichtungsklage begründet, soweit die Unterlassung der Zulassung des Bürgerbegehrens rechtswidrig, A dadurch in seinen Rechten verletzt und die Sache spruchreif ist. Das ist der Fall, soweit A einen Anspruch auf Zulassung des Bürgerbegehrens hat. Teilweise ist die Klage nach § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO begründet, soweit zwar die Sache nicht spruchreif („andernfalls“), die Unterlassung der Zulassung des Bürgerbegehrens aber rechtswidrig und A dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Das ist der Fall, soweit A einen fortbestehenden Anspruch auf rechtsfehlerfreie Bescheidung hat.
Klausurhinweis zu Obersatz und Aufbau der Begründetheit der Verpflichtungsklage
Da hier bereits in der Zulässigkeit bei der statthaften Rechtsschutzform deutlich gemacht wurde, dass der Stadtverordnetenversammlung keinerlei Spielraum bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens zukommt, spielt § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO in diesem Fall keine Rolle: Wenn die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens vorliegen, ist die Klage auch spruchreif und damit vollumfänglich begründet. Fehlt es an der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens, ist die Klage vollumfänglich unbegründet, weil die Unterlassung der Entscheidung nicht nach § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO rechtswidrig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Daher ist es in einem solchen Fall nicht falsch, den Obersatz der Begründetheit nur anhand von § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO zu bilden. Dennoch empfiehlt es sich, den Obersatz der Verpflichtungsklage stets vollständig aus beiden Sätzen des § 113 Abs. 5 VwGO abzuleiten. Das vermeidet Fehler. Zum Aufbau der Begründetheit, wenn der Verwaltung Ermessen verbleibt, die Klage also nicht spruchreif ist, siehe Übungsfall 2: Weihnachtsmarkt.
Anspruch auf Zulassung des Bürgerbegehrens
Zu prüfen ist also zunächst, ob A einen Anspruch darauf hat, dass die Gemeinde das Bürgerbegehren zulässt.
Anspruchsgrundlage
Grundlage für einen solchen Anspruch ist § 8b Abs. 4 S. 2 HGO.
Anspruchsverpflichtung der Stadt S
§ 8b Abs. 4 S. 2 HGO weist die Aufgabe, über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens zu entscheiden, im Innenverhältnis der Gemeinde der Gemeindevertretung zu. Im Außenverhältnis gegenüber dem gültigen Unterzeichner ist allerdings die Gemeinde verpflichtet, hier also die Stadt S, gegen die A auch die Klage gerichtet hat.
Anspruchsvoraussetzungen
Der Anspruch auf Zulassung des Bürgerbegehrens setzt voraus, dass das Bürgerbegehren zulässig ist. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit ergeben sich aus § 8b HGO.
Klausurhinweis zur Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen
Eine Unterteilung der Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens in formelle und materielle Voraussetzungen kann sinnvoll sein, um die Gliederung übersichtlicher zu machen. Einen rechtlichen Wert hat sie allerdings nicht. Denn anders als etwa bei der Prüfung der formellen und materiellen Anforderungen an einen Verwaltungsakt (§§ 45, 46 HVwVfG) oder an einen Bebauungsplan in Form einer Satzung (§§ 214 f. BauGB) zieht das Fehlen formeller Voraussetzungen einerseits und materieller Voraussetzungen andererseits bei der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens keine unterschiedlichen Rechtsfolgen nach sich.
Schriftform
A und L haben alle Unterschriftenblätter in einem Ordner abgeheftet und den Ordner dem Magistrat der S übergeben. Sie haben das Bürgerbegehren damit gemäß § 8b Abs. 3 S. 1 HGO schriftlich bei dem Gemeindevorstand eingereicht.
Achtwöchige Frist
Nach § 8b Abs. 3 S. 1 HGO muss ein Bürgerbegehren, das sich gegen einen Beschluss der Gemeindevertretung richtet – also ein sogenanntes kassatorisches Bürgerbegehren –, innerhalb von acht Wochen nach Bekanntgabe dieses Beschlusses eingereicht sein.
Vertiefungshinweis zum kassatorischen und initiatorischen Bürgerbegehren
Die Begriffe kassatorisches und initiatorisches/initiierendes Bürgerbegehren finden sich nicht im Gesetz.
Das von A und L unterstützte Bürgerbegehren wendet sich nicht ausdrücklich gegen den Beschluss der Stadtverordnetenversammlung der Stadt S vom 16. August 2022. Der Wortlaut des Bürgerbegehrens ist nur darauf gerichtet, dass die Villa nicht abgerissen wird. Er deutet also auf ein sogenanntes initiatorisches Bürgerbegehren hin, das nicht der Frist des § 8b Abs. 3 S. 1 HGO unterliegt.
Allerdings ist bei der Bestimmung, ob es sich um ein kassatorisches oder ein initiatorisches Bürgerbegehren handelt, nicht allein auf den Wortlaut abzustellen. Andernfalls hätten es die Organisatoren des Bürgerbegehrens in der Hand, die Frist des § 8b Abs. 3 S. 1 HGO zu umgehen. Dies liefe dem Zweck der Fristbestimmung zuwider, sicherzustellen, dass der von der demokratisch legitimierten Gemeindevertretung getroffene Beschluss nach einer gewissen Zeit Bestand hat und vollzogen werden kann, ohne dass er durch einen späteren Bürgerentscheid nochmal infrage gestellt werden kann.
Hier hat das Bürgerbegehren den Abriss der Villa zum Gegenstand, über den die Stadtverordnetenversammlung entschieden hat. Das Bürgerbegehren bezweckt das genaue Gegenteil dieses Beschlusses. Es ist damit seinem Inhalt nach als ein kassatorisches Bürgerbegehren anzusehen. Damit ist die Fristbestimmung in § 8b Abs. 3 S. 1 HGO anwendbar.
Die Frist wird durch die Bekanntgabe des Beschlusses ausgelöst. Was mit Bekanntgabe gemeint ist, ergibt sich aus dem Wortlaut nicht unmittelbar. Ein systematischer Gegenschluss zu § 7 HGO legt aber nahe, dass die Bekanntgabe im Sinne von § 8b Abs. 3 S. 1 HGO keine öffentliche Bekanntmachung etwa in einer Zeitung, einem Amtsblatt oder im Internet erfordert. Bekanntgabe ist daher zu verstehen als Mitteilung des Abstimmungsergebnisses der Gemeindevertretung durch deren Vorsitzenden in der öffentlichen Sitzung der Gemeindevertretung.
Die achtwöchige Frist endete nach § 31 Abs. 1 HVwVfG i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB am Dienstag, den 11. Oktober 2022. An diesem Tag haben A und L das Bürgerbegehren beim Magistrat eingereicht. Damit haben sie die Frist des § 8b Abs. 3 S. 1 HGO gewahrt.
Bezeichnung der Vertrauenspersonen
§ 8b Abs. 3 S. 2 HGO verlangt, dass das Bürgerbegehren bis zu drei Vertrauenspersonen bezeichnen muss, die zur Entgegennahme von Mitteilungen und Entscheidungen der Gemeinde sowie zur Abgabe von Erklärungen gegenüber dem Gemeindevorstand ermächtigt sind. Das Bürgerbegehren bezeichnet hier A und L als Vertrauenspersonen. Dass damit den Anforderungen des § 8b Abs. 3 S. 2 HGO genügt worden ist, lässt sich deshalb bezweifeln, weil L in der Nachbargemeinde von S wohnt und damit im Sinne von § 8 Abs. 1 HGO nicht Einwohnerin der S ist.
Dem Wortlaut von § 8b Abs. 3 S. 2 HGO lässt sich nicht entnehmen, ob die Vertrauenspersonen wahlberechtigte Einwohner der Gemeinde sein müssen. Gegen eine solche Anforderung spricht systematisch, dass § 8b Abs. 3 S. 3 HGO diese Anforderung für die Berechtigung, das Bürgerbegehren zu unterzeichnen, ausdrücklich aufführt, § 8b Abs. 3 S. 2 HGO hinsichtlich der Vertrauenspersonen dazu aber schweigt. Bezieht man den Zweck der Benennung von Vertrauenspersonen mit ein, Mittler zu bestimmen, damit die Gemeinde nicht mit einer unüberschaubaren und nicht begrenzbaren Anzahl von Unterstützern eines Bürgerbegehrens in Kontakt treten muss, ist auch nicht ersichtlich, warum diese Mittler zwingend ihrerseits dazu berechtigt sein müssten, das Bürgerbegehren zu unterzeichnen.
Die Bestimmung von L zur Vertrauensperson widerspricht damit nicht § 8b Abs. 3 S. 2 HGO. Im Einklang mit dieser Vorschrift wurden bis zu drei Vertrauenspersonen bezeichnet.
Erreichen des Unterschriftenquorums
Ferner ist zu prüfen, ob das Bürgerbegehren das Unterschriftenquorum erreicht hat. Nach § 8b Abs. 3 S. 3 HGO muss das Bürgerbegehren in Gemeinden mit mehr als 100.000 Einwohnern von mindestens 3 Prozent, in Gemeinden mit mehr als 50.000 Einwohnern von mindestens 5 Prozent und in den sonstigen Gemeinden von mindestens 10 Prozent der bei der letzten Gemeindewahl amtlich ermittelten Zahl der wahlberechtigten Einwohner unterzeichnet sein.
Vertiefungshinweis zum Quorum beim Bürgerentscheid
Das Quorum für die Unterschriften unter dem Bürgerbegehren nach § 8b Abs. 3 S. 2 HGO ist zu unterscheiden von dem Quorum für den Bürgerentscheid nach § 8b Abs. 6 S. 1 HGO. Der Bürgerentscheid ist nur dann entschieden, wenn die Mehrheit, die für „Ja“ oder „Nein“ gestimmt, wiederum ein bestimmtes Quorum der Stimmberechtigten erreicht hat, das sich aus § 8b Abs. 6 S. 1 HGO ergibt. Ist das nicht der Fall, muss die Gemeindevertretung die Angelegenheit entscheiden (§ 8b Abs. 6 S. 3 HGO).
Erreichen des Quorums mit den ursprünglich eingereichten Unterschriften
Zunächst stellt sich die Frage, ob die Zahl der ursprünglich eingereichten Unterschriften das Quorum erreicht hat. Die Stadt S hat 62.000 Einwohner, sodass das Quorum 5 Prozent beträgt. Bei der letzten Gemeindewahl wahlberechtigt waren 40.000 Einwohner. Das zu erreichende Unterschriftenquorum betrug damit 5 Prozent von 40.000, das heißt 2.000.
A und L haben in S 2.002 Unterschriften wahlberechtigter Einwohner gesammelt. Hinzu kommt die Unterschrift des in S wahlberechtigten Einwohners A. Da L in der Nachbargemeinde von S wohnt und damit nicht Einwohnerin der S ist, ist ihre Unterschrift nicht zu zählen. Insgesamt lagen damit 2.003 Unterschriften vor. Damit erreicht die Zahl der ursprünglich gesammelten und eingereichten Unterschriften das Quorum.
Wirksamkeit der Rücknahme von vier Unterschriften
Möglicherweise haben aber vier Unterstützer durch ihr Schreiben an den Magistrat ihre Unterschrift mit der Folge wirksam zurückgezogen, dass von den 2.003 Unterschriften vier abzuziehen sind. Dann blieben 1.999 und damit weniger als die benötigten 2.000 Unterschriften übrig. Ob und gegebenenfalls bis zu welchem Zeitpunkt die Rücknahme einer Unterschrift rechtlich möglich ist, lässt sich § 8b HGO nicht ausdrücklich entnehmen.
Zwar ist das Interesse von Bürgern berechtigt, ihre Unterschrift zurückzunehmen, da die Unterschrift häufig – ähnlich wie bei einem Haustürgeschäft – in einer Drucksituation abgegeben wird. Diesem Interesse stehen aber Interessen der Gemeinde und auch der übrigen Unterstützer des Bürgerbegehrens gegenüber. Die Organisatoren des Bürgerbegehrens müssen sich ab Erreichen einer bestimmten Unterschriftenzahl sicher sein können, dass sie aufhören können, Unterschriften zu sammeln, und dass sie das Bürgerbegehren nun einreichen können. Die Gemeindevertretung muss über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens entscheiden können. Ein sachgerechter Ausgleich zwischen den Interessen liegt darin, die Rücknahme einer Unterschrift zu ermöglichen, allerdings nur bis zu dem Zeitpunkt, zu dem das Bürgerbegehren – und damit der Antrag jedes einzelnen Unterstützers des Bürgerbegehrens – beim Gemeindevorstand eingereicht worden ist. In diesem Moment geht der unterschriebene Antrag entsprechend § 130 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 BGB der Gemeinde zu und wird damit wirksam. Entsprechend § 130 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 BGB kann der Antrag ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zurückgezogen werden.
Hier erfolgten die Rücknahmen der Unterschriften erst, nachdem A und L das Bürgerbegehren beim Magistrat eingereicht hatten. Damit erfolgte die Rücknahme zu spät, um rechtliche Wirkung zu entfalten. Die vier Unterschriften sind damit nicht abzuziehen.
Hinreichende Verbindung der Unterschriften mit dem Text des Bürgerbegehrens
Abschließend stellt sich die Frage, ob die geleisteten Unterschriften die Anforderung von § 8b Abs. 3 S. 3 HGO erfüllen, dass sie das Bürgerbegehren „unterzeichnet“ haben. Der Wortlaut der Vorschrift deutet an, dass sich die Unterschrift unterhalb der textlichen Bestandteile des Bürgerbegehrens befinden muss. Allerdings kann es im Ergebnis keine Rolle spielen, wo auf dem Papier der Text und wo die Unterschriften angeordnet sind. Der Zweck der Anforderung einer „Unterzeichnung“ liegt darin, sicherzustellen, dass tatsächlich Unterschriften zu dem ganz konkreten Text des Bürgerbegehrens geleistet worden sind, dass also aus der Urkunde ersichtlich und beweisbar ist, dass die ihre Unterschrift leistenden Personen das Bürgerbegehren zur Kenntnis genommen haben und unterstützen. Ausgeschlossen sein muss, dass Unterschriften erst nachträglich mit dem Text verbunden werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass vermeintliche Unterstützer sich irren oder Organisatoren das Bürgerbegehren gar manipulieren.
Aus dieser teleologischen Auslegung der Vorschrift ergibt sich, dass die Unterschrift auf der Vorder- oder Rückseite derselben Urkunde geleistet werden muss, auf der sich der Text des Bürgerbegehrens befindet. Die Vorgehensweise von A und L, einen Teil der Unterschriften auf leeren Seiten eines Schreibblocks zu sammeln und diese Seiten in einem Ordner gemeinsam mit dem Text des Bürgerbegehrens abzuheften, wird der Anforderung einer körperlichen Verbundenheit nicht gerecht.
Zwischenergebnis
Das Bürgerbegehren hat damit im Ergebnis nicht das Unterschriftenquorum des § 8b Abs. 3 S. 3 HGO erreicht.
Zulässiger Gegenstand
Zu prüfen ist weiter, ob das Bürgerbegehren eine Angelegenheit betrifft, die das Gesetz zu einem zulässigen Gegenstand eines Bürgerbegehrens erklärt.
Angelegenheit der Gemeinde
§ 8b Abs. 1 S. 1 HGO bestimmt, dass Gegenstand des Bürgerbegehrens eine Angelegenheit der Gemeinde sein muss. Die Angelegenheit muss also in die Verbandskompetenz der Gemeinde fallen.
Wichtige Angelegenheit
Die Angelegenheit muss nach § 8b Abs. 1 S. 1 HGO außerdem wichtig sein. Den Begriff „wichtig“ verwendet auch § 9 Abs. 1 S. 1 HGO und weist die „wichtigen Entscheidungen“ der Gemeindevertretung zu. Aus dem weiteren systematischen Zusammenspiel mit § 8b Abs. 7 S. 1 HGO, wonach ein erfolgreicher Bürgerentscheid die Wirkung eines endgültigen Beschlusses der Gemeindevertretung hat, wird deutlich, dass mit der wichtigen Angelegenheit in § 8b Abs. 1 S. 1 HGO solche Angelegenheiten gemeint sind, die zur Organkompetenz der Gemeindevertretung gehören.
Die Organkompetenz der Gemeindevertretung ergibt sich vor allem aus §§ 50, 51 HGO. Aus § 50 Abs. 1 S. 1 HGO ergibt sich, dass die Gemeindevertretung über die Angelegenheiten der Gemeinde beschließt, soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt. Etwas anderes ergibt sich insbesondere aus § 66 Abs. 1 S. 2 HGO, wonach der Gemeindevorstand die laufende Verwaltung nach den Beschlüssen der Gemeindevertretung besorgt. Geschäfte der laufenden Verwaltung sind solche, die mehr oder weniger regelmäßig wiederkehren und die zugleich nach Größe und Umfang der Verwaltungstätigkeit und Finanzkraft der beteiligten Gemeinde von sachlich geringer Bedeutung sind.
Die Entscheidung über den Abriss historischer Bauwerke, die über Jahrzehnte als Verwaltungsgebäude gedient haben, kehrt jedenfalls nicht regelmäßig wieder. Hinsichtlich der Bedeutung der Angelegenheit lässt sich systematisch § 51 HGO einbeziehen. Die Entscheidung über den Abriss historischer Gebäude ist dort zwar nicht unter den Angelegenheiten der ausschließlichen Zuständigkeit der Gemeindevertretung aufgeführt. Allerdings fallen nach § 51 Nr. 11 HGO die Errichtung, Erweiterung, Übernahme und Veräußerung von öffentlichen Einrichtungen in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeindevertretung. Diese Angelegenheit stuft das Gesetz demnach als wichtig ein. Sie berührt maßgeblich kulturelle Belange der Einwohner der Gemeinde. Damit von der Bedeutung her vergleichbar ist die Entscheidung darüber, ein Bauwerk abzureißen, das im Jahr 1900 errichtet wurde, als Wohn- und Geschäftshaus einer jüdischen Familie polnischer Staatsangehörigkeit diente, deren Mitglieder während des „Dritten Reiches“ ins Ausland fliehen mussten und von denen einige von den Nationalsozialisten ermordet wurden, und das seit dem Jahr 1960 als Verwaltungsgebäude dient, vor dem die S eine Tafel errichtet hat, in welcher die Geschichte der Familie und der Villa dokumentiert sind. Angesichts dieser, mit den Angelegenheiten in § 51 Nr. 11 HGO vergleichbaren kulturellen, aber auch historischen und symbolhaften Bedeutung Villa handelt es sich bei der Entscheidung über den Abriss dieser Villa im Ergebnis nicht um ein Geschäft der laufenden Verwaltung, sondern um eine wichtige Angelegenheit im Sinne von § 8b Abs. 1 S. 1 HGO.
Kein Ausschluss der Angelegenheit nach § 8b Abs. 2 HGO
§ 8b Abs. 2 HGO bestimmt Gegenstände, über die ein Bürgerentscheid nicht stattfindet. Denkbar ist hier allein, dass das Bürgerbegehren im Sinne von § 8b Abs. 2 Nr. 1 HGO eine Weisungsaufgabe bzw. eine Angelegenheit betrifft, die kraft Gesetzes dem Gemeindevorstand oder dem Bürgermeister obliegt.
Beim Abriss der Villa handelt es sich um den Abbruch und die Beseitigung einer Anlage im Sinne von § 62 Abs. 1 S. 1 HBO, die der Baugenehmigung bedürfen. Der Magistrat der Stadt S hat die Baugenehmigung für den Abriss der Villa durch internen Akt genehmigt. Das Bürgerbegehren richtet sich inhaltlich gegen den mit der Baugenehmigung erlaubten Abriss. Allerdings ist das Bürgerbegehren nicht darauf gerichtet, dass die Baugenehmigung widerrufen wird. Ein so formuliertes Bürgerbegehren beträfe die Bauaufsicht,
Kein Bürgerentscheid innerhalb der letzten drei Jahre
Nach § 8b Abs. 4 S. 1 HGO darf ein Bürgerbegehren nur Angelegenheiten zum Gegenstand haben, über die innerhalb der letzten drei Jahre nicht bereits ein Bürgerentscheid durchgeführt worden ist. Diese Anforderungen erfüllt das Bürgerbegehren zum Erhalt der Villa.
Zwischenergebnis
Das Bürgerbegehren betrifft damit eine Angelegenheit, die das Gesetz zu einem zulässigen Gegenstand eines Bürgerbegehrens erklärt.
Bestimmung der zu entscheidenden Frage
Nach § 8b Abs. 3 S. 2 HGO muss das Bürgerbegehren die zu entscheidende Frage enthalten. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die im Text des Bürgerbegehrens enthaltene Frage bei einer Auslegung analog §§ 133, 157 BGB aus dem objektiven Empfängerhorizont der Bürger und der gemeindlichen Gremien als Adressaten des Begehrens auf Durchführung eines Bürgerentscheids inhaltlich hinreichend bestimmt ist.
Der Text des Bürgerbegehrens lautet: „Ich stimme mit Ja für den Antrag, dass die [näher bezeichnete] Villa nicht abgerissen wird. Die für den Abriss im Haushalt vorgesehenen Mittel in Höhe von € 200.000 sollen für die Renovierung verwendet werden.“ Hierbei handelt es sich nicht um eine Frage und die Formulierung erscheint suggestiv. Allerdings wird sowohl aus Sicht der Bürger als auch der gemeindlichen Gremien deutlich, dass es sich um eine Aussage handelt, der sowohl mit „Ja“ zugestimmt als auch mit „Nein“ widersprochen werden kann. In Verbindung mit einem Stimmzettel, der die Möglichkeiten „Ja“ und „Nein“ vorsieht und eine Entscheidung verlangt, lässt sich der Text des Bürgerbegehrens damit als Frage verstehen, die mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden kann.
Mit Blick auf den Inhalt dessen, worüber abgestimmt wird, ergibt sich aus dem ersten Satz des Texts zunächst zweifelsfrei, dass es um den Abriss der näher bezeichneten Villa geht. Aus dem zweiten Satz ergeben sich sodann zwei weitere Abstimmungsgegenstände, nämlich erstens die Durchführung einer Renovierung und zweitens die Umwidmung der für den Abriss vorgesehenen Mittel in der Höhe von € 200.000 für diese Renovierung. Alle drei Punkte lassen sich dem Text des Bürgerbegehrens aus Sicht des maßgeblichen objektiven Empfängerhorizonts hinreichend deutlich entnehmen.
Die zu entscheidende Frage ist damit hinreichend bestimmt und gemäß § 8b Abs. 3 S. 2 HGO im Bürgerbegehren enthalten.
Begründung des Bürgerbegehrens
§ 8b Abs. 3 S. 2 HGO verlangt auch, dass das Bürgerbegehren eine Begründung enthält. Welchen Umfang und welche Tiefe die Begründung haben muss, bestimmt die Vorschrift nicht ausdrücklich. Der Zweck der Anforderung, eine Begründung zu geben, liegt darin, dass die Unterzeichner über den Sachverhalt und die Argumente der Organisatoren des Bürgerbegehrens aufgeklärt werden und sich anhand des Texts des Bürgerbegehrens ein Urteil darüber bilden können, ob sie dem Bürgerbegehren zustimmen wollen oder nicht. Daraus folgt, dass die angegebene Begründung zwar Wertungen, Schlussfolgerungen und Erwartungen enthalten darf, aber die entscheidungserheblichen Tatsachen zutreffend wiedergeben muss und nicht in wesentlichen Punkten falsch, unvollständig oder irreführend sein darf.
Die von A formulierte Begründung stellt zutreffend dar, dass es sich bei der Villa um ein ehemaliges Wohn- und Geschäftshaus einer vom Unrechtsregime der Nationalsozialisten verfolgten und teilweise ermordeten jüdischen Familie polnischer Staatsangehörigkeit handelt. Nicht unmittelbar der Begründung, aber immerhin den weiteren Informationen lässt sich die Tatsache entnehmen, dass die Gemeindevertretung von einem Renovierungsbedarf ausgeht, der Kosten in Höhe von € 1.000.000 auslöst. A zweifelt diese Höhe in den Informationen zwar an mit dem Verweis auf das Erscheinungsbild der Villa von außen, stellt aber sodann die Möglichkeit in den Raum, dass tatsächlich eine solche Summe erforderlich sein könnte. Die Ausführungen sind damit nicht falsch und auch nicht irreführend. Dass die Villa einen wichtigen Baustein in der Geschichte der Stadt S und in der Erinnerungskultur ihrer Einwohner bildet, ist eine Wertung des A, die angesichts der bisherigen Nutzung als Verwaltungsgebäude mit der Informationstafel vor der Villa auf einem Tatsachenkern beruht. Anhand dieser Begründung werden die Unterzeichner hinreichend über den Sachverhalt und die Argumente der Organisatoren des Bürgerbegehrens aufgeklärt und wissen, worüber abgestimmt werden soll. Die Begründung erfüllt damit die Anforderungen des § 8b Abs. 3 S. 2 HGO.
Kostendeckungsvorschlag
Schließlich verlangt § 8b Abs. 3 S. 2 HGO, dass das Bürgerbegehren einen nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbaren Vorschlag für die Deckung der Kosten der verlangten Maßnahme enthält. Die verlangte Maßnahme, von dem Abriss abzusehen, verursacht im Ausgangspunkt keine Kosten. Da das Bürgerbegehren aber darauf gerichtet ist, dass die Villa renoviert wird, muss es angeben, wie die Kosten dieser Renovierung zu decken sind.
In der abzustimmenden Frage selbst ist vorgesehen, dass die für den Abriss vorgesehenen Mittel in Höhe von € 200.000 für die Renovierung verwendet werden sollen. Das ist ein plausibler Vorschlag, da diese Mittel bereits im Haushalt vorgesehen waren und infolge eines erfolgreichen Bürgerentscheids frei werden. Allerdings hat ein Sachverständiger im Auftrag der Gemeinde die Kosten für die erforderliche Renovierung auf € 1.000.000 geschätzt. Auch, wenn die Kosten diese Summe nicht erreichen sollten, ist doch zu erwarten, dass sie deutlich über den gedeckten Kosten von € 200.000 liegen werden.
Mit Blick auf den Unterschiedsbetrag sehen die Informationen zum Bürgerbegehren vor, die S könne bei anderen Leistungen sparen, etwa beim zuschussbedürftigen städtischen Theater. Es erscheint zweifelhaft, dass diese Angabe den Anforderungen an einen Kostendeckungsvorschlag entspricht. Das Erfordernis eines Kostendeckungsvorschlags dient dem Zweck, den Bürgern in finanzieller Hinsicht die Tragweite und Konsequenzen der vorgeschlagenen Entscheidung deutlich zu machen, damit sie in ihrer Entscheidung auch die Verantwortung für die wirtschaftlichen Auswirkungen auf das Gemeindevermögen übernehmen können.
Der Kostendeckungsvorschlag im Bürgerbegehren wird daher den Anforderungen des § 8b Abs 3 S. 2 HGO nicht gerecht.
Zwischenergebnis
Da das Bürgerbegehren das Unterschriftenquorum nicht erreicht und keinen hinreichenden Kostendeckungsvorschlag enthält, ist es nicht zulässig. Die Anspruchsvoraussetzungen sind daher nicht erfüllt.
Zwischenergebnis
A hat keinen Anspruch darauf, dass die Gemeinde das Bürgerbegehren zulässt.
Anspruch auf rechtsfehlerfreie Bescheidung
Da das Bürgerbegehren nicht zulässig ist und es daher schon an den Voraussetzungen des Anspruchs auf Zulassung fehlt, hat A keinen Anspruch auf rechtsfehlerfreie Bescheidung.
Zwischenergebnis
Die Klage ist unbegründet.
Ergebnis
Die Klage des A ist zulässig, aber unbegründet. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.